Körperfestspiele - vom Wesen der Salzburger Festspiele
Fit for Fun in Salzburg
von Tomo Mirko Pavlovic
Salzburg, 14. August 2007. Miss Wildcat räkelt sich gegenüber dem dunklen Eingang der altehrwürdigen Katholisch-Theologischen Fakultät. Der Modelkörper auf dem Plakat im Schaufenster ist tadellos glatt und besonders jung. Das Raubtierchendessin auf BH und Höschen umrahmt einen flachen Bauch und verhilft einem bekannten Schweizer Dessouslabel und seiner vielsagend pikanten Lingerie-Linie zum sündigen Auftritt.
Über dem Gassenpflaster zwischen profaner Werbeästhetik und sakraler Bildungsburg hängen Duftfäden von Pferdeäpfeln und ein wenig Moschus. Irgendwo gackert ausgelassen eine Stimme, als hätte ihre Besitzerin gerade einen herrlich schmutzigen Witz eingeflüstert bekommen. Selbst die weich illuminierten Fassaden leuchten in fleischigem Rosa.
Die süße Pflicht der Maßlosigkeit
Kurz vor Mitternacht in Salzburg. Wieder mal geht ein Festspieltag zu Ende. Die Altstadt entleert sich und schrumpft bis zum frühen Morgen auf ihre eigentliche Kleinstadtgröße zusammen. Vor wenigen Stunden noch wurde ganz in der Nähe eine andere Raubkatze dem Jedermann zugeführt – eine barfüßige Marie Bäumer wirbelte elastisch über die Bühne und ausweglos mitten in die langen Kingkong-Arme Peter Simonischeks, der die diesjährige Buhlschaft wie eine willige Jane einfing. Ihr Dekolleté? Im züchtigen Bereich.
Vom "Titten-Fetischismus" dieser Rolle, wie die Ex-Buhlschaft Sophie Rois einmal und auf ewig zitierfähig höhnte, war ebenso wie von großer Kunst wenig zu sehen. Wäre da nicht am Vortag Thomas Thiemes abstruse Selbstbefingerung in Luk Percevals Rubbelstar-Molière gewesen, man hätte beinahe vergessen, worum es bei den Salzburger Spektakeln allsommerlich geht: um den nackten Körper, ums sexualisierte Menschenfleisch. Und ums Verdauen.
Kurz nach Mitternacht im Herzen Salzburgs. Endlich. Im Kaffeehaus Tomaselli macht ein mürrischer Kellner seine Kassierrunde, die letzten Tortenstücke glänzen in der Auslage, jemand verlangt noch nach einer Cremeschnitte. Maßlosigkeit ist eine süße Pflicht. Man gibt sich allzeit dekadent und biskuitlocker. Auch der eigene Körper entspannt sich allmählich. Befreit sich von der Last des Tages, von den vielen Blicken, Taxierungen und Eindrücken in dieser seltsam schwülen Stadt, in der das deutschsprachige Theater und all ihre Protagonisten vor und hinter den Kulissen wie bei einer Peepshow vorgeführt werden. Ein angestrengter Catwalk der Halbschönen und Neu- und Möchtegernreichen zwischen Festspielhaus und Domplatz.
Eine Prozession der Aufgehübschten
Anders als bei anderen europäischen Festivals, Festspielen und Theatertreffen ist der Promifaktor an der Salzach zu vernachlässigen. Die Gesellschaftsseiten der Gazetten vermelden in ihrer boulevardesken Not jedes Mal aufs Neue, welches Kleid irgendeine greise Fürstin, Baronin oder eine in Österreich wohl sehr beliebte Fernsehschauspielerin diesmal übergeworfen hat. Wobei die Fotografien von diesen verkrampft Lächelnden definitiv würdevoller sind als die Spaziergänge der vielen vermögenden Herren Magister und Doktoren der lokalen Politwirtschaft, die wie Hofmannsthals Jedermann an die Hand einer jüngeren Buhlschaft geklammert dem Verfall ausbüchsen wollen. Nirgendwo sonst – außer vielleicht vor dem Festspielhaus in Baden-Baden – wird das Altern so erbarmungslos und mit allen zur Verfügung stehenden medizinisch- modisch-kosmetischen Mitteln bekämpft. Ohne Scham, ohne Erfolg.
Man kann diesen starr lächelnd zur Schau getragenen Selbstverstümmelungen optisch kaum entkommen, es befällt einen zuweilen das beklemmende Gefühl, sich in einer unwirklichen Open-Air-Galerie voll animierter Francis-Bacon-Kreaturen zu bewegen. Die Vorgänge auf der Theaterbühne? Sind prickelnde Stimulanzien, psychokulturelles Viagra und feuilletonistisches Red Bull. Wie beim festlichen Kirchgang auf dem Lande erhofft sich die Prozession der Aufgehübschten und Gelangweilten etwas, was das Leben intensiviert. Etwas, was den erschlafften Provinzleib in Wallung bringt: gleichgültig ob es sich dabei um eine demütigende Predigt als Seelenimbiss oder eine wohltuende Fleischbesichtigung handelt.
Joppen, Jankerl, Mieder
Vor und nach der Messe wird gelästert, geheuchelt und gebrandmarkt. Man zeigt auch Haut, aber nur gerade so viel, dass es durchgeht. Diese Festspielreizwäsche aber auch: all die Dirndl, die Mascherl, die Schnüre, die Schürzen, die Puffärmel, die Mieder, die Joppen und Jankerl umfloren eine gespielte Unschuld, zeugen von einer lustvollen Zivilisationsvergessenheit. Sie passen bestens zum verruchten Mieder von Miss Wildcat. Außen wird gejodelt, drunter wird gekratzt.
