Schlicht und schlüssig

8. Mai 2022. Der Stoff ist berühmt, der Regisseur hat schon bei den Salzburger Festspielen und am Wiener Burgtheater inszeniert. Nun holt Georg Schmiedleitner Ödön von Horváths Sozialdrama mit dem biblischen Titel auf die Bühne eines kleinen Hauses der freien Szene.

Von Martin Thomas Pesl

Georg Schmiedleitner mit "Glaube Liebe Hoffnung" im Wiener Theater an der Gumpendorfer Straße © Anna Stöcher

8. Mai 2022. Auf Georg Schmiedleitner ist Verlass: Als der 2014 gefeuerte Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann seiner Nachfolgerin Karin Bergmann auch als Regisseur abhanden kam, sprang Schmiedleitner für die Koproduktion mit den Salzburger Festspielen kurzfristig ein. In den Neunzehnachtzigern war er Mitbegründer des Theater Phönix in seiner Heimatstadt Linz, aber auch in allen großen Wiener Häusern hat er bereits inszeniert, oft Texte Ödön von Horváths.

Und doch verblüfft, dass der solide Regiehandwerker, der die große Bühne nicht scheut, nun im Theater an der Gumpendorfer Straße arbeitet, einem Haus in Wiens freier Szene mit vielleicht 120 Plätzen. Frisch zurück vom Staatstheater Fürth, wo Horváths "Der jüngste Tag" im März Premiere hatte, inszeniert Schmiedleitner hier "Glaube Liebe Hoffnung". 

Sehnt er sich mit 65 Jahren nach der Arbeit in weniger starren Strukturen? Oder hat er eine Klassikerüberschreibung verfasst, wie sie am TAG üblich ist? Lange als "Horváth-Projekt von Georg Schmiedleitner" angekündigt, hieß der Abend nun kurz "Glauben, Lieben, Hoffen". Am Ende entschied man sich doch für das Original, dessen Autorschaft sich Horváth mit dem ideengebenden Gerichtsreporter Lukas Kristl teilte und von dem er sagte, seinen Titel "Glaube Liebe Hoffnung" könne eigentlich jedes seiner Stücke tragen.

Schlittern in die Armutsspirale

Dennoch entstammen nicht alle auf der Bühne gesprochenen Worte aus dem 1933 erschienenen "Kleinen Totentanz in fünf Bildern". Gleich die ersten etwa sind Zitate moderner Arbeitsloser, die ihren Alltag beschreiben: den Schock am Anfang, die zunehmende Lethargie. Das Ensemble spricht diese Sätze mit einem Hang zur Persiflage und gibt so den unerbittlichen Ton des Abends an: Vom Mitleid, das Horváth seinen von Armut und Ungerechtigkeit gebeutelten Figuren bei allem Zynismus entgegenbrachte, ist wenig übrig. Die Welt ist grausam. Soll Elisabeth halt nicht so naiv sein.

Horváths Antiheldin schlittert von Anfang an in die Armutsspirale. Sie braucht einen Wandergewerbeschein, um als Reizwäschevertreterin zu arbeiten, und muss obendrein Strafe zahlen, weil sie dies bereits ohne Schein getan hat. Dem Anatomischen Institut bietet sie daher gegen Vorauszahlung ihren irgendwann einmal toten Körper an. Elisabeths Begegnung mit dem Leichenpräparator ist ihre erste von mehreren mit vermeintlich wohlwollenden Menschen, deren Güte von geringer Dauer ist und in Ausbrüche pompöser Selbstgerechtigkeit umschlägt, sobald sie sich um ihren Dank betrogen fühlen.

tag glaubeliebehoffnung 1 c anna stoecher Unerbittliches auf der Gameshow-Bühne von Stefan Brandtmayr: Moderne Arbeitslose treffen auf den Text von Ödon von Horváth © Anna Stöcher

"Dalli Dalli" steht über der angedeuteten Gameshow-Bühne, die Stefan Brandtmayr gebaut hat. Und eilig hat es Elisabeth wahrlich, sie ist hier nämlich Kandidatin in einem Spiel. Obwohl sie dessen Ziel und Regeln nicht wirklich kennt, folgt sie tapfer den Aufforderungen eines schmierigen Moderators (Jens Claßen obercool mit Sonnenbrille). "Ich lasse den Kopf nicht hängen", soll sie ins Mikro sagen, dann einen Schlager von Roy Black, Udo Jürgens und dergleichen singen, sich auf die Schnelle zehn Adjektive einfallen lassen, von denen sich keines wiederholen darf, oder eines von zwei Losen aus einer Schüssel ziehen.

Künstliche Kunstsprache

Dieses hektische Erfüllen von Aufgaben gibt Lisa Schrammel Halt bei der Bewältigung einer Hauptrolle, die keine ist. Dient doch diese Elisabeth stets nur den anderen, meist Männern, als Projektionsfläche für deren Egos. Das drückt sich auch in den schauspielerischen Möglichkeiten aus. Georg Schubert als Präparator und Petra Strasser als Frau Amtsgerichtsrat packen den bewusst ungelenk schillernden Horváth-Sprech von der wienerischen Seite an, während Andreas Gaida – erstmals im TAG zu sehen – die Kunstsprache ins noch Künstlichere zerrt, als wolle er die Worte von sich fernhalten. In der Rolle des jungen Polizisten Alfons redet er wie mit einer Spracherkennungssoftware.

Der ganze Gefühlskram halt

Mit bürokratischen Phrasen oder Tipps zum Geldsparen werden einige Horváth-Originalszenen in die heutige Welt verlängert – ein schlichtes, schlüssiges Konzept, dessen Umsetzung aber an der Oberfläche bleibt. Rhythmisch und handwerklich geht alles flüssig: Immer wieder vermischen sich Elisabeths Einzelgegner zu einer unangenehmen Masse, aus der sich neue Gegenüber herauskristallisieren. Hier könnte auch die Erklärung für die überraschende Allianz liegen: Die TAG-Spieler:innen sind ein uneitler und engagierter Trupp, mit dem sich sichtlich gut arbeiten lässt. Was dabei allerdings auf der Strecke bleibt, sind Glaube, Liebe, Hoffnung und so. Der ganze Gefühlskram halt.

 

Glaube Liebe Hoffnung
von Ödön von Horváth und Lukas Kristl
Regie: Georg Schmiedleitner, Ausstattung: Stefan Brandtmayr, Musik: Matthias Jakisic, Licht: Katja Thürriegl, Dramaturgie: Tina Clausen
Mit: Jens Claßen, Andreas Gaida, Michaela Kaspar, Lisa Schrammel, Georg Schubert, Petra Strasser Premiere am 7. Mai 2022
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.dastag.at

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