Was ihr wollt – Julia Hölscher inszeniert Shakespeares Komödie für das Theater Basel als melancholisches Gender-Lustspiel im römischen Theater von Augusta Raurica
Von der beschwerten Leichtigkeit des Seins
von Claude Bühler
Basel, 13. August 2016. Bezaubernd das Szenario: In der goldenen August-Sonne strahlen die Bäume auf den Ruinen ihr sattes Grün vor dichtblauem Himmel. Wir sitzen gegen die Zuschauerränge des römischen Theaters, auf denen die Figuren einsam umhergehen. Irgendwo klimpert jemand sanft auf einer Gitarre. Man wähnt sich in südlichen Gefilden, wo mit der nahenden Dämmerung der Traum in die Realitäten rückt und damit auch die Poesie; passgenau für jenen Spielort Illyrien, der hier eher Platzhalter für ein unbedeutendes Herzogtum darstellt. Herzog Orsino kann seine Tage damit zubringen, seine unerwiderte Liebessehnsucht zur Gräfin Olivia zu hegen, und die Gräfin die ihren, verschleiert ihre Trauer um ihren verstorbenen Bruder zu pflegen.
Reigen grandioser Spielszenen
In der nicht ganz unbeschwerten Leichtigkeit des Seins schlagen sich der Bruder der Gräfin, Sir Toby Rülps, und sein Kumpane Sir Andrew Leichenwang die Nächte mit Besäufnissen und derben Streichen um die Ohren. Einzig der puritanische Haushofmeister Malvolio stellt sich den Ausuferungen entgegen an diesem Beispielort der Sehnsüchte und falschen Selbstvorstellungen, in dem einzig der Narr zu realistischer Einschätzung taugt.
Wenn nun die adlige Viola als Schiffbrüchige – mit meterlanger Schleppe – in diese stehende Welt rauscht, so stösst sie weniger eine Handlung als mehr einen Reigen von grandiosen Spielszenen an: in ihnen entblösst Shakespeare fast alle Figuren an ihrem wunden Punkt. Dass fast alle nach allerlei Verwirrungen zu einem Komödien-Liebesglück gelangen, scheint nur der Köder zu sein, gegessen wird aber unterwegs.
Krokodilslederschuhe und Goebbelsstimme
Das Stück wirkt durch eine fast einmalige Symmetrie: feinsinnig und derb, schön und hässlich, unsinnig und sinnbehaftet, lyrisch und profan, implizit und explizit, tragisch und lustig. Regisseurin Julia Hölscher hat aber bei diesen Gegensatzpaaren fast immer der Nummer zwei den Vorzug gegeben. Nichts ausser die schöne Gegend und Michael Wächters Gitarrenspiel betört die Sinne. Zwei hässliche wie Gummiboote aufgeblasene Riesenherzen, in die sich die Liebesverwirrten hineinwerfen und sich prügeln können, werden auf der Szenerie umher geworfen.
Die Figuren sind aber so schrill kostümiert und angelegt, dass es für den Narren und seinen Aussenblick kaum Platz hat. Thiemo Strutzenberger zeigt seinen Grafen Orsino in Krokodillederschuhen als derart süsslich-weinerlich-selbstisch, dass man ihn schon nach zehn Sekunden als Sonderling abhakt. Steffen Höld mimt den Spiesser Malvolio immer wieder mal mit einem Stimmfall à la Goebbels. Hölscher sieht ihn laut Programmheft als "Gefahr" und begründet ihre Auffassung historisch-politisch.
Aber sie begründet sich nicht auf der Szene, wo sie zur Plattheit wird. Nicht zur einzigen. Wenn im untergeschobenen Liebesbrief, Malvolio vermeintlich von seiner Gräfin, liest: "Leg deine Verkleidung des Untergebenen ab", lässt er die Hose runter. Nachdem ihn die Hofleute mit einem bösen Streich bis auf die Knochen blamiert haben, legt ihm die moderne Thomas Brasch-Übersetzung statt seines originalen Racheschwurs ein "Ausrotten werde ich dieses Pack" in den Mund.
Die generelle Grobheit wirkt über die Zeit wenig dynamisch, lässt auch Längen bei subtileren Dialogen empfinden. Um mehr Pfeffer zu geben, lässt man Rülps und Leichenwang gemeinsam onanieren. Besonders Florian von Manteuffel aber auch Elias Eilinghof haben sonst mit ihrem lustvollen Spiel weit mehr überzeugt.
