Prinz Friedrich von Homburg - Bei den Salzburger Festspielen lässt Andrea Breth den draufgängerischen jungen Mann sterben
Der Traum, kein Leben
von Reinhard Kriechbaum
Salzburg, 28. Juli 2012. Der Obrist Kottwitz kommt an der Spitze einer Delegation von Offizieren mit einer Petition zum Kurfürsten. Die Militärs wollen dem Prinzen Friedrich das Leben geschenkt sehen. Der hat zwar gegen den Befehl gehandelt, aber doch eine Schlacht glänzend gewonnen. Der Kurfürst, schlingernd zwischen Menschlichkeit und kriegsrechtlicher Vollzugs-Maschinerie, ist zu dem Zeitpunkt mehr als gesprächsbereit, vielleicht sogar verunsichert, ideologisch angeschlagen gar. Da bricht es aus dem alten Kottwitz heraus, es kommen in ihm urplötzlich die verdrängten Fragen hoch nach persönlichem Engagement, nach Mitverantwortung und Beteiligung. Wahrscheinlich hat Kottwitz sein ganzes Leben nur gebuckelt. Man sieht ihm jetzt die Angst, ja Panik vor der eigenen Courage an, eben das auszusprechen, was er bis dato vielleicht nicht mal zu denken wagte. Hans-Michael Rehberg lässt das in jeder Faser, in jeder Geste spüren und liefert die intensivste Schauspielerszene dieses Abends.
Analytische Sicht, zwischen allen Stühlen
Regisseurin Andrea Breth wartet mit einer scharf analytischen Sicht auf ein Stück auf, mit dem sich Kleist zwischen alle Stühle setzte. Unbedingter Kadavergehorsam, strenge Selbstdisziplin – da steht einer wie Friedrich von Homburg, ein sanguinischer Tag- und Nachtträumer, weit daneben, so sympathisch man ihn auch finden mag. Ein preußischer Offizier, der haltlos nach dem Leben winselt und sogar seine Braut, des Kurfürsten Tochter, flugs aufzugeben bereit ist, um bloß heil davon zu kommen? Das sah man 1809/10 nicht so gerne, aber auch späterhin nicht. Heute stehen die Zeichen ganz anders, Gehorsam um jeden Preis ist kein Thema mehr – und Kleists Drama somit erst recht irgendwie aus der Zeit gefallen.
Wirklich? Andrea Breth lässt es auf den Versuch ankommen. Sie schickt die Burgtheater-Mimen mit Kleists sperriger Sprache gleichsam ohne vorgefasste Meinung aufs theatrale Schlachtfeld. In diesen Nahkämpfen um die Hintergedanken – wer behauptete schon zu durchschauen, was der einsilbige Kurfürst mit dem Hitzkopf Friedrich wirklich vor hat? – darf und muss sich jede Figur bewähren.
Nach hinten zweigeteilt die schlichte, aber immens poesietragende Bühne von Martin Zehetgruber: vorne von unten leuchtende Quadrate und weißgraue Stellwände, vor denen die einheitlich tiefschwarz gekleidete Gesellschaft (Kostüme: Moidele Bickel) scherenschnittartig agiert. Wird das Licht vorne abgedreht, sieht man im Hintergrund einen Wald von Baumstummeln. Der Krieg hat der Natur arg mitgespielt – und vielleicht den Menschen noch mehr als den Bäumen.
Ein gutes Stück Gendergerechtigkeit
Peter Simonischek ist der Kurfürst. In der ersten Szene haben er und die Hofgesellschaft den schlafwandelnden, entschieden zu beredt träumenden Prinzen Friedrich beobachtet. Da hat er ein wenig zu viel von seinem persönlichem Ehrgeiz preisgegeben, als seiner Karriere förderlich ist. Misstraut der Kurfürst dem "Karrieristen", ist gar Eifersucht im Spiel? Der leicht abzulenkende, impulsive junge Mann – August Diehl – hat nur Augen für Prinzessin Natalie, anstatt genau aufzupassen, was der Feldmarschall Dörfling in Sachen Schlachtablauf diktiert (ein menschlicher Panzer in jedem Schritt: Udo Samel). Obwohl Friedrich einen schönen Erfolg im Scharmützel von Fehrbellin einfährt, wird er doch zum Tode verurteilt, wegen eigenmächtigen Handelns. Selbst in der Soldateska ist dieser Entscheid durchaus umstritten.
"Der Kurfürst hat getan was Pflicht … nun wird er auch dem Herzen folgen" – so sicher ist das alles nicht. Im Grafen Hohenzollern (Roland Koch) hat er einen Fürsprecher, und natürlich im alten Obristen Kottwitz. Auch Natalie (Pauline Knof) wird aktiv, so weit das einer jungen Dame überhaupt möglich war. "So erhaben, dass man es fast unmenschlich nennen könnte", sagt Natalie zu ihrem Vater, dem Kurfürsten, und entkräftet in dem Moment auch den Verdacht, dass der "Prinz von Homburg" ein Stück aus extremer Männerperspektive sei. Die genaue Analyse durch Andrea Breth setzt ein gutes Stück Gendergerechtigkeit frei.
