Das große Heft - Ulrich Rasche lässt den Roman von Ágota Kristóf in Dresden durchexerzieren
Marschieren, marschieren
von Tobias Prüwer
Dresden, 11. Februar 2018. Der erste Paukenschlag drückt die Zuschauer in die Sitze. Elektrobass, Violine und Cello beginnen ihr Spiel, Fetzen aus dem "Requiem" werden eingespielt, der Eiserne hebt sich. Im leeren Bühneraum kreiselt eine Scheibe in Schräglage; sie ist hinten höher gelagert. Auf dieser erscheinen die Zwillinge, müssen im eigentümlichen Marschschritt – die Knie sind nie ganz durchgestreckt – mithalten, um auf der Stelle zu bleiben. Im Rhythmus von Marsch und Musik beginnen sie ihre Erzählung: Wie die Mutter sie aufgrund der Kriegsnot zur Großmutter aufs Land verfrachtet. Unter deren Knute leiden sie aber auch nur, härten sich gegenseitig mit Schlägen ab, machen sich fit fürs raue Leben. Sie bekommen Vergewaltigungen mit, Deportationen entmenschlichter Menschengruppen, den Tod der Mutter durch eine Granate und andere Grausamkeiten.
Verdoppelt, vervielfacht
Das Zwillingspaar wird verdoppelt, vervierfacht. Bisweilen sind 16 Schauspieler als die Brüder zu sehen, die marschieren und intonieren – mal stimmlich abwechselnd, mal kollektiv. Ein einziger langer Marsch spielt sich vor dem Zuschauerauge ab. Zum stapfenden Kollektiv hat Ulrich Rasche Ágota Kristófs "Das große Heft" modelliert und auf reine Überforderung angelegt. Nur wenige Monate nach Volker Löschs Spielzeitauftaktstück Der Weg ins Leben kehrt das Chorprinzip ans Dresdner Staatsschauspiel zurück, und wie schon bei diesem in soldatischem Gepräge. Während das Publikum Steherqualität braucht, beweist das Ensemble noch mehr Durchhaltevermögen.
Die monoton agierenden Bewegungs- und Sprechchöre werden mittels Bühnentechnik immer wieder zu neuen beeindruckenden Bildern montiert. Spielszenen finden dagegen gar nicht statt. Das ist eine gute Übersetzung, erzählt Ágota Kristófs Roman die Geschichte doch als schriftlichen Bericht der Zwillinge. Der abgehackte rhythmisierte Chorduktus unterstreicht auch ihre eigenwillig-gefühllose Sprache. Die Spieler sprechen über Headsets, auch die Livemusik kommt über Lautsprecher. Viele Zuschauer haben die ausgeteilten Ohrstöpsel eingesetzt, den bassverstärkten Akustikschlägen gegen ihre Oberkörper entgehen sie damit nicht. Wie für die schwitzenden Spieler wird es auch fürs Publikum unmittelbar physisch.
Elendiger Kreislauf
Die Scheibe, die anfangs der Boden der barbarischen Tatsachen bildete, pendelt auf der Drehbühne weg, die eine zweite zirkulierende Scheibe nach vorn transportiert. Diese Bühne ist noch steiler, und auch bei ihr wird die Symbolik klar: Sie steht für die Unausweichlichkeit der äußeren Umstände, die Unverfügbarkeit der Gesamtsituation. Wer nicht marschiert, wird mitgerissen, geht über den Rand verloren. Weil diese Scheiben sich ihrerseits in der Grundausrichtung drehen lassen, wird eine vielfältige Bühne möglich, wo mal eine, mal beide Scheiben als Spielflächen zur Verfügung stehen. Wechselndes Licht, mal als Spot von oben, mal diffus von der Seite kommend, und ein bisschen Nebel, mehr braucht Rasche nicht für visuell imposante Setzungen.
