Heit bin e ned munta wuan - Volkstheater Wien
Arten, das Leben zu feiern
17. Februar 2024. Das Leben ist ebenso verflogen wie der Glanz des österreichischen Kaiserreichs. Aber wenn schon das Leben nicht glänzte, braucht zumindest das Begräbnis Pomp. Wolfgang Menardi hat einen Abend über den Tod erfunden, mit einer Gedichtzeile von H.C.Artmann überschrieben. Und Samouil Stoyanov.
Von Andrea Heinz
17. Februar 2024. "Manche Leute", setzt Claudia Sabitzer als Pompfüneberer an, aber sie kann den Satz vor Lachen kaum zu Ende bringen: "Manche Leute fürchten sich vor dem Tod." Gut, der eine wird erschossen, der andere wird umgebracht, das ist natürlich was anderes – aber so ein normaler Tod? "Glaub i kaum, dass do irgendwer sogt, er hot a Ongst oda wos, naa ..."
Wir sind im Wiener Volkstheater, und es geht um ein, wenn man den Klischees glauben darf (und warum sollte man das nicht?) zutiefst wienerisches Thema: den Tod. Ein Pompfüneberer ist, für alle Nicht-Wiener*innen, ein Bestatter, nur dass man für eine schöne Leich' halt ein bisschen mehr Pomp und circumstances braucht als für eine banale standarddeutsche Beisetzung. Und Wolfgang Menardis herzzerreißender, herzzerreißend schöner Abend "Heit bin e ned munta wuan" bedient sich ausschließlich Texten der Wiener Gruppe und Zitaten aus der rührenden 1990er-Jahre Doku "Die Pompfüneberer - Ein Tag auf dem Wiener Zentralfriedhof" (die es auf YouTube gibt!).
Ausgestopfte Vögel, Kaiser-Büsten, Vintagemobiliar
Während Claudia Sabitzer als "gmiadlicher" Bestatter mit vollendetem Meidlinger-L auf der Vorderbühne mit seinen Sonderbestellungen (zur besonderen "Verschönerung der Trauerfeier": der neunflammige Leuchter) so etwas wie die Rahmenhandlung bildet, formen sich dahinter Dialektlyrik und diverse Texte von Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener zu einer so traurigen wie verstörenden Geschichte: In der pittoresk versifften Gemeindebauwohnung in Wien Favoriten, die den Guckkasten bis in die Tiefe ausfüllt, lebt, leidet und hasst inmitten ausgestopfter Vögel, Kaiser-Büsten und abgeranztem Vintagemobiliar Frau Q., Tierpräparatorin a.D. An den Wänden hängen Poster von Sisi und ihrem Franzl, im TV läuft "Herzblatt".
Türglocke und Telefon
Zu Beginn befindet Frau Q. sich im Verwesungsstadium, die angelockten Fliegen kümmern sich nicht um die von Lichtleisten markierte 4. Wand und stören den Pompfüneberer bei der Arbeit. Dann erwacht Frau Q. aber wieder zum Leben und wir begleiten sie in ihren letzten Stunden. Allein ist sie, die Jalousien halten den strahlenden Sonnenschein draußen, nur um die lachenden Kinder im Hof wüst zu beschimpfen werden die Fenster kurz aufgerissen.
Wenn Türglocke oder Telefon ins Leere läuten, und das tun sie oft, zuckt Frau Q., als hätte man sie an eine Stromleitung gehängt. Selbst beim Toilettengang begleitet sie das Unterhaltungsfernsehen, das auf einem Stuhl stehende TV-Gerät muss dafür umständlich positioniert werden, die Antenne in einer slapstickartigen Choreografie in einer Hand gehalten werden – Samouil Stoyanov läuft nicht nur in dieser Szene zu spielerischer und körperlicher Höchstform auf, es ist sein Abend.
Auf Schritt und Tritt begleitet wird Frau Q. von den drei Musiker*innen Ingrid Eder (Wiener Knöpferlharmonika, Gesang), Flora Geißelbrecht (Bratsche, Gesang) und Sixtus Preiss (Klavier, Gesang), die die Dialektgedichte kongenial vertonen und wie auch Frau Q. in biedere knielange Röcke und Blusen gekleidet sind (Kostüme: Jelena Miletić). Man riecht förmlich den kleinbürgerlichen Mief der Nachkriegsjahre, der sich in so mancher (auch großbürgerlichen) Wiener Wohnung bis heute erhalten hat. Hinter jedem Kalenderblatt am altmodischen Kühlschrank lauert wieder ein 31. Dezember, immer ist Sonntag. Frau Q. ist einsam und traurig und gemein, sie streitet mit den ausgestopften Vögeln, sie hört Radio und deckt den Tisch für zwei, aber mit Partyhut und Luftschlangen-blasend sitzt da nur sie allein.
