Gute Seife, schlechte Seife

von Felizitas Ammann

Zürich, 5. März 2008. Eine gute Soap zeichnet sich dadurch aus, dass man jederzeit ein- und nur schwer wieder aussteigen kann. Ersteres ist bei Folge 4 von "Absolut Züri" ganz klar der Fall, letzteres insofern, als man durchaus Lust hat, wieder reinzuschauen. Und noch etwas gehört zu Seifenopern wie die Lügen, Missverständnisse und Intrigen: Dass ein grosses Team rasch und günstig produziert. Bei der Zürcher Theatersoap sind das nicht nur mehrere Theaterautoren (verstärkt durch den deutschen Fernsehprofi Patrick Schuckmann) und wechselnde Regisseure, die in jeweils drei Wochen eine Folge auf die Bühne stemmen. Für "Absolut Züri" haben gleich acht Spielstätten zusammengespannt, vom Theater am Neumarkt über den Club Kaufleuten bis zum Migros-Restaurant Limmatplatz.

Die Stadt als Themenbeute

So zieht die Soap von Dezember bis Mai durch die halbe Stadt, und das macht auch Sinn, weil die Stadt ja schliesslich Thema ist. Genauer gesagt jene Generation, welche in Zürich die goldenen 90er feierte. Als  die "little big city" wenigstens für die Party-People eine wirkliche Metropole war, als man in Zürichs Clubs dem Technorausch frönte und von einer globalen Community träumte. Doch ach, das ist lange her.

inzwischen hat man sich damit abgefunden, dass "Zürich nie eine Weltstadt wird". Claudia findet es gar nicht so schlimm, dass heute Ruhe und Ordnung herrschen sollen. Ausgerechnet sie, die den Absprung früh genug geschafft und sich in Brasilien ein neues Leben aufgebaut hat. Nun ist sie zurück, "nur vorübergehend" wie sie betont, und wird von ihren alten Freunden, die auch ruhiger geworden sind, passend zum neuen Lebensabschnitt mit einer Waschmaschine empfangen. Man hat sich eingerichtet in der Kleinbürgerlichkeit, hat sich neue Ziele gesteckt: ein Kind (Helena), ein Mehrgenerationenhaus (Roli).

HIV-positiver Geist der Vergangenheit

Doch die Lust am Exzess kommt immer wieder hoch. Und dann ist da ja auch noch der Geist längst vergangener Tage. Ihn hat Claudia wohl irrtümlich mit ihrer brasilianischen Geisteraustreibung beschworen. In dieser Wohnung ist er gestorben, an Aids und verlassen von seinem damaligen Lover Beat, der nun mit Helena ein Kind zeugen will, aber vielleicht inzwischen von seinem jetzigen Partner Luca angesteckt wurde, der nun lieber mit ihm Schluss machen will (Cliffhanger!!) als ihm die Wahrheit zu gestehen, welche Helena bereits gegen ihn ausspielt. (Soweit in groben Zügen der Plot.) Das klingt banal, ist es auch, und doch hat diese ganze wirre und doch so nachvollziehbare Geschichte etwas Rührendes.

Pointen könnte sie allerdings mehr haben. Überhaupt erweist sich die Stärke, dass jede Folge für sich allein stehen kann, auch als Schwäche: Es braucht eine Weile, bis die Kiste in Fahrt kommt, bis genügend Geheimnisse und Drohungen da sind, dass Spannung aufkommt. Dann nimmt das Tempo endlich zu, und auch die Schauspieler kommen in Fahrt.

Umwerfender Plagegeist

Schön zu sehen ist, wie der Abend einerseits immer stärker auf die Seifenoper hinausläuft und gleichzeitig immer mehr sein Medium Theater betont. Dies, indem der – für die anderen unsichtbare – Geist ins Zentrum rückt, der ja eine theatrale Konstruktion ist. Und noch schöner ist, dass dieser ausgerechnet von Special Guest Mathis Künzler gespielt wird, unserem bekanntesten internationalen Soap-Star (Zu den Auftritten des ehemaligen Beau aus "Verliebt in Berlin" reisen noch heute ganze Busse voll junger Mädchen aus dem Ausland an. Leider ist das winzige Theater an der Winkelwiese diesem Ansturm nicht gewachsen, ein ärgerlicher Fehler in der Planung...).

Dieser Mathis Künzler ist schlicht umwerfend als lasziver Plagegeist mit Freddy Mercury-Schnauz und glitzernden Leggins. Bleich steht er allen im Weg, feiert noch immer den Rausch und plagt aus Langeweile ein bisschen seine ehemaligen Freunde, die alten Spießer.

Wie es mit denen weitergeht, ist schwer zu sagen. Nicht nur, weil kaum Intrigen gesponnen werden, sondern auch, weil die einzelnen Folgen sehr unterschiedlich sind. Team und Location schlagen sich jeweils in der Form nieder. So hat die Soap – wie ihre Figuren – auf der Reise durch die Stadt schon bessere und schlechtere Zeiten gesehen. Teil 4 (Text: Suzanne Zahnd, Regie: Christina Rast) gehört auf jeden Fall zu den besseren und macht Lust auf mehr. Ganz egal, ob Luca Schluss macht oder nicht.


Absolut Züri
Folge 4: Lucas Gespenst
Idee und künstlerische Leitung: Andreas Stadler, Chefautor: Patrick Schuckmann, Text Folge 4: Suzanne Zahnd, Inszenierung Folge 4: Christina Rast, Bühne: Monika Schori, Kostüme: Rudolf Jost, Musik: Ramon Orza, Hans-Peter Frehner. Mit: Rachel Braunschweig, Cathrin Störmer, Roberto Guerra, Markus Merz, Andreas Stadler, Dieter Stoll. Special Guest: Mathis Künzler.

www.winkelwiese.ch

 

Kritikenrundschau

Dass Techno "nicht nur Tanz und Amüsement ohne Ende" bedeute, sondern dieses "Lebensgefühl" auch "Abgründe" bereit halte, ist laut Katja Baigger (NZZ, 7.3.2008) das Thema der 4. Folge von "Absolut Züri". Regisseurin Christina Rast bespiele den Gewölbekeller deshalb so, "dass eine Atmosphäre des Alltäglichen und Privaten entsteht". Die Zuschauer sitzen dabei "nahe an den Schauspielern und können sich dem Geschehen nicht entziehen". Der Auftritt des Gespensts, überhaupt diese "Phantasterei der Handlung" sei "Geschmackssache". Und offenbar auch, dass Suzanne Zahnds Text "mit vielen Verweisen, auch ironischen Anspielungen auf die touristische Vermarktungsstrategie "Downtown Switzerland" versetzt" ist. Denn "am Ende bleibt das Gefühl zurück, dass da etwas viele Themen – Spätfolgen der Partys, Kinderwunsch, Krankheiten, Tod und Utopien – miteinander kombiniert worden sind". Der Regisseurin sei es jedenfalls "nicht gelungen, diese Puzzleteile zu einer Einheit zusammenzusetzen".

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