Bild einer im Wandel begriffenen Weltordnung
A propos Frauen: Wie mag die in den höfischen Szenen omnipräsente, aber stille Gräfin Bork – die streng dreinblickende Elisabeth Orth – über den Gang der Dinge denken? Von der Kurfürstin selbst (Andrea Clausen) gibt's ja nur diplomatische Äußerungen. Ein zentraler Moment: Natalie ist eben im Begriff, dem auf Knien lamentierenden Delinquenten Friedrich zärtlich übers Haar zu streicheln, da sagt dieser Feigling geradeheraus, dass er eh nichts mehr mit ihr, des Kurfürsten Töchterlein, am Hut hat. Die junge Dame erstarrt. Solche Szenen sind präzis gearbeitet und es entstehen differenzierte Rollenbilder, auch bei den Randfiguren. Wie sich die Protagonisten anziehen und abstoßen, wie Sympathie-Allianzen wachsen, aber auch zwingende Ablehnung aufbricht – das ergibt in Summe das Bild einer im Wandel begriffenen Wertordnung.
"Ein Traum, was sonst?" Es bleibt alles beim Alten, laut Kleist – aber Andrea Breth wendet die Schlussszene in abgrundtiefe Trauer. Laut Kleist sänke Prinz Friedrich, für den sich alles zum Guten gewendet hat, in eine Ohnmacht, hier ereilt ihn der Tod. "Zum Sieg, zum Sieg", mahnt der Feldmarschall mit monotoner Stimme. Es hat niemand etwas gelernt aus der Sache, der Krieg geht weiter. Händels berühmte Klavier-Sarabande ist der insistierende Trauergesang auf eine vergebene Option.
Die zweieinhalb Theaterstunden ohne Pause fordern vom Publikum Sitzfleisch und Konzentration. Die Mühe lohnt sich. Die Zustimmung für Andrea Breth war widerspruchslos, und für das Ensemble natürlich auch.
Prinz Friedrich von Homburg
von Heinrich von Kleist
Regie: Andrea Breth, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Moidele Bickel, Dramaturgie: Wolfgang Wiens
Mit: August Diehl, Peter Simonischek, Udo Samel, Hans-Michael Rehberg, Roland Koch, Pauline Knof, Andrea Clausen, Elisabeth Orth.
www.salzburgerfestspiele.at
Mehr dazu im Lexikon-Eintrag zu den Salzburger Festspielen, inklusive letzter Nachtkritiken.
In Andrea Breths Inszenierung des "Prinz Friedrich von Homburg" sehe man ein Ensemble, "das bis in die kleinen Rollen voller Charakterköpfe ist, das eine Macht und Diplomatie gnadenlos enttarnende, tief schürfende Inszenierung perfekt umsetzt", schreibt Norbert Mayer in der Presse (30.7.2012). Der komplexe Text bedinge zwar Längen, "die nicht bequem sind (…), aber gerade diese Unbedingtheit trägt wesentlich zum Erfolg dieser Interpretation bei, die kunstvoll Schein und Sein verwebt, die das Drängende in Kleists Sprache virtuos zur Geltung bringt."
Andrea Breths Inszenierung, "weit davon entfernt, dem Text irgendwelche neuen 'Entdeckungen' abzupressen", wühle "tiefer in den Versen, als es manchem behagen mag", meint Ronald Pohl im Standard (30.7.2012). Ihr Homburg sei, "noch ehe er zum 'Täter' werden kann, vom Krieg restlos zerstört". Und sie zeige, wie eine "Gesellschaft, die doch ganz aus dem Krieg heraus existiert", nicht fähig sei, "mit ihren Versehrten menschenfreundlich umzugehen". Diese "bestürzend kluge, tarierte Kleist-Inszenierung" sei "ein verlockendes Konzertstück der Dissonanzen", und Peter Simonischek als Kurfürst bilde "das dunkle, vulkanisch schimmernde Rätsel des ingeniösen Abends".
Schluss und Anfang der Aufführung bildeten "eine bezwingend starke Klammer", beobachtet Barbara Villiger Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (30.7.2012). "Was die scharf, fast hektisch geschnittene Szenenfolge zwischen Anfang und Schluss angeht, löst sie leider die bildgewaltig-inhaltsschwere Vorgabe der Klammer nicht überall ein." Man sehe tolle Schauspieler, die "sich in rhetorische Verlegenheitsgesten flüchten" und zeitweise wie "Schattenrisse, Zeichen, keine Menschen" die Bühne dekorierten. Doch es gebe eine "allfällige Schwächen triumphal überragende Stärke der Aufführung: Ihr Potenzial ist das vielschichtige, sich überkreuzende, widersprechende und ins Gehege geratende Gespinst von bewussteren und unbewussteren Gedanken, welches die Handlung vorantreibt – und sie der behaupteten Kontrolle durch den Kurfürsten entzieht." Und so erlebe man "grossartige Momente, in denen solche gedankliche Kollisionen spektakuläre Funken sprühen – oder aber sich blockieren. Oder beides in einem."
"Warum", fragt Ulrich Weinzierl in der Welt (30.7.2012), "sind wir, trotz Ensemble-Luxus, so wenig fasziniert?" Die Liebe der Regie gelte "nicht dem jungen Prinzen, sie gilt den alten Männern: dem Kottwitz und Brandenburgs Kurfürsten Friedrich. Hans-Michael Rehberg und Peter Simonischek sind die Stars des Abends." Und August Diehls Homburg? "Absolut Unzurechnungsfähige, also Schuldunfähige" hätten "in Theater und Dichtung nichts zu suchen, sie interessieren uns auf der Bühne bedingt. Deshalb hat auch die Todesfurchtszene kaum Bewegendes: Kein tiefer Fall aus Träumen von Größe in den Abgrund der Angst, wo Würde und Stolz sich in Winseln auflösen." Irritierend wirke sich "noch etwas anderes aus: Andrea Breth, stets Verteidigerin der Dichtersprache, erweist Kleist hochkomplexen Satzgebilden einen schlechten Dienst, indem sie sämtliche Zäsuren der Blankverse gleichsam zelebrieren lässt. Nichts fließt da, Stockendes verwandelt sich in Gestocktes."
