Phädra, in Flammen - Burgtheater Wien
Nur der Mond war Zeuge
8. Oktober 2023. Die Männer sind mau und machen nur in Politik und anderen Affären rum. Und die eigene Midlife-Crisis peinigt. Also begibt sich Phädra in Nino Haratischwilis Adaption des antiken Stoffes in ein lesbisches Abenteuer. Mit unheilvollem Ausgang.
Von Martin Thomas Pesl
8. Oktober 2023. Porträt einer nicht mehr ganz jungen Frau in Flammen: Anders als der Liebesfilm aus 2019 meint, einer georgischen Wendung zufolge, der Zustand der Protagonistin von "Phädra, in Flammen" zunächst eher unromantisch: die Wechseljahre.
Die Berliner Autorin Nino Haratischwili hat den von Euripides und Seneca, Racine und Sarah Kane verarbeiten Mythos der außerehelich verliebten Athener Königsgattin überschrieben. Ursprünglich begeht die von Aphrodite verhexte Phädra wegen unerwiderter Liebe zu ihrem Stiefsohn Hippolytos Selbstmord. Anders bei Haratischwili. Hippolytos tritt hier gar nicht auf, stattdessen kommt es, wie der Hohepriester Panopeus (Philipp Hauß) es geradeheraus nennt, zu "gleichgeschlechtlicher Unzucht" zwischen Phädra und Persea, der Verlobten ihres älteren Sohnes. Eine Todsünde.
Befeuert durch Ereignisse in Georgien
Auch für den hierdurch ausgelösten Skandal stammt die traurige Inspiration aus Haratischwilis Geburtsland Georgien, wo die orthodoxe Kirche 2021 Ausschreitungen rechter Gruppen gegen friedliche LGBTQI-Demos unterstützte. Uraufgeführt wurde das Stück für sechs Personen bei den diesjährigen Ruhrfestspielen Recklinghausen in einer Produktion des Berliner Ensembles. Nun liefert im Akademietheater der Wiener Burg Tina Lanik die österreichische Erstaufführung.
Phädra ist also in den Wechseljahren, frustriert von den Auswüchsen des Machismo im Reich – und Sophie von Kessel trägt ihren Unmut von Anfang an zur Schau: Der Ehemann, König Theseus, geht fremd, der Thronfolger Demophon bildet sich sonstwas auf die baldige Königswürde ein und demütigt seinen tierlieben Bruder Acamas. Die schlagfertig respektlose, ganzkörpertätowierte Persea, die Demophon heiraten soll, kommt ihr da gerade recht. Obwohl sie lautstark verkündet, "auf Schwänze!" zu stehen, lässt sich Phädra am Frauentag in der Therme von Persea verführen.
Ein riesiger Blutmond tränkt das meiste davon in Rot. In diese Farbe gekleidet sind auch die sechs gesichtslosen Wachen, die aussehen wie von der Herzkönigin im Wunderland entsandt. Ebenso komplett rot die flammende Phädra. Alle anderen tragen hauptsächlich Schwarz, die Herren weite Röcke, sind wir doch, auch wenn die Wortwahl der Figuren es nicht nahelegt, in der Prä-Hosen-Ära.
Häusliches und Herzschmerz
Ausstatter Stefan Hageneiner und Lichtler Michael Hofer scheinen sich ans Design der Kampagne für Martin Kušejs letzte Spielzeit als Burgtheater-Direktor anzupassen. Slogans, die ein Aufstehen gegen rechts beschwören, schreien einen da in schwarzen Lettern auf rotem Grund an. Thematisch passt dieser Abend ausnahmsweise genau ins Programm, zumindest dem dramaturgischen Aufbau nach. Denn Panopeus erfährt von den Umtrieben der beiden Frauen und schlägt daraus prompt Kapital für seine religiös fundamentalistischen Pläne: Endlich wieder Menschenopfer und Hetzjagden in Athen!
Über seine Gesamtlänge betrachtet gerät das Politische des Abends dann aber doch stark ins Hintertreffen: Häusliches und Herzschmerz dominieren den Dialog. Kaum vernehmbar unterlegt von Techno-DJ Electric Indigo variieren die Sprachregister grell: hier Debatten über die richtige höfische Anrede – du, Sie, Ihr –, dort harter Jargon, "gequirlte Scheiße" und "verdammter Soziopath".
