Von welchem Theater träumen wir? - Der Kongress des Wiener Burgtheaters zum 125-jährigen Bestehen seines Baus an der Ringstraße
Von der Monarchie in die Moderne
von Eva Maria Klinger
Wien, 14. Oktober 2013. "Von welchem Theater träumen wir?" Antwort auf diese Frage gaben 48 Gelehrte, Künstler und Theaterexperten in einem dreitägigen Vortrags- und Diskussionsmarathon zur Feier des 125-jährigen Jubiläums des Burgtheaters im Gebäude an der Wiener Ringstraße. Dabei wurden alle denkbaren, auch die extremsten Theaterentwicklungen des Gegenwartstheaters abgeklopft.
Dem Anlass gemäß, behielt man die speziellen Träume des Burgtheaters im Auge, die seit 237 Jahren, seit der Gründung des "ersten deutschen Nationaltheaters" die Institution umwehen. Der Schriftzug an der Fassade "K.K. Hofburgtheater" hält die Erinnerung wach, dass der Prunkbau einst künstlerisches Zentrum der Monarchie war. Nimmt das Burgtheater im deutschsprachigen Raum eine Sonderstellung ein?
Alle noch lebenden Burgtheaterdirektoren auf einer Bühne
Der Antwort auf der Spur waren auch alle fünf noch lebenden Burgtheaterdirektoren – eine organisatorische Meisterleistung von Karin Bergmann, der Ex-Co-Direktorin von Klaus Bachler. Vom derzeitigen Direktor Matthias Hartmann mit der anspruchsvollen Aufgabe betraut, setzte sie mit einem klug konzipierten Jubiläumsprogramm neue Maßstäbe.
Burgtheaterdirektor Achim Benning (1976–1986) verzichtete in seiner launigen Rede auf den Beweis eigener Großtaten, obwohl der Dissident Vaclav Havel damals der Hausautor des Burgtheaters war. Er nahm lieber die historische Jubiläumssucht des Wiener Burgtheaters aufs Korn, fällt doch vom Glanz eines Jubiläums immer auch ein Schimmer auf den jeweiligen Direktor. Und er sah skeptisch auf die zu erwartenden widersprüchlichen Theater-Träume: "Der fette, 30cm lange, gelbe Wurm ist ein Traum der Ente, während allen anderen, die keine Ententräume haben, vor ihm ekelt."
Claus Peymann (1986–1999) verlor zwar seinen erkrankten Gesprächspartner André Heller, aber nicht den Humor. Als Alleinunterhalter referierte er pointiert und selbstverständlich höchst subjektiv zum Gaudium des Publikums Fährnisse und Glanzpunkte seiner 13jährigen Amtszeit, der "Königsetappe" seines Lebens. Klaus Bachler (1999–2009) wusste in seiner geschliffenen Rede, wie das Denkmal Burgtheater vor der Versteinerung zu bewahren sei. Daran, lobte sich Gerhard Klingenberg (1971–1976), habe auch schon er gearbeitet, indem er Regisseure aus dem Ausland holte und erstmals zeitgenössische Autoren wie Edward Bond, Thomas Bernhard, Wolfgang Bauer aufführte.
Das Privileg der Burgschauspieler
Worin aber liegt nun der außerordentliche Reiz des Burgtheaters? Weshalb sehen Theaterdirektoren in der Leitung der "Burg" die Königsetappe? Gewiss, es gibt einzigartige und sehr lange beibehaltene Traditionen und eine lange Reihe großmächtiger Schauspieler, Josef Kainz, Werner Krauss, Paula Wessely, man kann die Namen nicht aufzählen. Aber reicht das zum Mythos?
