Graf Öderland / Wir sind das Volk - Volker Lösch und der Dresdner Bürgerchor fühlen am Staatsschauspiel der Stadt auf den Zahn
Pegida, zieh dich warm an!
von Wolfgang Behrens
Dresden, 28. November 2015. Angsttraum eines Kritikers: Man reist zur Premiere nach Dresden, und schon vom elbseitigen Eingang des Zwingers hört man die Rufe: "Linke Bazillen!" "Lügenpresse!" "Theaterfuzzis raus!" Vor dem Schauspielhaus hat die Polizei alle Hände voll zu tun, den Zuschauern sicheres Geleit ins Foyer zu gewähren, Pöbeleien, Handgreiflichkeiten... Tatsächlich kommt es anders, von der Horrorvision – war sie ein heimlicher Wunschtraum, beseelt von der Hoffnung auf die grundstürzende Bedeutung des Theaters? – ist in der Realität rein gar nichts übrig. Kein Pegida-Anhänger, nirgends. Entspannt plaudernd begibt sich das Premierenpublikum in den Saal, man ist gewissermaßen unter sich. Es liegt fast so etwas wie Vorfreude in der Luft, denn gleich wird Volker Lösch, die Speerspitze des politischen Bürgerchor-Theaters, zum großen Schlag ausholen. Pegida, zieh dich warm an!
Frischs diffuse Selbstermächtigung
Als Grundlage seiner Abrechnung hat sich Volker Lösch ein Stück gesucht, das nicht gerade eine Erfolgsgeschichte hinter sich hat: Max Frischs "Graf Öderland". Nach seiner wenig akklamierten Zürcher Uraufführung von 1951 hat Frisch den Text noch zweimal gründlich umgearbeitet, einen wirklichen Durchbruch hat "Öderland" aber nie erlebt. Vielleicht wartet sie mit zu wenigen Identifikationsangeboten auf, diese seltsame Geschichte um einen Staatsanwalt, der seinem stets sich wiederholenden, bürokratisierten Alltag entrinnen und einfach nur – vermeintlich ideologiefrei – leben will, der zu diesem Zweck freilich ein gewalttätiges Regime der Axt einführt und sich schließlich an die Macht putscht. Eine Pointe bei Frisch ist, dass der existentialistische Furor der Selbstermächtigung des Individuums am Ende eben nicht in die Freiheit, sondern zu neuem Zwang führt, zur erneuten Wiederkehr des Immergleichen.
Das ist eine Pointe, die mit Pegida nicht viel zu tun hat. Auch Frischs Staatsanwalt schart zwar schnell eine Anhängerschaft um sich, und auch seine Bewegung wird erst einmal sträflich unterschätzt – die Stoßrichtung der Axtleute ist aber eine gänzlich andere, denn eigentlich gibts da gar keine Richtung, sondern nur eine diffuse "Carpe diem"-Philosophie: "(...) es lebe ein jeder, solang die Sonne scheint. Herrlich ist er und frei."
Texte zum Fürchten
Irgendwie ist das wohl auch Lösch und den Seinen klar geworden, dass der "Öderland" kein allzu taugliches Vehikel für einen Anti-Pegida-Abend abgibt. Solange jedenfalls die Frisch'sche Fabel auf der Bühne abschnurrt, ist herzlich schlechtes Schauspiel zu sehen, und man könnte fast meinen, das sei auch noch Absicht. Die Texte werden lauthals herunterdeklamiert, ein wenig darf auch chargiert werden – bloß keine Psychologie! bloß keine Charaktere! –, und auch wenn von Leitzordner-Türmen über rauchende Kohlenmeiler bis hin zu riesigen Käfigen ein paar symbolisch griffige Bühnenbilder von Cary Gayler zu bestaunen sind, so ruft doch dieser ganze Inszenierungs-Teil: Hey, Leute, so wirklich interessant ist dieser Öderland-Kram ja nicht!
