Don Quijote - Bregenzer Festspiele
Zusammen ist man weniger allein
von Cornelia Fiedler
Bregenz, 20. Juli 2019. "Aber nur im Spiel", so lautete früher auf dem Spielplatz das Mantra, wenn die selbstgesponnenen und live gespielten Geschichten zu verrückt, zu wild, zu brutal oder eine Spur zu real zu werden drohten. Nur im Spiel errangen wir Kinder spektakuläre Siege, gerieten in Gefangenschaft, stritten, entdeckten, litten, liebten, – bis die Eltern zum Abendessen riefen. Nur im Spiel sind jetzt in Bregenz zwei besondere Kindsköpfe mit leuchtenden Augen am Start: Ulrich Matthes und Wolfram Koch. Allein auf weiter Bühne denken sie sich als Don Quijote und Sancho Panza nicht nur ihre eigenen Rollen samt Vorgeschichte aus, sondern alles – vom Vogelgezwitscher am Morgen bis hin zur allerblutigsten Schlacht. Wenn einer der beiden sich müde gespielt hat und aussteigen will, weiß der andere genau, welcher Trigger zieht, um ihn ins nächste imaginäre Abenteuer mitzureißen. Eine starke Regiesetzung, dennoch bleibt die prominent besetzte Inszenierung von Jan Bosse seltsam distanziert und ohne Richtung.
Mit Phantasie und Nebelmaschine
Ulrich Matthes ist ein leiser Don Quijote, ein Träumer mit langem Bart und einem Blumenkranz auf dem Aluhelm, ein Bücherwurm tief in der Midlife-Crisis. Wolfram Koch gibt als Sancho den pragmatischen Bierbauch von nebenan mit Skinny Jeans und Schnauzbart. Die beiden sind ganz allein und agieren als eingespieltes Team: Sancho moderiert eine Situation an, beispielsweise das Essen im Kreise einiger imaginärer Ziegenhirten. Don Quijote freut sich sichtlich über die Idee, springt direkt in die Situation und hält eine kleine Ansprache an die Gastgeber. Er beschwört ein vergangenes goldenes Zeitalter der Gleichheit und Gerechtigkeit, ein idealisiertes "Früher" voller tugendhafter Ritter und weiterer nostalgischer Projektionen. Passend dazu sorgt Sancho mit einer kleinen Nebelmaschine für andächtige Stimmung. Als er keine Lust mehr hat, behauptet er, ein Lager aufzuschlagen, kippt vornüber, schlägt lang auf den Boden hin und schläft sofort ein.
Gemeinsam in die Erschöpfung
So poltern die beiden etwas ziellos durch eine Reihe von Abenteuern, die der Dramatiker Jakob Nolte aus der Cervantes-Übersetzung von Susanne Lange destilliert, neu arrangiert und in Teilen überschrieben hat. Die eigentlich schöne Erzählung vom Phantastischen, von der Imagination als Ausweg aus den engen Grenzen eines deprimierenden Alltags kann in seiner Fassung des klassischen Stoffs ständig kippen: Weder der Kampf gegen die Riesen aka Windmühlen noch der heikle Moment, als das Duo zwischen zwei feindlichen Heeren aufgerieben zu werden droht, noch das Massaker an mehreren Weinschläuchen können ja als befriedigende oder gar moralisch richtige Taten bestehen. Während Kinder aufgekratzt, energiestrotzend und irgendwie beseelt aus ihren Phantasiewelten zurückkehren, wirken der Ritter und sein Knappe zunehmend zermürbt, müde und enttäuscht.
Matthes und Koch sind in der Koproduktion der Bregenzer Festspiele mit dem Deutschen Theater Berlin aber auch zwei Einsame, die sich gefunden haben, zwei Menschen, die alles füreinander sind, ohne sich das eingestehen zu können. Abschiede werden hinaus gezögert, Nächte zum Tag gemacht, Geschichten am Lagerfeuer ins Unendliche gedehnt, nur um zusammen zu sein. Selbst als Kochs Sancho Panza einmal spielt, dass er nun endlich die als Belohnung versprochene Insel bekommen habe, als er allein auf den großen Frachtkontainer aus Holz klettert, der einen Großteil der Bühne einnimmt, um eine Rede an seine neuen Untertan*innen zu halten, hält er die Soloperformance nicht länger als zwei Minuten aus. Das ist schade, denn hier hätte der Text von Jakob Nolte einen kleinen politisch-utopischen Moment vorgesehen: Nach einem seltsamen Gespräch mit dem Inselhausmeister über sexualisierte Gewalt lässt er Sancho "zwei Maxime" entwickeln: "den Opfern gegenüber mehr Empathie und Sicherheit einräumen und dafür sorgen, dass potentielle Täter nicht zu Tätern werden".