Christine Dössel stellt sich in der Süddeutschen Zeitung (30.7.2012) "die Regisseurin Breth über das Stück gebeugt vor: Kleists Drama in unermüdlicher Fiesel- und Deutungsarbeit bis in die letzten Fasern und Sprachnuancen ausforschend – dann aber damit nicht spielend, lockend und verführend (…), sondern jedes Detail als für so heilig, groß und schwer erachtend, dass das Ganze auf der Bühne zu erstarren droht." Zwar verheiße der Anfang "noch Wunder. Später wundert man sich, dass so wenig davon eingelöst wird." Die Inszenierung sei "seltsam unausgegoren. Auch langatmig. Es geht ihr, was fatal ist bei diesem Stück, jede Leichtigkeit, alles Empathische, Traumwandlerische ab." Zudem sei August Diehls Homburg "einfach nicht zurechnungsfähig – und damit auch kein ernstzunehmender Gegenspieler für den sich von ihm bedroht fühlenden Kurfürsten, den Peter Simonischek mit lässig-lächelnder Souveränität als Mohrrüben knabbernden Machttaktiker gibt – er ist die modernste Figur auf der Bühne."
August Diehl schmeiße sich "derart schonungs- und hemmungslos ins Zeug eines unsympathischen, verachtungswürdigen struwwelpetresken Ego-Psychopatho-Prinzen, dass er im hohen Durchgeknalltheitsbogen von der Schaukel des Balance-Dramas" fliege, schreibt Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen (30.7.2012). Der Prinz komme, "je länger, je mehr, als Hauptfigur nicht in Betracht. Er tobt sich aus dem Spiel." Das aber sei "ein genial ausgräberischer Spielzug Andrea Breths. Denn hier dominiert ein anderer Held. Der Kurfürst." Den Peter Simonischek als einen "dem Prinzen von Homburg im Geiste weit überlegenen Seelenbruder" spiele. Simonischek sei "eine Balance-Sensation. Eine Entdeckung. Denn der Kurfürst als Vertreter des Staates und des Rechts hatte auf dem Theater bisher kaum eine Chance. Er stand auf der falschen Seite." Seine "Liebes- und Gerechtigkeitsarbeit an dieser bisher so schnöde behandelten Kurfürstenfigur" führe Simonischek "hier so hinreißend wie diskret vor. So wird der Abend zum Triumph eines edlen Schauspielers."
Wenn das Publikum am Ende das Paar des Prinzen von Homburg und der Prinzessin von Oranien bejuble, "dann auch deshalb, weil deren Weg zueinander ein schwer erarbeiteter war", meint Gerald Heidegger auf ORF.at (29.7.2012). "Und vielleicht, so muss man sagen, trifft Breth genau in der Erarbeitung der Personenverhältnisse die Ursprungsintention. In ihrer Fokussierung schimmert auch immer wieder das Schicksal des Autors Kleist durch." Breth setze "sehr auf die Versuchsanordnung, die den Einzelnen ihre Position erkämpfen lässt." In aller Mitte sehte "Peter Simonischek, der an diesem Abend eine ganz eigenwillige Idealbesetzung zu sein scheint (…). Simonischek trägt das Machtspiel des Fürsten auch als ausgestellten innerlichen Prozess aus". August Diehl als Prinz wiederum kämpfe "mit Bravour gegen die Kälte der Szenerie." Die Kunst, "mit der Diehl das Rasen bis zum Moment der Erschöpfung trägt, hat sich die Zustimmung des Publikums wohl verdient".
"Es ist eine bei aller handwerklichen Qualität doch merkwürdig spannungs- und leblose Inszenierung, deren didaktische Erklärungsweise nichts offen lässt", sagt Hartmut Krug in der Sendung "Fazit" auf Deutschlandradio Kultur (28.7.2012). So wie August Diehl seinen Prinzen von Homburg mit einer "Spielweise zwischen Virtuosität und unfreiwilliger Komik" anlege, so sei Breths gesamte Inszenierung: "von absichtsvoller Eindeutigkeit". Kleists Stück werde "als zeitloses Gedankentheater gegeben". In klinisch weißem Ambiente würden "die Figuren zu ordentlichen Stehtableaus arrangiert". Die meisten von ihnen seien "vor allem dramaturgische Funktionsträger und Theaterkunstfiguren". Darstellerisch ragten heraus: Peter Simonischek, der den Kurfürsten "als sinnliche Figur mit individuellem Profil" anlege, und Hans-Michael Rehberg, der seinem Kottwitz "eine knorrige Lebendigkeit" verleihe.
Andrea Breth, die "Meisterin der Tiefenauslotung" zeige, "wie lange vor ihr keiner, um was es geht in diesem Stück: auch um spontanes Handeln oder die Einhaltung der Befehlskette, auch um Leben oder Tod, vor allem aber um Recht, Ratio und Erkenntnis versus träumerische Verwirrtheit und menschliche Abgründe", sagt Karin Fischer auf Deutschlandfunk (29.7.2012). "Den Grat zwischen diesen vielen Polen beschreitet Andrea Breth mit zauberischer Sicherheit, indem sie – in einer fast nur schwarz-weißen Szene – im Text und in den Figuren jene vielen Grautöne sichtbar werden lässt, die jedes Drama Heinrich von Kleists ausmachen." August Diehl als Prinz sei "eine wirkliche Provokation: unbeherrscht intensiv, übergriffig, voller Hybris, neben sich stehend, unverantwortlich abgelenkt." Alles in allem werde an diesem "großen Theaterabend" Handwerk "in einer Art alchemistischer Werkstatt zur großen Seelenerkundung."
