Kommentar zur Entlassung von Burgdirektor Matthias Hartmann
Abnehmende Scheinriesen
von Nikolaus Merck
11. März 2014. Pardauz. Es ist vorbei. Wegen "erheblicher Verletzungen der Sorgfaltspflicht eines Geschäftsführers" ist Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann vom zuständigen österreichischen Kulturminister Josef Ostermayer heute entlassen worden. Ein Defizit von mindestens 8,3 Millionen Euro für das Jahr 2012/13, das sich gleichsam hinter dem Rücken des Burgtheaterdirektors heimlich und von ihm unbemerkt gebildet hat, kostet ihn jetzt sein Amt. Gegen den Rauswurf will Hartmann klagen.
Anfang dieses Jahres suspendiert worden. Wegen zahlloser offenbar höchst bizarrer Überweisungen über 10.000 Euro in ihrer Zeit als Geschäftsführerin. Hartmann will davon nichts gewusst haben, sagt er.
In Hartmanns Vertrag als Burg-Vormann, den die ÖVP/FPÖ-Regierung 2006 mit ihm abgeschlossen hatte, war festgelegt worden, dass alle Vereinbarungen und Verträge der Burg, die mehr als 10.000 Euro kosten, von den beiden Geschäftsführern des Burgtheaters, dem künstlerischen und dem ökonomischen, abgesegnet werden müssen. Die Direktorin fürs Geschäftliche Silvia Stantejsky war letztes Jahr zurückgetreten, zur Vizedirektorin avanciert undHartmanns Hybris
Das, was in den Kassastuben der Burg abgelaufen ist, werden Untersuchungen zu Tage bringen. Wann auch immer. Dass Burg-Aufsichtsratschef Georg Springer sein Amt von sich aus aufgibt, ist folgerichtig, schließlich ist der Mann seinem eigentlichen Job, das Geschäftsgebaren des Theaters zu kontrollieren, ganz offensichtlich nicht nachgekommen. Dass Springer Chef der Bundestheaterholding bleiben will, möchte man von Berlin aus als eine österreichische Lösung oder schlicht eine Guttenbergiade bezeichnen.
Matthias Hartmann seinerseits ist an seiner Hybris genauso gescheitert wie an seiner Inkompetenz. Der Manager eines 60 Millionen-Betriebes mit über 400 Angestellten, der mehr verdient als der österreichische Bundeskanzler, kann nicht einfach erklären, er habe von betrügerischen Vorgängen an seinem Haus nichts gewusst. Es ist sein Amt, Unterschleif zu verhindern, zumal, wenn er bereits Verdacht geschöpft hat und einen Theatermanager aussendet, um die Bücher zu prüfen.
Vom Zampano zum Opfer
Aber Hartmann hat nicht nur seine ganz normalen Pflichten als Theaterdirektor nicht erfüllt, er war zugleich auch ein miserabler Krisenmanager in eigener Sache. Dabei hat er in den vergangenen Wochen so viele Rollen probiert: den Krokodilstränen-Vergießer als er seine Vizedirektorin Silvia Stantejsky auf Weisung vom Dienst suspendieren musste. Den unverstandenen Patriarch, der sich arg wundern musste, als seine SchauspielerInnen ihm das Misstrauen aussprachen, weil sie offenbar gar nicht verstanden hatten, wie sehr er sich für sie doch in die Bresche geworfen hatte. Den Künstler mit dem Bonus eines besonderen ökonomischen Sachverstands, der erst die Schauspielhäuser in Bochum und Zürich saniert und sodann der Burg Erfolg und Ruhm beschert hatte.
Weil aber daran fast gar nichts wahr war, musste Hartmann auch dieses Gewand des ökonomischen Zampano alsbald mit dem des Gesunden-Menschenverständlers vertauschen, der die Hände überm Kopf zusammenschlug, als er sah, dass an der Burg das sich anhäufende Defizit mit in den Depots vergammelnden, unbrauchbaren Bühnenbildern verrechnet wurde, der aber leider die Wirtschaftsprüfer vom Widersinn dieser Praxis nicht zu überzeugen vermochte. Und zuletzt: Hartmann, das unverstandene Opfer einer Hetzjagd der Medien, der, um die Debatte zu versachlichen, seine Geschäftsführertätigkeit, also sein halbes Amt nun doch lieber zurücklegen wollte.
Und die Folgen?
Vergeblich. Umsonst. Perdu. Matthias Hartmann, der sich als den Besten der Besten verstand, ist schmählich aus dem Amt gejagt worden. Das ist selbst in Österreich, dieser, laut Thomas Bernhard, größten aller Komödien, bisher noch nicht vorgekommen.
Aber was bedeutet dieser Rauswurf über den Einzelfall hinaus? Ist die Zeit der feudalen Geldverschwender an der Spitze der großen Theaterhäuser wirklich vorüber, wie es ein Kommentator hier vermutet hat? Oder geht es beim Hartmann-Rausschmiss darum, das größte und teuerste und berühmteste deutschsprachige Theater zu demontieren? Ist das Diktum des Ministers Ostermayer, "keinen Cent zusätzlich für die Burg, um das Defizit auszugleichen", nicht ein Hinweis darauf, dass es dem Theater generell nun an seinen kostspieligen Kragen gehen soll?