Zum Glück ist da aber noch der andere Teil des Abends, der sich hinter dem Titel-Bestandteil "Wir sind das Volk" verbirgt. Hier pulst es mit einer ganz anderen Intensität! Löschs Team hat die unterschiedlichsten Stimmen von Dresdnerinnen und Dresdnern zum Pegida-Komplex gesammelt und aus ihnen eine Textcollage gebastelt, die einen das Fürchten lehren kann. In wechselnden Gruppierungen trägt der Bürgerchor das Material vor, in dem auch vor widerwärtigsten Ressentiments nicht zurückgeschreckt wird, wenn es etwa von den Flüchtlingen heißt: "Die sind wie Tiere, und noch schlimmer. Ab nach Auschwitz und Buchenwald! Da ist genügend Platz." Auf der anderen Seite berichtet ein Frauenchor von einer jungen Frau, die einem Deutschtürken gegen zwei rechte Schläger zur Seite sprang und daraufhin ihrerseits um ein Haar totgeschlagen worden wäre.
Aufgeheizte Atmosphäre
In zwischengeschalteten Monologen geben die Schauspieler wiederum ihrer Empörung Raum: Sie klagen die Tatenlosigkeit an, die des Publikums, das sich montags keinen Gegendemonstrationen anschließt, die der Politiker, auch ihre eigene. Die Ansprache könnte nun direkter kaum sein, Öderland ist weit weg, es herrscht die aufgeheizte Atmosphäre der Gegenwart. Jedes Statement der Schauspieler wird beklatscht, eine grandiose Wutrede von Annedore Bauer, die immer wieder die Bühne entert und immer noch einen draufsetzt in ihrem Zorn über die halbherzige CDU-Politik in Stadt und Land, wird von Juchzern unterbrochen und zuletzt frenetisch bejubelt.
Torsten Ranft karikiert mit Merkel-Robe und -Raute die quietistisch angehauchte Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin. Und Ben Daniel Jöhnk, der in "Öderland" den Staatsanwalt gibt, und Lea Ruckpaul fetzen dem Publikum mit komischen Körperexplosionen und stimmlicher Selbstverausgabung einen grausig-grotesken Zusammenschnitt aus authentischen Pegida-Zitaten entgegen. Das stille Gegenprogramm schließlich liefert der 17-jährige Syrer Joussef Safok, der mit seinem Smiley-Shirt so gar nichts Bedrohliches ausstrahlt und mit ruhiger Dringlichkeit von den Motiven und Umständen seiner Flucht berichtet.
Entschieden positioniert
Die Entschiedenheit, mit der sich das Theater hier positioniert, ist schon beeindruckend. Sehr beeindruckend sogar. Allerdings macht es Lösch seinem Publikum auch recht einfach: Ob man gerade dem guten oder dem bösen Dresden lauscht, das steht in keinem Augenblick in Zweifel. Das Dresden dieses Abends ist schwarz-weiß: Kippfiguren, bei denen man sich bei den eigenen Unsicherheiten, bei den eigenen irrationalen Ängsten, vielleicht auch bei den eigenen Rassismen ertappt fühlen könnte, werden gemieden. Das gute Dresden jedenfalls hat verstanden und erhebt sich am Ende geschlossen zur stehenden Ovation.
Freilich war das nur die Premiere. Vermutlich jedoch hat diese Inszenierung ihre Feuerprobe noch vor sich, sollten nämlich auch Teile des anderen Dresdens in die Vorstellungen kommen. Dann kann es durchaus noch ungemütlich werden.
Graf Öderland / Wir sind das Volk
von Max Frisch, mit Texten von Dresdnerinnen und Dresdnern
Textfassung von Volker Lösch, Robert Koall und Stefan Schnabel
Regie: Volker Lösch, Bühne: Cary Gayler, Kostüm: Carola Reuther, Licht: Michael Gööck, Andreas Barkleit, Video: Clemens Walter, Dramaturgie: Robert Koall, Stefan Schnabel.
