Die Räuber - Sebastian Baumgarten beschwört mit Friedrich Schiller das Gespenst des Nationalismus
Diabolischer Tanz auf deutschen Gräbern
von Ralph Gambihler
Dresden, 13. April 2012. Im Bühnenbild von Barbara Ehnes ist alles beisammen. Der böhmische Wald liegt an einem sehr idyllischen Alpensee. Gleich ums Eck blicken wir auf ein andeutungsweise modernes Luxuswohnzimmer, in dem an der Wand sehr groß, sehr schwarz und sehr reaktionär ein doppelköpfiger Reichsadler prangt. Oben drüber, in einer zweiten Etage, muss man sich eine Art Klettergarten vorstellen, bestens geeignet für das fröhliche Verrinnen von deutschem Jungmännerschweiß. Schillers "drei außerordentliche Menschen" sind in dieser zusammengezimmerten Deutschland-Installation ungut vereint. Die Story: Der Vater liebt die Söhne nicht. Die Söhne kriechen unter ins Vaterland. Man kennt Verlauf und Ende.
Schillers Terrorzelle
Als Folie für den Gewaltdiskurs ist Schillers rebellisches Jugendstück bis heute vielfach verwendbar. Hier haben wir nun eine auf den ersten Blick plump aktualisierende Variante. Sebastian Baumgarten hat in Dresden gewissermaßen das Stück zum Thema abgeliefert. Im sächsischen Landtag sitzt noch immer die NPD, die Zwickauer Terrorzelle hält das Land in Atem. Also scharf rechts, hart am Abgrund des Nationalismus entlang, im wilden Tanz quer durch eine (unsere) Geschichte, die bei Goethe nicht anfängt und bei Rammstein nicht endet. Nation, Vaterland, Gott. "Mut, Kraft und Ehr / ziert deutsche Wehr". Und, autsch!, "blühende Landschaften". Eine Rede, staatstragend, historisch, Dresden im Dezember 1989. Maximilian Moor im Kontext der deutsch-deutschen Sache.
Eine derartige Schiller-Aufladung mit einem Kontextpanorama, das von den Welfen bis in die Zeit der Nachwende reicht, mag einem ausgeschwitzt und vordergründig vorkommen. Sie funktioniert aber, erstaunlich gut sogar. Was - erstens - an der Entscheidung Baumgartens und seines Dramaturgen Robert Koall liegt, im Tableau der Figuren die Blicke besonders auf den Oberintriganten Franz zu richten und mit den Franz-Monologen die beste Karte auszuspielen, die Schillers "Räuber" zu bieten haben.
Böse pochende Sätze
Dabei kommt nun - zweitens - die famose Besetzung zum Tragen. Wolfgang Michalek läuft in der Paraderolle zu Höchstform auf. Sein Franz ist ein Kunststück aus dem Buch der Metamorphosen. Michalek, schwer arbeitend, schwer schwitzend, mit viel Körpereinsatz und massiger Weichheit, zeigt die personifizierte Verheerung: das ungeliebte, böse, verschlagene Kind, den clownesken, etwas chaplinesken Magier, den die väterliche Zurücksetzung auf diabolische Abwege führt, den werdenden Tyrannen mit den Hosenträgern und den viel zu hoch gezogenen Hosen. "Ich muss alles um mich ausrotten, was mich hindert, Herr zu sein", sagt er. Man kennt die Sätze. Sie pochen böse.
Im Grunde bleibt Baumgarten ganz bei Schiller und psychologisiert in seinen drei wilden Stunden. Erzählt wird letztlich eine (deutsche) Geschichte von der Geburt des Nationalismus und Terrors aus der Erfahrung der Lieblosigkeit. Die zwei Köpfe des Adler symbolisieren dabei die beiden ungleichen, aber im Hass vereinten Brüder Moor - wobei in den Hass die gezackten Runen der SS hineingefahren sind. Im Fall des anderen Sohnes zwei heißt das: Wehrsportgruppe.
Deutschlands kalter Vater Kohl
Karl ist ein Jungnazi aus dem Bilderbuch, groß, blond, athletisch. Er kommandiert eine Räuberbande nacktbrüstiger Männer, die auf dem Bauch Zahlen eintätowiert haben, auf Kommando simultan Holzhacken und am liebsten Rammstein hören. Matthias Reichwald macht seine Sache recht gut als cheffiger, geradlinig schleudernder Wehrsport-Macker, hat es aber schwer gegen den überragenden Michalek - wie auch alle anderen Darsteller auf der Bühne.
Altstar Dieter Mann etwa, der in der ersten Szene die Passage aus der Kohl-Rede vorträgt. Er verkörpert den zeitlichen Durchgriff der Inszenierung besonders deutlich, irgendwo zwischen kaltem Vater aus dem Schiller-Repertoire, Hausgespenst und reaktionärem Nachwende-Profiteur. Die Amalia von Sonja Beißwenger bleibt (wie bei Schiller) als verzweifelt Liebende eher blass, scheint sich mit der familiären Tragödie aber gut arrangieren zu können. In der letzten, ganz auf Harmonie und schönen Schein getrimmten Szene, tanzt sie mit dem alten Moor ein vergnügtes Wiedervereinigungs-Tänzchen.
