Weihnachtsmärchen – das Update

14. November 2021. Mit Beginn seiner Intendanz am Schauspielhaus Zürich begründete Nicolas Stemann die Tradition, selbst das Weihnachtsmärchen zu inszenieren. Dieses Jahr hat er sich den "Froschkönig" der Gebrüder Grimm vorgenommen, ihm ein paar kritische Fragen und Gastfiguren verpasst und ordentlich Musik.

Von Valeria Heintges

Vincent Basse, Titilayo Adebayo © James Bantone

14. November 2021. Nicolas Stemann war mal der Regisseur von Elfriede Jelinek. Aber derzeit muss Elfriede warten, denn die Gebrüder Grimm rufen – und deren Ruf erhört der Ko-Hausherr des Zürcher Schauspielhauses sehr gerne. Zum zweiten Mal hat Stemann eines der "Kinder- und Hausmärchen" genommen und als sein eigener Regisseur zu einer modernen Version dessen aufgepimpt, was man so gemeinhin "Weihnachtsmärchen" nennt. Dieses Mal fiel ihm der "Froschkönig" in die Hände.

Märchenonkel goes Storyteller

Doch die "alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat", die das Märchen im Eingangssatz evoziert, die sind auch heute nicht angesagt. Angesagt sind vielmehr Netflix und Dauerfernsehen und iPhones aller Größe und Farbe. Da muss selbst ein Märchenerzähler sehen, wo er bleibt, und lässt sich zum "Storyteller" ("Was fürn Teller???") weiterbilden, wie der Mann vom Arbeitsamt vorschlägt.

Auch sonst ist da allerlei auf den viereinviertel Reclam-Märchenbuchseiten, das dem Zeitgeist gar nicht mehr gefallen kann. Die Töchter des Königs sind alle schön? Eine so schön, "dass die Sonne selber, die doch so viel gesehen hatte, sich verwunderte"? Das kriegt den Hashtag "#Dasgehtgarnicht" und wird als "Lookismus" gebrandmarkt, weil es die Frau auf ihr Aussehen reduziert. Die Prinzessin soll den Frosch an die Wand werfen? Aber sie will nicht; sie fürchtet, da könne womöglich noch ein Prinz draus werden – "und die sind alle langweilig". Der Vater sagt der Tochter, dass sie Versprechen halten muss? Gut. Bloss – welcher Vater? Diese Prinzessin hat zwei, und zwar zwei mit meistenteils unterschiedlichen Meinungen, jedenfalls streiten sich Kay Kysela als König Kurt (ein Gruss nach Sachsen ...) und Matthias Neukirch als König Karl (... und einer in die monarchische Vergangenheit) sehr geschliffen und sehr dauerhaft.

Für die ganze Familie

Wer so an die alten Märchenstoffe herangeht und nach Ungereimtheiten sucht, die er gegen den Strich bürsten kann, der wird schnell fündig, zumal in Zeiten, in denen viel zu viele Froscharten auf der Roten Liste der aussterbenden Tierarten stehen. Dieser hier ist mit seinem dicken Kopf, dem glitzernd grünen Outfit und dem dicken Bauch ein eher pessimistisches und verunsichertes Exemplar, das Vincent Basse liebevoll auf die Bühne bringt. Ihr habt Langeweile?, fragt er die Kinder. Bei Eurem ganzen Spielzeug? Kommt mal in mein Brunnenloch, da wisst Ihr erst, was Langeweile ist!

KoenigFroesche4 1200 JamesBantoneFroschkönig & Co. in zeitgemäßen medialen Rahmen © James Bantone

Nicolas Stemann ist sehr gut darin, Märchen zu entlüften und mit Anspielungen zu spicken, die mal Erwachsene, mal Kinder und oft genug auch beide erfreuen, so dass alle zusammen den Abend genießen können. Und er kann die Märchen auch sehr originell miteinander bis zur Unkenntlichkeit vermischen. War in "Schneewittchen Beauty Queen" (2019) ein ordentlicher Schluck Rotkäppchen beigemengt, so turnen dieses Mal zwei ziemlich wilde, zuweilen sehr trottelige Hänsel und Gretel (Songhay Toldon, Tabita Johannes) durch die Szenerie, die sich vor Brex, der Hexe fürchten. Die legt Gottfried Breitfuss auch wirklich furchterregend an, was den Musikern Gelegenheit gibt, mal richtig ruppig und rockig zu klingen.