Andrea Breth möchte, so meint es Peter Michalzik in der Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung (30.7.2012) zu entschlüsseln, "die schaurige Kriegszurichtung am Hof von Preußen bloßlegen. So kann man den 'Homburg' lesen. Nur dass Kleist das nicht aufdecken wollte, sondern in diesem Stück verbissen daran arbeitete, bedingungslosen Gehorsam und heißes Gefühl im Zeichen eines neuen, perfekten Kriegers, eben Homburgs, zu vereinen. Der Soldat als Terrorist sozusagen." Je länger die Aufführung gehe, "desto mehr bekommt Kleist die Oberhand, desto mehr scheint es in Salzburg darum zu gehen, wie man das 'heilige Gesetz des Krieges' erfüllen kann". Und dadurch, "dass die Aufführung Kleist nahe kommt, gefährlich nahe, gerade weil im Kern des Stücks die leidenschaftliche Kriegsverherrlichung steckt, bekommt sie Wucht. Breths Aufführung denkt mit Kleist intensiv über die bittere Logik des Kriegführens nach, eine Logik, die Kleist in diesem Stück uns und vor allem auch sich selbst so gern als süße Frucht schmackhaft gemacht hätte." Das habe "schaurige Größe, gleichzeitig erstarrt es aber in ferner Zeitlosigkeit. Was Kleists Krieg mit unseren Kriegen zu tun hat, darüber denkt die Aufführung keinen Moment nach."
Als ungeduldigen, bösen Träumer spielt August Diehl den Prinzen von Homburg, schreibt Peter Kümmel in der Zeit (2.8.2012). Als einen Mann der Nachwelt, der voller Verachtung auf die Mitwelt schaut. "Diehl als Homburg – das müsste die perfekte Besetzung sein. Warum geht die Sache dann doch nur halb gut?" Weil Diehl seine Figur allzu sehr ins Pathologische verzerre. Andrea Breth lasse den Prinzen in ihrer Inszenierung unter "lauter szenischen Untoten" umherirren. Die meisten in "Breths Hofstaat von großen Schauspielern" zeigten sich hier "eher als Gebärdendarsteller denn als Charakterdarsteller". Den Kleistschen Kampf zwischen Gefühl und Vernunft materialisiere vor allem das Bühnenbild von Martin Zehetgruber, unterteilt in Tag- und Nachtwelt – letztere "eine Kraterlandschaft, ein rauchendes Schlachtfeld, ein von Granaten zerfetzter Wald". Andrea Breth versetze den Prinzen an einen Ort, der ihm, wenn er denn ganz wach wäre, das Ziel und Ende siner Träume schon vor Augen führen müsste. "Dies ist das Ende aller Geschichte, es ist die Welt von Becketts 'Endspiel'."
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http://www.zeit.de/1972/45/der-kleist-von-homburg
Peter Lühr spielte den Kurfürsten und Bruno Ganz den Prinzen. Ein Video der Inszenierung von Peter Stein gibt es auch. Man müsste aber noch genauer recherchieren, ob die Kassette noch irgendwo verfügbar ist.
Eine besondere Tradition der Aufführung gab es auch am Schillertheater. 1914 ganz patriotisch passend, 1940 wie schon erwähnt von Fehling und auch parallel zu Stein 1972 mit Bernhard Minetti als Kurfürst. Auch hier eine Kritik aus dem Zeitarchiv:
http://www.zeit.de/1972/37/lietzaus-prinz-von-homburg-wie-schoen-wie-schoen-doch-wozu
Die Figur des Kurfürsten ist natürlich genauso zwiespältig zu sehen, wie das ganze Stück von Kleist. Ist nun Andrea Breths Inszenierung einfach nur konservativ oder sogar reaktionär, weil sie, wie Michalzik schreibt, Kleist so nahe kommt. Ist der Kurfürst nun der kühl denkende Realpolitiker heutiger Prägung und der Prinz nur ein ungestümer Idealist? Sah Kleist sich nicht selbst als Homburg? Wer wären die heutigen Homburgs? Trifft diese Inszenierung dazu überhaupt eine Aussage und sollte sie es nicht auch tun?
Was hat das Dritte Reich jetzt hier, bei der Inszenierung der Salzburger Festspiele achtzig Jahre danach, verloren ??
Die spinnen die "Piefke".
War schon die Diskussion über das Bayreuth-Tattoo ziemlich skurril, darum eine große Bitte: bitte nicht bei jeder Aufführung im deutschen Sprachraum ein herbeigeredeter Nazi-Querschläger.
Seit etwa 1988 ist in den Medien jeden Tag zumindest ein Bericht über die Nazi-Zeit. Wo wird da dieses Thema vermieden ?? Das ist ja nur eine Gutmensch-Lüge,dass diese Zeit nicht aufgearbeitet ist. Man braucht das nicht bei jedem Theaterstück hineinreklamieren.
Eine Leseempfehlung:
HELDENPLATZ - EINE DOKUMENTATION
Herausgeber Burgtheater Dramaturgie, 13. 1. 1989.
