The Civil Wars - Milo Rau erkundet beim Zürcher Theater Spektakel die alte, wunde Seele Europas
Bürgerkriege auf dem Sofa
von Christoph Fellmann
Zürich, 27. August 2014. Er hat minutiös den Schauprozess gegen das rumänische Diktatorenpaar rekonstruiert (Die letzten Tage der Ceausescus). Er hat den coolen Sound des Genzoids in Ruanda abgehorcht (Hate Radio), die Rede eines Attentäters auf die Bühne gebracht (Breiviks Erklärung) und das Gerichtsverfahren gegen Pussy Riot neu inszeniert (Moskauer Prozesse). Und jetzt also "The Civil Wars". Es wäre leicht, das neue Stück von Milo Rau und seines International Institute of Political Murder (IIPM) vor dem Hintergrund dieser letzten Arbeiten als einen Relaunch zu beschreiben: Der dokumentaristische Zugriff aufs Thema, die titelgebenden Bürgerkriege, er ist gebrochen.
Denn was wir sehen, das sind eine Schauspielerin und drei Schauspieler, die in fünf Akten (!) ein paar Szenen (!!) aus ihrem Leben erzählen. Ganz recht, das klingt schon in der Kürze dieses einen Satzes nach Bühnenkonvention und Psychologie. Und mehr noch, es gibt hier sogar einen Deus ex machina, der barocke Musik von Bach, Händel und Pergolesi in die Aufführung träufelt, das Bühnenbild ruft die Allegorie einer barocken Theaterloge auf und die Schauspielerin Sara De Bosschere ein paar Dialoge aus dem good ol' "Kirschgarten" von Tschechow. Und doch: Wir sind hier wieder nah dran am Thema, das Milo Rau erklärtermaßen als einziges interessiert. Auch "The Civil Wars", das am Mittwoch am Theater-Spektakel in Zürich uraufgeführt wurde, erzählt von der Brutalisierung der Gesellschaft.
Die abwesenden Väter
Am Anfang dieser neuen Arbeit stand eine lange Recherche über belgische Salafisten, die in Syrien gegen Assad und für Allah kämpfen. Davon übrig ist im fertigen Stück eine kurze Rahmenerzählung über einen Dschihadkämpfer namens Joris, dessen Vater seine kleinbürgerliche Wohnung mit grünem Sofa, Familienfotos und Nippes verlässt, um von Vilvorde in Belgien nach Syrien zu fahren und seinen Sohn, Joris eben, nach Hause zu holen. Ein Nachbau dieser Wohnung bildet nun die Rückseite der erwähnten Theaterloge, und vielleicht ist es ja kein Zufall, dass man in der Schweiz die Wohnung gelegentlich seine Loge nennt: Sie ist der Ort, von dem aus man auf die Welt blickt. Es sei denn, man verlässt sie, um für die Veränderung dieser Welt das zu tun, was man kämpfen nennt.
"Ich werde in einer Welt aufgewachsen sein, in ihr gelebt haben und in ihr sterben, ohne an einer einzigen kollektiven Aktion teilgenommen zu haben, um sie zu verbessern", sagt Sébastien Foucault im Prolog in die Kamera, die die Gesichter überlebensgroß und in Schwarzweiß auf die Leinwand holt. Hier sitzen sie nun also, Milo Raus vier Akteure, im Reich eines besorgten belgischen Vaters, und erzählen in Französisch und Flämisch über ihr Leben. Genauer und vor allem: Über ihre abwesenden, über ihre toten, psychiatrisch versorgten oder aus guten Gründen zurückgewiesenen Väter. Es ist eine interessante Analogie, dass die Schauspieler sie mit vielen Salafisten gemeinsam haben, über die recherchiert wurde.
Politische Psychoanalyse Europas
Trotzdem wird diese Analogie über die zwei Stunden des Abends überstrapaziert, wenn man sie an der Frage misst, die im Prolog als Ausgangspunkt für die "Civil Wars" gestellt wird: "Was treibt Jugendliche, die hier geboren, die unter uns groß geworden sind, dazu, forzugehen und an den Schrecken eines Bürgerkriegs teilzunehmen, der mit ihnen nichts zu tun hat?" Wie Milo Rau in Interviews gesagt hat, fand er in den Biografien seiner Schauspieler die gleichen, oder zumindest die gleich guten Antworten wie in denen der Salafisten, die er ursprünglich auf die Bühne bringen wollte. Das änderte vollkommen den Charakter des Stücks, aber nicht den Impetus. Nämlich, eine politische Psychoanalyse eines alten Kontinents vorzunehmen, der zwar nicht mehr allzu viele Kriege hervorbringt, aber doch immer wieder neue Krieger.
