Aufstieg und Fall des Patriarchats

28. Juli 2023. Das Buch des US-amerikanischen Autors Larry Mitchell "The Faggots and Their Friends Between Revolutions" von 1977 gilt als Gründungsmythos der queeren Community. Das gleichnamige Musiktheaterwerk setzt auf erzählerische Agitation und einen musikalischen Bogen, der größer kaum sein könnte.

Von Christa Dietrich

"The Faggots and Their Friends Between Revolutions" von Ted Huffman und Philip Venables bei den Bregenzer Festspielen @ Tristram Kenton

28. Juli 2023. "Wir sind immer noch nicht frei" wird bei ausgehendem Saallicht fast nur gehaucht, aber mit dennoch unüberhörbarer Stimme von einer Person unter vielen auf der Bühne festgestellt. Es ist ein simples Fade-in, das sofort Wirkung zeigt, einen Sog erzeugt. Wir, das sind in "The Faggots and Their Friends Between Revolutions" all jene, die verdeutlichen, dass Heterosexualität eben nicht die Norm ist. Einerseits mit ihrer sexuellen Orientierung, aber im Besonderen mit einer differenzierten, offenen Weltanschauung.

Auseinandersetzung mit queerer Kultur

Ein Problem, das sich Ted Huffman, dem Librettisten und Regisseur, sowie dem Komponisten Philip Venables stellte, ergibt sich aus der Tatsache, dass das gleichnamige Buch von Larry Mitchell – es liegt ihrer Musiktheaterproduktion zugrunde – bereits 1977 und somit in einer Zeit erschienen ist, in der Homosexuelle auch in der westlichen Welt noch enormen Repressionen ausgesetzt waren. Die von Ned Asta illustrierten Texte des Soziologen, Autors, Verlegers und Kommunengründers Larry Mitchell (1939-2012) lesen sich als Auseinandersetzung mit queerer Kultur in Episoden und Aphorismen, die nur im Kern vom Aufstieg und Fall des Patriarchats handeln.

Huffman nimmt deshalb vor allem dieses Sujet und konstruiert daraus einen Text, in dem Rückblenden, Statements und Agitation zu einer Erzählung verschmelzen, die als solche und nicht als Spielhandlung von den 15 Mitwirkenden sozusagen "con variazoni" vorgetragen wird. Einmal wird rezitiert, dann miteinander geplaudert, später fängt ein Bänkelsänger den Text auf, der vom Sprechgesang in eine berührende Arie übergeht – bevor ihn wiederum alle in statischer Chorgruppierung fortsetzen.

TheFaggots1 Mariamielle Lamagat Sally Swanson Eric Lamb Jacob Garside c Tristram KentonMusikalische Fabulierkunst: Mariamielle Lamagat, Sally Swanson, Eric Lamb, Jacob Garside © Tristram Kenton

Banal, plakativ oder gar belehrend? Nicht für jene, die im Einsatz von Instrumenten wie Laute, Viola da gamba, Klavier, Cembalo, Schlagwerk, Flöte, Akkordeon, Harfe, Theorbe, Barockharfe, Saxophon etc. sowie in einem musikalischen Bogen, der von der Harmonik der Renaissance bis zu Techno-Beats reicht, keinen Eklektizismus oder kein Stilkonglomerat erkennen, sondern eine Fabulierlust, die sich Philip Venables aufgrund seines sicheren Gespürs für das Klangresultat genehmigen kann. Zur Umsetzung seines Konzepts braucht er allerdings ein Ensemble, das nicht nur aus hervorragenden Instrumentalisten und Vokalisten, sondern aus lauter Multitalenten besteht. Die Leitung der Factory International in Manchester, eine der Auftraggeber, mit der die Bregenzer Festspiele diese Produktion realisieren konnten, ist in der Lage ein solches zusammenzustellen.