Ein authentisches Zitat daraus: ...Die ganze "Heldenplatz-Diskussion ist meiner Meinung nach völlig überflüssig. Ich wohnen nämlich am Stock-im-Eisen-Platz.
Danke habe ich, sogar mit persönlicher Widmung von Peymann.
Bestätigt eigentlich nur, dass das Thema seit 1989 ständig diskutiert wird und eigentlich alle Aspekte von Adolfs Scheitel bis Josephs Hinkebein vielfach durchgekaut sind.Könnte man endlich hinunterschlucken und verdaut ausscheiden.
Womit auch endlich bewiesen wäre, wo sich Ihr Kopf befindet. Spaß beiseite, dass sich Österreicher bei deutschen Themen nicht angesprochen fühlen, ist hinlänglich bekannt und stört mich schon gar nicht mehr. Ich kenne ja meine Pappenheimer (oder Wiener) lange genug.
Lieber Guttenberg, da geht jetzt rein geschichtlich schon einiges verquer. W.A. Mozart als reinen Deutschen zu reklamieren, dürfte etwas schwer fallen. Schon allein weil es Deutschland so noch gar nicht gab und sogar Teile Bayerns zu Habsburg gehörten, was den Vater Mozart schon vor seiner Umsiedelung nach Salzburg zum „Österreicher“ gemacht haben dürfte. Aber auch Österreich gab es als Reich so noch nicht, da eigentlich immer noch das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“, auf das sich ja dann die Nazis wieder beriefen, existierte mit einem Habsburger als Kaiser in Wien. Der Zerfall des Reichs begann aber praktisch schon mit dem 30jährigen Krieg. Mit Preußen unter Friederich II. wurde dann die Teilung in mehreren Kriegen auch weiter vollzogen. Man kam erst infolge der Napoleonischen Eroberungskriege wieder in einer Koalition zusammen, was aber letztendlich den Zerfall nur noch beförderte, da Napoleon Bayern, Württemberg und Baden aus dem Reichsverband geschlagen hatte, und Preußen und Habsburg lieber eigene Pfründe sichern wollten. Auch erwachte hier in weiten Teilen des deutschen Bürgertums langsam so etwas wie ein Deutscher Nationalgeist, siehe auch Kleists „Hermannsschlacht“. Österreich hat im Prinzip seine Reichsgründung mehr oder weniger der Niederlage gegen Napoleon zu verdanken. Folge war 1815 der Deutsche Bund mit Österreich als Präsidialmacht, allerdings ohne deutsche Kaiserwürde, die Franz I. abgelehnt hatte. Metternichs Rolle muss man hier nicht mehr groß erwähnen. Man kann da bei Büchner weiter nachlesen. Preußen unter Friedrich Wilhelm III. war zu der Zeit eher als schwach einzuschätzen. Und da kommt nun Kleist mit seinem 1810 geschriebenen Prinzen von Homburg ins Spiel, um sich einerseits für eine Anstellung zu empfehlen und andererseits preußische Tugenden im Kampf gegen Napoleon zu erwecken. Das ging allerdings etwas schief, da mit diesem wirren Stück keiner etwas anfangen konnte. Kleist unterhielt auch Kontakte zu österreichisch nationalen Kreisen. Seine Stücke wurden schon zu Lebzeiten in Österreich gespielt. Das Käthchen von Heilbronn in Wien, Die Familie Schroffenstein in Graz und die Uraufführung des Prinzen von Homburg fand am Wiener Burgtheater statt. Die patriotische Idee des Stückes wurde sicher nicht nur in der deutschen Geschichte immer wieder nationalistisch missbraucht. Nicht nur die Wagnerfestspiele in Bayreuth, auch die Salzburger Festspiele haben ihre braunen Flecken. Auch wenn man Max Reinhardt eine „Ehrenarierschaft“ angeboten hat, „Salzburg hört Hitler atmen“. Sie sehen also lieber Wiener, auch wenn sich Österreich heute nicht in dieser Linie sieht, gehören Hitler, Kleist und sein Homburg genauso wie Mozart auch nach Salzburg, und man kann sie nicht einfach ohne dieses Wissen um die Geschichte aufführen.
Liebe Nr. 12, muss mich für nichts schämen,bin 20 Jahre nach 33 geboren und möchte eigentlich nur ein tolles Stück in super Besetzung geniessen, ohne wieder von obergescheiten Gutmenschen über die Nazizeit belehrt zu werden, danke an Fr. Breth das Sie keinen Bezug zu dieser Zeit hergestellt hat, die Zeiten dieser primitiven Regieansätze sind zum Glück langsam vorbei.
Sehr gutmenschelnd,dass Sie sich fremdschämen,ist aber unangebracht.
menschlich kann ich verstehen, dass Sie "die Nase voll" haben vom ständigen Gerede über das Dritte Reich. Moralisch nicht. "Jeder fünfte Jugendliche kann mit dem Begriff Auschwitz nichts mehr anfangen", titelte Anfang des Jahres sogar die B.Z. Halten Sie ein Plädoyer für das Vergessen unter diesen Bedingungen wirklich für vertretbar?
Und dann: Wovon spricht denn "Der Prinz von Homburg", dessen Sprecharien Sie so genossen haben?
Nicht vom Krieg?
Nicht von einem der mitmacht, wenn auch unter inneren Krämpfen und mit einer so vielschichtigen Motivlage, dass man nicht so richtig weiß, ob man mit ihm mitfühlen oder sich entsetzen soll? Sind da nicht lauter "schöne Seelen" des Krieges am Werk, zu denen trotz Stadelmaier immer auch der Kurfürst gehört hatte? Auch Fontane hielt ein Plädoyer für Kurfürst und Staatsraison. Das gehörte zum Brandenburg-Mythos.