Wider die Unterforderung

Dabei folgt manches dem bekannten Muster: Etwa der Märchenonkel und der Aufpasser, der über die Märchen wacht. Der Vater, der das große Geschäft macht (der andere ist diesmal Künstler), die flotte Musik vom Trio Stemann, Thomas Kürstner und Sebastian Vogel (bereichert von Lukas Vögler, wenn der mal als aufmüpfiger, plauderwütiger Märchenonkel frei hat). Das ist zuweilen nah an "Schema F", setzt aber andererseits zu viel voraus, wenn etwa der Märchenonkel nicht genug erklärt, warum er sich eigentlich zum Storyteller weiterbilden lässt, und nur Wiederholungstäter sich vom letzten Stemann-Weihnachtsmärchen noch an seine mickrige Märchenonkel-Gage erinnern.

So ersticken manche schönen Szenen an sich selbst und hindern vor allem den ersten Teil daran, Fahrt aufzunehmen. Anderes versinkt technisch in der Unverständlichkeit, vor allem gesungene Texte. Oder in der etwas sehr ambitionierten Idee, die Prinzessin (Titilayo Adebayo) englisch sprechen zu lassen. Weil Tabita Johannes' Übersetzungen akustisch untergehen, sind viele Kinder genötigt, auf die Übersetzung am Rande zu schauen. Und es ist fraglich, ob sie die in Echtzeit verfolgen können. Ein unnötiges Zugeständnis an die englischsprachige Community. Andererseits zeigt Stemann auch dieses Mal wieder, dass Kinder sehr viel mehr verstehen können als viele Regisseure klassischer Weihnachtsmärchen annehmen.

König der Frösche
von Nicolas Stemann
nach dem Märchen "Der Froschkönig" der Gebrüder Grimm
Inszenierung: Nicolas Stemann, Bühne: Katrin Nottrodt, Kostümbild: Marysol del Castillo, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Nicolas Stemann, Licht: Rainer Küng, Dramaturgie: Bendix Fesefeldt, Joshua Wicke, Video: Emma Lou Herrmann.
Mit: Kay Kysela, Matthias Neukirch, Titilayo Adebayo, Tabita Johannes, Songhay Toldon, Vincent Basse, Gottfried Breitfuss, Lukas Vögler.
Premiere am 13. November 2021
Dauer: 2 Stunden, eine Pause

www.schauspielhaus.ch


Kritikenrundschau

"Man spürt den Übermut, aber auch die Zwänge der Emanzipation in dieser Aufführung. Sie birst vor Einfällen und hat in ihren guten Momenten etwas von einer Frank-Zappa-Liveshow", so Peter Kümmel in der Zeit (18.11.2021). Aber sie wirke auch fürchterlich gehetzt, "wie ein oberkorrektes Wesen, ein Vorgesetzter oder Klassensprecher, der immerzu über seine Schulter schaut, um nur ja nicht von irgendeinem Ausgrenzungs- oder Diskriminierungsvorwurf eingeholt zu werden". Ein wenig von oben herab stoße dieses Kinderweihnachtsmärchen auf seine wichtigste Kundschaft nieder. "Die Kleinen erfahren: Es geht alles durcheinander im Reich der Erwachsenen." Fazit: "Ein Märchen, das sich von der Märchentradition emanzipiert (...) Die feine, vielleicht auch etwas feige Uneindeutigkeit der Aufführung bereitet die Kleinen trefflich auf die Erwachsenenwelt vor, in der genau das von ihnen erwartet wird. Dass sie sich nicht anmerken lassen, welche Motive sie wirklich haben."

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