Draufgesetze modische Elemente
Explizit inszeniert Hölscher "Was Ihr wollt" auch als eine "Genderkomödie" (in der Programmankündigung). Anlass dazu gibt ihr, dass Viola als Mann, Cesario, verkleidet für Orsino als Liebesbote bei Olivia wirbt. Dass sich Olivia (statt in Orsino) in Cesario verliebt, wird hier so gedeutet, dass sie in Wirklichkeit Viola liebe. Auch Orsino sei im Grunde schwul: So fällt er zwar leidenschaftlich über Viola-Cesario her, meine aber in Wirklichkeit, so sieht man es hier in der Schlussszene, Violas Zwillingsbruder Sebastian.
Das kann man sich so ausdenken. Erhellend wirkt es kaum, sondern eher als modisches Element draufgesetzt. Unter dem Ansatz leidet die Figurerfindung des Narren, der statt eher ungeschlechtlich als männlich-weiblich dargestellt wird. Eine Korsage für Myriam Schröder, die wenig anarchistischen Witz aufblitzen lässt. Als tragisch überträgt sich die Figur Olivia. Subtil kehrt Barbara Horvath die Verwirrung heraus: ebenso verbohrt, wie sie sich in die Trauer vergrub, ebenso süchtig jagt sie nun der Verliebtheit nach. Trotzdem ging Shakespeare am Ende als Sieger vom Platz: Das Ensemble übertrug seinen pointenreichen Text klar verständlich und schwungvoll, das Publikum lachte herzhaft.
Was Ihr wollt
von William Shakespeare
Übersetzung von Thomas Brasch
Inszenierung: Julia Hölscher, Bühne: Paul Zoller, Kostüme: Esther Bialas, Musik: Arno Waschk, Licht: Guido Hölzer, Dramaturgie: Sabrina Hofer.
Mit: Elias Eilinghoff, Barbara Horvath, Steffen Höld, Nicola Kirsch, Florian von Manteuffel, Max Rotbart, Myriam Schröder, Lisa Stiegler, Thiemo Strutzenberger, Michael Wächter.
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.theater-basel.ch
"Nie sind diese Menschen so bei sich wie im irrenden Verkleidungsspiel", schreibt Alfred Schlienger in der Neuen Zürcher Zeitung (15.8.2016). "Und so sind es denn auch die besonders schönen Momente an diesem luftigen Abend, wenn Viola/Cesario, als Mann verkleidet, in doppelt gebrochener Körpersprache eine Frau imitiert." Die Regie von Julia Hölscher betone einseitig das Lächerliche der Figur und lässt sie in der wütenden Ausrottungsphantasie am Schluss unvermittelt ins Hitlerhafte kippen, was etwas aufgesetzt wirkt - "diese Gefährlichkeit müsste schon vorher aufblitzen." Hölschers Regie liege das Komische besser als das Abgründige. Der erste Teil des dreistündigen Abends lebe vom Zauber des Abendlichts, der zweite Teil von der besseren Fokussierung und Bündelung der Szenen. Fazit: "Obwohl unversöhnlicher als bei Shakespeare, wo sich alles zu 'richtigen' Paarungen fügt, scheint der Abend im antiken Theater beim Schlusslied ganz zu sich zu kommen."
"Hausregisseurin Julia Hölscher nutzt die antike Kulisse wirkungsvoll", so Roswitha Frey in der Badischen Zeitung (15.8.2016). Der Ort habe eine eigene Magie, scheine wie eine Welt für sich, ganz so wie Illyrien bei Shakespeare. "Hölscher inszeniert die Verlorenheit der Figuren in Liebessehnsucht, -trunkenheit und -täuschung. Und so passt es, dass die Figuren manchmal verloren wirken in der Weite der Spielstätte." Groß aber spielen bei Hölscher die komischen Figuren auf.
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Liebe/r CP,
vielen Dank für den Hinweis. Sie haben vollkommen recht. Wir haben die Stelle korrigiert.
Viele Grüße
Die Redaktion
Andreas Beck ist doch Theatermann von Welt, hätte er seiner Regisseurin nicht dringend etwas besseres empfehlen können und müssen? So wird Shakespeare zwangsläufig zur Lindenstraße. Wobei das vorgestern immer noch deutlich amüsanter war als diese.
Aber nein, im Gegenteil, was einfallslos schien, war noch einfallsloser und langatmiges schien noch länger. Und ein paar witzige Einfälle wurden wohl gestrichen. Auch die Musik war open air viel besser gewesen. Hat da im Theater keiner aufgepasst?