Rest in peace, Traum und Spiel
Diese Episode ist aber gestrichen. Stattdessen kehrt Sancho flugs zu Don Quijote zurück, der geistig immer weiter abbaut und mittlerweile sogar mit seinem Spiegelbild kämpft. "Gehen wir nach Hause", sagt er, die beiden nehmen sich an der Hand und drehen eine langsame Runde über die Bühne. Zu Hause angekommen und dem Tode nah, will Don Quijote nichts mehr von seinem selbst erdachten Alter Ego wissen. Er will als Alonso Quijano sterben, als der, der er früher war. Nicht der Ritter von der traurigen Gestalt wird hier zu Grabe getragen, sondern die Phantasie an sich, die gesamte Idee, sich eine eigene Welt zu schaffen, durch Träume, durch die Kunst, durch das Spiel. Das ist abstrakt betrachtet bitter, berührend ist es in dieser Inszenierung – trotz starker Momente – nicht.
Don Quijote
Jakob Nolte nach Miguel de Cervantes
Inszenierung: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Licht: Robert Grauel, Musik: Arno Kraehahn, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Wolfram Koch, Ulrich Matthes.
Dauer: 2 Stunde 45 Minuten, eine Pause
www.bregenzerfestspiele.com
Kritikenrundschau
Als "eine Art Festspielweichspülung mit intellektuellem Schonschleudergang" bezeichnet Bernd Noack die Cervantes-Bearbeitung von Jakob Nolte auf Spiegel online (21.7.2019) und schreibt: "Kann eine Aufführung mit Ulrich Matthes als Ritter von der traurigen Gestalt und Wolfram Koch als Sancho Panza enttäuschen? Eigentlich nicht. Aber nach drei Stunden verließ man trotzdem seltsam unbefriedigt das Vorarlberger Landestheater." Jan Bosse versuche zwar noch aus der widrigen Vorlage ein paar Funken zu schlagen, "erzeugte aber vor allem wabernden Rauch: Nebelschwaden verhüllten das Nichts und Theaterdonner übertönte die Klugheit der Gedanken und die Absurdität des Handelns. (…) Es dominierte eine Endzeitstimmung", so Noack, auch wenn: "Trauriger, sanfter und zarter als von Matthes dargestellt, lässt sich kein Don Quijote denken, auch nicht versonnener und versponnener."
"Bosse feiert die Kraft der Imagination", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (22.7.2019). Ulrich Matthes und Wolfram Koch "gehen wunderbar sorgsam miteinander und mit der Sprache um, die Worte funkeln, dass es ein Pracht ist. Aber: Der Abend ist dennoch mehr reizend als bedeutend." Es wehe nur "ein Fluidum von etwas Größerem" durch die erzählten und im Spiel angedeuteten Geschichten.
Karsten Umlauf moniert aus SWR2 (online 22.7.2019, 11:26 Uhr), dass sich Jakob Nolte "zu sehr auf die Fabulierkunst der Schauspieler Ulrich Matthes und Wolfram Koch verlassen" habe, den Texten fehle "teilweise die Spannung und Zuspitzung". Die Schauspieler seien "großartig", könnten aber "nicht alle Schwächen" des "Drehbuchs" ausgleichen.
Rüdiger Schaper kritisiert anlässlich der Berliner Premiere im Berliner Tagesspiegel (online 13.10.2019, 16:21 Uhr) die Fassung von Jakob Nolte, sie sei "schmal" und zugleich langwierig und dann gebe es auch noch eine Pause, "die den behaupteten Wahnsinn des eingebildeten Ritters unterbricht, als könnte man Fantasie und Fantasmagorie einfach so an- und ausschalten". Alles passiere im Kopf, also "notwendig im Zusammenspiel der beiden Clowns und Witzfiguren". Doch lustig sei es nicht. Koch rase herum wie Truffaldino, Matthes stehe da als ein "irrer Träumer, ein tragischer Visionär". Das habe "bewusste Anklänge" an Samuel Beckett. Die Inszenierung habe "nichts überraschend Verrücktes", sie bleibe "brav wie der Text".