So hat alles hier seine Ordnung, seine Zeit. Der Fehltritt wie die öffentliche Vergebung sind ritualisierter Teil der Einverleibung des Fremden und Anderen. Unbelehrbare Rezensenten und Theatermacher, die immer noch mit antibürgerlichem Furor in der stolzen Brust in den Salzburger Hotels einchecken und glauben, man könne innerhalb der Folkloreveranstaltungen eine unabhängige und ja: kritische Position für sich ausloten, liefern die um so begehrteren Appetizer für den gierigen Festspielschlund.
Tief aus seinem Inneren winken schon hilflos Mozart und Bernhard herauf. Spieletechnisch wirklich subversiv ist eigentlich nur noch das Olympische Komitee, dass bei der Vergabe der Winterspiele im Jahre 2014 Sotschi und nicht Salzburg den Zuschlag gab.
Das Auge hungert
Also Entzug, Rückzug, Verweigerung? Dort, wo das gierige Sehenwollen nicht belohnt wird, wo kein Körper vorgeführt wird, weder ein zerstückelter noch ein offensiv erotischer, geriert sich der dauertouristische Festspieltrumm im Innersten vielleicht ein wenig verwundbar. Außerhalb alles allzu Künstlichen am Elisabethenkai etwa. Die Jugendlichen der Stadt finden sich im Dämmerlicht entlang des Flussufers ein. Rauschvolles Sit-In mit Bier und Wodka, ein heiter-stilles, sinnloses Besäufnis, dabei immer tapfer den Blick auf die Festspielzauberkulisse gerichtet. Auch eine Art, vor der Übermacht der Eltern und Eliten zu kapitulieren. Sogar Kassettenrekorder und artige Punker kann man hier noch sehen. Putzig.
Oder, wieder zurück auf der anderen Seite der Salzach. Im Republic, wo sich der gut erzogene Nachwuchs noch unsicher auf Stilettos trippelnd in Festspieldivenhaftigkeit übt. An diesem Spielort für die Reihe "Young Directors Project" las die italienische Gruppe Motus einen Text von Pier Paolo Pasolini und präsentierte dabei teils verschwommene Bilder einer am Stadtrand vollzogenen Penetration eines Fremden, der seinem eigenen Körper nicht mehr traut, in luziden Videoeinspielungen.
Eine Flucht vor seiner eigenen Hülle – und das in dieser oberflächenverliebten Stadt. Der Text: präzise und rhythmisch gelesen, die Szenerie: statisch. Nichts passiert. Das Auge hungert, auch wenn die drei Schauspieler die eleganten Kostüme vom Modelabel Costume National gestellt bekommen. Nach 50 Minuten ist alles vorbei, die meisten Besucher rümpfen die Nase. Text statt Körper, Bild statt Haut. Beinahe ein Skandalon.
Der Körper, ein Skandal
Man erwartet, man erhofft ja den Skandal – wie einst bei "Ein Fest für Boris". Und man erholt sich davon (wie immer) bei der jeweils neuen Buhlschaft des "Jedermann". Beide Stücke verhandeln, natürlich, auch den missbrauchten, den abgenutzten Körper. Und beide Stücke sind in ihrer Gegensätzlichkeit so etwas wie symptomatisch für die körperfixierte Theaterrezeption in dieser Stadt der unzähligen Augen. Und wenn schließlich auch noch Percevals Molière die eigene Nudel malträtiert, seinen schwammigen Wanst entblößt, bedient er wiederum nichts als den hier herrschenden Körper-Fetischismus.
Nicht das Theater ist das Theater, die Stadt selbst ist der Grund für das Spektakel. Ein reines Hirngespinst, die Kultur ist herzlichst eingeladen, an dieser formidablen Salzburger Nabelschau teilzunehmen. Als Publikum. Eine perfekte Simulation der Festspiele.
Mit Mozart funktioniert es genauso. Längst. Man kommt an diesem Haus vorbei, das um Aufmerksamkeit buhlt. Auf einem Metallschild ist ein Hinweis eingraviert: Hinter diesen Mauern habe "Konstanze Mozart mit ihrem zweiten Mann und den Kindern gelebt". Man beginnt zu zweifeln, ob es diesen Mozart überhaupt gegeben hat oder ob nicht vielleicht sein Nachfolger doch wichtiger war.
Hast des gsehn?
Weit nach Mitternacht dann, irgendwo in einem der vielen Tunnel, die diese süße Stadt aushöhlen wie eine Schokoladen-Mousse. Vor einem Schaufenster wirbt eine gemeinnützige Organisation für ein "heiteres Älterwerden".
Da fallen einem die zwei ungerührten Damen ein und ihr Dialog in der Pause von "Molière. Ein Passion":
Wast?
Was?
Der Mühe is gstorbn.
Ah.
Wast des?
Jo.
Hast des gsehn?
Was?
Das Leben der Anderen? Hast des gsehn?
Na.
Des musst sehn. Der Mühe.
Jo.
Der Mühe. Des war ein leiser, n gueter Schauspieler.
Jo.
Des musst sehn.
Du.
Wos is?
Willst nochn Prosecco?
Na.
Was?
Jetzt hab I wieder n Hitzeanfall.
Was?
Jo. Völlig wurscht wos i anhab.
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