Tourist Trap - Kaserne Basel
Leise rieselt der Schutt
10. Oktober 2024. Ein gespenstisches Hotel mit somnambulen Angestellten hat Thom Luz in der Kaserne Basel errichtet. Es wird musiziert und philosophiert. Ein Hauch von Apokalypse erfüllt den Raum. Und Fragen ploppen auf.
Von Leonard Haverkamp
10. Oktober 2024. Erst auf die letzten Szenen fühlt man sich wieder verstanden. Da steht er nun, der grün-angelaufene "General Entrance Front Desk Hospitality Manager" (Samuel Streiff) und wedelt den Untergang mit emporgestreckten Händen herbei. Einen imaginären Wasserfall, der doch lange versiegt ist und schon zu Beginn des Stücks als Schutt von der Decke rieselte? Das Hereinbrechen der Katastrophe in die Post-Katastrophe scheint zu stocken. Warum weiß keiner. Schon länger ist jeder Faden außer Sichtweite und die Frage, wo das alles noch hinführen soll, restlos aufgegeben.
Dabei hatte er doch so gut angefangen, dieser Abend, zu dem Thom Luz und Ensemble in die Kaserne Basel eingeladen hatten. Zunächst fühlte man sich nämlich keineswegs gefangen in der angekündigten "Tourist Trap". Am Ende ist man dann aber doch eher erlöst, als das Licht ausgeht.
Am Anfang war die Apokalypse
"Sieht post-apokalyptisch aus hier", bemerkt eine Zuschauerin, während sie sich hinsetzt. Recht hat sie. Hinten ein Zaun, an dem mehr Latten fehlen als noch dranhängen, rechts ein Haufen zerbrochenen Geschirrs, ein paar verwaiste Cafétische und vorne vier Schlafende auf fünf Stühlen. Mathias Weibel hockt hinten rechts und zupft auf einem Saiteninstrument die Melodie für den grau-verstaubten Saloon (Bühne: Duri Bischoff und Thom Luz).
Man habe die fünf Angestellten vergessen, in den "vertrockneten Ruinen eines einst brummenden Touristenmagnets", heißt es in der Stückbeschreibung. Und sie sich scheinbar auch. Immer noch in Arbeitskleidung – weißes Hemd, schwarze Weste, weiße Schürze – gehen sie den entwickelten Spleens nach. Daniele Pintaudi, der sogar noch das Tablett bei sich führt, gewährt imaginierten Gästen Eintritt, während er stückweise Nebel aus einem dünnen Rohr in den Raum strömen lässt – bis plötzlich keiner mehr kommt.
Fhunyue Gao scheint sich hingegen wahnsinnig dafür zu interessieren, wie der Stuhl fällt, den sie durch den Raum kickt. Samuel Streiff muss lachen, während er immer wieder auf die Stelle an der Decke zeigt, die er später anwedeln wird, und von der immer eine Kaskade grauer Schutt herabrieselt, wenn das merkwürdige Geräusch, ähnlich einem vorbeifahrenden Zug, den man wie unter Wasser hört, kommt. Zusammen hätten sie sofort den Zuschlag als Cast für eine Neuverfilmung von "Einer flog über das Kuckucksnest" bekommen.
Einsame Irre
Dann und wann regt sich doch ein Hauch Menschliches, wo sonst der eine Tick den anderen auslöst. Eigentlich immer dann, wenn Musik im Spiel ist (allen voran Mathias Weibel), scheinen die Dissoziierten kurz aufzuwachen aus ihrer Trance. Immer wieder finden sie sich dann in einem Chor zusammen. Oder spielen auf Flöten durcheinander: Kuckucksrufe, zischende Wasserkessel, Autoalarmanlagen und auch mal eine Melodie. Harmonie herrscht dann, wenn Streiff Kaffeehausmusik spielt und man sich in den alten Zeiten wähnt, als noch Gäste kamen.
Das ist es, was die Verlorenen vereint: ihr Fixpunkt – auf der Bühne in Form eines Miniaturmodells des Restaurants, mit winzigen Stühlen und natürlich dem immer wieder erwähnten Wasserfall. Vom Treiben der Gäste erzählt nur das Tonband, als die fünf gebannt in das Modell der Vergangenheit schauen, bis schließlich Panik im Saal ausbricht, der Schaukasten geschlossen wird und ein Streichholz verglüht. Das Feuer habe natürliche Ursachen gehabt.
