Herz der Finsternis - Jan-Christoph Gockel reist in Bonn mit Joseph Conrads Erzählung in unser eigenes finsteres Herz
Das lächerliche Licht
von Sascha Westphal
Bonn, 23. April 2015. Die "Roi des Belges", ein kleiner und etwas notdürftig zusammen gezimmerter Flussdampfer, den Julia Kurzweg mitten auf die Bühne der Halle Beuel, der Außenspielstätte des Schauspiel Bonn, gestellt hat, befindet sich von Anfang an in leichter Schräglage. Ein deutliches Bild für die Realität des europäischen Kolonialismus. Die, die vorgeben, Licht in die Finsternis zu bringen, wollen in Wahrheit doch nur ihren immer größer werdenden Hunger auf Elfenbein und Diamanten, Coltan und Gold befriedigen.
Nur darum geht es dem von Alois Reinhardt verkörperten Leopold II., dem König der Belgier, wenn er nach der Kongo-Konferenz 1884/85 in Berlin den Kongo zum Freistaat erklärt. Als alleiniger Herrscher kann er ihn nach Belieben ausbeuten und plündern lassen. Und natürlich ist auch Herr Kurtz, dieser dem Wahnsinn verfallende Elfenbeinhändler aus Joseph Conrads Erzählung, einer jener Heuchler, die in den vergangenen 150 Jahren statt Licht eine andere, noch viel dunklere Finsternis nach Afrika getragen haben.
Nicht jeder bekommt ein Stück vom Kuchen
Jan-Christoph Gockel springt in seiner Bearbeitung von Conrads 1902 erstmals erschienener Erzählung unbekümmert zwischen Fiktion und Dokumentation hin und her. Mal spielen Laura Sundermann, Benjamin Grüter, Alois Reinhardt, Hajo Tuschy und Komi Togbonou Figuren aus Conrads Porträt des Wahnsinns namens Kolonialismus. Mal verkörpern sie historische Persönlichkeiten. Der Exkurs über die Berliner Kongo-Konferenz, in deren Verlauf die großen und die nicht ganz so großen Kolonialmächte Europas Afrika unter sich aufteilen, ist reines Kabarett.
Das absurde Kostüm und der graue Rauschebart von Leopold II. verleihen dem Ereignis tatsächlich etwas von einem "großen Kindergeburtstag". Der schwarze Schauspieler Komi Togbonou bringt das Unverhältnismäßige der Konferenz mit dieser Charakterisierung auf den Punkt. Und wie bei einem Kindergeburtstag gibt es auch in dieser Szene einen großen, mit Schokolade überzogenen Kuchen, über den sich die Engländer und Franzosen genauso hermachen wie Leopold. Nur Laura Sundermanns Bismarck gibt den Zeremonienmeister und hält sich zurück. Mit strengem Blick überwacht er alles, auch die Verteilung des Kuchens ans Publikum. Aber seine Versuche, die Kontrolle zu bewahren, scheitern. Natürlich bekommt nicht jeder ein Stück, obwohl doch genug für alle da wäre.
Whitefacing Kurtz
Der Kolonialismus trägt in Jan-Christoph Gockels Inszenierung unverkennbar lächerliche Züge. Das ganze, sich nun schon über beinahe 150 Jahre hinziehende Kapitel in der Weltgeschichte ist eine einzige Absurdität. Also spielt ausgerechnet Komi Togbonou mit weiß angemaltem Gesicht den Kolonialisten Kurtz, der die drei 'Wilden' Benjamin Grüter, Alois Reinhardt und Hajo Tuschy belehrt und bedroht. Eine Farce, bei der einem aber spätestens, als er die drei zur Jagd schickt, das Lachen im Hals stecken bleibt. Videobilder von erschossenen Elefanten und abgetrennten Stoßzähnen erzählen von den Verheerungen der europäischen Gier.
Die Groteske wird blutig. Und schon ist der Boden für eine andere Figur der finsteren Historie bereitet: Kongo-Müller, der deutsche Söldner, der in den 1950er und 60er Jahren in Afrika gemordet und gefoltert hat. Im vergangenen Jahr hat Jan-Christoph Gockel am Stuttgarter Theater Rampe einen Abend über diesen Siegfried Müller herausgebracht. Das Bonner "Herz der Finsternis" ist nun Variation und Fortsetzung. Der Blick öffnet sich in die Vergangenheit. Kontinuitäten werden sichtbar, Bezüge offensichtlich. Müller erzählt von den Klavierabenden im Goethe-Institut im Kongo; und auf der Bühne intoniert Komi Togbonou immer mal wieder Schubert-Lieder. Doch das fadenscheinige Mäntelchen der Kultur verdeckt nichts. Das Blut sickert durch, während Institutionen wie die Goethe-Institute ihren Teil zur Ausbeutung und Unterdrückung eines ganzen Kontinents beitragen.
Ungeheure Wut, Zorn, Verzweiflung
Unter den Albernheiten, die vor allem Benjamin Grüter, Alois Reinhardt und Hajo Tuschy, inspiriert von einzelnen Episoden aus Conrads Erzählung, immer wieder veranstalten, schwelt eine ungeheure Wut. Auch wenn Gockel die europäisch-afrikanische Kolonialgeschichte als abstruse Posse inszeniert, hat dieser Abend nichts Verharmlosendes an sich. Das Lachen ist hier ein Ventil der Verzweiflung. Ebenso der Zorn, den Laura Sundermann zunächst einmal mit Worten ("Tief in den schwarzen Kontinent wollt ihr euch reinstecken") und kurz darauf mit Maschinengewehr-Salven aus sich heraus schleudert.
