Thriller! Jason und Medea kurz vor Mitternacht - Antje Schupp verschneidet an der Garage X den Medea-Mythos mit RAF, Michael Jackson und Griechenlandkrise
Die Revolution, ein Kinderspiel?
von Patrick Holzapfel
Wien, 24. April 2013. Da kommt einiges zusammen. In "Thriller! Jason und Medea kurz vor Mitternacht" kombiniert der Hamburger Autor Izy Kusche die antike Sage von Medea, Jason und seinen Argonauten mit der Betrachtung einer Revolution und ihrem Scheitern, mit der Gegenwart Griechenlands und Wiens sowie der Funktionsweise kapitalistischer Systeme. Antje Schupp unterlegt das Ganze in ihrer Inszenierung an der Wiener Garage X mit Michael Jackson, The Doors und Hardcore-West-Side-Hip-Hop. Und auch eine ordentliche Portion Trash darf dabei nicht fehlen. Wer den Überblick behält, der kann aus den vielfältigen Eindrücken am Ende des Abends eine ziemlich klare und ernüchternde Gesellschaftsanalyse filtern. Aber der Reihe nach.
Medea und Jason = Baader und Ensslin?
In fünf per Videoscreen angekündigten Kapiteln vollzieht sich das Drama um Jason und Medea. Auch Nicht-Kenner des Mythos können dem Inhalt so leicht folgen. Souverän hangelt sich das Stück an der Vorlage entlang und entfaltet einen assoziativen Reigen rund um die tragische Liebesgeschichte, in dem viele Elemente der ursprünglichen Sage in mehr oder weniger abgeänderter Form auftauchen. So wird das Goldene Vlies, das die Argonauten stehlen sollen, zu einem Objekt, das Gerechtigkeit für alle bringen könnte. Die Suche nach einer solchen Ideal-Formel für eine gerechtere Gesellschaft, die über die staatlich vorgegebenen Rechtssysteme hinweggeht, ist der Antrieb für Jason, Medea und auch diese ganze Bühnenunternehmung. Der mythologischen Grundlage gemäß hilft Medea Jason, das Goldene Vlies ihres Vaters zu stehlen. Von da an beginnen die beiden an der Revolution im griechischen Staat zu arbeiten.
Doch häufig wird es an diesem Abend heißen: "Wir leben nicht mehr in der Antike!". Und folgerichtig verwirklicht sich im groben Handlungsgerüst der antiken Sage eine moderne Gesellschaftsanalyse, in deren Kern die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Revolutionen steht. Jason und Medea werden hier zu Baader und Ensslin: zwei revolutionäre Seelen auf der Suche nach Gerechtigkeit, die sich verlieben und gemeinsam in Trainingshosen und Gangsterposen vor mit Graffiti besprühten Wänden revolutionieren.
Beeinträchtigungsüberwindungsstrategien
Dabei tritt die Inszenierung konsequent zeitgemäß auf: In einer Videoprojektion sind Bilder der großen Konzerngebäude in Wien zu sehen, an anderer Stelle wird eindeutig zweideutig über griechische Sparmaßnahmen diskutiert. Die gesellschaftliche Bezugnahme gelingt vor allem deshalb, weil sich das Stück zu keiner Zeit selbst zu ernst nimmt. Herrlich schräge Passagen mit dem stotternden Bruder von Medea oder einem König, der so spricht wie Meister Yoda, lockern das Geschehen zwischenzeitlich auf und greifen auch auf die entscheidende inhaltliche Wende vor.
Denn Jason verliert seinen revolutionären Geist und gibt sich den "Beeinträchtigungsüberwindungsstrategien" der Regierung hin. Seine Fantasie eines gesicherten Lebens innerhalb der Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft gewinnt Überhand. Plötzlich erscheint ihm die Revolution wie ein Spiel für Kinder, an dem er nicht mehr teilnehmen kann. Aber mit der Integration in das System geht eine unmoralische Selbstgerechtigkeit einher, während Medea weiter die moralische Verpflichtung hochhält. Sie beschimpft Jason in einer Schlüsselszene als "bequemlich". Stehen sich hier Medeas Naivität und die neugewonnene Weisheit Jasons gegenüber? Oder ist es doch so, dass Medea so etwas wie Wahrheit vertritt, während Jason seinen Verdrängungsstrategien unterliegt?
Individualismus ja, aber bitte innerhalb des Systems
Medeas Idealismus muss in unserer Zeit scheitern. Von Anfang hat wirft die Inszenierung einen zynisch wirkenden, fast mitleidigen Blick aus Sicht einer politikskeptischen Kunst auf die Revolutionäre. Nicht umsonst sitzen die Argonauten hier in Rollstühlen. Und wenn Medea den Verrat Jasons, der eine Regierungsposition übernimmt und sich mit der Tochter Kreons vermählt, hinten auf der Bühne belauscht, wirkt sie wie ein trauriges Kind, das feststellen muss, dass seine Eltern voller Fehler sind.
Jason hingegen könnte sich auch heute gut durchwurtscheln. Konformität hat bei der zeitgenössischen Jugend Konjunktur – Individualismus ja, aber bitte innerhalb des Systems. Zu dieser resignierenden Feststellung von Kusche und Schupp passt auch das Blutbad am Ende: Schaulust und Unterhaltung verdrängen den Gedanken an Revolutionen, und selbst sich politisch gebärdendes Theater verkommt häufig zur postdramatischen Spielerei. Schön, wenn da – wie im Fall dieses Abends – ein unangenehmer, gesellschaftsrelevanter Beigeschmack haften bleibt. Und zwar nicht nur wegen des vielen Kunstbluts im Mund.
THRILLER! Jason und Medea kurz vor Mitternacht (UA)
von Izy Kusche
Eine Produktion von Taksidiotiko group in Koproduktion mit GARAGE X
Regie: Antje Schupp, Bühne: Blanka Rádóczy, Produktionsleitung: Sophie Pachner, Kamera: Jakob Brossmann.
Mit: Jaschka Lämmert, Nicola Schößler, Alexander Braunshör, Dennis Cubic, Arthur Werner.
www.garage-x.at
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