Verlorene Sinnsuche
Gerade als man anfängt zu glauben, das Widerständige im Nihilistischen zu erkennen, schon längst den Eigenheiten der Verlorenen verfallen ist, kippt das Ganze. Eine unterschwellige Kritik an der Branche – ob Tourismus oder doch Theater, bleibt unklar. Verweise auf einen Verwaltungsrat und ein Manager (Samuel Streiff) der das Hotel heimlich gekauft haben soll, um es abzufackeln. Um neue Gäste anzulocken, habe man den Wasserfall in spektakulären Farben beleuchten wollen, wofür es ein Kraftwerk benötigte, wegen dem der Fluss gestaut wurde – was den Wasserfall zum Versiegen brachte.
Das Deuten auf Probleme, wie es sie so oft gibt in der Welt jenseits der Bühnen-Post-Apokalypse, wirkt jedoch eher wie ein easy way out aus der spannenden Disposition. Auch nicht hilfreicher sind dann philosophische Anstalten wie "Ein Optimist ist ein Pessimist, der aufgegeben hat" und die Annahme, dass "der erste Mensch, der ewig leben wird, bereits geboren wurde", dass man also ewig wird leben können, nur eben nicht alle.
Wirkten die Verwaisten nicht irgendwo glücklich in ihrem verzweifelten Versuch, die eigene Existenz in der Trümmerlandschaft weiter zu behaupten? Ist die trügerische Nostalgie um ein vermeintliches verlorenes Paradies das eigentliche Problem? Sehen wir eine Warnung, sich nicht mit der Apokalypse anzufreunden? Oder ist der Abend sich selbst so bewusst, dass er den Verfall im Verstehen-Wollen vorführt? Am Ende bleiben viele Fragen.
Tourist Trap
Regie: Thom Luz, Musikalische Leitung: Mathias Weibel, Bühnenbild: Duri Bischoff und Thom Luz, Sounddesign: Martin Hofstetter, Kostüme: Tina Bleuler, Dramaturgie: Stephan Müller, Lichtdesign: Thom Luz und Jens Seiler, und viele mehr.
Mit: Fhunyue Gao, Mara Miribung, Daniele Pintaudi, Samuel Streiff, Mathias Weibel.
Premiere am 9. Oktober 2024 an der Kaserne Basel
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
Koproduktion Kaserne Basel, Gessnerallee Zürich, Théâtre Vidy Lausanne, Teatro Stabile dell’Umbria, Bühne Aarau
kaserne-basel.ch
Kritikenrundschau
Thom Luz bleibe auch in dieser Produktion "der grosse und dem Skurrilen verhaftete Geisterbeschwörer", berichtet Dominique Spirgi in der bz (11.10.2024). "Wie schon in früheren Produktionen breitet er eine Welt aus, die eine von Geistern der Erinnerung bevölkerte Vergangenheit heraufbeschwört, die aber keine Zukunft hat." In musikalischen Momenten "entfaltet die Produktion eine überaus einnehmende Kraft. Diese atmosphärische Dichte vermag die Inszenierung aber nicht über die rund 80-minütige Dauer des Stückes aufrechtzuerhalten – trotz der überaus starken Bühnenpräsenz des Darstellerinnen- und Darsteller-Quintetts". Dennoch: eine "vergnügliche spiritistische Sitzung".
"Dass nichts vorangeht, ist Programm in Thom Luz' halluzinatorischen Welten und ihren (hier sehr kleinen) Nebelwerfern", erläutert René Zipperlen in der Badischen Zeitung (11.10.2024). "Es bleibt aber auch unklar, worauf die Suchbewegung abzielt. Eine andere Realität, post-touristisch, post-konsumistisch? Eine Saison in der Vorhölle? Auf der Bühne scheinen sie vor allem auf der Suche nach dem nächsten Song." Und da erlebte der Kritiker "wunderbare Momente mit Mandolinen, Bass und Glasharfe. Jede noch so nichtige Aktion kann musikalisch werden."
"Marthaleresk" und "wirklich wunderschön" fand Eberhard Spreng für "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur (9.10.2024) die musikalische Arbeit an diesem Abend. "Wunderbar" sei der Umgang mit Objekten, Bildern und Musik. "Der Abend könnte so stundenlang weitergehen." Er sei "sehr poetisch und ideenreich". Sein Ende verweise auf Platons Höhlengleichnis, die Menschen zeigten sich in der "Vorhölle".
"Der Abend zerfällt, bleibt seltsam fern und künstlich. Er berührt, mit wenigen Ausnahmen, nicht. Schade", schreibt Felix Schneider auf dem Basler Portal Bajour (10.10.2024). "Dieser Regisseur hat eine grosse Sensibilität für die Aura des Ausgedienten und Kaputten", berichtet Schneider. "Schöne Musikmomente sind zu hören", heißt es. Aber die Frage bleibt offen: "(W)elche Geschichte wollen uns die Texte, will uns der Regisseur erzählen?"
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