Am Ende kippt dann das Schiff immer weiter zur Seite. Alles fällt heraus, auch die weißen Europäer. Nur Komi Togbonou bleibt zurück auf dem Dampfer, der nun "Roi d'africe" heißt. Nun ist alles Lachen endgültig verklungen. Das Grauen, das Kurtz in seinen letzten Worten beschwor, kommt nach Hause: Europa, der schwärzeste Kontinent, das eigentliche Herz der Finsternis.
Herz der Finsternis
nach Joseph Conrad, für die Bühne bearbeitet von Jan-Christoph Gockel und David Schliesing
Uraufführung
Regie: Jan-Christoph Gockel, Bühne: Julia Kurzweg, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Jacob Suske, Licht: Helmut Bolik, Dramaturgie: David Schliesing.
Mit: Laura Sundermann, Benjamin Grüter, Alois Reinhardt, Hajo Tuschy, Komi Togbonou.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.theater-bonn.de
Über all ihren "Sinne und Geist betäubenden audiovisuellen Effekten" habe die Inszenierung "manchmal aus den Augen" verloren, "dass Sprechtheater mit Sprechkultur zu tun hat", schreibt Dietmar Kanthak im Bonner General-Anzeiger (25.4.2015). Das Problem: Die Inszenierung „verblödelt ihr Anliegen, kommt vor lauter Einfällen nicht auf den Punkt, liefert lieber grobkomödiantisches Überwältigungs-Stakkato statt Konzentration und Feinarbeit."
Einen "komplexen Abend über den Kolonialismus" hat Dorothea Marcus für "Fazit" auf Deutschlandradio (23.4.2015) gesehen. "Die These, dass Europa die Katastrophe Kolonialismus aus reiner Langeweile begann", lege in der Inszenierung "die pädagogisch-didaktische und zugleich zynische Bildungsfolie für alles, was folgt." In seiner starken Einkürzung der Erzählung von Joseph Conrad habe Gockel, der "ein Meister der Atmosphären und Brüche sei", die "verstörendsten Stellen" bewahrt.
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An diesem Abend scheint mir nichts zufällig. Eine geniale Komposition. Jeder Verweis, jedes historische und oder literarische Zitat schlägt ein. Genau das, was das Schauspiel Bonn gerade gebraucht hat, um zu beweisen, das Ensemble und Leitung die Richtigen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind! Ein brilliant schmerzhaft-lustvoller Abend.
Dass man während dieses Bewusstseins-Diskurs herzlich lachen darf und soll und muss und sinnlich berührt wird ist die große Leistung dieser Roman-Inszenierung. Ich fühlte mich sehr wohl-unwohl
Danke für diesen Blick ins Herz der Finsternis!
Der Kritiker bemängelt die fehlende Sprechkultur, mangelnde Figurenentwicklung und eine Verblödelung eines hehren Anliegen.
Teilweise kann ich dem Kritiker dort zustimmen:
manchmal hat man tatsächlich kaum etwas verstanden, manchmal hat sich der Regiesseur in der thematischen Vielfalt etwas verzettelt,
und manchmal hätte man sich gewünscht, den Figuren psychologisch etwas besser folgen zu können. Okay. Aber es war unterm Strich doch ein selten unterhaltsamer und aufrüttelnder Abend, wie ich ihn in Bonn seit dem Neustart noch nicht gesehen habe. Herr Westphal hat hier eine intelligente Interpretation geschrieben, die sich zum Glück nicht an ein paar Unzulänglichkeiten aufhält, und die mir im Nachhinein noch ein paar Zusammenhänge klargemacht hat.
Etwas lauter reden dürften die (im übrigen sehr ausdrucksstarken) Schauspieler aber trotzdem gerne...))
Die vorstehenden Reaktionen zeigen wie das Bonner Schauspielvolk am Verdursten ist, sodass ein Tropfen Kongowasser es schon zum Jubeln bringt. (Allerdings lässt vor allem #2-Schreiber, der meinen Namen missbraucht, den Verdacht aufkommen, dass sich darunter auch eine Claque von Jubelpersern befindet). Also ein Licht in der Bonner Finsternis? Die Aufführung bot einen Stimmungsbilderbogen mit allerlei sehr bunten Einsprengseln auf einer Rutschbahn, beginnend mit einem größenwahnsinnigen King Leopold und verkarikaturierten Diplomaten aller Herrenländer (vulgo "Imperialismus"), dann folgend deutsch-melancholischen und abenteuerlustigen Männern, einsamer Frau in der Heimat, einer langen gespenstisch-schröcklichen Geisterbahn-ähnlichen Flussreise, Bäumchen-Wechsel-Spiel- "und Afrikaner, das bist Du!", oder "Afrika ist anders", aberwitziger Bereicherung, großen Unbekannten, endlich Massenmord an Mensch und Tier und schließlich einer Prise Geschichtsphilosophie synchron mit dem Erlöschen des Bühnenlichtes. In diesem schrägen Panoptikum, „ich-weiß-nicht-was-soll-es bedeuten?“, taten die Schauspieler und die Musikanten ihr Bestes. Doch der Rhein fließt noch immer an Bonn vorbei, - etwa nach Köln?
Paul Tostorf der Echte