Was ihr wollt - In Bern startet die neue Schauspieldirektion mit einer Shakespeare-Inszenierung von Johannes Lepper
An Illyriens geschlossenen Schleusen
von Brigitta Niederhauser
Bern, 6. Juni 2015. Eine Mannschaft von Trotteln hampelt über die schiefe Bühne, einer schräger als der andere. Das kann lustig werden. "Was ihr wollt oder die zwölfte Nacht", mit der sich Stephanie Gräve, Berns neue Schauspielchefin, vorstellt. ist ja schließlich auch William Shakespeares erfolgreichste Komödie. Viel brünstiges Sehnen und wirres Werben bringt das Völklein auf Illyrien durcheinander, dem fernen Land der Liebe, Lust und der Musik.
Lachfiguren
Als abgehalfteter Traumschiff-Kapitän präsentiert sich der Narr Feste, der noch singen kann fast wie Frank Sinatra und Tom Waits. Ja, das könnte lustig werden, weil die Übersetzung von Thomas Brasch so wunderbar schnoddrig ist und weil neben diesem schlecht gekleideten Seehelden noch sieben weitere Witzfiguren über die Bretter rutschen. Ein hysterisches Huhn ist die schöne Olivia, die aus unerfindlichen Gründen als Madonna angesprochen wird und gleich von drei Männern begehrt wird. Einer schwachsinniger und doofer als der andere: Die unerfüllte Sehnsucht hat Herzog Orsino total den Verstand vernebelt, über einen solchen wiederum verfügte der arg beschränkte Sir Andrew Leichenwahn gar nie, und des Haushofmeisters Malvoglio naive Verblendung ist mindestens so groß wie seine Eitelkeit. Sauf- und zotenselig ist Olivias Onkel Sir Toby Rülps, die hellste von allen ist das durchtriebene Kammermädchen Maria, während Viola die anspruchsvollste Nummer schiebt, die sich als Mann ausgibt, um sich dem geliebten Herzog andienen zu können.
Das klassische Shakespeare-Personal also, und man hat einen kurzen schönen Moment lang das Gefühl, man müsste jede dieser Lachfiguren nur kurz anstoßen, und ganz selbstverständlich käme sofort ein toller Reigen in Gang. Denn Shakespeares Komödien sind alchemistische Wunderdinger, bei denen man nie so recht weiß, wie einem geschieht, so raffiniert umgarnt einen sein philosophisches Lametta. Ja, das könnte furchtbar lustig werden in der großen Vidmarhalle. Wird es aber nicht.
Komikstau
Konturenscharf bis zur Karikatur zeichnet zwar der deutsche Regisseur Johannes Lepper, der zum ersten Mal am Konzert Theater Bern inszeniert, die einzelnen Figuren. Doch jede bleibt für sich. Den Balgereien zum Trotz entsteht da keine Reibung, die Funken sprühen lässt. Viel handfester Slapstick wird zwar bemüht, doch zünden will auch er nicht. Der Narrenkapitän (Birger Frehse) trötzelt für sich, Olivias (Sophie Melbinger) plötzlicher Liebeswahn verpufft im Leeren wie der viele Puder, den sie aufträgt, und keiner schaut zu, wenn Orsino (Nico Delpy) wieder einmal große Augen macht. Seine Dummheit und Eitelkeit zelebriert Malvolio (Stéphane Maeder) für sich wie ein Weltmeister, und für mehr als ein synchrones Bierbüchsenöffnen reicht die Komplizenschaft von Sir Toby (Jürg Wisbach) und Sir Andrew (Sebastian Schneider) nicht. Schottischer Hooligan der eine, aufgeschreckte Fledermaus der andere, balgen sie mit Maria (Milva Stark), der einzigen, die einem mit ihrer Bodenständigkeit ein wenig Hoffnung macht, weil sie erst das Männerpack geschickt zu dirigieren scheint.
Doch auf dem schmierigen Parkett lässt Regisseur Lepper sie nur wenige Fallen aufstellen. So wenig wie er Viola (Mariananda Schempp), die als allzu verbissenes Rumpelstilzchen ihre Doppelrolle bewältigt, so richtig auf den aufgeregten Haufen ansetzt, auf dass sie alle in jenen shakespearschen Strudel geraten, der auch das Publikum mitreißen würde. Viel Wasser plätschert zwar hinter der Bühne – doch eine Schleuse will sich während der ganzen gut dreistündigen Aufführung nicht öffnen. Im Lauf des langen langen Abends staut sich dafür viel bedrückende Unentschlossenheit, die all die neuen, jungen Gesichter des Schauspielensembles ziemlich blass erscheinen lässt.
Zu dürftig und zu willkürlich sind mit Songs wie David Bowies "Rock'n'Roll Suicide" die paar Musikeinlagen, zu müde und zu langatmig die Späßchen: Weder Halmaspielen noch Paddelduelle, Büchsenknallen, Klavierabfackeln und Kreischeinlagen vermögen einen Shakespeare-Brocken in fast voller Länge in Schwingung zu bringen. Ein paar wenige Szenen demonstrieren zwar, dass Leppers ziemlich sinnentleertes Hauruck-Theater durchaus funktionieren könnte. Als knappes Trash-Musical, wo absurder Witz hemmungslos getunt wird. Doch in der episch arg zerdehnten Inszenierung kommt jedem Spaß die Spannung abhanden. Am meisten fällt das auf, wenn das Gelächter auf der Bühne weit lauter ist als jenes im Saal.