Genaugenommen ist es ein einfacher chorischer Effekt – und von Rasche ja auch bestens erprobt –, aber in der Konsequenz der Zeitdauer und des immer barbarischer werdenden Geschehens verblasst er nicht. Im Gegenteil, die Inszenierung nimmt nach der Pause an Wirkmächtigkeit zu. Eindimensional, aber eindringlich, monoton, aber intensiv und bildlich beeindruckend ist der Abend. Wobei es recht schwierig ist, nicht im Rhythmus des sehr genau arbeitenden Chores weggetragen zu werden und dem Wortstakkato nicht mehr zu folgen. Anstrengung und Überforderung sind dem Thema angemessen einkalkuliert.
Ästhetik des Totalitären
"Rammstein und Galeerensklaven", witzelt jemand in der Pause. Und ja, diese formale Zurschaustellung von Männlichkeit, die aus der Inszenierung schreiende Faszination vom Virilen und der maskulin-physischen Belastungsgrenze ist sicherlich kein Zufall. Dafür ist Ulrich Rasche schließlich bekannt. Ja, eine Ästhetik des Totalitären ist hier zugange. Einzig aus dem soldatischen Mann, dem gespannten Körper spricht die Inszenierung. Knappe Protokollform hat die Sprache, starr ist der Blick ins Publikum gerichtet, der Leib ist maskenhaft, ein Körperpanzer. Ästhetische Ideologiekritik muss allerdings vertagt werden: Denn die faschistische Anmutung drängt sich bei dem Stoff schlichtweg auf.
Aber noch zwei andere Momente stellen sich ein. Unbehagen kommt auf, wenn man sich bewusst wird, von dem Gleichklang irgendwann eingelullt zu werden. Masse und Mantra verführen dazu, fast in meditative Deprivation zu versinken. In der zweiten Hälfte zeigt sich der Abend ob der Berichte von Deportation und Massenmord auch als Tasten nach einer Form, Undarstellbares zu verhandeln. Rasches bombastisch-sinnlicher Zugang zur Barbarei hallt jedenfalls lange in Körper und Kopf nach.
Das große Heft
nach dem Roman von Ágota Kristóf
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer
in einer Fassung von Ulrich Rasche und Alexander Weise
Regie und Bühne: Ulrich Rasche, Bühnenbildmitarbeit: Sabine Mäder, Kostüme und Bühnenbildmitarbeit: Romy Springsguth, Chorleitung: Alexander Weise, Toni Jessen, Komposition: Monika Roscher, Dramaturgie: Jörg Bochow, Katrin Breschke.
Mit: László Branko Breiding, Philipp Grimm, Jannik Hinsch, Harald Horváth, Robin Jentys, Toni Jessen, Moritz Kienemann, David Kosel, Sam Michelson, Johannes Nussbaum, Justus Pfankuch, Daniel Séjourné, Yassin Trabelsi, Alexander Vaassen, Simon Werdelis, Tommy Wiesner, Musiker: Heiko Jung, Christoph Uschner, Kseniya Trusava, Slowey Thomsen.
Dauer: 3 Stunden 40 Minuten, eine Pause
staatsschauspiel-dresden.de
Rasche besetze im Theaterbetrieb den Posten des Mensch-Maschine-Kombinators, "er konfrontiert die Schauspieler mit einem großen Apparat, der sie den gesamten Abend hinweg in Bewegung hält", schreibt Rafael Barth in der Sächsischen Zeitung (13.2.2018). "Mal sind es Walzen, mal Förderbänder, auf denen die Spieler über Stunden im Rhythmus gehen und sprechen. Das Ergebnis ist überwältigend, das Konzept preisgekrönt." Eine Sogkraft zeichne auch diesen Abend aus, der deutlich hervorsticht aus allen anderen Inszenierungen, die man derzeit in Dresden sehen könne. Zwei riesige, kreisrunde, schwarzgraue Scheiben drehen sich. "Der Takt der Schritte trifft auf den Takt der Sprache. (...) Die Sprache vermischt sich mit der düsteren Komposition von Monika Roscher." "Soll man sich dieses malmende Totalkunstwerk antun? Ja, unbedingt."
