Frank der Fünfte - Die Landesbühne Sachsen Radebeul beantwortet die Frage, warum Friedrich Dürrenmatts musikalische Komödie so selten gespielt wird
Von der Gründung einer Bank
von Matthias Schmidt
Radebeul, 19. April 2014. Nach dem ersten Blick auf den Inhalt dieses Stückes fragt man sich: warum spielt das eigentlich kaum jemand? Finanzblase, Bankenskandal – das ist ja hochaktuell! Der Antworten mögen viele sein, und die Inszenierung der Landesbühne Sachsen ist nach Kräften behilflich, sie zu erkennen. Die entscheidende Antwort aber lautet: Weill Brecht. Friedrich Dürrenmatt selbst hat es immer geärgert, dass "Frank der Fünfte" mit der "Dreigroschenoper" verglichen wurde. Da steht nämlich alles über die Banken drin. Auf den Punkt. In einem Satz. Kennt fast jeder.
Dürrenmatts Idee, die Welt der Privatbanker als ein korruptes, verkommenes, niederträchtiges Biotop zu schildern, sie mag 1959 als böse Ahnung dennoch ihre Berechtigung gehabt haben. Heute, nach allem, was wir über die so genannte systemstabilisierende Rolle der Banken haben begreifen müssen, ist das Stück nicht mehr als ein Kabarettext, eine langgezogene Pointe in 14 Bildern. Komischer als Marx, dafür ohne Erkenntnisgewinn. Eine zweite Antwort muss leider lauten: weil die Musik von Paul Burkhard ("O mein Papa") eben nicht die Musik von Weill, sondern ziemlich schrecklich ist. Zumindest, wenn gesungen wird. Die Zwischenspiele sind okay.
Robert Wilson trifft Richard Ohnsorg
In Radebeul sieht es zunächst so aus, als wolle Regisseur Arne Retzlaff das Stück ins Artifizielle heben, ins Zeitlose, Universelle. Die Bühne von Stefan Wiel ist eine surrealistisch wirkende Stadt aus stürzenden Linien und grellen Farben. Kostüm und Maske sowie die anfänglich noch streng choreografierten Auftritte lassen an Robert Wilson denken. Auf der Hinterbühne steht ein Äquilibrist Kopf, während die Sich-Bereicherer im bunten Licht wie Zirkustiere ausgestellt sind.
Ja, mehr davon, so könnte es gehen: symbolistisch, als absurde Überzeichnung könnte das Stück über die verdorbene Bankerdynastie der "Franks 1 bis 6" eine Chance haben. Allein, die Regie hält es nicht durch und verlässt die strenge Künstlichkeit umgehend zugunsten eines plauzigen Humors. Wir sehen nun einen Schwank, der die kleinen Pausen fürs Schenkelklopfen direkt mitspielt. Robert Wilson trifft Richard Ohnsorg, und der Abend wird zu einer bloßen Karikatur: eine Klischeesammlung, gefüllt mit unserem Stammtischwissen über das Wesen der monetären Krise.
Das ist – leider, leider – so berechenbar wie ein Blondinenwitz. Und funktioniert fast genauso: an den deftigen Stellen wird gelacht. Hach, diese Banker, die sind aber auch … Die Frieda Fürst ist eine Hure, hui! Der dicke, mit Zobeln behangene Fabrikant Schlumpf, na das ist ja einer! Putziger Name zudem, Ernst Schlumpf, was haben wir gelacht! Und die jungerwachsenen Kinder Frank des Fünften sehen so aus, wie man sich Jungerwachsene auf einer Landesbühne vorstellt. Schade.
Chance der Erhöhung
Das tolle Setting der Inszenierung scheint vergessen, jetzt zielt sie auf Effekte. Es gibt Szenenapplaus, und immer Mal flüstert im Publikum jemand seinem Nachbarn zu, was das wieder für eine tolle Nummer war. Was am Ende davon bleibt, ist nicht viel mehr als nach einem DDR-Silvesterschwank mit Maxe Baumann. Lauter tolle Nummern.
Und schließlich ballert der Personalchef der Bank mit zwei Pistolen herum, als sei er Old Surehand auf der Felsenbühne Rathen. Da war die Linie längst verloren und endlich Pause. Nur einmal noch klingt an, was die Inszenierung ihrem Erscheinungsbild nach hatte sein wollen: eine komische Überhöhung. Ein Chief Bromden, stumm und stoisch wie sein Film-Vorbild, fegt am hinteren Bühnenrand die Spuren der Finanzexzesse weg. Geniale Idee. Wer ist normal, wer verrückt? Die im Lichte oder die im Dunklen? Man hätte darüber nachdenken können. Dann darf man es aber nicht so eilig haben. Wie auch in dem Moment, als Franks Frau Ottilie den Staatspräsidenten anfleht, sie doch zu bestrafen und die Bank zu schließen.
Nur einer flog über das Kuckucksnest
Es hätte ein Moment der Läuterung und zugleich des Staunens sein können, obwohl wir die Antwort mittlerweile aus dem Bundestag kennen. Doch auch dieser Moment verschwindet hinter einem Zuviel an - man weiß jetzt gar nicht, wie man das nennen soll – Humor? Weil nämlich das Unerhörte, das er antwortet, sich absetzen soll von dem weiteren Klamauk, der nach den Pausenwürstchen stattfand, spricht der Präsident es durch ein Kehlkopfmikrofon. Kann man machen, ist originell. Aber blind ist er ja auch noch, und Ottilie, um erkannt zu werden, setzt sich auf seinen Schoß, führt seine Hände an ihre Brüste und reitet ein wenig auf ihm herum. Noch so eine tolle Nummer.
Frank der Fünfte
Komödie von Friedrich Dürrenmatt, Musik von Paul Burkhard
Regie: Arne Retzlaff, Musikalische Leitung, Hans-Peter Preu, Ausstattung: Stefan Weil, Musikalische Einstudierung: Uwe Zimmermann, Dramaturgie: Uta Girod.
Mit: Matthias Henkel, Anke Teickner, Johannes Krobbach, Cordula Hanns, Michael Heuser, Mario Grünewald, Sandra Maria Huimann, Olaf Hörbe, Tom Hantschel, Moritz Gabriel, Jost Ingolf Kittel, Ronny Philipp. Musikeinspiel: Czabo Kelemen, Anja Bachmann, Hendrik Gläßer, Tino Scholz, Uwe Zimmermann.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.landesbuehnen-sachsen.de
Kritikenrundschau
Rainer Casselt schreibt in der Sächsischen Zeitung (22.4.2014), Arne Retzlaff verzichte auf Aktualisierungen und lasse das Stück, "das die Wirklichkeit zur Groteske verfremdet, konsequent als Gaunerkomödie spielen". Die Aufführung atme "Verbrecherluft", schwitze "Intrigen aus" und hänge auch manchmal durch. Die Groteske bedürfe "satirischer Überzeichnung, federnder Distanz. brillanter Parodie". Dem komme der Abend in "einigen Szenen recht nahe".
In den Dresdner Neuesten Nachrichten schreibt Tomas Petzoldt (22.4.2014), er habe "konsequente Stilisierung" und "hintergründige Bezüge zum Variete" gesehen. Dürrenmatts sarkastischer Humor komme hier "selten subtil" daher, trotzdem regierten in Retzlaffs "ziemlich schrägen, bis ins Groteske getriebenen Bildern nicht die grellsten Farben". Ein "lebenskluges, eingespieltes Ensemble" setze "Kontrapunkte" zur oft "allzu drastischen Überzeichnung der dürren Story".
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