Was ist der Mensch?

30. September 2023. Wo bitte geht`s zum Gral? Und: Wie sieht der eigentlich ganz genau aus? Seit jeher begeben sich die (Un-)Glücksritter der Artussage auf Sinnsuche. Auch Maik Priebe stellt bei seinem Einstand als Schauspieldirektor am Landestheater Neustrelitz mit ihrer Hilfe die großen Menschheitsfragen. 

Von Frank Schlößer 

"Merlin oder Das wüste Land" in der Regie von Maik Priebe am Landestheater Neustrelitz © Arno Declair

30. September 2023. Diese Straße führt von Camelot über Schloss Helsingör, die Kaiserpfalzen, das Weiße Haus, den Kreml, die Führerhauptquartiere und Wandlitz bis ins Kanzleramt: Innere Kreise demokratisch legitimierter oder selbst ermächtigter Mächte. Dort verenden die Utopien in Pragmatismen, Realitäten, Banalitäten oder Intrigen und Verbrechen.

Ursula Ehler und Tankred Dorst stellen die Frage "Was ist der Mensch?" – und selbstverständlich stellt sie sich überall dort, wo man miteinander lebt, vom Altenheim bis zur Kleinfamilie. Mystische Königshöfe bieten jedoch vielfältige bühnenreife Antworten und entsprechende dramaturgische Fallhöhen. Von den "Rittern der Kokosnuss" bis zu Christoph Heins "Die Ritter der Tafelrunde" – die Artus-Sage und die Suche nach dem Gral war immer genügend verschwommen im Mystik-Nebel, um daraus eigene Konstellationen stricken zu können.

Vor dem Scherbenhaufen

Maik Priebe hat sich dieses Welttheater für seinen Einstand als Schauspieldirektor am Landestheater Neustrelitz ausgesucht und sich entschieden, die Story in den Vordergrund zu stellen. Der Zauberer Merlin wurde von seinem Vater, dem Teufel, mit der Aufgabe betraut, die Menschen vom Guten zu befreien, ihren Geist so zu öffnen, dass sie ihrer wahren Natur entsprechen, dem Bösen. Für dieses groß angelegte Experiment ermöglichen sie dem jungen, naiven Artus, das Schwert Excalibur aus dem Stein zu ziehen und geben ihm damit die Macht, seine Ideale von einem friedvollen, gerechten Land Wirklichkeit werden zu lassen. Und damit fängt das Theater an: Untreue, Verrat, Intrigen und simple Bosheit lassen das Königreich zugrunde gehen. Artus steht schließlich vor einem Scherbenhaufen.

Merlin oder Das wüste Landvon Tankred Dorst / Ursula EhlerRegie: Maik PriebeBühne und Kostüme: Susanne Maier-StaufenSounddesign und Komposition: Nils OstendorfKampfchoreografie: Thomas ZieschDramaturgie: Stefanie EsserPremiere am 29.09. im Landestheater Neustrelitz Herzeloide / Morgause / Blasius, der Chronist: Angelika HofstetterParzival / Sir Girflet: Karen KankeKönigin Ginevra: Anika KleinkeSir Gawain / Sir Bedivere / Elaine / Sir Gaheris / Sir Turquine: Josefin RistauHanne / Sir Agrawain / Morgane le Fay: Lisa ScheibnerKönig Artus: Bernd HölscherMerlin: Thomas PötzschClown / Sir Pinel / Mordred: Robert WillLancelot: Noah Alexander WolfTeufel / Schreiner / Sir Lamorak / Sir Astamor / Bischof: Burkhard WolfCopyright by Arno DeclairBirkenstr. 13 b, 10559 BerlinTelefon +49 (0) 30 695 287 62mobil  +49 (0)172 400 85 84arno@iworld.deKonto 600065 208 Blz 20010020  Postbank Hamburg IBAN/BIC : DE70 2001 0020 0600 0652 08 / PBNKDEFFVeröffentlichung honorarpflichtig!Mehrwertsteuerpflichtig 7%   USt-ID Nr. DE 273950403   St.Nr. 34/257/00024FA Berlin Mitte/TiergartenAnika Kleinke als Königin Ginevra und Bernd Hölscher als König Artus im "wüsten Land" © Arno Declair  

"Was ist der Mensch?" fragt Tankred Dorst in seinem "Weltgedicht". Und wenn’s nach ihm ginge, dann wäre "der Mensch" eine Flitzpiepe im generischen Maskulinum, den jeweils herrschenden Verhältnissen gnadenlos ausgeliefert, bis er auf der Nase liegt – wieder mal. Und vielleicht irgendwann endgültig. Selbstverständlich liefert auch Tankred Dorst keine wirkliche Antwort auf die "Sinnfrage", es gibt nur weiteren Denkstoff.