Mit: Ben Daniel Jöhnk, Antje Trautmann, Benjamin Pauquet, Lea Ruckpaul, Thomas Braungardt, Albrecht Goette, Annedore Bauer, Torsten Ranft, Alexandra Weis, Jannik Hinsch, Joussef Safok; Dresdner Bürgerchor: Hartmut Arnstadt, Grit Buchmann, Gunther Ermlich, Friederike Feldmann, Berndt Fröbel, Katrin Hanschmann, Franziska Hauer, Christine Hrzan, Mario Jäkel, Katrin Kaden, Stephanie Kölling, Luise Körber, Gisela Liscovius, Bertolt List, Hans-Joachim Neubert, Bernd Oppermann, Ivaylo Petrov, Andreas Richter, Annabell Schmieder, Ingrid Schulz, Mario Spanninger, Jana Sperling, Hans Strehlow, Günter Tannert, Claudia Weltz, Manja Wildenhain, Sandro Zimmermann.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause
www.staatsschauspiel-dresden.de
Kritikenrundschau
Volker Lösch reiße die Grenzen nieder: zwischen Kunstraum und Welt-Raum, Ästhetik und Moral, Abstraktion und Konkretheit, Symbol und Realien, schreibt Andreas Wilink auf Spiegel-online (29.11.2015, 13:23 Uhr). "Das Saallicht geht an, die Inszenierung tritt raus aus dem Literaturtext und hinein in die Soziologie der 'Selbstgerechten, Übergangenen, Verbitterten". Die Darsteller des Ensembles würden ihre Rollen ablegen, "appellieren an das Gewissen, fordern sich und uns zu Empathie und Engagement auf". Doch trotz der Scham-Offensive, trotz der Emphase für das radikal Humane, trotz einer beklemmenden Reportage von Gewalt, trotz der bedrängenden Präsenz des Pathologischen, eines nicht mehr nur verbalen Terrors: "Löschs Aufhebung des geordneten und ordentlichen Theaterrituals im Dienste der Selbstvergewisserung hat etwas Schales und schlicht Stupides."
Als Parabel auf Machtergreifungsmechanismen und die zyklische Rückkehr zum Dochwiederimmergleichen sei Max Frischs "Graf Öderland" eine "denkbar passende" Vorlage "für das, was man von Lösch und seinen Bürgerchören erwarten musste: die polemische Auseinandersetzung mit den etablierten Mächten und den Mächten der Straße", schreibt Michael Bartsch in den Dresdner Neuesten Nachrichten (30.11.2015). Lösch benutze das Stück "ungeniert (…), um zum Eigentlichen zu kommen", zu den "eigenen, heutigen Texten von Chor und Spielern", die "verbreitete Bürgerängste" vermittelten, "jenen von Alltagsrassismus durchsetzten 'Extremismus der Mitte'". Es gehe nicht sonderlich subtil zu, "hier wird vorwiegend geklotzt." Aber besondere Situationen erforderten besondere Mittel.
Von einem "brandheißen, dramaturgisch souverän gebauten Mix" schreibt Sebastian Thiele in der Sächsischen Zeitung (30.11.2015). "Volker Lösch und sein grandioses Ensemble haben einen Abend der Sprach- und Bildgewalt geschaffen, wie ihn Dresden dringend braucht." Man polemisiere nicht einfach gegen Pegida. "Hier kämpft man differenziert gegen politische Faulheit der Bevölkerung." "Ganz im Brechtschen Verfremdungssinn" gehe Löschs Regiekonzept auf.