"Die riesigen Scheiben schaffen immer wieder neue Bilder: Mal sprechen die Schauspieler wie von einer Klippe herab, mal schieben sich die beiden Podeste auseinander und zwei Gruppen von Schauspieler schreien sich den Text entgegen", so Thilo Koerting im Deutschlandfunk (12.2.2018). "Das große Heft" verlange Ausdauer vom Publikum, das sich trotz aller Bewegung mit einem letztlich statischen Theaterabend konfrontiert sieht. "Aber es mangelt an nichts: Musik, Licht, Bühne und Schauspiel greifen perfekt ineinander. Und vor allem in den Text, der in Ulrich Rasches Ästhetik sogar an Intensität gewinnt." Fazit: "Es ist ein langer Theaterabend am Dresdener Staatsschauspiel, doch der Zuschauer bereut kaum eine Minute dieser – auch fordernden – vier Stunden."
Das chorische Theater Ulrich Rasches bedeute "einerseits eine Begegnung mit jener Gnadenlosigkeit, die die Zwillingsbrüder bei ihrer Selbstkasteiung auch an den Tag legen", schreibt Michael Bartsch in der taz (15.2.2018) – "andererseits eine mit der stringenten Ästhetik verbundene Uniformität und Monotonie, die den Rezipienten vor die Wahl stellt, entweder abzustumpfen oder sich in einen Trancezustand jenseits kognitiver Wahrnehmungen zu versetzen". Das Bühnenbild sei "treffend und enorm suggestiv", die Musik runde zunächst den Eindruck ab. "Aber die simplen musikalischen Mittel, die Komponistin Monika Roscher einsetzt und die einfach nicht die Magie gekonnter Minimal Music entfalten, nutzen sich schnell ab", so Bartsch: "Gleiches gilt für die Szene", für die intensive Spielweise. "Aber wenn auch die Beschaffung von Schreibpapier wie ein Manifest verkündet wird, bleibt für die wirklich dramatischen Ereignisse zum Kriegsende keine Steigerungsmöglichkeit mehr."
Einen "aufregend-entschleunigenden Abend" hat Andreas Herrmann gesehen, der "als abstrakes Theaterereignis moralkeulenfrei auf mögliche Verluste durch Kriegstreiberei" verweise und als gelungene Bewerbung fürs Theatertreffen 2019 gelten dürfte, so Herrmann in den Dresdner Neuesten Nachrichten (13.2.2018).
Wieder und wieder arbeite Ulrich Rasche mit denselben Stilmitteln, schreibt Simon Strauss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (13.2.2018). "Einfallslos, könnte man sagen." Aber weil sonst am Theater so wenig konsequenter Wille zur Form erkennbar sei, überrasche und verstöre Rasches radikale Bühnensprache. Also empfiehlt Strauss den Blick nach Dresden, auch wenn "man sich im Laufe des Abends immer wieder die Frage stellen" könne, "ob das, was Rasche hier zeigt, wirklich Psycho ist oder bloß Pseudo". Agota Kristófs einfacher, elliptischer Stil werde durch die chorische Hypostase "stark stilisiert", der einfache Ton verliere "gewissermaßen seine Unschuld und wird zur bedeutungsvollen Prophezeiung umgewandelt", so Strauss: "Und doch kann man sich der totalitären Monotonie, mit der man hier konfrontiert wird, nicht einfach entziehen."
Stimmen zum Gastspiel der Produktion beim Berliner Theatertreffen 2019
Über "wuchtvolles, emotional erschütterndes Erzähltheater" schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (22.5.2019). Die Inszenierung, "die einen kalt am Kragen und am Herzen packt", setzte "einen Höhe- und Schlusspunkt" des diesjährigen Theatertreffens.
"Unter die Haut wie kein anderer" Abend beim Theatertreffen ging "Das große Heft" Jan Küveler von der Welt (22.5.2019). "Zu sagen, dass auch hier das Männliche dominierte, wäre eine Untertreibung", schreibt er in seinem auf die Frauenquote zugespitzten TT-Resümee. "Ein vielleibiger Chor stampfte zur Dauermusikuntermalung über zwei im Nebel einander umtanzende Drehbühnen. Vor diesem gewaltigen Hintergrund und durch die Wucht des Sprechens in Chor und Kanon wirkte die allmähliche Verrohung eines Zwillingsbrüderpaars im Krieg monumental." Einige Zuschauer beschwerten sich über "den vermeintlichen Verrat am Minimalismus des Romans", so Küveler, "andere witterten – Gleichschritt, Gleichklang, Umarmung des Animalischen, Bösen, Brutalen – Faschismus. Dabei ist eine Analyse der Gewalt selber noch lange keine".