Und da sind die verkorksten Vatergeschichten nun bloß ein Teil des großen Bildes. Das Geschehen auf der Bühne ist minimal, hier wird ein Familienfoto vor die Digicam geschoben, da in einer hingekribelten Skizze ein Argument verdeutlicht. Ansonsten herrscht das ruhige, erzählerische Parlando vierer ausgezeichneter Schauspieler. Oft gleicht das Stück einer Sitzung, oder einer Séance. Und das ist nun packend und großartig, wie darin die Gespenster umgehen: vage Schemen von Kriegen, in die der Kontinent verwickelt war und ist. Die Brutalität des Kapitalismus, die den Familienbetrieb der Foucaults auslöscht. Die letzten Ausläufer des Migrationsdramas, die sich in den Quartieren und Kinderzimmern der französischen oder belgischen Vorstädte nochmals zur Katastrophe aufbäumen. Die Bewegtheit der Elterngeneration, der Achtundsechziger, die in einem Citroën am Baum zerschellte, die im Sumpf der Depression endete, oder die sich als Scharade herausstellte, schieres Theater von Mitläufern.
Es ist ein verletzliches Arrangement. Es sind dünne, lose Fäden, aus denen Milo Rau seine europäische Seelenschau spinnt. Erst in seinen nächsten Stücken – "Fuck You, Europa" und "Die Geschichte des Maschinengewehrs" – wird sie sich verdichten. "The Civil Wars" ist noch nicht viel mehr als ein Dräuen, und Sara De Bosschere sagt mit Tschechow: "Wir haben noch nichts. Rein gar nichts, nicht einmal ein deutliches Bild unserer Vergangenheit." Doch indem Milo Rau einen ganz kleinen, privaten Ausschnitt dieses Nichts zeigt, versteht man doch etwas und folgt ihm zunehmend atemlos. Auf tut sich das Bild einer westlichen Normalität, die beim nächsten Klingeln an der Tür oder hinter der nächsten Bildfolge aus dem Fernseher in den Wahnsinn, in die Gewalt oder in die Gehirnwäsche fahren kann. Und von Menschen, die sich daran gewöhnt haben, diese Normalität als Kämpfer oder Krieger zu bestehen. Oder als Schauspieler.
The Civil Wars
von Milo Rau
Text und Regie: Milo Rau; Recherche und Dramaturgie: Eva-Maria Bertschy; Ausstattung: Anton Lukas; Video: Marc Stephan; Licht: Abdeltife Mouhssin, Bruno Gilbert; Ton: Jens Baudisch.
Mit: Karim Bel Kacem, Sara De Bosschere, Sébastien Foucault, Johan Leysen.
Dauer: ca. 2 Stunden und 10 Minuten, keine Pause
www.international-institute.de
www.theaterspektakel.ch
"'The Civil Wars' untersucht Bürgerkriege in der guten Stube und findet Menschen in der Misere unserer Zeit", schreibt Alexandra Kedves im Tagesanzeiger (29.8.2014) und fragt sich: "Bringt das was: die einzelnen Schrecken zu addieren, zu potenzieren, die Storys engzuführen und die Probleme Europas – Neoliberalismus, Armut und Arbeitslosigkeit, Migration, Wurzellosigkeit und Extremismus – dazu im Subtext hochzukochen?" Und antwortet: Es gehe nicht nur, die meiste Zeit glücke es! "Dank der mätzchenfreien Mimen, dank der konsequenten Distanzierung bei gleichzeitiger Dia-Abend-Intimität spielt sich das Wort mitten in unser Herz."