Theater als Selbstbedienungsladen
Wohl nicht. Natürlich ist die Ära der Groß-Künstler und Betriebs-Lahmleger, wie Einar Schleef und Peter Zadek es waren, im Schauspiel eher abgelaufen. Und natürlich stehen die Theater in der Dämmerung des Bildungsbürgertums alten Schlages, für das der "Faust" und Shakespeare zur Grundausstattung des richtigen Lebens gehörte, unter verschärfter Beobachtung. Die Geldrauswerferei mit vollen Händen gilt in Zeiten der Bankenkrisen als unsexy. Banken moralisch empört anzuklagen für eine Boni-Praxis, die man selber betreibt, wirkt nicht überzeugend. Selbst wenn sich Banken- und Burgkrise in total unterschiedlichen Größenordnungen abspielen.
Das hartmanneske Gebaren jedoch ist vor allem Ausweis einer Hybris, wie sie im deutschsprachigen Theatersystem prachtvoll gedeiht. Matthias Hartmann hat nicht nur sein Theater offensichtlich als Selbstbedienungsladen verstanden, in dem der Chef sich selbst nach Kräften extra honorierte, künstlerisch eher durchschnittliche Inszenierungen produzierte und in dem er ohne Gespür für den symbolischen Gehalt die eigene Verwandtschaft anstellte. Er hat auch versucht, mit dem Burgtheater als eine Art österreichischer Universalbehörde, in der ungarischen Kulturpolitik mitzumischen. Gerade dieser missratene Versuch, Politik vom hohen Ross herab zu betreiben (und zugleich keine Ahnung davon zu haben, an wen der Einlassdienst im eigenen Haus outgesourct wurde), zeigt den Intendanten Matthias Hartmann in seiner wahrhaftigen Gestalt: als Scheinriesen. Zeiten, in denen die Scheinriesen aus dem Amt gehen müssen, sind prinzipiell keine schlechten Zeiten.
Alles zur Affäre um die Entlassung der Burgtheater-Vizedirektorin Silvia Stantejsky und die aktuelle Krise des Burgtheaters finden Sie zusammengefasst in unserer Chronik. Außerdem ein Kommentar zum Drama ums Burgtheater von Norbert Mayer (18. Februar 2014).
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Die originelle Finanzpolitik am Burgtheater, das geht doch deutlich aus allen Berichten hervor, hat offenbar eine Tradition, die viele Jahre älter ist als Hartmanns Intendanz. Ich glaube auch nicht,dass keiner der diversen österreichischen Entscheidungsträger davon wusste. Wien ist eine kleine Welt. Sie sehen sich alle, andauernd.
Jeder in deutschsprachigen Theaterlandschaft staunt doch seit Jahrzehnten neidvoll in Richtung Wiener Luxus, in Richtung Burg - mit ihrem unglaublich überdimensionierten Ensemble und dem ungeheuren Budget.
Ich glaube des weiteren, dass es völlig weltfremd ist, anzunehmen, viele andere regieführenden Intendanten würden sich mit den Details der Buchhaltung und des Vertrags- und Rechnungswesens an ihrem Theater auskennen.
Denn genau dafür haben sie ja ihre Geschäftsführende Direktoren - mit der nötigen Ausbildung und dem nötigen Fachwissen. Sie sind Vertrauenspersonen, und der Intendant unterschreibt mit, wenn rechtlich nötig.
Fazit:
Hartmann ist meiner Ansicht nach ein Bauernopfer - das diesmal einen König erwischte.
P.S.: Übrigens, Herr Merck - zum Rechtsruck in Ungarn und den Folgen in der Kunstszene (z.B. -2012- die Berufung Attila Vidnyánszkys ans Nationaltheater Budapest oder die 2011er Berufung István Csurka und György Dörner ans Budapester Neues Theater) hat sich nicht nur Hartmann, sonder wirklich sehr viele Künstler und Theaterleiter im Deutschsprachigen Raum zu Wort gemeldet, u.a. im November 2011 die Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins.
Schön anzusehen und zugleich dämlich , dass sich einige Kulturjournalisten jetzt bereit sehen , "Kommentare" zu schreiben.
Schön und dämlich , weil alle bisher bekannten Details zu einem Meinungsbild geschustert werden.
Diesen Hybris-Viel-Geld-Ausgeb-Käse hat doch vorher Keinen interessiert.
Und vor Hartmann an der Burg keine Fragen aufgeworfen .
Als ob der jetzt alles erfunden und installiert hätte.
Wenn es um Mitwisserschaft ginge , würde ich nicht nur dem Kopf des Fisches fristlos kündigen.
Aber zu solch einer Recherche bzw. Kommentar scheint das Feuilleton nicht in der Lage zu sein.
http://tvthek.orf.at/program/ZIB-24/1225/ZIB-24/7607312/Gespraech-mit-Roland-Koch-und-Peter-Simonischek/7607318
Und ein PS: Über die Stimmung im Publikum wird leider überhaupt nicht berichtet!