Sicher: Man muss dazu nicht den Zweiten Weltkrieg heranziehen, um sich in so eine Situation hineinzudenken. Jeder andere Krieg tut es auch (vielleicht sogar ein Bürgerkrieg, wie heute in Syrien). Man muss nicht in jedem großen Kunstwerk gleich die Nazis sehen. Aber stellen Sie sich die Situation mal vor: Deutschland beginnt den Bombenkrieg auf England und die Royal Air Force schlägt zurück und in dieser Situation inszeniert ein genialer Regisseur und Antinazi (Jürgen Fehling) im bombenbedrohten Berlin, vor Leuten, die Angst haben, dass ihnen selbst eine Bombe auf den Kopf fällt und sie nicht mehr rechtzeitig in die Luftschutzkeller kommen (wie man in den Reichstheaterkammerakten nachlesen kann), dieses Stück mit genialen Schauspielern (Heinrich George, der sich ranschmiss, dem Antinazi Paul Wegener als Kottwitz und dem irgendwie teiljüdischen Horst Caspar als Prinzen). Geht einem dieses Stück über Anpassung und Widerstand da nicht noch einmal ganz anders unter die Haut?
Ich habe die Inszenierung gesehen!
Sie hatte Längen wie auch starke Momente.
Im Zwischenteil hatte ich große Schwierigkeiten inhaltlich zu folgen. Der Rhythmus der Szenen war eintönig und nicht klar, was die Figuren voneinander wollen, was ihre Intentionen sind.
Großartig jedoch der Kurfürst verkörpert durch Simonischek. Sehr beeindruckend mit welche Ruhe er die Souveränität des Herrschers gezeichnet hat.
Gegen Ende wurde die Inszenierung stärker. Packend die Ausseinandersetzung der Offiziere mit dem Kurfürsten um die Begnadigung Homburgs.
Die Frauen blieben blaß, uninteressant.
August Diehl hatte tolle Momente als traumatisierter Krieger, als von Todesangst gezeichneter Mensch. Jedoch die Frage, folgt man einem so offensichtlich gestörten Mann blind in die Schlacht?
Mir blieb trotz großer Schauspieler, schönen Bildern vieles unklar an diesem Abend. Sehenswert ist er dennoch.
PS: Anmerkung an die Redaktion.
Lieber Herr Kriechbaum, der Kurfürst ist der Onkel von Natalie und nicht der Vater.
es geht nicht darum Hakenkreuze und Stahlhelme in der Inszenierung zu tragen. Es geht darum sich mit der Rezeptionsgeschichte und dem Autor selbst auseinanderzusetzen, meinetwegen auch im Programmheft oder wo auch immer. Anstoß wurde hier nur daran genommen, dass Andrea Breth jeglichen Bezug zu irgendetwas vermeidet und vom Blatt spielen lässt, wie es in den Kritiken steht. Die Aufwertung des Kurfürsten ist damals wie heute bedenklich. Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, wozu das gut sein soll, außer den Kleist mal im Original zu bringen. Um es nicht Hurra-Patriotisch zu machen, geht es eben vermutlich nur zu Lasten des Prinzen und zu Gunsten des Kurfürsten, der er ihn als Lehrvorführung auf Normalmaß zurückstutzt. Kleist hat ja auch immer eine Vater- oder auch Leitfigur gesucht, an der er sich rebellisch abkämpfen kann und wenn es der preußische Staat als Ziel ist. Das schließt ein Scheitern ja auch mit ein. Letztendlich hat er selber examiniert. Kleist scheitert im Leben, da er keine Anerkennung und Gleichgesinnte trifft. Es versteht ihn niemand. Er war ja auch ein Terrorist der Gefühle, wie Claus Peymann sagt, eine Zumutung für alle, die ihn umgaben. Aber macht ihn das zum unberechenbaren, gewalttätigen Terroristen? Ansonsten finde ich den Schluss erklärungsbedürftig, das kommt in den meisten Kritiken zu kurz. Stirbt der Prinz metaphorisch oder in echt? Was soll uns das sagen? Das Kleist´sche Happy End kann man ja brechen. Ist es nicht im Grunde genommen egal, ob der Prinz lebt oder stirbt? Gewonnen hat immer die gute alte Staatsraison, der er sich unterwirft. Die Frage ist, ob freiwillig, einsichtig oder aus Furcht. Was ist mit seinen Zweifeln, war´s nur ein Traum?
Wiener, Sie haben sich noch nicht inhaltlich geäußert. Sprachliches Können, exakte Artikulation, Intensität, Gesten, das sind Äußerlichkeiten. Dass es gute Schauspieler sind, und das waren sie bei Steins Schaubühneninszenierung allemal, sagt noch nichts über die Güte der Inszenierung aus.
wenn alle so handeln würden, wie der Prinz, gäbe es nur Mord und Totschlag. Solange die Menschen nicht von sich aus auf andere Rücksicht nehmen, braucht man leider einen Staat, der sie dazu zwingt. Das Dilemma ist nur, dass der Staat (die sanktionierte Staatsgewalt) ebenfalls missbrauchbar sind. (Banalität, trotzdem oft vergessen: Es gibt nicht Terroristen, sondern auch Terrorstaaten.)