Gewaltiger Gespensterauftrieb
Was die weit ausgreifende Kontextarbeit angeht, changiert die Inszenierung zwischen Affentheater und großem postdramatischem Wurf. Die Bezüge, Anspielungen und Querverweise rauschen nur so herein. Baumgarten kultiviert die Kunst der Kontextsprünge und geht dabei bis an die Grenzen der Klimperei, wenn er von der Bach-Fuge bis zu Camerons "Titanic" hastet, zu Rommels Wüstenfeldzug und mit dem plötzlich dunkel geschminkten Franz provokant die jüngsten Blackfacing-Debatten streift.
Da wirkt manches verhampelt und weit hergeholt. Und in den schwächeren (zumeist franzlosen) Szenen wird einem auch sehr klar, welchen gewaltigen inszenatorischen Budenzauber Baumgarten auffährt, um sein Stück zu garnieren. Und dann staunt man doch immer wieder über diesen großen Gespensterauftrieb, über diesen diabolischen Tanz auf den Gräbern, über diese halbe Farce einer deutschen Tragödie, die im Halbdunkel der Bühne ihre vielen Gesichter erhebt. Ohne Richard Wagner übrigens. Den hat Baumgarten, der (ausgebuhte) Regisseur der Eröffnungs-Inszenierung der Bayreuther Festspiele 2011, diesmal links liegen gelassen.
Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Sebastian Baumgarten, Bühne: Barbara Ehnes, Kostüm: Ellen Hofmann, Musik: Max Renne, Percussion: Viroumani, Video: Stefan: Bischoff, Dramaturgie: Robert Koall.
Mit: Dieter Mann, Wolfgang Michalek, Matthias Reichwald, Sonja Beißwenger, Thomas Eisen, Thomas Braungardt, Christian Clauß, Sascha Göpel, Stefko Hanushevsky, Annika Schilling, Sebastian Wendelin, Sascha Göpel.
www.staatsschauspiel-dresden.de
Einen "skurrilen Remix aus lose zusammengewürfelten Zitaten der Literatur, Popkultur und vor allem der Zeitgeschichte" habe Sebastian Baumgarten mit diesen "Räubern" erstellt, schreibt Nicolas Garz für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (15.4.2012). Eine der anspielungsreichen Zentralaussagen sei mithin: "Vor 33 Jahren waren wir noch 45 Mann. Jetzt sind wir 89 Millionen." Und eine der zentralen Szenen: Bösewicht Franz spricht vor einem in Deutschlandfahne gehüllten Sarg den Auftakt des Goethe'schen "Faust", ehe er in den Tonfall des "Großen Diktators" von Chaplin wechselt.
Auf Franz als "Inbild des Bösen" konzentriere Baumgarten seine Schiller-Lektüre, schreibt Dirk Pilz für die Redaktionsgemeinschaft Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau (16.4.2012). Wolfgang Michalek als Franz "stürmt mit umwerfender Verwandlungslust die ganze Partitur der Bösartigkeit hinauf und hinunter, vom fiesen Clown bis zum finstern Herrn Mephisto". Aus dieser Figur heraus entwickele Baumgarten seine Deutung: Es gehe "um die Geschichte als Komplex, die des Einzelnen und die deutsche, um diesen geschlossenen, ausweglosen 'morastigen Zirkel' (steht auch bei Schiller) aus Schuld und Sühne." Es entstehe ein "assoziationsdichtes Schauspielgemälde" mit einem "ganzen wildwuchernden, dichten Symbolwald", voller "Marschtrommeln und Militärmäntel" und sonstiger Utensilien des Dritten Reichs, die es "vielleicht nicht gebraucht" hätte. In diesen Assoziationen walte eine deterministische Tendenz: "Autonome, freie Menschen gibt es hier nicht". Gerade diesen Geschichtsdeterminismus, "den Baumgarten eigentlich als Unheilstifter entlarven will", macht der Rezensent als Problem der Inszenierung aus. Sie "überlistet ihren Regisseur. Die Symbole ersticken das Spiel."
"Martialisch, laut und eindrucksvoll" – so empfindet Johanna Lemke von der Sächsischen Zeitung (16.4.2012) Sebastian Baumgartens "Schaustück über deutschen Nationalismus". Bei ihm werde die "Schillersche Brüderfede" zur "Parabel auf die Entstehung von Diktaturen, immer wieder kullern die Zahlen 33-45-89 in den Raum". Überragend sei die Leistung von Wolfgang Michalek als Franz; andere Hauptfiguren wie Karl (Matthias Reichwald) oder Vater Moor (Dieter Mann) blieben neben ihm blass. Die Begeisterung für die "hochkomplexe Lesart des Klassikers" und die "Anspielungen" von "hohem Schauwert" erfährt aber auch eine Einschränkung, insofern "die Spannung nach der Pause spürbar abfällt".