Milo Rau scheitere diesmal an den gnadenlosen Ansprüchen, die er an seine Kunst stellt, befindet Tim Neshitov in der Süddeutschen Zeitung (29.8.2014). Rau stelle zwar eine für Europa brennend aktuelle, womöglich die einzig wirklich relevante Frage: Was hält uns noch zusammen in einer Zeit, da Radikalismen wuchern, von Islamismus bis Nationalismus, während Umwelt und Sozialstaat den Bach runtergehen? Und als großer Künstler lasse er die Frage unbeantwortet. "Aber die Realität, er kann sie hier nicht gestalten, sie zerrinnt ihm zwischen den Fingern." Es fehle die dicke Frontlinie, es gehe um noch unausgetragene, eiternde Konflikte. Trotzdem sieht Neshitov dann noch "großes Theater", das kommt so: Die vier Einzel-Erzählungen seien nicht repräsentativ im soziologischen Sinne, "da müsste Milo Rau 1001 Europäer auftreten lassen". Sie seien aber "repräsentativ im tschechowschen Sinne". "Im 'Kirschgarten' sagt Anja, die siebzehnjährige Gutsbesitzertochter: 'Was haben Sie mit mir angestellt, Petja, warum liebe ich den Kirschgarten nicht mehr wie früher?' In 'The Civil Wars' spielen Leysen und De Bosschere diese Szene nach. So gut, dass der russische Kirschgarten, was eigentlich eine komische Allegorie ist, die postpatriarchalische, brüsselisierte EU symbolisiert."
"In jedem der vier Individuen auf der Bühne öffnen sich Abgründe, und die bravourösen Schauspieler lassen uns tief hineinblicken", schreibt Barbara Villiger Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (29.8.2014). Was es aber mit der Diagnose einer vaterlosen Generation oder gar Gesellschaft auf sich habe, die geradewegs in die Apokalypse rast (Klimakatastrophe, Migration, Bürgerkrieg, Festung Europa): Da verkürze Milo Rau doch einiges. "Der Überbau klappert beträchtlich." Um grosse Worte sei "dieser mit Thesen und Theorien gewappnete Regisseur" beinahe etwas zu wenig verlegen, wenn er im Programmtext seine Figuren interessanter findet, als es Figuren aus einer Tragödie von Euripides sein könnten, weil sie exemplarischer seien. Rau vergleiche da "sehr unterschiedliche Diskurse miteinander" – und der Vergleich wirke "erst noch" schief. "Denn die nacherzählten, in der Narration nach-erlebten Biografien sind keine Exempla, sondern Beispiele unter zahllosen weitern, die bestimmt gleichberechtigt wären." Trotzdem kommt die Rezensentin zu dem Schluss: "Die kleinen Schwestern, deren Vater über dem Reisekoffer in Tränen ausbricht beim Gedanken an das unterprivilegierte Kind, dem er seine Mitbringsel abkaufte; der Knabe, dessen Mutter die Familie durchfüttert, während das arbeitslose Familienoberhaupt nachts durch das Haus schleicht, Unruhe und Beunruhigung weckend – sie zeichnen ein gesellschaftliches Hologramm, in dem auch wir uns plötzlich wiederfinden." Auf diese Weise spiegele Milo Rau die Welt im Detail.
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Nur zur Info: "Islamic State executes dozens of Syrian army soldiers: monitor" [Quelle: http://www.reuters.com/article/2014/08/28/us-syria-crisis-idUSKBN0GS10O20140828 ] - Gabs da keine Szene, kein Wort zu solchen Zusammenhängen?
(Sehr geehrte Diskutanten, die Beleuchtung der Überzeugungen von IM Lustig in den letzten Postings führt jetzt doch weg von der Inszenierung Milo Raus, scheint's. Also bitte nicht weiter zu Incels - auch wenn es instruktiv war, den Begriff zu googeln -, sondern zur Sache. Mit freundlichen Grüßen aus der Redaktion, Christian Rakow)
@7: Danke, das war ein wichtiger Zusammenhang.
Salafisten und IS usw. sind tatsächlich ein Problem, aber doch eher im Kontext des Politischen. Mich würde daher interessieren, wie Milo Rau überhaupt dazu kam, dieses Thema jetzt plötzlich auf einer privaten bzw. (familien-)psychologischen Ebene anzulegen.
Und: Rau zeigt zwar die völlige Demontage der Väter, aber was daraus folgt ist nicht eine billige Patriarchatskritik, das gerade nicht. Wenn der Niedergang der Väter mit dem kommenden Weltuntergang assoziiert wird, dann ist das zwar starker Tobak, aber es verweist darauf, dass das Patriarchat nicht in Unterdrückung und Herrschaftsbegriffen aufgeht, wie das die Gendertheorien gerne hätten, sondern dass es mit dem Monotheismus die Herrschaft des Gesetzes über die verstrickenden familiären Muster und den Fatalismus des Schicksalsglaubens gebracht hat. Über Alternativen, auch matriarchale soll man nachdenken, aber wo man wie Rau den Dschihad und den Zerfall des Humanen erklären will muss man das Patrirachat verstehen und das erbärmliche Zurücksinken der Menschen in ihre familiären Kleinhöllen, durch dessen Niedergang.