Was ihr wollt
von William Shakespeare
Übersetzung ins Deutsche von Thomas Brasch
Regie und Bühne: Johannes Lepper, Kostüme: Stephanie Geiger, Musik: Birger Frehse, Johannes Lepper, Dramaturgie: Stephanie Gräve.
Mit: Nico Delpy, Mariananda Schempp, Sophie Melbinger, Milva Stark, Stéphane Maeder, Jürg Wisbach, Sebastian Schneider, Birger Frehse.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.konzerttheaterbern.ch
"Nach den ersten etwas zähen Minuten nimmt die Inszenierung Fahrt auf, aus dem Leiden wird ein Mitfiebern, und die Spannung bleibt bis zum Schluss", schreibt Michael Feller in der Berner Zeitung (8.6.2015). Johannes Leppers steile Bühne ermögliche dem Publikum "eine gute Sicht auf das Geschehen". "Ausrutscher und Stürze sind vorprogrammiert, der tiefe Fall ist immer möglich, ganz in der Denktradition von William Shakespeare." Mariananda Schempp in der Hauptrolle sei "eine Wucht". Und auch sonst gelinge dem neuen Schauspielteam von Stephanie Gräve "eine Premiere, bei der sehr viel stimmt".
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Kritiken sind immer subjektiv, und man kann einen Abend gut finden oder nicht, und darf das natürlich auch in einer Kritik zum Ausdruck bringen. Eine professionelle Kritik dient dem Publikum aber auch als Information und Orientierungshilfe; sie darf daher objektiv fassbare Elemente einer Vorstellung nicht auslassen oder nur durch die persönliche Brille gefiltert wiedergeben. Diese grundlegende Fairness ergibt sich eigentlich bereits aus dem geforderten Respekt den Bühnenschaffenden gegenüber.
Erlauben Sie mir als Zuschauer, der auch im Saal sass (und durchs Jahr oft und in vielen Sälen im In- und Ausland sitzt), in diesem Sinne einige Anmerkungen zu Ihrem Text:
Entgegen Ihrer Auffassung war es mitnichten so, dass "das Gelächter auf der Bühne weit lauter war als jenes im Saal". Das Publikum hat kräftig mitgelacht, und aus meinen Gesprächen mit vielen anderen Zuschauenden nach der Vorstellung kann ich auch sagen: Die meisten im Publikum fanden sich an diesem Abend gut unterhalten.
Ohne Halt sind auch Ihre Aussagen, "all die neuen, jungen Gesichter des Schauspielensembles" wären "ziemlich blass" gewesen, und zwischen den Figuren sei "keine Reibung" entstanden. Zum einen widersprechen Sie sich selbst, wenn "konturenscharf bis zur Karikatur" gezeichnete Figuren dann doch "ziemlich blass" sein sollen. Zum andern haben wir gestern Schauspielerinnen und Schauspieler gesehen, die auf der Bühne mit Blickkontakt, Körpersprache und Timing agiert haben, als wären sie schon lange jahrelang ein Ensemble (obwohl die meisten zum ersten Mal mit einander gespielt haben) und so die Spannung mit aufgebaut und mitgetragen haben. Wie Sie das nicht oder anders sehen konnten, bleibt mir rätselhaft, zumal wir genau dieses Zusammenspiel als Ensemble in den letzten Saisons im KTB doch oft vermisst haben. Ich will Ihnen zwei Beispiele geben: Sie schreiben, "für mehr als ein synchrones Bierbüchsenöffnen" reiche "die Komplizenschaft von Sir Toby (Jürg Wisbach) und Sir Andrew (Sebastian Schneider) nicht". Wie können Sie übersehen haben, wie etwa das Halmaspiel dazu eingesetzt wird, die beiden eben über das Bierbüchsenöffnen hinaus sich menschlich anzunähern und so etwas wie eine Vater-Sohn-Beziehung entstehen zu lassen? Und wie können Sie pejorativ und pauschal von "Kreischeinlagen" sprechen, die zu keiner Schwingung führten, ohne (auch) zu erwähnen, wie gekonnt Milva Stark als Maria ein vermeintliches Weinen in einen schallenden, hysterischen Lachanfall ob des Streiches an Malvolio verwandelt und damit Publikum wie die anderen Figuren zu Beginn auf eine falsche Fährte führt, bevor alle - inklusive Publikum!- ins Lachen einsteigen?
Liebe Frau Niederhauser, professionelle Kritiker tragen eine grosse Verantwortung - dem Haus, den Mitwirkenden und dem Publikum gegenüber. An der Wahrnehmung ihrer Verantwortung müssen sich die Kritiker ihrerseits messen lassen...
Sie sprechen mir aus dem Herzen. Eine Kritik hat in erster Linie dem Leser zu dienen. Und leider ist das hier nicht der Fall.
Nach einer inhaltlich aufschlussreichen Beschreibung suche ich vergeblich. Was ich als Leser erfahre ist bruchstückhaft bis kryptisch. Was will uns die Autorin damit sagen? Dass Sie keinen Spaß im Theater hatte? Fein. Ich hatte auch keinen Spaß ihre Kritik zu lesen.
(...) aus Ihrer Darlegung, Herr Meer, erfahre ich endlich was sich an diesem Abend abgespielt hat. (...)
Besten Dank