Deshalb stellen wir die Frage anders, ein paar Nummern kleiner: Wer ist Maik Priebe? Er ist der neue Schauspieldirektor am Landestheater Neustrelitz – und damit nur zwei Autostunden von seinem Geburtsort Schwerin entfernt. In einem wunderschönen kleinen Theater in einer besonders östlich gelegenen, bundesweit kaum registrierten Kulturlandschaft. Er ist erklärter Fan des Mecklenburger Weltschriftstellers Uwe Johnson – und das heißt: Das hier ist sein Land, sein Zuständigkeitsbereich, hier leben seine Leute, und er hat nach seinem Studium an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" seine Runden ausführlich absolviert. Bei Ingo Waszerska, Angelika Waller, Peter Zadek, Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler, Manfred Karge und anderen. In Weimar, Halle, Kassel, Wien, Augsburg, Göttingen und anderswo.

Viel Platz für eine untergegangene Welt

Jetzt ist Maik Priebe also fest installiert in diesem kleinen Theater mit einem kleinen, jungen Ensemble und einem kleinen Saal mit 400 Plätzen. Auch die Bühne ist klein, aber die Drehbühne – ideal für eine ritterliche Tafelrunde – bringt Drive in die Bilder. Die Akustik trägt, und eine Hebebühne aus dem Orchestergraben öffnet den Guckkasten zu den Zuschauern. Das Licht von der Seite bringt Dramatik in ein geradezu opulentes und sehr durchdachtes Bühnenbild mit kurzen Wegen und viel Platz für die untergegangene Welt der Ritter aus Helmen, Harnischen und Schwertern.

Merlin 5 ArnoDeclair uReife Ensembleleistung: Karen Kranke als Parzival und Angelika Hofstetter als Herzeloide © Arno Declair

Bernd Hölscher spielt König Artur in allen Phasen überzeugend – vom naiven Jüngling über den Sieger bis zum verzweifelten Tyrannen. Dieser Artus ist allerdings nicht als Hauptrolle angelegt, sondern als Teil des Ensembles: Ginevra und Lancelot, Parzival und Gawain, der Teufel und Merlin, Morgause und Hanne – sie alle bekommen ihre Auftritte. Eine reife Ensembleleistung, genauso wie es das Stück anlegt.

Ans künftige Publikum rangeschmissen

Trotz der Begrenzung auf zwei Stunden gelingt es Maik Priebe, die Geschichte opulent, aber uneitel zu erzählen und die verschiedenen Konstellationen und Schauplätze zu öffnen. Ohne artistische Schwertkämpfe, Videoeinspieler und lange Monologe. Ohne Hänger, dafür gibt es immer was zu gucken, anfangs sogar zu lachen. Mit Reminiszenzen an Monty Python und Game of Thrones, aber im Sounddesign eher zu Netflix passend.

Maik Priebe und seine langjährige Ausstatterin Susanne Maier-Staufen haben die Möglichkeiten der neuen Bühne und des Ensembles an diesem kleinen Haus entdeckt. Der neue Schauspieldirektor hat sich rangeschmissen an sein künftiges Publikum und ist gut gelandet. Viel Spaß bei der Arbeit!

Merlin oder Das wüste Land
von Tankred Dorst / Ursula Ehler
Regie: Maik Priebe, Bühne und Kostüme: Susanne Maier-Staufen. Sounddesign: Nils Ostendorf, Dramaturgie: Stefanie Esser.
Mit: Angelika Hofstetter, Karen Kanke, Anika Kleinke, Josefin Ristau, Lisa Scheibner, Bernd Hölscher, Thomas Pötzsch, Robert Will, Burkhard Wolf, Noah Alexander Wolf, Klara Maas, Kathrin Engel, Falk Jagszent, Falk May, Hendrike Stock.
Premiere am 29. September 2023
Dauer: 2 Stunden 35 Minuten, eine Pause

www.tog.de

Kritikenrundschau

Die "temporeiche" Inszenierung biete "alles, was großes Theater ausmacht", schreibt Frank Wilhelm im Nordkurier (2.10.2023): "Starke Charaktere und eine fesselnde Handlung, ein fantasievolles Bühnenbild und Emotionen, die tief ins Herz gehen. Den "reichlichen Schlussapplaus" habe sich "das gesamte Ensemble auf und hinter der Bühne für eine fulminante Inszenierung auf jeden Fall verdient".

Kommentare  
Merlin, Neustrelitz: Zu recht gefeiert
Dass Priebe seine kongeniale Ausstatterin Susanne Maier-Staufen mitbringen würde, war zu erwarten. Aber dass er Bernd Hölscher und den famosen Nils Ostendorf von der Schaubühne holen konnte? Ein großer Theaterabend, der da gestern zu Recht frenetisch gefeiert wurde. Und wenn dann die gesamte technische Mannschaft zum Applaus kommt, könnte der Respekt nicht größer sein!
Merlin, Neustrelitz: Beeindruckend
Der Start in Neustrelitz ist beeindruckend.....aus einem unspielbar scheinenden Mammutwerk wurde eine Fassung erstellt, die ein Ensemble und Gäste geschlossen zusammenführt und eine nachvollziehbare Fabel erzählt.....ohne modernistische Effekthascherei mit den alten Mitteln des Theaters und dabei Bilder und Emotionen gekonnt über die Rampe bringt... keine plakative Aktualisierung, sondern Theater für alle Sinne und die Aktualität entsteht im Kopf des Zuschauers..... Gratulation und Danke für diesen tollen Theater Abend .....abseits der Metropolen
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