Dass Rau in diesem Setting die Vaterrolle an sich reisst und sie noch einmal wie sie gemeint sein könnte hoch hält indem er das Familiensetting auf der Bühne als Triumph der Reflexion und der Erzählung über die Affekte zeigt, ist zwar ein patriarchaler Befreiungsakt, aber ein schöner und immerhin ist er einer. Es ist wenn man so will Gottesdienst, aber wenn schon nicht protestantisch, sondern katholisch, barock, tridentinisch.
Und dieses Mann-Werden über das Kämpfen, das ist ja auch in anderen Kontexten bekannt, z.B. in Bezug auf die deutsche Bundeswehr(-Werbung).
Jede/r weiss, dass es "zu softe" Väter gibt, welche ihren Söhnen kein Gegenpart sein können und/oder eben ganz abwesend sind. So können sich diese Söhne nicht an ihren Vätern abarbeiten, um zu einer eigenen, männlichen Identität zu finden. Und dann suchen sich manche dieser Söhne offenbar andere Väter, Ersatzväter, in pervertierter Form.
Und jede/r weiss auch, dass es Väter gibt, welche ihre Söhne zur Bundeswehr schicken, damit sie "ein richtiger Mann" werden. Auch damit zerstören diese Väter das ganz Eigene ihrer Söhne. Die kommen dann möglicherweise traumatisiert aus dem Krieg zurück, was wiederum problematisch für deren Familien und/oder Frauen ganz allgemein werden könnte. Ein Mann, welcher im Krieg nur noch triebhaft agieren musste, kann schnell zum Vergewaltiger in Friedenszeiten werden. Kann, nicht muss. Aber die Gefahr besteht.
Freie Liebe? Das hat sich doch auch längst als eine pervertierte Ideologie herausgestellt, welche vor allem den Männern genutzt hat. Rainer Langhans als "Besitzer" eines ganzen Harems von Frauen, zum Beispiel. Wer anderes behauptet, ist ein Mann und/oder lügt sich in die eigene Tasche. Und zudem ist die Emanzipation der Frau und der Homosexuellen doch mittlerweile zum Teil in eine Richtung gekippt, welche sich wunderbar durch die neoliberale Globalisierung instrumentalisieren ließ und lässt. Sprich: Wenn jede/r nur noch seinen eigenen sexuellen bzw. Konsum-Bedürfnissen nachgeht und seine Sexualpartner danach sofort wieder wegwirft wie Müll, dann ist er ein dem globalen Markt besonders nützliches Subjekt. Weil er nicht, wie zum Beispiel eine Frau durch Schwangerschaft, daran gehindert wird, seine Arbeitskraft auch weiterhin dem freien Markt zur Verfügung zu stellen. Vorausgesetzt natürlich, dass es sich um eine "kontinuierliche Arbeitsbiografie" handelt. Und genau da liegt der Unterschied zwischen Frauen und Männern beim Konzept der freien Liebe. Männliche Biografien gehen bruchlos weiter, weibliche werden "biologisch" unterbrochen. Und die frischgebackenen, sexuell freien Väter ficken - tschuldigung - munter weiter. (...)
IM Lustig, Sie verdrehen Ihre Argumente im Sinne allein ihrer eigenen Interessen. Männer waren immer schon sexuell befreit, so sieht's einfach mal aus. Und ich will die Frauen auch nicht wieder ins Private zurück schicken, verstehen Sie das nicht falsch. Aber schauen Sie sich doch mal die Mehrheit weiblicher Alleinerziehender an. Frauen verdienen sowieso immer noch weniger als Männer. Und dann können gerade Alleinerziehende meistens auch nur noch in Teilzeit arbeiten, wegen der Kinderbetreuungszeiten. All das wäre nur zu vermeiden, wenn sich mehr Väter an der Erziehungsarbeit und Kinderbetreuung beteiligen würden. Dann wäre auch das Problem der abwesenden Väter bzw. des abwesenden männlichen Vorbilds gelöst.