Drei Revolutionen

Und so gipfelt beispielsweise ein Sopransolo von Mariamielle Lamagat, ein Flötenpart von Eric Lamb oder die filigrane Harfenbegleitung von Joy Smith unter der musikalischen Leitung von Yshani Perinpanayagam in einen Auftritt des Countertenors Collin Shay mit Megaphon. Es mag nach Chaos anmuten, wenn hier ein Bossa Nova mit reichlich Percussion auf barocke Klänge folgt. So wie der martialisch beschriebene Kampf gegen das Patriarchat nie mit einem Crescendo in der Musik einhergeht, setzt Venables aber auf den Effekt des Kontrastes. Nicht inflationär eingesetzt, hält er damit ein Stück am Laufen, das - mit der vom Titel abgeleiteten Tonfolge f a g - ein wiederkehrendes musikalisches Motiv hat und sich trotz poetisierter Sprache gut paraphrasieren lässt: In der friedvollen Welt von Faggots (die deutsche Übertitelung vermeidet selbstverständlich den abwertenden Betriff "Schwuchteln") und Frauen ergreifen dogmatisch strukturierte Männer gewaltvoll die Macht, die in einer zweiten Revolution den Kapitalismus etablieren. In einer weiteren Revolution sollen sich die Faggots konsequent von jenen Mechanismen lösen, die zuvor zu ihrer Unterdrückung führen konnten: "Das Ausmaß des Klangs der Faggots spült den Egoismus, die Grausamkeit, den Zorn, die Kleinlichkeit hinweg."

Es leuchtet

Die Interaktion mit dem Publikum bei einem Lied über den, der die Schlüssel in der Hand hält und das Vertrauen in die eigene Vernunft, mag verzichtbar sein. Aber wie Kit Green die Aufgabe bewältigt – es hat so viel Witz, dass sich das Didaktische rasch verflüchtigt. Auch dieser Auftritt fügt sich auf der Bühne von Rosie Elnile, auf der die Instrumente neben Stühlen aus verschiedenen Epochen die wichtigsten Requisiten sind, zu einem mit den Kostümen von Theo Clinkard unterstrichenen, farbintensiven Bild. Seine einzelnen Szenen bringen alle in ihren Mehrfachfunktionen als Musikerinnen, Musiker, Sängerinnen, Sänger sowie Performerinnen und Performer unaffektiert und äußerst divers zum Leuchten.

 

The Faggots and Their Friends Between Revolutions
von Ted Huffman und Philip Venables nach dem Roman von Larry Mitchell
Regie: Ted Huffman, Musik: Philip Venables, Kostüme: Theo Clinkard, Bühne: Rosie Elnile.
Mit: Yshani Perinpanayagam, Kerry Bursey, Deepa Johnny, Jacob Garside, Katherine Goforth, Kit Green, Conor Gricmanis, Mariamielle Lamagat, Eric Lamb, Themba Mvula, Meriel Price, Collin Shay, Joy Smith, Sally Swanson, Yandass.
Österreichische Premiere am 27. Juli 2023
Dauer: 1 Stunde, 30 Minuten, keine Pause

www.bregenzerfestspiele.com

 

Kritikenrundschau

Plakativ die Story, plakativ die Musik, resümiert Peter Jungblut im BR (27.7.2023). "Würde als Straßentheater vermutlich deutlich plausibler wirken, mit zufälligen, womöglich irritierten Zuschauern. Auf der Werkstattbühne in Bregenz hatte es was Bemühtes, Angestrengtes, nach dem Motto: Auch dieses Festival hakt das Thema Queerness pflichtbewusst mit einem Gastspiel ab und missioniert die Bekehrten."

Ein "faszinierendes Spektakel, das das Publikum in eine Welt voller künstlerischer Vielfalt und politischer Bedeutung entführt", hat AMA erlebt, wie der / die Autor:in in den Vorarlberger Nachrichten (29.7.2023) schreibt. Allerdings sei der Abend zu lang. "So weiß man spätestens nach 70 Minuten, dass die 'Faggots' und ihre Freunde gut, lieb, künstlerisch und großzügig sind, während die Welt der "Männer" brutal, geizig, böse und materialistisch ist. Dem Regisseur fällt nichts Neues mehr ein, die Stühle werden immer wieder über die Bühne gerückt und die Musik verliert ihre anfängliche Kraft."

Mit einer queeren Oper seien die Bregenzer Festspiele "zwar ganz auf der Höhe der Zeit, aber bleiben dabei doch an der Oberfläche", findet Anna Mika in der Kronen Zeitung (31.7.2023). Am Ende stehe eine soziale Utopie, die etwas schwammig bleibe. "Dass das Publikum am Ende der pausenlosen eindreiviertel Stunden dennoch jubelt, ist der großartigen Performance zuzuschreiben. Unter der Regie von Ted Huffman singen, musizieren, sprechen und tanzen fünfzehn fabelhafte Multitalente verschiedener Hautfarbe und Geschlechtszugehörigkeit inklusive Trans."

 

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