Mad Madams – Nora Abdel-Maksouds Farce über besorgte Bürger von ihr selbst am Neuen Theater Halle uraufgeführt
Arsen mit spitzen Tönen
Arsen mit spitzen Tönen
von Tobias Prüwer
Halle, 30. Oktober 2015. Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Diese Binsenweisheit wird von der faktischen Macht des Anekdotischen immer mal wieder bestätigt. Sicherlich wollten die Eltern von Ruth und Ani nur deren Bestes, als sie das Geschwisterpaar einer harten durchökonomisierten Erziehung unterzogen. Und mit noch größerer Sicherheit will Nora Abdel-Maksoud mit "Mad Madams" für eine bessere Gegenwart streiten und dem Publikum nichts Geringeres als die Augen öffnen. Ihr selbstverfasstes Stück bringt sie in am Neuen Theater Halle in eigener Regie zur Uraufführung. Weil sich, will man Marx folgen, Geschichte in zweierlei Form wiederholt, tritt hier das politische Theater nicht als Tragödie, sondern Farce in Erscheinung.
Der Ansatz zugespitzter Lächerlichkeit zeichnet sich ab Minute eins deutlich ab: Der Vorhang öffnet sich und ein adipöses Männchen mit wüstem Frisurenfragment auf dem Kopf hüpft zum Evergreen aus dem Off wild herum. Dann wird es an einem Seil in die Luft gezogen, zappelt solange hilflos im Raum, bis sich der Bühnentechniker erbarmt und es eigenhändig erlöst: "Have fun!".
Slapstick, Quatsch, schwarzer Humor
Das Rumpelstilzchen ist Rufus (Stella Hilb), einziger Patient im Elternhaus der beiden Schwestern, das wie eine Mischung aus Herrenhaus und Apotheke aussieht. Ruth führt das verwaiste Sanatorium, Ani kehrt nach vielen Jahren hierhin zurück, um ihren Erbteil einzufordern. Doch dessen Einlösung ist durch einen perfiden Deal an Rufus' Leben gebunden, weshalb Ruth ihre Schwester dahingehend manipuliert, diesen totzupflegen. Das Offensichtliche wird Ani aber erst spät klar.
Dazwischen liegen einige mehr, viele weniger gelungene Szenen voll Slapstick, Quatsch und manchmal schwarzem Humor. Zunächst entfalten die eigentümlichen Figuren eine durchaus schlagende Komik. Die in ein orthopädisches Korsett geschraubte Ruth (Bettina Schneider) gibt die flintenwütige Despotin, die von Ordnung schwadroniert. Ani (Sonja Isemer) ist mit ihrer Perücke aus dünnem Blondhaar, fett schwarz gemalten Augenbrauen und unter glänzendem Gloss schlecht kaschierten aufgespritzten Lippen als Kathrin-Oertel-Karrikatur erkennbar.
Muss man die Politik-Äußerungen dieser Damen ernst nehmen oder nicht? Lachen lässt sich
jedenfalls über die drei "Mad Madams" in Halle © Falk Wenzel
Man erinnert sich, das war jene Pegida-Sprecherin, die es bis zu Günther Jauch schaffte, bevor sie sich von der ausländerfeindlichen und auch sonst unsympathischen Demo-Organisation trennte und seither bei Splittergruppen ihr Süppchen kocht. Ani legt auch gleich los und erzählt vom Ort Modersloch, wo man dank ihrer journalistischen Schützenhilfe – "Die Presse ist die Artillerie der Freiheit" – ein geplantes Krebszentrum abfackelte. Solche Kranken kann man nicht tolerieren, denn der Krebs gehört nicht nach Modersloch. Auch Ruth will von Armuts- und Wirtschaftspatienten nichts wissen.