Stunde der Scheinheiligen
Dagna Litzenberger Vinet startet schillernd in ihre Persea: Lacht die junge Braut oder weint sie? Letztlich verkommt die Figur aber zur Projektionsfläche für Phädras Frust. Ein paar Lacher ernten Ernest Allan Hausmann für Theseus' rührend lächerliches Festhalten am Thron, und Philipp Hauß, der den Hohepriester Panopeus mit einer bis in die Frisur schmierigen Scheinheiligkeit ausstattet. Am Ende schildert er mit einigermaßen widerlichem Genuss die Zerfleischung des Opfers Persea. Etienne Halsdorf bleibt vom allertriefendsten Text verschont, ihm sieht und hört man gern zu. Sein Acamas ist auch die interessanteste Figur im Drama. Denn obwohl sichtlich zu den "Guten" gehörend, ist er es, der die Liebenden ans Messer liefert.
Womöglich hätten dieser und andere spannende Aspekte des Stückes durch radikale Striche oder szenische Zugriffe produktiv in den Vordergrund treten können. Aber Tina Lanik ist eine vorsichtige Erstaufführerin. Sie verzichtet auf Requisiten, arbeitet vor allem mit physischer Nähe und Distanz der Spieler:innen zueinander, um Gesagtes zu unterstreichen. So wähnt man sich bisweilen im Groschenroman, wenn eine Off-Stimme nicht nur die Mondphase zu Beginn jeder Szene beschreibt, sondern auch die Gefühlslage der Hauptfigur. An der Totalkatastrophe schrammt das nur deshalb vorbei, weil Sophie von Kessel den Seifenopernton souverän beherrscht. Phädra – Wege zum Unglück.
Phädra, in Flammen
von Nino Haratischwili
Österreichische Erstaufführung
Regie: Tina Lanik, Bühne, Kostüme: Stefan Hageneier, Musik: Electric Indigo, Licht: Michael Hofer, Dramaturgie: Jeroen Versteele.
Mit: Etienne Halsdorf, Julian von Hansemann, Ernest Allan Hausmann, Philipp Hauss, Sophie von Kessel, Dagna Litzenberger Vinet.
Premiere am 7. Oktober 2023 im Akademietheater
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.burgtheater.at
Kritikenrundschau
"Obwohl die Geschichte in der Antike bleibt, sind die politischen Inhalte frappierend aktuell. Rollenzuschreibungen können durch die Umkehrung geschickt hinterfragt werden", schreibt Katharina Rustler in Der Standard (8.10.2023). "Diese Zeitlosigkeit wird auch durch die moderne Sprache von Haratischwili erzeugt. Leider gleitet diese stellenweise in flapsige Dialoge ab, wodurch so manche Stelle zu aufgesetzt und erzwungen frech wirkt." Am stärksten sei das Stück, "wenn die zwei Frauen einander Paroli bieten und sich ihre Liebe gestehen – die ihr tragisches Ende bedeutet."
Wolfgang Kralicek von der Süddeutschen Zeitung (9.10.2023) schreibt, in Haratischwilis Fassung verliere die Phädra deutlich an Fallhöhe. "Sie ist nicht mehr die Frau, die von ihrer Leidenschaft überwältigt wird und damit alle in den Abgrund reißt, sondern eine von chronischer Migräne geplagte Ehefrau und Mutter, deren Lebensgeister von einer jungen Liebhaberin aufgefrischt werden. Dass Phädra am Ende in Flammen aufgeht, wie es im Text steht, ist nur schwer vorstellbar." Immer wieder wirke der Text ungelenk und gespreizt.
Nino Haratischwilis "bestenfalls ambitionierte Überschreibung" wechsele andauernd zwischen antiquiert anmutendem Ausdruck und rüdem Gegenwartssprech. "Da passt vieles nicht", schreibt Thomas Trenkler vom Kurier (9.10.2023). "Auch am abgezirkelten Bühnenbild von Ausstatter Stefan Hageneier hat man sich irgendwann sattgesehen." Dennoch gelinge Tina Lanik ein unglaublich packendes Finale.
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