"Stadt- und Landespolitiker habe ich in der Premiere nicht gesehen – Stanislaw Tillich war stattdessen zur Aufzeichnung des ZDF-Adventskonzert in der Frauenkirche, saß da in der ersten Reihe. (…) Das ist ja auch ein Zeichen: vorweihnachtliches Ritual wie alle Jahre wieder, und eben keine Aufmerksamkeit für die Dresdner Kulturbetriebe, die versuchen, der nach rechts driftenden Pegida-Bewegung etwas entgegenzusetzen", weiß Stefan Petraschewsky bei MDR Figaro (29.11.2015) zu berichten. Insofern sei die Kritik von Löschs "sehenswertem, politischem" Abend "an einer Politik, die keine Haltung zeigt", doppelt berechtigt. "Ganz und gar kein Anti-Pegida-Stück (…)" sei "Graf Öderland/Wir sind das Volk", so Petraschewsky, "sondern eine Kritik an den Dresdnern, und an der Stadt- und Landespolitik, weil die keine Haltung beziehen und die Sache einfach aussitzen – zum Schaden der Stadt, zum Schaden der Demokratie und einer offenen Gesellschaft".
"Eine kluge Montage über das Entstehen einer gesellschaftlichen Bewegung, die deren Gefühlsentwicklungen verstehbar macht, ohne sie zu akzeptieren" hat Hartmut Krug gesehen und meint im Deutschlandfunk (29.11.2015). "Lösch ist mit seinen Schauspielern und dem Bürgerchor eine virtuose Inszenierung mit vielen aufklärerischen Effekten gelungen. (...) Natürlich, und das muss kein Nachteil sein, fand sie vor einem einverständigen Publikum statt."
"Eines hat der Regisseur Volker Lösch mit den Schauspielern und dem Bürgerchor gewiss geschafft, er hat der Verunsicherung, der Ratlosigkeit, dem Hass, dem Druck und der Aufregung eine Form gegeben", schreibt Peter Michalzik in der Neuen Zürcher Zeitung (30.11.2015). "Die typische Bewegung der Aufführung ist das rennende Hin und Her, Geste der Erregung und der Hilflosigkeit." Volker Lösch habe eine "fast diabolische Lust, die gärenden Widersprüche der Gesellschaft an die Oberfläche des Theaters zu ziehen", so Michalzik: "Manchmal wirkt das gewollt, hier ist es notwendig." Am stärksten sei der Abend, wenn sich die Ratlosigkeit des Theaters und das Brodeln in der Stadt mischten. Fragwürdig sei er hingegen als Inszenierung von Max Frischs Drama. "Diese Form Theater hat Grenzen, sie kann Konflikte auf die Bühne bringen und gegeneinander setzen, aber sie kann sie nicht verhandeln und durchspielen."
Die Suaden des Chors dokumentierten die tatsächliche Pegida-Radikalisierung, fügten sich aber auch "zu einer dramaturgisch geschickten Zuspitzung, die den anschwellenden Bocksgesang des Grafen Öderland spiegelt", analysiert Tobias Prüwer für die-deutsche-buehne.de. "Gut gebaut und toll gespielt, bleibt vom Abend der Charakter eines Lehrstücks zurück, das die Mühen knallharter Agitation mit Leichtigkeit nimmt", so Prüwer: "Hier muss keiner erst überzeugt werden. Der Saal feiert sich – und zu Recht Regie und Schauspieler – in der Selbstvergewisserung, dass es noch Widerspruch gibt." Pegida selbst werde man damit nicht erreichen. "In Zeiten aber, wo hier Stadtspitze und residierende Landesregierung zu Aufmärschen und Übergriffen schweigen, ist das unerhört genug."
"Richtige Haltung, schlechte Kunst" ist Peter Laudenbachs Kritik (Süddeutsche Zeitung, 1.12.2015) untertitelt, die rhetorisch fragt: "Braucht man solch eine theatralische Wiederholung der Straßenparolen von Pegida?" Löschs Versuch, Max Frischs Stück "Graf Öderland" als Pegida-Parabel zu lesen, gehe nicht auf. "So schlampig Lösch die Frisch-Passagen serviert, so martialisch geraten ihm die Hass-Chöre – immer im Dienst der Zuspitzung." In Kabarett-Passagen, die sich über Merkels Flüchtlings-Engagement lustig machen, treffe sich Löschs Weltbild, in dem Politiker wohl immer zynisch und verkommen sind, mit dem Pegida-Ressentiment. Aber "es wäre zu einfach, den Agitprop-'Öderland' als schlechtes Theater abzuhaken". Denn Löschs Dresdner Inszenierung funktioniere, weil sie das Theater wieder zum Ort der bürgerlichen Öffentlichkeit in einer Stadt macht, deren Klima von Rechtspopulisten vergiftet wird. "Der sehr lange Dresdner Premierenapplaus galt darum auch mehr als der Inszenierung: Das Publikum schien sich selbst Mut für die Auseinandersetzung mit Pegida zu machen."