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Die Einwände, die gegen diese Premiere in den kommenden Tagen kommen werden, liegen auf der Hand. Ulrich Rasche verwendet die bekannten Theatermittel, für die er bei den Münchner „Räubern“ gefeiert wurde und die ihm mit dem Basler „Woyzeck“ gleich eine zweite Einladung zum Theatertreffen einbrachte. In „Das große Heft“ erleben wir wieder abschüssige Drehbühnen, auf denen die Spieler die Balance halten müssen. Stampfende, halbnackte Männer ziehen ihre Kreise, schreien und brüllen im Chor: perfekt einstudiert von Alexander Weise und so präzise artikuliert, dass jedes Wort zu verstehen ist. Die beiden Drehbühnen sind technisch bei weitem nicht so aufwändig wie die gigantischen Dampfwalzen, an denen die „Räuber“ festgekettet sind und an denen die Techniker des Residenztheaters ein Jahr lang feilten. Aber die Akribie, mit der die beiden Bühnen während des Stücks immer wieder neu arrangiert werden, nötigt Respekt ab. Für die Spieler sind die Balanceakte auf den kippenden Scheiben eine Herausforderung. Bei keinem sehen die Bewegungen so elegant und selbstverständlich aus wie bei László Branko Breiding, der als einziger schon bei den „Räubern“ dabei war.
Kann man „Das große Heft“ also als Aufguss einer bewährten, exzellent geölten Theatermaschinerie abtun? Nein, der Abend hat zwar einige Längen, aber in den stärksten Momenten eine beeindruckende Kraft. Ulrich Rasches Regiestil mit den erbarmungslos vor sich hin ratternden Maschinen und den verzweifelt kämpfenden, schwitzenden Menschen, die sich dagegen so klein ausnehmen, passt hervorragend zu den düsteren, knappen Sätzen aus Ágota Kristófs dystopischem Roman über Zwillinge im Krieg.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/02/11/das-grosse-heft-ulrich-rasches-adaption-von-agota-kristof-auf-dresdner-drehbuehnen/
der Satz ist, ums schlicht zu sagen: falsch!
Mehrere der Spieler haben bereits mit Herrn Rasche zusammengearbeitet (auch bei "Die Räuber") und keiner bewegt sich "eleganter" als der andere! Starke Ensemble-Leistung !
Das soll gar nicht das künstlerische Ergebnis beurteilen.
So inhaltsleer, nicht-heutig, pathetisch ich den Abend selbst auch fand: Das genannte Abo-Publikum darf natürlich meiner Meinung nach gern mal ein bisschen mit anderen Theaterformen wachgerüttelt werden… und dann eben den Saal verlassen.
Zum Glück – wenn dieser Spielzeithöhepunkt (auch noch) unter den Erwartungen geblieben wäre, hätte man wohl die Krise im Haus gehabt.
Übrigens fand die Aufführung unter den (vermutlich) wohlwollenden Augen des Ministerpräsidenten statt, was in Sachsen durchaus bemerkenswert ist (sein Vorgänger hatte nach seiner verkorksten Ansprache zur 100-Jahr-Feier noch fluchtartig das Haus verlassen, ehe das anschließende Stück begonnen hatte). Für solche Zwecke hat man hier die Königsloge – auch wenn der Intendant sonst woanders sitzt.
Inhaltlich hätt ich aber noch ein paar Ergänzungen, die den Rahmen hier sprengen würden. Bitte hier: http://teichelmauke.me/2018/02/12/ganz-grosse-raeder/
Wer ist Konrad Kögler ?
(Konrad Kögler veröffentlicht auf daskulturblog.com Theaterkritiken, u.a. zu "Das große Heft" – siehe #1. Lesenswert! E. Philipp für d. Red.)