Die privilegierten Damen und Herren K.K. Hofschauspieler wurden vom Kaiser ernannt und bezahlt, waren unkündbar und pensionsberechtigt. Der Doyen und die Doyenne erhielten gar die vollen Bezüge bis ans Lebensende. Auch der Titel "Kammerschauspieler/in" wird bis heute verliehen. Wer es zum Ehrenmitglied schafft, bekommt eine opulente Trauerfeier auf der Feststiege des Burgtheaters, der Sarg wird – unter großer Anteilnahme der Bevölkerung – einmal ums Burgtheater gefahren (bis 1929 noch von einem Gespann mit vier schwarzen Pferden gezogen) und in einem Ehrengrab beigesetzt.
Das Vorhangverbot. Ursprünglich war man der Meinung, der Applaus habe dem Kaiserhaus zu gelten und es sei unter der Würde der Hofschauspieler, sich, wie das fahrende Volk, vor dem Publikum zu verneigen. Bis 1983 (!) wurde diese Tradition auf hartnäckigen Wunsch des Ensembles beibehalten. Überhaupt das Ensemble! Das Burgtheater-Ensemble war bis in die 1980er Jahre ein geschlossener Kosmos. Natürlich nahm man immer wieder herausragende Schauspielkünstler aus dem deutschsprachigen Raum auf, die aber, nachdem sie ihren Antrittsbesuch bei Doyenne oder Doyen absolviert hatten, zur Assimilation angehalten wurden.
Das Burgtheater-Deutsch
Verdiente Protagonisten hatten unbegrenzten Anspruch auf eine einmal erworbene Hauptrolle. So gab in der letzten Vorstellung im alten Burgtheater am 12. Oktober 1888 Charlotte Wolter die "Iphigenie", weil es seit 26 Jahren "ihre" Rolle war.
Das sogenannte "Burgtheater-Deutsch" entwickelte sich aus einer Notsituation. Der von den Schauspielern ungeliebte Umzug in das große neue Haus an der Ringstraße geriet zum Fiasko. Der ursprüngliche Architekt Semper war während der Bauzeit gestorben, sein Assistent Hasenauer verzettelte sich. Das Bauwerk war zwar prächtig, die Bühnentechnik modern, aber eine Fehlkonstruktion des Zuschauerraumes behinderte die Sicht auf die Bühne und die Akustik war unzumutbar. Ein Bauskandal. Die Kosten waren auf das Dreifache explodiert und nach neun Jahren wurde der Zuschauerraum umgebaut.
Trotzdem mussten die Schauspieler, die für ihren intimen Spielstil im alten Haus berühmt waren, mit überdeutlichen Vokalen pathetisch artikulieren, damit sie Gehör fanden. Dieses "Burgtheater-Deutsch" konnte man sich nach dem 2. Weltkrieg durch den Neubau des zerstörten Zuschauerraumes wieder abgewöhnen.
Das Wiener Publikum
Die meisten zählebigen Traditionen sind Anachronismen und haben nicht die Kraft zum Mythos. Objektiv unterscheidet sich das Burgtheater ja nicht wesentlich von anderen Theatern mit guter finanzieller Ausstattung und hohem künstlerischen Anspruch. Subjektiv – so wird übereinstimmend zugestanden – empfindet aber fast jeder, der das Haus betritt, ob als Mitwirkender oder als Besucher, eine magische Aura. Claus Peymann meint, dass immer noch die Stimmen der Vielbewunderten in den Räumen schwingen, wie sich die Schwingung eines ins Wasser geworfenen Steins unendlich fortsetzt.
Das wirklich Besondere und Beeindruckende am Burgtheater aber ist das Verhältnis zwischen den "Burgschauspielern" – auch ein Unikat! – und dem Publikum. Den Wiener Theaterenthusiasten wird einstimmig hoher Kunstverstand attestiert. "Ein mittelmäßiger Schauspieler hält sich an der Burg nicht länger als zwei Wochen", überspitzt Gerhard Klingenberg die treffsichere Einschätzung des Publikums. Dafür werden die Besten unter den Guten wie Götter verehrt, kein Wunder, dass sie gerne bleiben. Die Liebe der Wiener zum Theater müsse einen religiösen Grund haben, vermutet Hermann Beil. "Die Leute gehen ins Theater, weil es den guten Werken zugerechnet wird." Und sie gehen ins Theater, weil es sich so gehört.
