Benefiz. Jeder rettet einen Afrikaner - Schauspiel Wuppertal
Geisterpremiere der Weltbessermacher
von Max Florian Kühlem
Wuppertal, 14. Juni 2020. Da seltsamerweise jede Kultureinrichtung etwas anders auf das Corona-Virus zu reagieren scheint, hier kurz die Version des Schauspiels Wuppertal im Theater am Engelsgarten: "Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner", die laut Intendant Thomas Braus "erste Premiere im Corona-Modus", ist eine Geister-Premiere. Abgesehen von einer Handvoll Journalist*innen und Ehrengästen wie Oberbürgermeister Andreas Mucke darf das Publikum sie nur als Online-Stream verfolgen. Für die Anwesenden gilt: Handdesinfektion, Mund-Nase-Bedeckung bis zum Sitzplatz, der Ausgang ist nicht der Eingang – man kennt das Spiel.
Kein Corona aus der Kiste
Regisseurin Anna-Elisabeth Frick nimmt es auf subtile Weise auf – so subtil, dass man sich in einigen Szenen fragt, ob sie überhaupt auf die Corona-Regeln reagiert oder ihre Inszenierung sowieso ähnlich angelegt hätte. Offenbar musste sie mit Abstandsregeln arbeiten – obwohl zum Beispiel Johan Simons ein paar Tage vorher in Bochum Kontaktszenen in seine Inszenierung von "Die Befristeten" einbauen durfte. Alle fünf Wuppertaler Darsteller*innen agieren aus, auf oder neben Holzkisten, die man vielleicht für die Verschickung von Hilfsgütern nutzen könnte.
Einmal findet Christine, dass sie nach ihrer emotionalen Ansprache über das Wesen von Solidarität doch ein Kollege in den Arm nehmen könne. Aber die zucken nur leicht verzagt mit den Schultern. "Na, wenn das so schwierig ist, lassen wir das eben weg", entgegnet die beleidigte B-Diva. Christine, die von Annou Reiners gespielt wird, ist wie die anderen Figuren eine nicht prominente, aber hoch ambitionierte Schauspielerin, die mit einer Benefiz-Gala Spenden für ein Schulprojekt in Afrika sammeln will.
Zu Hause im Weltladen
Das Stück stellt eine Probe dieser Gala dar – auch das passt perfekt zum fast leeren Publikumsraum im Corona-Modus. Geschrieben hat es 2009 Ingrid Lausund, die später für ihre Drehbücher zur Serie "Der Tatortreiniger" gefeiert wurde. Man darf den Text also nicht dafür verurteilen, dass er noch nichts weiß von den aktuellen Theater-Diskursen um das koloniale Erbe Europas. Und auch die durch den Tod von George Floyd neu angeschobene Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt kam zu spät, um einen möglichen Eingang in die Inszenierung zu finden.
So kreist sie um die Blicke von fünf wohlstandsdeutschen Schauspieler*innen auf Afrika – und ihre Reflexion derselben, ihre Kämpfe um Wahrhaftigkeit, ihr verzweifeltes Ringen um Political Correctness. Die Einrichtung ihrer Kisten vermittelt ein Bild der Figuren, glücklicherweise wird jedes einzelne von der Regie im Laufe des Stücks gebrochen: Da ist die gefühlige Eva (Julia Meier) inmitten von allerhand Weltladen-Zeug – Trommeln, farbigen Tüchern, Lederlampe. Aktivist Leo (Kevin Wilke) haust genügsam mit Schlafsack und Kuscheltier, der Rest des Einkommens wird vermutlich gespendet.
Rainer (Matthias Eberle) steht im Samt-Anzug vor Jacques-Louis Davids Gemälde "Der Tod des Marat" und gibt so den europäischen Bürger, der die Ideale der französischen Revolution auf die große Weltpolitik anwenden will. Bei seinem Appell verzettelt er sich: Liegt der Staat Guinea-Bissau, der zu den ärmsten der Welt zählt und in dem das Schulprojekt aufgezogen werden soll (für das bei der Uraufführung übrigens tatsächlich Spenden gesammelt wurden), in West- oder Ostafrika? Sterben auf dem Kontinent jedes Jahr acht oder 80 Millionen Kinder an Unterernährung. "80?", staunt Eberles eigentlich stolzer, aber aus dem Konzept geratener Rainer: "Das wäre ja einmal Deutschland…" Aber das Bild hilft nichts. Letztlich bleibt das Leiden abstrakt und der westlichen Lebenswelt so fern.
Zwei Euro gegen eine Woche Hunger
Spannend ist die Figur des Eckhard, den Stefan Walz mit Safari-Hut, in beigen Kniestrümpfen und Sandalen gibt. Er agiert aus einem Kitsch-Urwaldzimmer und nimmt einmal wie ein Missionar die Bibel zur Hand. Als die anderen Einspruch erheben, fängt er an zu fluchen: "Ficken, Fotze – alles darf man heute sagen. Aber nicht Güte oder Barmherzigkeit."
Die Stärke von Text und Inszenierung besteht darin, dass sie die zunehmende Verzweiflung der Figuren zeigen und keine einfachen Auswege für ihre Dilemmata präsentieren. Während sie mit Flyern von afrikanischen Einzelschicksalen hantieren, deren Ernährung und/oder Schulbildung man unterstützen könnte, fragen sie: Warum sind Menschen nicht gleich viel wert? Und warum sollte gerade heute beziehungsweise nur heute ein Menschenleben mehr zählen als der Cocktail, den man sich für dasselbe Geld leisten könnte? Auf der Heimfahrt leuchtet ein Plakat der Zwei-Euro-Helfen-Kampagne der Organisation Misereor am Schwebebahnhof: "Zwei Euro kosten zwei Kugeln Eis", sagt die Sprechblase der weißen "Weltbessermacherin" Leonie. "Zwei Euro helfen mir, eine Woche lang satt zu werden", die des schwarzen "Farmjungen" Carlton aus Südafrika.
Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner
von Ingrid Lausund
Inszenierung: Anna-Elisabeth Frick, Bühne und Kostüme: Christian Blechschmidt, Dramaturgie: Peter Wallgram, Regieassistenz: Tim Klein, Jonas Willardt, Inspizienz: Jonas Willardt, Produktionsleitung: Peter Wallgram.
Mit: Julia Meier, Matthias Eberle, Annou Reiners, Stefan Walz, Kevin Wilke.
Premiere am 14. Juni 2020
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.schauspiel-wuppertal.de/
Kritikenrundschau
"Eine perfekte Show" sah Lothar Leuschen von der Westdeutschen Zeitung (16.6.2020). "'Benefiz' ist eine Ohrfeige, ein Hieb, der mit Verzögerung schmerzt. Das liegt am komödiantischen Talent der Schauspielerinnen und Schauspieler, es liegt am geistreichen Bühnenbild von Christian Blechschmidt und an der felderleichten Inszenierung von Anna-Elisabeth Frick." Er schließt: "Das ist sehenswert, lustig und verfehlt seine Wirkung dennoch nicht."
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