Der nüchterne aber nie unpoetische Schauspielerabend setze die stete Gewalt, die wolkige Sehnsucht und die heiße Luft der Quijote'schen Gedanken und Rhetorik ins Bild, schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (14.10.2019). "Zwischen Dünkel und Verletzlichkeit gibt Matthes ein fast durchsichtiges Wolkenwesen." Koch mache "mit seinem schneidig bösen Komikertalent" den Sancho zum eigentlichen Herrn des Abends.
Die Darsteller seien unbestritten großartig, die Bühnenfassung aber befindet Benjamin Loy von der FAZ (15.10.2019) als Schwachpunkt. "Diese konzentriert sich zu sehr auf die ikonischen Szenen des Romans und die Männerfreundschaft der Protagonisten, statt den Versuch zu unternehmen, die reichen historischen und sozialen Konflikte des Textes – man denke etwa an die Kriege, die religiöse Intoleranz oder die Korruptheit der Institutionen jener Epoche – für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Auch hätte man Don Quijote gerne intensiver bei der Tatsache zugesehen, dass das Betreiben des Wahnsinns ein ernsthaftes Geschäft ist." Stattdessen überstrapaziere die Inszenierung die komödiantischen Elemente, bevor sie im zweiten Teil ebenso wie ihr Protagonist langsam und schmerzlos dahinsieche.
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(Werte*r gegen windmühlen,
leider teile ich auch nach nochmaligem Lesen nicht ihre Einschätzung der SZ-Kritik und finde sie in der kurzen Notiz in der Kritikenrundschau in der Tendenz korrekt wiedergegeben. Da aber Meinungen verschieden sein können, ist ja diese Kritik und auch alle anderen verlinkt. Mit nur einem Klick kann also jede*r den Originaltext erreichen, um sich sich selbst ein Bild machen. Freundliche Grüße aus der Redaktion, Esther Slevogt)
„Was für ein Geschenk.“
„Bosse feiert die Kraft der Imagination.“
„ ..dass man den beiden famosen Menschen da oben ungeheuer gern zusieht und zuhört.“
Aber es geht ja nicht um eine einzelne Kritik, sondern um den suggerierten Gesamteindruck, dem es allein schon aus dem einen Grund an Objektivität zu mangeln scheint, dass der anhaltende Jubel eines begeisterten ausverkauften Hauses einfach ignoriert wird. Vielleicht sollte man mal eine Diskussion beginnen, warum Kritik und Publikumsurteil so oft auseinanderklafft.
So weit so gut. Doch die Herausforderung, aus dieser Grundkonstellation zweieinhalb Stunden packendes, zwingendes Theater zu machen, erfüllt die Inszenierung nur in Teilen. Denn der Cervantessche Ritter ist eben auch eine lächerliche Gestalt. Nolte spricht im Programmheft davon, dass er die Figur ausstellen, das Regieteam sie eher feiern wollte. Herausgekommen ist ein Kompromiss, der nicht immer funktioniert. Oft agiert Kochs Panza als Entlarver, als Clown, der den Selbstbetrug seines „Herrn“ lächerlich macht, eben ausstellt. Slapstick, Face und so manche Albernheit sorgen für Lacher, brechen aber wiederholt die theatrale Magie, die der Abend in seinen besten Momenten verbreitet in seinem Zusammenfinden von Spiel, Licht, Bühne, und holen die Geschichte auf ein hemdsärmeliges Belustigungsniveau herunter, die den hehreren Intentionen von Text und Inszenierung widerspricht. Da wird die Fantasie zur Lachnummer, die Einbildungskraft zum bedauernswerten Hirngespinst. Und so schwankt der Abend zwischen Spiel und Clownerie, zwischen Feier der Vorstellungskraft und des Theaters und wohlfeiler Ausstellung von Lächerlichkeit und bewahren in streckenweise nur die beiden Spieler, die ihren Figuren in keinem Moment ihre Würde nehmen, vor dem Abkippen. Vor zunehmender Langweile leider nicht: Der ständige Wechsel zwischen den Tonalitäten, den aufwändig in Szene gesetzten Imaginationsszenen und en sie trennenden Slapstick-Momenten führen zum Eindruck einer Nummernrevue, die um einiges zu lang ist. Die unnötige Pause tut ein übriges, danach fehlt die Spannung, das unentschiedene Ende ist ebenfalls wenig hilfreich. So bleibt ein Abend, der andeutet, was Theater kann, ohne es wirklich einzulösen.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2019/10/14/welt-aus-spiel/
Der Abend krankt daran, dass sich die Szenen zu redundant gleichen und zu schleppend erzählt werden.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/10/14/don-quijote-deutsches-theater-berlin-kritik/