Diese sogenannte Bundestheater-Holding ist aus der Tradition der K. & K. Theater-Kanzleien hervorgegangen. Und wurde 1999 pro forma privatisiert. Die Tradition sehr viele wichtige Posten mit Personen aus der politischen Sphäre zu besetzen, ist dadurch nicht abgerissen, sondern hat sich eher noch verstärkt.
Das grandiose Gesamtbudget dieser Konstruktion verführt dazu, zu glauben, dass man in Wien künstlerisch mehr machen kann als anderenorts. Dass aber ein Großteil dieser Gelder in nichtkünstlerischen Belangen gebunden ist, dass entdeckt sich erst sehr spät.
Der agierende Minister hat keinen seiner Parteikollegen, die ins Theater-Management seit Jahren involviert waren ernsthaft zur Verantwortung gezogen hat.
Modernes, effizientes Management ist in diesem Filz eigentlich nicht möglich und auch nicht gewünscht.
Und: Hat eine Untersuchungskommission jemals was herausgefunden? Oh du mein Österreich...
Schauspieler sprechen über die Situation.
Was für ein jämmerlicher Abgang.
Ich staune, dass niemand widerspricht, wenn die Worte Königsmord oder Kopf-ab usw. im Zusammenhang mit dieser Entlassung benutzt werden: Hartmann lebt doch! Ob der Minister noch Parteikollegen, die ins Theater-Management z.B. über die Holding, involviert waren, zur Verantwortung ziehen wird, wird die Zukunft zeigen, da bräuchte man dafür ja ebenfalls erst justiziable Belege. Ob der Minister Ostermeyer gewillt ist, solche Belege überhaupt zu finden, muss jedoch die österreichische Öffentlichkeit goutieren. Z.B. bei der nächsten Wahl…
Der Gedanke liegt wirklich nahe, dass in diesem – zweifelsfrei filzig angelegten – kulturpolitisch relevanten Kapitalumgang ein modernes, übersichtliches Management, dass das Licht nicht scheuen braucht, nicht erwünscht ist. Es wäre dann genau deshalb nicht möglich. Weil gar nicht erwünscht… Einmal mehr: schade-
So ein Haus! Solche Ressourcen! Solche tollen Schauspieler!
Ja, ich bin auch immer erstaunt dass so ein kompliziertes, irrationales, höfisch-verschwenderisches Theater System wie in Wien zu solch wunderbaren Ergebnissen führen kann. Vielleicht bedingt das eine das andere. Und ich finde das ja auch besonders.
Mich ärgert am meisten diese Pseudo-Privatisierung, die seit 1999 öffentlich vorgeführt wird. Das hat, wie man sieht, weder zu mehr Kontrolle noch zu mehr Sparsamkeit geführt. Ehrlicher wäre, das Effizienz-Geheuchel aufzugeben und statt dessen im Ministerium wieder einen Theater-Generalsektretär zu installieren mit mindestens zwanzig untergebene Sektionschefs, die streng nach Proporz besetzt werden, damit die Theaterrepublik Österreich anständig und stilvoll verwaltet wird.
Ja, da ist sicher noch was übrig geblieben von der höfischen Geste in Wien. Und tatsächlich kann der dauernde Aufenthalt in Ringstraßen-Gründerzeitbauten zu Realitätsverschiebungen führen.
H. v. Doderer und T. Bernard - Vorsicht! - Nicht zu viel davon!
Wenn ein selbstgerechter Herrscher im Stile eines Patriarchen Menschen zur Kunstproduktion anleitet, dann ist eher unwahrscheinlich, dass mehr entstehen kann als eine Befriedigung der Lüste eines Einzelnen. Die Summe aller Teile ist aber eigentlich mehr als eine Addition glauben machen kann. Wenn sich aber nur einer als relevante Größe und Entscheidungsgewalt in einem Betrieb geriert, wird Wachstum systematisch-strukturell verhindert. (wie zu starke Regisseure an Häusern von regieführenden Intendanten weggebissen werden ist da nur ein Beispiel, um diese Entwicklung zu unterstreichen)
Es ist eine falsche Analogie von guter künstlerischer Führung im Rahmen eines Probenprozesses auf die Führung eines ganzen Hauses zu schließen. Dass dem nicht so ist, kann man zuhauf besichtigen.
Wenn es eine Legitimation für derartiges Patriarchat (oder auch Matriarchat) gibt, dann höchstens dann wenn ein Regisseur sein Haus mit seinem Ensemble aufbaut und leitet wie es in anderen europäischen Ländern häufiger geschieht. Im Rahmen einer institutionellen, subventionierten, befristeten Stellenausfüllung hilft nur professionelle Arbeitsteilung. Alles andere ist dreistes Reklamieren von künstlerischer Freiheit in Bereichen, wo verantwortungsvolle weitsichtige Arbeit über den Horizont einer Premiere hinaus verlangt ist.