Fazit: Ich verstehe die Position des Kurfürsten. Aber ich finde es wahnsinnig gefährlich (und auch ungenau), ihn zum guten Onkel Simonischek zu machen und die Zuschauer Tränen für seine Weisheit zerdrücken zu lassen.
Darin besteht für mich die ungemütliche Aktualität des Stückes für uns Bundesrepublikaner (ich mache mich jetzt angreifbar; viele werden mir nicht folgen und fragen: Was hat das mit dem Stück zu tun? Trotzdem. Es geht hier ums Prinzip, für das der Kurfürst steht):
Viele rufen im Moment nach dem Staat, nach hartem staatlichem Durchgreifen, um die verbrecherischen Manipulationen und die verantwortungslose Gier einer leider großen Zahl von Bankern Einhalt zu gebieten. Das ist verständlich. Es wird nur leider vergessen, dass auch diese Gesetze von fehlbaren, korrumpiebaren Menschen gemacht werden, nicht vom lieben Gott. Ich habe Angst vor einer zu großen Regulierung. Sie wird wieder nur den Regulierenden nützen, die sich im Schadensfall davonstehlen können. Ich möchte nicht in einer Planwirtschaft leben. Und ich könnte mir denken, dass Ulbricht- oder Honecker-Getreue ebenso gut einen positiven Kurfürsten auf die Bühne brachten. Ex negativo habe ich das 1978 sogar selbst in Hamburg gesehen. Da zeigten Karge/Langhoff aus der DDR einen Prinzen, der mit seiner ganzen Existenz gegen die gemütliche Biedermeier-Diktatur des Kurfürsten antobte und schließlich wahnsinnig wurde, weil dieser wohlmeinende, paternalistische (vormundschaftliche) Staat sich mit seiner nur in Worten, nicht aber in Taten vorgespielten Menschenfreundlichkeit und Bonhommie unangreifbar machte.
Letztendlich wäre mir ein Plädoyer für die Freiheit also wohl lieber als eines für den Kurfürsten. Aber der "Prinz von Homburg" taugt wohl nicht dafür, uns die Wirklichkeit vergessen zu lassen und die Seele zu streicheln. Bei Antigone ist das Problem ja ähnlich, oder?
Langsam bekomme ich Probleme mit meinem Pseudonym.
Ich bin kein Guttenberg-Fan, sondern das Gegenteil.
Hab den Decknamen aus Wut gewählt, weil ich wollte, dass die Residenz nie vergisst, wie man Präsident wird.
Ich hasse Leute, die sich mit anderer Menschen Arbeit Vorteile erschleichen. Das ist leider der Phänotyp des Ausbeuters unserer Zeit: Die fletschende Grimasse, die einen Think Tank hat, wo andere Leute ein Gehirn haben.
Und was Ihr Pseudonym anbelangt: man erkennt Sie ohnehin an Ihrer Sprache. Sie könnten sich in Zukunft auch Schavan nennen.
Ja, das waren noch die wilden Zeiten von Karge und Langhoff. Der eine hat dann das ständige Kujonieren nicht mehr ausgehalten und ist in die vermeintlich freie Welt gewechselt. Es gibt ein Spiegel-Interview mit Karge und Langhoff von 1978, in dem Karge feststellt: "… daß in diesem jungen Burschen etwas ungeheuer Anarchistisches ist, was mit aller Gewalt zerstört werden soll. Ich finde eigentlich das Interessante an dem Stück, daß der Homburg wirklich dadurch, daß er zum Schluß weiterleben muß, umgebracht wird."
Hat Andrea Breth das jetzt so verstanden und ihn auch tatsächlich sterben lassen, oder nimmt sie vorweg, was eh geschehen würde? Tod in der Schlacht oder Selbstmord, da ist sie ja der Version von Karge und Langhoff, die den RAF-Terrorismus in der Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus reflektiert haben, ganz nahe. Nur sieht sie es vermutlich weniger kämpferisch als die beiden damals. Das war natürlich auch für die DDR zu rebellisch. So ist man jetzt in Salzburg wieder im Gediegenen angekommen, inklusive der Gnade der späten Geburt. Auch irgendwie typisch deutsch.
Interessant ist auch, dass Karge und Langhoff damals die Bearbeitung von Brechts Fatzer-Fragment durch Heiner Müller gegen den Homburg gesetzt haben. Das macht das Ganze noch gegenwärtiger. Was steckt noch an anarchistischer Kraft in der heutigen Jugend und wie steht es mit Staat und Gemeinwohl gegen alternative Projekte? Was versteht der Einzelne unter starkem Staat und Individualismus? Berührt das denn in irgendeiner Weise die Inszenierung von Andrea Breth?
Ich finde das eigentlich ein ganz schönes Plädoyer für die historische Methode, die heute, wo ja eher Theorien angesagt sind, als Bildungshuberei und Bildungsspießertum belächelt werden. Geschichtliche Bezüge können Kunstwerke (auch Inszenierungen) reicher machen. Sogar über sich selbst hinausführen. Stimmt's oder ist das wieder hoffnungslos bieder?
Ja, Rezeptionsgeschichte von literarischen Werken ist immer interessant. Manchmal ist aber alles bereits so ausgenuddelt, dass einem da nichts mehr einfällt. Bei Kleist ist das anders, der fordert einen geradezu heraus, immer wieder neu zu interpretieren. Inwieweit das Andrea Breth tut, kann ich schlecht beurteilen, da ich bisher nur über die Inszenierung gelesen habe und daher die Fragen zum Zeitbezug erst aufkamen.