Wenn die zum "Crescendo des Hasses" arrangierten Choristen im Laufe des Abends zu brüllenden Fackelträgern in Militärkleidung werde, sei das "eine Szene von überwältigendem Grusel", so Mounia Meiborg auf Zeit online (30.12.2015). Die Parallelschaltung mit Frisch allerdings überzeugt auch sie nicht. Es sei "kein besonders guter Abend für das Theater. Aber ein wichtiger für Dresden." Trotzdem blieben Fragen: "Warum werden brachiale politische Parolen so oft mit brachialer Ästhetik beantwortet? (...) Müsste gutes politisches Theater nicht ganz anders sein, klüger, leiser, überraschender? Vielleicht auch lustiger und gedanklich beweglicher (...)? Müsste das Theater sich nicht gerade der Aufmerksamkeits- und Überwältigungsdramaturgie entziehen, nach der Politikbetrieb und Medien oft funktionieren? Und müsste man sich nicht stärker auf die Ästhetik konzentrieren, anstatt die Theater zu einem Umschlagplatz für Statements zu machen, zu einer zweiten politischen Bühne?"
Reinhard Wengierek von der Welt (2.12.2015) findet schon bei Frisch eine "arg holprige, arg kopfig ertüftelte Moritat" vor. Lösch decke "mit dokumentierten Aussagen aus der (...) wutbürgerlichen Mehrheit" auf, "was da so an Ressentiment, Angst, Aggression, Hass und Neid herumspukt in den wohlfrisierten Köpfen aller Schichten, Lager, Milieus der Gesellschaft" und liefere damit "ein Zustandsbild von deutschem Geist und Politikverständnis, deutscher Seele und Moral, dass einem angst und bange wird um den Bestand der Demokratie." Das sei vielleicht "ein Zerrbild sei und allzu plakativ", aber allemal ein "Schock", dargeboten "im bravourösen Wechsel zwischen rasender Farce, greller Groteske und gellendem Kabarett toll gemacht von den Akteuren". Fazit: "Soviel Agitprop muss sein. Von hehrer Kunst hat Dresden allemal im Übermaß, von Zivilcourage eher nicht."
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Und das Feulliton feiert den Abend (und sich). Und Lösch lacht sich ins Fäustchen...
Sie haben das gut beschrieben, mit welcher Haltung gestern hier ins Theater gegangen wurde. Alle Zuschauer und Journalisten hatten auf nen großen Protestabend, heftige Theaterschlachten vor und im Theater gehofft! Ach wäre das geil gewesen, mal wieder a al Räuber-Uraufführung in Mannheim oder Bernhard-Uraufführung in Wien einen Skandal zu haben. Aber es war leider das nicht.
Ich war sehr erschüttert, auf der Bühne diesen ganzen Sprachmüll der Pegidianer wieder zu sehen (wie schon bei dem schrecklichen Köhler-Abend zu Beginn der Saison). Und dann sehe ich Deutschlandfahnen, Fackelzüge und am Ende klatscht der Saal. Halten zu Gnaden, da wurde mir genauso schlecht wie Montags bei den Demonstrationen.
Volker Löschs Theater ist so banal. Dass er keine Schauspieler leiten kann, sieht man im ersten Teil. Hier waren zwei Dramaturgen beteiligt. Aber so ein Ergebnis!? Und was für eine mediale Aufmerksamkeit.
Das ganze hinterlässt einen schalen Beigeschmack.