Nachvollziehen kann ich auch folgende Beschreibung nicht:
"Unbehagen kommt auf, wenn man sich bewusst wird, von dem Gleichklang irgendwann eingelullt zu werden. Masse und Mantra verführen dazu, fast in meditative Deprivation zu versinken."
Ja, ich wurde eingelullt von dieser theatralen Form. "Meditative Deprivation" als kathartischer Moment? Soll ich so verstehen, warum man damals Mitläufer des Nazi-Regimes wurde?
Auch das "Tasten nach einer Form, Undarstellbares zu verhandeln" im zweiten Teil - wie es Herr Prüwer versteht - habe ich nicht gesehen. Verhandelt, inszeniert, kommentiert wurde doch an diesem ganzen Abend nichts. Der Text von Ágota Kristóf steht doch so sehr für sich… und wurde für mich mit allen Mitteln der Rasche-Sprechweise nur eingeebnet oder bedeutungsschwangerer gemacht als er in seiner Einfachheit und Härte es schon ist.
Meine Fragen zielten allein auf die Inszenierung ab. Hier hat mich nichts mehr berührt, ich habe nur die Form gesehen/gehört, keinen Inhalt, keine Haltung zum Stoff, keinen Kommentar. Raffinierte Bühnentechnik traf auf pathetische Musik traf auch perfekte Artikulation. Alles wollte "große Kunst" sein und "ein großes Bild", bei dem ich das Gefühl hatte, ich bin alleinig dazu gebeten, es zu "bewundern".
Zu Ihrem zweiten Satz noch dies: Ich werfe nichts vor, ich beschreibe meine Meinung bzw. versuche, durch Fragen anderen Blickwinkeln (anscheinend auch Ihrem?) näher zu kommen. Ich habe auch keine "Argumente" für oder gegen diesen Abend, sondern gebe meinen Blick auf das Gesehene/Erfahrene wieder - als EIN Zuschauer von vielen.
Ein paar Mal senkt sich ein semitransparenter Vorhang, darauf stumme, wogende, nackte Körper, herausfordernd oder angsterfüllt in die Kamera blicken. Rasche treibt mit diesem Abend seine totalitären Bildwelten auf die Spitze und untergräbt sie zugleich. Denn das sind keine heldischen Blicke, die die Kamera treffen, sondern zutiefst menschliche, ja, oft kindlich betroffene. Und so gelingt dem Abend mit all seinen en détail ausbuchstabierten und oft kaum erträglichen Erzählungen enthemmter Gewalt, brutalen Egoismus, Missbrauch und völliger Entmenschlichung ein Wunder: In all der industrialisierten Dehumanisierung, die er darstellt, bricht sich das Menschliche Bahn, begehrt das Menschsein auf. In der Weigerung, das Unvorstellbare zu normalisieren, die Vernichtung ganzer Menschengruppen als selbstverständlich hinzunehmen – und dem Streuben gegen das Vergessen.
Die „Hundesöhne“, wie die Großmutter, bei der sie im Krieg abgeladen werden, sie nennt, mögen auf den Tod der Mutter, des Vaters, der Großmutter, der ausgegrenzten ohne offene Empathie und ohne Widerstand reagieren, die erregten Stimmen, die weit aufgerissenen Augen, die alerten, sich gegen die Maschinerie, auf der sie gefangen sind, stemmen, sprechen eine andere Sprache. Sie enthüllen eine Wut, einen trotz, eine Widerständigkeit, die am Ende ein Anfang werden kann. Der vielleicht das ultimative Opfer erfordert, die radikale Individualisierung, das Verlassen des kollektiven Schutzraums, das Aufgeben der mühsam errichteten Identität. Und so rutscht das meist kalte, harte, fahle Licht mitunter in wärmere Farben, wird aus den grandiosen Menschen- und Körperbildern, die Ulrich Rasche wie immer malt, am Schluss ein ganz stilles, ein einzelner Mensch im Dämmerlicht – ohne heroisch kämpferische Pose, ohne skulpturenhafte Körperlichkeit, ein Mensch, ein zu beschreibende Blatt. Von ihm selbst hoffentlich.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/11/04/seht-ein-mensch/