Auch der von Guttenberg angeführte Antigone-Stoff ist ähnlich interpretierbar wie "Der Prinz von Homburg". Man kann eine politische Botschaft darin entdecken oder aber ihn auch ganz unpolitisch sehen. Ein Beispiel dafür ist Schlöndorffs Beitrag zum Film "Deutschland im Herbst". Ich will jetzt nicht zu weit in Richtung RAF-Thematik abdriften, aber man muss sich immer entscheiden, und manchmal auch rebellieren, aus welchen Gründen auch immer, im besten Falle aus denen der Menschlichkeit. Man kann aber auch opportunistisch mit der Masse mitschwimmen, oder überall Terroristen sehen. Mit der Problematik bevormundender Staat sind wir aber noch lange nicht durch, gerade auch weil immer wieder von ganz verschiedener Seite der starke bzw. schlanke Staat propagiert wird.
wenn ich über Ihr Beispiel nachdenke, fühle ich mich doch in meiner plumpen Unterscheidung bestätigt.
Gerade Hugo Chávez in Venezuela ist ein gutes Beispiel für den Missbrauch der Staatsraison. Er missbraucht die Ideologie des "demokratischen Sozialismus" (wo kommt der eigentlich her? War doch in der Deutschen Demokratischen Republik auch sehr en vogue oder?), also die Staatsraison als Nebelwand, hinter der er seine Großfamilie und Klienten umso ungehinderter mit Posten und Pöstchen zwecks Ausplünderung des Landes versorgt. Chávez ist doch nun wirklich eines der Paradebeispiele korrupter Governance nach Gutsherrenart. Man könnte das Homburg-Modell sehr gut auf ihn anwenden: Der Kurfürst Chávez statuiert am Homburg ein Exempel, um hinter der Schaufassade eines Pseudorechtsstaates umso scheinheiliger sein Süppchen zu kochen.
Tut mir leid: ich lehne jede Form von Zwangsherrschaft ab. Auch die soi-disant "demokratische". Gerade ein Blick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts lehrt, dass wahrscheinlich die meisten Staatsgebilde, die die Begriffe "demokratisch" und/oder "Volk" im Namen trugen, das Gegenteil von demokratisch und im Interesse des Volks waren. Ob man von Banklenkern oder Staatenlenkern ausgeplündert und entrechtet wird, bleibt sich gleich.
Ich glaube wirklich, dass es zu Kleist hin-, nicht von ihm wegführt, wenn man versucht, Analogien aufzufinden. Nur so erschließt das Stück seinen aktuellen Gebrauchswert.
ich sehe das ein wenig anders. Chávez hätte Homburg bestenfalls inhaftiert, aber keinen Schauprozess veranstaltet. Kleists Stück ist fast ein Gegenmodell zum bolivarischen Chavismus. Die República Bolivariana de Venezuela favorisiert den sozialrevolutionären Bolivar und hat sich vor allem um den Ausbau des Sozialstaats bemüht. Nach Ansicht der Konservativen haben gerade die hohen Sozialausgaben zu einer Plünderung der Staatskasse geführt. Die angeblich requirierten Privatbetriebe erhielten eine angemessene Entschädigung. Und immer noch gibt es eine Menge Privatbesitz – mit Honis DDR kann man Chávez’ System nicht vergleichen. Staatsraison ist ein machiavellistischer Begriff, mit dem eher Frau Merkel hantiert.
Nepotismus? In einem personengebundenen System wird gern dieser Vorwurf erhoben. Tatsache aber ist, dass Chávez’ Verwandte weitgehend unbedeutende Posten erhalten haben. Da ist die Kamarilla und die Machtclique des preußischen Kurfürsten weitaus schlimmer. Im Übrigen hat der mehrfach demokratisch im Amt bestätigte, auf Personalismus setzende venezolanische Präsident einen Putsch, zwei Generalstreiks der Konservativen und ein Amtsenthebungsverfahren überstanden. Dass im Gefolge dieser Turbulenzen einige zu scharf vorgehende Oppositionelle verfolgt wurden, ist nicht ganz unverständlich. Viel Feingefühl bei der sozialpolitischen Umgestaltung des Landes ist aus diesem Lager ohnehin nicht zu erwarten. Mit dem Militarismus preußischer Provenienz hat Venezuela nun wahrlich nichts zu schaffen. Insofern ist der Prinz von Homburg – ich kenne leider nur Kriegenburgs DT-Inszenierung – ein Anti-Chávez.
Sollte man nicht im Kontext von Kleists Stück verbleiben? Es geht bei Kleist doch wohl nicht um die politische Mobilisierung der Basis, um die Stärkung der politischen Macht der Slumbewohner - wie im Falle von Chavez -, sondern vielmehr um Fragen des Widerspruchs zwischen Individualrecht und Staatsraison, um die moralische Rechtfertigung des individuellen Ungehorsams gegenüber staatlichen bzw. militärischen Hierarchien. Dabei geht es nicht um die Frage der Desertion, sondern um die Frage des Alleingangs und daran anschließend um die Frage, wem das - im Hinblick auf politische Machtfragen - nützt.
der Alleingang des Homburg ist eine Chimäre, sie nützt allen...
Nur dumme Moralisten können sich verantworten. Alle anderen sind beidseitig in Schuld und Unschuld verstrickt.
sie begreifen ja nicht einmal die einfachsten Dinge, Homburg ist die Vision eines Künstlers und Selbstmörders, es geht um den Kontext dieses männlichen Künstlers, der sich aus dem "Kadavergehorsam" herausdenkt, und damit viele Generationen nach sich inspiriert.