Das entspricht natürlich meiner Vorstellung von Diskurs und Demokratie eigentlich nicht, dieses direkte Ausstellen einer gutmenschlichen, liberalen Position von der Bühne herab.
ndererseits: wo wird denn mal so klar Tacheles geredet heutzutage? Wo werden Positionen mal so direkt ausgestellt, dass man sich dazu verhalten muss?
Hier schafft das Theater etwas, was sonst vielleicht verloren geht: es zwingt zu einer Positionierung, und die ist nötig.
Ich glaube, das ist Theater, wie es vielleicht in diesen Tagen in Dresden sein muss. Daran ästhetische Kategorien anlegen zu wollen, wie es in den Vorkommentaren getan wird, ist verfehlt.
Schade, dass der Fortgang der Realität sich nicht an einem Reclamklappentext ablesen lässt - wohl aber aus O-Tönen ablauschen.
http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/2613756/Pegida-am-Staatsschauspiel-Dresden
Das ist durchaus eindringlich, in seiner Schwarz-Weiß-Setzung aber auch repetitiv. Besonders ärgerlich wird es, wenn der “Mob” die Bühne räumt für den syrischen Teenager Joussef Safok. Er darf hier mit leiser stimme seine Fluchtgeschichte erzählen und wieder abgehen. Mehr darf er nicht sein, der Geflüchtete als Posterboy der Selbstgerechten. Und Lösch meint das ernst wie so vieles an diesem spannenden Abend, der am Ende daran krankt, dass er sich und uns nicht wehtun will, seine Kanten abschleift und die Fragen verweigert, die sich vielleicht nicht so leicht beantworten lassen. Bewegungen wie Pegida zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie auf alles vermeintlich einfache Antworten haben. es ist eine Falle, in die auch dieser Abend zuweilen tappt. Auch beim Berliner Gastspiel ist das Publikum begeistert, weil es sich bestätigt fühlt, auf der richtigen Seite zu stehen. Na, dann ist ja alles gut.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2016/06/05/auf-der-richtigen-seite/
Wie konnte die Theatertreffen-Jury diesen Abend nur übergehen? Volker Löschs „Graf Öderland/Wir sind das Volk“ vibriert vor Energie und stellt sich wie kaum eine andere Inszenierung der Spielzeit den politischen Aufwallungen und Umwälzungen vor der Haustür der Theater.
Der Abend ist aus einer Empörung heraus entstanden, die in Annedore Bauers „grandioser Wutrede“ (Wolfgang Behrens in seiner Nachtkritik nach der Dresdner Premiere) kulminiert: Die Wut über die seit „König“ Kurt Biedenkopfs Zeiten von der CDU dominierte Politik in Dresden und im Freistaat Sachsen, die ihre Augen und Ohren vor rechter Gewalt und braunen Tönen verschließt und die Lage schönredet. Die Künstler und die Zivilgesellschaft fühlen sich im Stich gelassen, klagte der scheidende Intendant Wilfried Schultz.
Wie zuvor schon einige ihrer Kollegen tritt Annedore Bauer vor den Vorhang und aus ihrer Rolle heraus. Das Saallicht geht an und sie sagt ihre persönliche Meinung zur aufgeheizten Stimmung in der Stadt an der Elbe.
Zum Kommentar von Sascha Krieger: "Auch beim Berliner Gastspiel ist das Publikum begeistert, weil es sich bestätigt fühlt, auf der richtigen Seite zu stehen." Mein Eindruck: Es gab viel Applaus, sicher auch eine demonstrative Rückenstärkung für das Dresdner Ensemble für ihre Auseinandersetzung mit Pegida. Aber an einzelnen Stellen, als O-Töne der Pegida-Kundgebungen vorgetragen wurden, gab es doch auch Zwischenrufe aus dem Publikum, die diese Parolen unterstützten.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2016/06/06/pegida-wut-volker-loeschs-dresdner-graf-oederland-wir-sind-das-volk-zu-gast-in-berlin/