Ping Pong d'Amour - ein neuer Pollesch auf der großen Bühne der Münchner Kammerspiele
Plan B der Schöpfungsgeschichte
von Willibald Spatz
München, 14. Februar 2009. Das Publikum war amüsiert, es hat gelacht und sogar geklatscht mitten im Stück, als es Bernd Moss gelungen ist, ein Bild über dem Kamin wieder aufzuhängen. Davor gab es Slapstick und verzweifelte Versuche an der Wand. Hinter dem Kamin befindet sich ein Bett, das fährt plötzlich heraus. Man muss drüber klettern, um an die Wand zu kommen, dabei bekommt die Leinwand des Bildes einen Riss, es löst sich vom Rahmen. Schließlich war nur der Haken nicht an der richtigen Position, und das Ding ließ sich problemlos mit einem einzigen Handgriff an seine Stelle bringen.
René Polleschs neues Stück "Ping Pong d'Amour" ist fröhlich anzuschauen. Wenn man den Ton abstellen würde, bekäme man eine Boulevardkomödie zu sehen: Da wird kräftig die Treppe hinauf- und herabgerannt. Man schreit sich über Balkone hinweg an. Man rutscht aus, fällt öfters aus dem Fenster, der Duschkopf wird mit dem Telefonhörer verwechselt. Und ein Bett verbirgt sich nicht nur hinter dem Kamin, auch die Badewanne kann hochgefahren werden und ein Stockbett erscheint.
Jagd durch den Raum
René Pollesch inszeniert zum ersten Mal im Schauspielhaus auf der großen Bühne, die vorangegangenen beiden Münchner Stücke "Schändet Eure neoliberalen Biographien" und "Solidarität ist Selbstmord" waren auf Nebenbühnen zu sehen. Das Bühnenbild von Janina Audick verkleinert diesen großen Raum – es erinnert an ein Hotel. Am oberen Ende der Treppe hängt obligatorisch die Leinwand für die Szenen, die hinter der Kulissen gespielt, gefilmt und für die Zuschaueraugen nach vorne projiziert werden. An der hinteren Wand hängt ein Vorhang, auf den eine weite Landschaft gemalt ist.
Die Schauspieler aber sind gezwungen, sich vorne zu drängen, sie sind "am äußersten Rand der Darstellbarkeit angekommen", wie es im Text heißt, und vielleicht ist das der Grund, warum sie überhaupt anfangen zu reden. Und sie reden viel, die drei Schauspieler – Katja Bürkle, Bernd Moss, Martin Wuttke –, für die Pollesch sein Stück diesmal geschrieben hat. Die Themen jagen einander durch den Raum wie die Personen und kommen manchmal in Berührung miteinander und verschwinden dann wieder mit einem Schauspieler, um mit ihm Minutenbruchteile später zur nächsten Tür erneut aufzutauchen.
Unmöglichkeit des großen Gefühls
Der Kapitalismus wird nur einige Male kurz erwähnt in "Ping Ping d'Amour". Es geht hier stattdessen, grob zusammengefasst, um die Undarstellbarkeit von Gefühlen auf der Bühne und auch im echten Leben, weil man zwischen diesen beiden Daseinsebenen keine zu strenge Grenze ziehen soll, und es geht um das penetrante Bemühen, diese Gefühle doch ausstellen und erfahren zu wollen. In diesem Zusammenhang taucht auch Darwin auf.
"Darwin hat uns nicht nur entzogen, nach einem Schöpfergott geformt worden zu sein, sondern überhaupt nach einem Plan... Vor mir steht nicht der Plan eines Menschen, sondern ein konkretes Wesen und seit ich das weiß, kann ich besser mit uns beiden umgehen." Mit diesem Satz ist der Kern der Wortmassen ganz gut wiedergegeben, und davon lässt man sich auch berühren, weil es schön ist, unabhängig davon, wieviel echtes oder eingebildetes Gefühl dabei in einem ausgelöst wird.
Superhelden und gestrandete Revuestars
Polleschs Inszenierungen sind in der Regel so gut wie ihre Schauspieler. Katja Bürkle, Bernd Moss und Martin Wuttke machen diesen Abend zu einem besonderen Glücksfall. Bürkle tanzt und schwebt ununterbrochen in neuen Kleidern durch den Raum, ein Wesen zwischen Superheldin und gestrandetem Revuestar. Martin Wuttke tobt und gestikuliert mit krampfig verbogenen Fingern, ist ständig am Ausbrechen und Sich-Auskotzen: "Seele! Überall Seele! Ich kann sie nicht mehr sehen, diese Seele! Wir müssen uns die Welt als Leiche denken." Bernd Moss steht meist wunderbar schlaksig im Weg, über ihm entladen sich die Spiel-Emotionen der anderen.
Man sieht hier einen Theaterabend nicht nur über die Unmöglichkeit der großen Gefühle, sondern im Prinzip auch einen über die Unmöglichkeit eines Theaterabends. Und konsequent scheitern sie bei der Verrichtung banaler Dinge. Schon am Anfang schaffen die drei es kaum, sich nebeneinander auf die Treppe zu stellen. Kaum klappt es aber einmal und sie können die ersten Sätze im Hinabgehen von sich geben, gehen sie wieder und wieder hoch, um von vorne zu beginnen. Und das zu sehen, löst Lachen aus, echtes Lachen, das einem keiner mehr nimmt. Dieser Pollesch ist in München voll angekommen.
Ping Pong d'Amour
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Janina Audick, Kostüme: Tabea Braun, Video: Kathrin Krottenthaler. Mit: Katja Bürkle, Bernd Moss, Martin Wuttke.
www.muenchner-kammerspiele.de
Mehr über René Pollesch? Vor Du hast mir die Pfanne versaut, du Spiegelei des Terrors! im Januar 2009 an der Berliner Volksbühne inszenierte Pollesch im Dezember am Wiener Burgtheater Fantasma. Im Sommer 2008 begann er anlässlich des Stadtjubiläums von Mülheim an der Ruhr Teil 1 seiner Ruhrtrilogie Das Tal der fliegenden Messer. Und an der Berliner Volksbühne setzte er im April 2008 Darwin-Win & Martin Loser-Drag-King & Hygiene auf Tauris in Szene.
Kritikenrundschau
In der Süddeutschen Zeitung (16.2.2009) zeigt sich Christopher Schmidt sehr angetan von Polleschs Versuch über die Seele und den Schauspieler, dem es als "Innerlichkeitsprofi" obliege, "die Illusion aufrechtzuerhalten, es gäbe da etwas Unverfügbares namens Seele, das dem Wettbewerbskapitalismus widersteht – aber gerade dadurch hilft, ihn zu ertragen." Beim Wechsel vom Werkraum ins Schauspielhaus der Kammerspiele habe Pollesch an Subversivität nichts eingebüßt. Wie seinerzeit Brecht am gleichen Ort, zeige auch er sich im Grunde als Romantiker, der sich zynisch maskiere, "um mittels Ironie auf die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit zu deuten". Martin Wuttke, Bernd Moss und Katja Bürkle erbrächten in "Ping Pong d'Amour" "spielend den Beweis, dass die Abstraktionen der Diskurstheorie humorfähig sind". Lockerer als je umspiele Pollesch sein Thema und überführe seinen "didaktischen Posthumanismus" in einen "ansteckenden Showtreppenwitz zwischen rapider Körper-und Hirnakrobatik."
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