Ungarn und die Fragen der Gesellschaft
Ein unverwechselbares ästhetisches Profil kann das Burgtheater heute nicht bieten: Ein homogenes Ensemble ist weder wünschenswert noch möglich, weil die begehrten Starschauspieler zwischen München, Hamburg, Berlin und Wien jetten, wie auch die Regiestars. Dafür garantiert die Vielfalt der künstlerischen Herkunft und der Stile die Lebendigkeit des Theaters.
Von welchem Theater träumen wir also? Angesichts der Freiheitsberaubung des ungarischen Theaters durch die derzeitigen Machthaber, vom Festredner György Konrad historisch beleuchtet und vom abgesetzten ungarischen Theatermacher Robert Alföldi emphatisch angeprangert, hat das Burgtheater Luxusprobleme, wenn es im Würgegriff des kommerziellen Erfolges ein Abgleiten ins Amüsiertheater befürchtet. Um auf die unerträgliche politische Knebelung der Kunst in Ungarn nachdrücklich hinzuweisen, hat Direktor Matthias Hartmann einen breit angelegten Theateraustausch zwischen Budapest und Wien geplant.
Modern und altmodisch
Die Fragen an die Gesellschaft müssen Fragen an das Theater sein. Darüber herrscht Konsens. Die ästhetischen Positionen aber driften naturgemäß auseinander. Dem Nationaltheater-Gedanken der Andrea Breth, wonach Werke der Weltliteratur in der jeweiligen Gegenwart immer wieder neu zu lesen sind, steht ein offensives Theater der Nationen von Johan Simons entgegen. Er sieht das zeitgemäße Theater im befruchtenden Zusammenwirken der differenten Stile und Produktionsweisen von Schauspielern und Regisseuren aus ganz Europa.
Der Autor und ehemalige Dramaturg an den Münchner Kammerspielen Björn Bicker postuliert den radikalsten Ansatz zu einem demokratischen Theater der Teilhabe aller Bevölkerungsschichten, das er mit "URBAN PRAYERS" in München durchgesetzt hat. Ein dokumentarisches Theater, das im öffentlichen Raum auf Migration und Globalisierung reagiert. Diese Aufgabe wird das Burgtheater vermutlich anderen überlassen.
Und dann steht Klaus Maria Brandauer, ab Dezember der neue "Lear" und seit 41 Jahren Burgschauspieler, wohlgelaunt auf der Bühne und bleibt bei seinem Credo: "Ich bin für das modernste Theater, aber so altmodisch wie möglich."
Jubiläumskongress "Von welchem Theater träumen wir?"
kuratiert von Karin Bergmann
Mit: Matthias Hartmann, Regina Fritsch, Martin Schwabm, Karin Bergmann, Klaus Maria Brandauer, Hilde Haider-Pregler, Hermann Beil, Claus Peymann, Nikolaus Bachler, Robert Alföldi, Björn Bicker, Achim Benning, Ewald Palmetshofer, Christiane von Poelnitz, Rudolf Scholten, Rita Thiele, Peter Schneeberger, Thomas Oberender, Joachim Meyerhoff, Michael Maertens, Caroline Peters, Nicholas Ofczarek, Martin Wuttke, Franz Schuh, Carl Hegemannm Johan Simons, Andrea Breth, David Bösch, Gerhard Klingenberg, Dörte Lyssewski, Jette Steckel, György Konrad, Elisabeth Orth, Ignaz Kirchner, Roland Kochm Fabian Krüger, Johann Adam Oest, Petra Morzé, Barbara Petritsch, Johanna Wokalek, Claudia Schmidt, Heinz Fischer, Musibanda Franui.
www.burgtheater.at
Mehr Beiträge zum Jubiläumskongress des Wiener Burgtheaters "Von welchem Theater träumen wir?":
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Björn Bicker plädiert für ein offenes Theater der Teilhabe.
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