Baumgarten ziele auf "Polarisierung, arbeitet mit einer Fülle von provokant eingesetzten medialen Anspielungen und Fremdtext-Kommentaren, mit einem stringenten musikalischen Background", schreibt Tomas Petzold für die Dresdner Neuesten Nachrichten (16.4.2012). Es gehe der Inszenierung darum den "Kern eines falschen Mythos" deutschen Nationaldenkens "zu entlarven", wodurch "die Individualität der Charaktere zwangsläufig zurücktreten" muss. Hervorgehoben wird das Trio der Österreicher – Sebastian Wendeling und Stefko Hanushevsky als Räuber, Thomas Eisen als Spiegelberg –, das Baumgarten mit "heraushörbarem Hintersinn" besetzt habe, sowie Wolfgang Michaleks Franz in seiner "intellektuell begründeten und weidlich ausgespielten, sich grandios wandelnden Bosheit". Auch Petzold konstatiert, dass "der lange Abend sich nach der Pause noch zusätzlich zu dehnen scheint".
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Wenn gleich ich doch zugeben muß, dass das eine oder andere auf grund der kurzen Probenzeit, noch mehr Potential und Tiefe bietet.
Ein Räuber
bauen
Gegenfrage: Warum sollten wir sie heute aufführen, wenn sie keine Relevenz für unsere Gegenwart haben (dürfen)? Was uns wieder zum Thema "Theater als Museum" bringt...
zudem wollen die heutigen regisseure die klassischen stoffe
für das heutige publikum zeitnah umsetzen und verständlich machen
kommt doch nur darauf an
wie gut das gemacht wird und wie gut das gelingt
Es kommt auf die Inszenierung an.
Leider war das, was ich heute gesehen habe, eine meist zusammenhangslose, oft unverständliche Aneinanderreihung von Anspielungen, Elementen von Schillers Räubern und teilweise einfach nur sinnfreie Szenen, die ich den vorher genannten Kategorien nicht zuordnen kann. ...zuviel Video, Geschrei, Klamauk und Getöse auf der Bühne machen eben noch kein gutes Stück aus.
Schade, liebes Staatsschauspiel - ich habe seit dem "Goldenen Topf" kein so schlechtes Stück mehr gesehen. Sollte Herr Baumgarten wieder mal Regie führen, falle ich sicherlich kein 3. Mal darauf herein.
Wenn diese Inszenierung schon als zu "modern" gilt, das schon zu viel Regietheater sein soll, dann gute Nacht und viel Spaß im Theatermuseum ...
((Die Uraufführung war wohl ein Skandal, ein hochpolitischer Akt. Daran muss sich jede Inszenierung heute messen lassen, Baumgarten hat spät aber immerhin versucht, die politische Sprengkraft des Textes auszuloten. Das muss auch so sein.))
Erinnert sich in Dresden noch jemand an die kreuzbrave Inszenierung von Markus Dietz vor vielleicht zehn Jahren? Will das jemand zurück?
Auch das Schauspiel Dresden kämpft immer mehr um Zuschauer, oder? Deswegen der deutlich sichtbare Schritt zurück zu Holk Freytag. Das ist auch alles schon okay, aber: was ist eigentlich das künstlerische Profil von Dresden - außer Gefälligkeit? Das war unter Freytag so und auch das Problem der letzten Jahre in Hannover... Aufweichung.
Reckless, Hamlet, Das Leben des Galilei! Engel, Lietzow, Köhler, Strunz. Das staubt schon etwas.
11 Uraufführungen. Man muss schon ziemlich viel Missgunst und/oder Dünkel in sich tragen, um über Dresden zu schnarchen oder gar zu behaupten, das Haus mache einen "deutlich sichtbaren Schritt zurück zu Freytag".
Was für ein Unsinn.
Ich finde, dass gelingt in Dresden famos.
Zudem hatte ich einen wunderbaren Theaterabend mit den "Räubern", obgleich ich die zweite Hälfte des Abends schwächer fand. Aber: So düster erschüttert und gelähmt, fand ich mich wohl selten oder nie im Theater! Toll!
Nun hatte man ihn schon einmal wieder als Zugpferd heran geholt, da ist er nach wenigen Vorstellungen verschwunden...
Die Aufführung fand ich einfach nur schlecht und misslungen. Ich werde mir den Namen Baumgarten gut merken, denn da weiß ich, welche Stücke ich mir auf jeden Fall nicht anschauen werde. Künstlerische Freiheit hin oder her; das Stück ist ordentlich versaut worden. Die Darsteller haben meiner Meinung nach sehr großes Potential, aber Herr Baumgarten leider nicht Das war dem guten Herrn Schiller nicht gerecht. Ich bleib lieber beim Original.
es mag ja sein das es Ihnen nicht gefallen hat, aber für mich ist Herr Baumgarten einer der spannendsten Regisseure der derzeitigen Theaterlandschaft und ich glaube man sollte sich nicht die Freude nehmen, seinen Gedankenwelten zu folgen. Sicher ist die "Räuber-Inszenierung" Geschmacksache, aber diesen genialen Kopf Baumgarten als einen Garanten für schlechtes Theater zu bezeichnen ist schlicht albern und nicht zutreffend!