Gegenseitige Therapie
Solche Anspielung auf "besorgte Bürger" ist ein bisschen plump, aber gelingt hier erst einmal absurd und pointiert im anfänglich frischen Spiel. Sie geht aber wie alle anderen später aufkommenden politischen Assoziationen und Verulkungen unter im zäh fließenden Dada. Arbeitsfetisch, Solidarität, Ablehnung des Homo oeconomicus und andere kleine kritische Aufsagereien verpuffen, während sich das Trio gegenseitig therapiert. Denn dass die drei hysterischen Hexen – auch Rufus ist eine Furienfigur – nicht ganz knusper sind, liegt auf der Hand. Wie ernst muss man ihre im Wahn geäußerten Politikerklärungen dann eigentlich nehmen?
Weil die Dramaturgie fehlt, rennt die Inszenierung im Schweinsgalopp aufs Ende zu und verliert alles Gespür für Tempo und Nuance, gerinnt zur Langeweile. Es wird überwiegend gekreischt und verbales Arsen in spitzen Tönen verabreicht. Slapsticknummern wie gegen die Wand rennen sind auf Dauer zu erwartbar. Der zigste Furz ist auch nicht mehr ganz so lustig, Annis Hängebrüste von Anfang an nicht – aber sie ist ja selbst Schuld, hat daran ja was machen lassen. So mäandert der Abend thematisch. Er fordert den Zuschauer, soll das sicherlich auch, aber eben nicht intellektuell, weil er über mehr als für Grundsatzkritik erklärte Allgemeinplätze nicht hinauskommt. Die drei Darstellerinnen zeigen sich in ihren völlig überzogenen Rollen schließlich gefangen, will ihnen beim umgelegten 100-Prozent-Aggro-Schalter nichts anderes bleibt, als wutschäumendes Dauerfeuer zu geben, also mit wüster Gestik zu schreien.
Maskierte Wirklichkeit
Das Sanatorium soll zum Spiegel der Gesellschaft werden, aber irgendwie erkennen kann man sich da nicht. In der totalen Überzogenheit wird jeder Stachel gezogen, soll man über permanentes Busengrapschen lachen oder über einfache Welterklärungen? Nein, der Zuschauer soll raus aus dem eigenen simplen Denkschema, will Abdel-Maksoud wohl verkünden. Denn schließlich entlarvt sich die Heilanstalt für ihre Insassen als Kulissenwerk und Fantasma, das nur existiert, weil die Zuschauer daran glauben.
Oha, die vierte Wand gibt es gar nicht? Welch Wunder: Inszenierungen – nichts anderes ist Populismus – funktionieren nur, weil sie ein Publikum für glaubhaft hält und sich daran klammert, egal ob nun Kunst oder Propaganda. Und diese inszenierte Wirklichkeit gehört eben mit den Mitteln der darstellenden Kunst entlarvt! Demaskierung war schon immer Thema des politischen Theaters, an dem es auch regelmäßig scheiterte. Da hat "Mad Madams" in der Wiederholung als Farce nichts hinzuzufügen und erntet – nolens volens? – brachialen Applaus.
Mad Madams
von Nora Abdel-Maksoud unter der Mitarbeit von Nora Haakh
Regie: Nora Abdel-Maksoud, Ausstattung: Katharina Faltner, Dramaturgie: Henriette Hörnigk.
Mit: Stella Hilb, Sonja Isemer, Bettina Schneider.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.buehnen-halle.de
Mehr von Nora Abdel-Maksoud: wir besprachen unter anderem ihre Inszenierung Kings vom Berliner Ballhaus Naunynstraße, die zu radikal jung 2015 eingeladen war.
In der Mitteldeutschen Zeitung (3.11.2015) berichtet Kai Agthe von einem "restlos begeisterten Premierenpublikum" und schreibt: "Das Stück steht und fällt mit seinen drei vorzüglichen Akteuren: Sonja Isemer als Ani, die investigative Journalistin und hysterische Königin der Schönheits-OPs, Bettina Schneider als ebenso zynische wie entseelte Anstaltsleiterin und Stella Hilb als dickbäuchig-dreistimmiger Rufus brennen förmlich vor Spielfreude, ja sie gehen bis zur physischen Erschöpfung in ihren Rollen auf und können dadurch auch manch dramaturgische Schwäche des Textes auffangen."
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