Sexuelle Befreiung heisst, dass es Frauen genauso wie Männern offen steht, sich nicht bis zur Ehe (wenn überhaupt Ehe) keusch zu verhalten, sondern ihre Sexualität auszuleben. Soweit gehe ich mit. Und das war ja auch der Impuls der Alt 68er. Heute hat sich das in meiner - und nicht nur in meiner - Perspektive bereits wieder verändert. Man nennt es die "Generation Porno", welche sich zugleich einerseits in den Unterschichten und andererseits in der reichen Oberschicht findet. Eine "normale Sexualität" gibt es dazwischen kaum noch. Das können Sie alles bei Robert Pfaller nachlesen. Es entspricht aber auch meiner Wahrnehmung von gesellschaftlichen Entwicklungen UND meinen Erfahrungen.
Was Sie so auf die Palme treibt und warum, das würde ich wirklich gern wissen. Und daher auch Ihren Klarnamen. Sie fühlen sich offenbar vom angeblichen Matriarchat verfolgt, was ich nicht unterschreiben kann und was mir als Persönlichkeit auch nicht entspricht. Denn es geht nur gemeinsam. Aber offenbar nicht mit jedem Mann. Warum sind Sie so überempfindlich?
"Männer haben in dieser Gesellschaft keinen Platz, außer als Kinderbetreuer - was, nebenbei, bei Kindern erst so richtig ab drei Jahren Sinn macht."
Erklären Sie mir bitte mal, was man mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren macht. Wachsen die bis dahin auf Bäumen? Erntet man die dann und topft die um? Oder wie soll ich das verstehen?
Sie outen sich hier gerade, glaube ich, als übriggebliebener, trauriger Maskulist, oder wie immer man das heute nennt, und stellen sich damit, ob nun bewusst oder nicht, in eine Ecke, aus der sie schwer wieder rauskommen werden. Das scheint auch ein wenig ihr Problem zu sein. „Rumschrobeln“ tun Sie hier nämlich gerade ganz schön und kommen auch noch arg ins Schleudern damit. Die Befreiung des Mannes von was bitte? Da hätte ich schon gern ein paar Erklärungen. Aber kommen Sie mir nicht mit den Geheimnissen des ewig Weiblichen, das die Männer um den Verstand bringt und sie dann erst zum Täter macht. Die Frauen sind an allem Schuld. Klar, dann werden Sie halt schwul, hat sich das Thema erledigt. Denkste. Aber Erziehung ist schon das Ding, wo es hapert, da haben Sie Recht. Nur vermutlich nicht so, wie Sie sich das vorstellen. Und gut zu wissen, dass der Antifeminismus nicht nur ein Hobby von konservativen Westmännern ist.
@Stefan: Ich stand schon als Jungpionier in der Ecke, weil ich mich so schwer ins sozialistische Klassenkollektiv einordnen konnte, obwohl ich wollte. (...) Kommt raus aus euren Löchern und erklärt mir, wie ihr die Welt retten könnt, vor Flintenuschi, ISIS und Co. - was hat eure Welt zu bieten, außer begrifflichen diskursiven Abgrenzungen?
(...)
Mich interessieren neue Denkwege und ich frage mich, ob Milo Rau etwas geleistet hat. Wer hats gesehen? Wer kann antworten?
Ich halt mich ab jetzt zurück und will lieber mehr von euch wissen!
(...)
In CIVIL WARS ist die Tschechow-Szene ein kleiner Baustein dabei, unsere Theatertraditionen zu reflektieren und mit dem Gesellschaftlichen und Politischen zu verbinden. So etwa das Bühnenbild der leeren Barocktheaterloge ("Theatrum mundi"? "Königsloge"?), das den Abend rahmt und im Hintergrund des "Wohnzimmers" heimlich mitspielt. So etwa die Erzählungen über französische und flämische Darstellungsmoden oder die Anekdote von Schauspieler Leysen, der sich von Godard allein gelassen fühlte bei der Ausgestaltung seiner "Rolle". Die Verknüpfungen und Symboliken von Gott/Allah, König, Vater, Psychiater, Regisseur - um auf die hier eskalierende Diskussion über "Patriarchat" einzugehen - sind in der Inszenierung (ich sah sie in Zürich) außerordentlich klug, subtil und vielschichtig. Übrigens zwar von einer Regieposition "gecastet" und "sortiert", aber von vier eigenständigen und interessanten SchauspielerInnen erlebt und vorgetragen. Während sie berührend pur, intim und authentisch erzählen, machen sie die „Inszenierung des Authentischen“ auch zum Thema. Und meinen es dann doch ganz ernst.