Leiche im Faschingskleid
Frau Q. ist verliebt, in den blondgelockten Jüngling von gegenüber (Matteo Haitzmann, auch Komposition), der mit seinem Walkman über die Bühne läuft und gut aussieht. Weil er sie nicht anschaut, ruft ihm Frau Q. mit H. C. Artmann zu, "woxn ma fua lauta r aufregung diaregt fagismeinicht aus de finga" (wachsen mit vor lauter Aufregung direkt Vergissmeinnicht aus den Fingern), aber ihr lyrisches Talent ist es nicht, dass ihn ihr schließlich nackt ins ungemachte Bett legt - sie hat ihn umgebracht.
In einem der makabersten, lustigsten, und eigentlich traurigsten Momente des Abends weist Frau Q. ihre drei Doppelgänger*innen an, den Toten aufrecht zu halten, und während im Fernsehen eine Szene aus einem "Sissi"-Film mit Romy Schneider läuft, gibt Frau Q. lippensynchron und entrückt lächelnd die Kaiserin, während die Marionetten-Leiche als Karlheinz Böhm als Kaiser Franz Josef ihr zum 4-wöchigen Hochzeitsjubiläum eine Kette um den Hals legt. Und dabei hatte Sisi schon das Schlimmste befürchtet! ("Naja, du hast zu viel tu tun. Du darfst so etwas vergessen.")
Bevor Frau Q. schließlich auf vier verschiedene Arten Selbstmord begeht, schlüpft sie zum "Donauwalzer" noch einmal in Kostüm und Perücke von Romy alias Sissi, und nimmt den immer noch toten Nachbarn, nun in des Kaisers Paradeuniform, in kunstvollen Hebefiguren auf die Schulter. Dann sind wir zurück in der armseligen Gemeindebau-Realität, eine verwesende Leiche im Faschingskleid auf dem Bett.
Heit bin e ned munta wuan
von Wolfgang Menardi
Regie und Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüm: Jelena Miletić, Komposition und Musikalische Leitung: Matteo Haitzmann, Video Art: Ulrike Schild, Lightdesign: Voxi Bärenklau, Ines Wessely, Sounddesign: Matteo Haitzmann, Dramaturgie: Ulf Frötzschner.
Mit: Samouil Stoyanov, Claudia Sabitzer, Matteo Haitzmann, Sixtus Preiss, Ingrid Eder, Flora Geißelbrecht, Iphigenie P.
Premiere am 16. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.volkstheater.at
Kritikenrundschau
Die lyrischen Texte würden "in dieser handfesten Inszenierung zu Puzzlestücken einer Erzählung, die ihre Widersprüche oder Lücken aber nicht verhehlt", so Margarete Affenzeller im Standard (17.2.2024). Dafür habe Regisseur Menardi eine Rahmenhandlung gewählt, die es ermögliche, immer wieder neu auf die Momente im Leben von Frau Q. zu schauen. Wie schon im Volkstheater-Jandl-Abend "humanistää!" könnte "der Zuspruch groß werden, triggert Dialektlyrik, auf die hier der Fokus gerichtet ist, doch eine gewisse Rührseligkeit gegenüber dem umgebenden städtischen Sprachbiotop".
"Nach dem Prinzip jener Jukebox-Musicals, die populäre Songs in eine neu erdachte Erzählung verbauen", habe Menardi Texte der Wiener Gruppe "zum tragikomischen Tableau eines verdorrten Frauenlebens verbaut", schreibt Ute Baumhackl in der Kleinen Zeitung (17.2.2024). Das erweise sich allerdings als problematisch. Denn dass Menardi viele Texte nur anspielen lasse, sich für seine Erzählung mit Strophen, Takten, Fetzen begnüge, limitier ihre Wirkung weit über Gebühr.
"Ein stimmiges Bühnenbild" für ein an sich gescheites Vorhaben, schreibt Thomas Kramar in der Wiener Tageszeitung Die Presse (19.2.2024): "Dass die Dramaturgie des Abends nicht ganz so stimmig ist, liegt an der Natur dieser Collage. Die die Klischees vom ach so todesnahen Wien auf Dauer doch etwas überstrapaziert (...)."
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