Ach, Stichwort Reza. Klar, es gibt vier Menschen und ein Sofa. Wie bei Reza, Rinke, Albee, etc. Ein Genre. Salonstück. "Vorbühnenstück". Das aufzugreifen, aber im doppelten Wortsinn zu "drehen" und neu zu denken empfand ich als weitere Stärke des Abends: hier wird die Couch tatsächlich für eine Psychoanalyse der Gesellschaft genutzt. Aber wer ist der böse Wolf? "Who's Afraid of the Big Bad Wolf?"
ZITAT: "Das aufzugreifen, aber im doppelten Wortsinn zu "drehen" und neu zu denken empfand ich als weitere Stärke des Abends: hier wird die Couch tatsächlich für eine Psychoanalyse der Gesellschaft genutzt."
Die Bedeutung würde man ihm nie zuordnen, weil man nur in witzig, witzig denkt, aber dort wurde doch all das schon mal verhandelt?
Während der Recherchen im dschihadistischen Umfeld warf Milo Rau sein Konzept über den Haufen. Das Interview mit Joris, der auf Druck seines Vaters aus Syrien zurückkehrte, bildet nur den Anfangs- und Endpunkt eines Abends, der auf verschlungenen Pfaden ganz anderen Themen folgt. Im Zentrum stehen die vier Schauspieler (je zwei aus Belgien und Frankreich) Karim Bel Kacem, Sara De Bosschere, Sébastien Foucault, Johan Leysen und ihre Familiengeschichten. Sie nehmen abwechselnd in einem recht abgenutzt wirkenden, mit Nippes zugestellten Wohnzimmer Platz, das auf der Rückseite einer Theaterloge im Barock-Stil eingerichtet wurde, und filmen sich gegenseitig, während sie sich Ausschnitte ihrer Biographien erzählen.
Der berühmte Anfang von Leo Tolstois Anna Karenina erweist sich auch hier als zutreffend: »Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.«. Ein wiederkehrendes Leitmotiv dieser oft stark zerfasernden und ausfransenden Lebensbeichten ist die Sehnsucht nach abwesenden Vätern. Nach Vätern, die dem Alkoholismus verfallen sind, die an Depressionen erkrankt sind oder jung bei einem Autounfalls ums Leben gekommen sind. In fünf Kapiteln kreisen die autobiographischen Erzählungen der vier Schauspieler außerdem um die Frage, wie sinnvolles politisches Engagement heute aussehen könnte – einige Jahrzehnte nach manchen geplatzten Illusionen und revolutionären Träumen der Eltern, die sich in der 68er-Studenten-Rebellion engagierten und in den diversen konkurrierenden maoistischen und trotzkistischen K-Gruppen der 70er Jahre aufrieben. Oder sie befassen sich mit ihren Erfahrungen in der Kunst, mit berühmten Regisseuren wie Peter Brook und Jean-Luc Godard.
Diese kurze Beschreibung macht schon deutlich: Sehr unterschiedliche Diskurse werden hier aneinandergereiht. Die beiden Ausschnitte aus den Salafisten-Interviews am Anfang und Ende dienen kaum noch als Klammer, sondern bilden eher einen losen Rahmen für die Couch-Erinnerungen.
Dennoch: Auch wenn sich The Civil Wars weit von seiner Ursprungsidee entfernt haben und die Ausführungen der Schauspieler streckenweise langatmig und an der Grenze zur Banalität daherkommen, gelingt es Milo Rau und seinen vier Akteuren doch immer wieder, das Publikum einzufangen. In dem mehr als zweistündigen, von klassischer Mosaik untermalten Wort-Teppich aus autobiographischen Erlebnissen leuchten prägnante Formulierungen auf. In diesen Momenten spiegeln sich in den Einzelschicksalen allgemeingültigere Erfahrungen. Dafür lohnt sich der Theaterabend doch noch.
http://kulturblog.e-politik.de/archives/24734-f-i-n-d-2015-milo-rau-blaettert-in-civil-wars-durch-familienalben-vier-saddam-hussein-doubles-irrlichtern-durch-eine-performance.html
Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/04/21/im-namen-der-vater/