Blutgeld - Adenauers Weg
Aufwühlend wie das Tote Meer
von Verena Großkreutz
Stuttgart, 23. September 2016. "Im Namen des deutschen Volkes sind unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten." Ein Satz, der heute unproblematisch wirkt, aber am 27.9.1951, als Bundeskanzler Konrad Adenauer ihn im Bundestag sprach, hart errungen war. Zähe Diskussionen zwischen Gesandten Israels, den großen jüdischen Organisationen in den USA und der Bundesregierung über den genauen Wortlaut dieser Regierungserklärung waren vorausgegangen. Damals, nur sechs Jahre nach Kriegsende, erschien der Graben zwischen dem "Volk der Täter" und den Angehörigen der Holocaust-Opfer unüberbrückbar. Lange galt eine Annäherung zwischen Deutschland und Israel undenkbar.
Geschichts-Theater
Es war eine historische Leistung der Staatsmänner Konrad Adenauer und Ben Gurion, dem ersten israelischen Ministerpräsidenten, diplomatische Beziehungen auf den Weg gebracht zu haben. Es ging dabei zunächst um ein Wiedergutmachungsabkommen. Das brachte die meisten Knesset-Abgeordneten in Rage und führte gar zu Prügeleien im israelischen Parlament. Kann man mehrere Millionen Tote mit Geld aufwiegen? Manch einer forderte stattdessen blutige Rache. Andererseits brauchte der junge Staat Israel dringend finanzielle Unterstützung, war nach dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 so gut wie bankrott und hatte 700.000 Flüchtlinge, ehemalige Insassen deutscher Todes- und Arbeitslager, zu integrieren.
Peter Kempkes und Ernst Wilhelm Lenik als David Ben Gurion und Konrad Adenauer © Tom Philippi
Das milliardenschwere Entschädigungsabkommen mit Israel, das Adenauer 1952 unterzeichnete, bedeutete da eine große Chance für den Aufbau der noch jungen Demokratie. Den Weg der gegenseitigen Annäherung beschreibt "Blutgeld – Adenauers Weg", das neue Stück des israelischen Theatermannes Joshua Sobol, das jetzt im Alten Schauspielhaus der Schauspielbühnen in Stuttgart zur Uraufführung kam – als Auftragswerk in Kooperation mit dem Cameri Theater in Tel Aviv. Im Mittelpunkt: das erste persönliche Treffen zwischen Adenauer und Gurion am 14. März 1960 im Hotel Waldorf Astoria in New York. Zwei Realpolitiker mit moralischem Kompass sitzen sich da gegenüber. Die Atmosphäre ist freundlich und offen. Beide ziehen am selben Strang. Dem einen ist die "Sühne an den Juden" moralisch geboten und unentbehrlich für das deutsche Ansehen in der Welt, der andere hofft auf finanzielle und technische Unterstützung und Militärhilfe.
Rahmenhandlung im Kibbuz
Keine Frage: Sobol hat sich da ein Stück spannende Zeitgeschichte vorgenommen. Und sichtlich gut recherchiert. Gesprächs-, Verhandlungs- und Kabinettsprotokolle studiert, die Presse jener Zeit gelesen. Ambitioniert ist der Einsatz unterschiedlicher (übertitelter) Sprachen, vom Englischen übers Hebräische bis zum Jiddischen – schließlich weigerten sich die israelischen Politiker vehement, deutsch zu sprechen. Und Sobol hat um sein Doku-Drama eine Gegenwarts-Rahmenhandlung gebaut, aus der heraus immer wieder zurückgeblickt wird: Die junge deutsche Dokumentarfilmerin Angela und der in Deutschland lebende israelische Kameramann Liam planen einen gemeinsamen Beitrag über das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel. Im Rahmen ihrer Recherche besuchen sie Liams Großeltern Dora (Johanna Hanke) und Nachum (Pavel Fieber) in ihrer Kibbuzwohnung. Die sind Zeitzeugen, ganz nah an den historischen Ereignissen: Sie war Stenotypistin Ben Gurions, er Vorsitzender der sozialistischen Partei des Ministerpräsidenten. Vorne auf der Bühne im großelterlichen Wohnzimmer-Ambiente parlieren Oma und Opa über ihre Vergangenheit, hinten auf der Bühne in grauen Sitzquaderlandschaften wird über die Zukunft Israels, über die Vergangenheit Deutschlands, über Schuld und Sühne verhandelt.
Von links: Jan Uplegger, Volker Weidlich, Peter Kempkes, Aki Tougiannidis, Chris Urwyler
© Tom Philippi
Endlose Dialoge, hölzerne Regie
Alles gut gemeint. Und sicherlich bietet der Abend Geschichtstheater, das Oberstufenlehrer*innen eine ganze Menge Vorbereitung ersparen kann. Und vielleicht würde sich der Text auch für ein interessantes Hörspiel eignen. Aber gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Schier endlos reihen sich die Adenauer-Gurion-Dialoge aneinander, wechseln sich Blicke in die Knesset und in den Bundestag, in Verhandlungsrunden und Kaffeehaustreffen ab. Ungeheuer hölzern wirkt die Inszenierung von Ulf Friedrich. Peter Kempkes als Gurion und Ernst Wilhelm Lenik als Adenauer mit rheinischem Akzent sind schön zurechtgemacht und verkleidet, wirken aber wie Puppen: so gut wie frei von Charakterzeichnung. Und warum bloß wird die israelische Außenministerin Golda Meir von einem Mann (Jan Uplegger) gespielt?
Grau bleibt die Zeit
Vorne an der Rampe in der guten Wohnstube geht’s nicht weniger todlangweilig zu – abgesehen von der sehr quirlig, lebendig, engagiert agierenden Johanna Hanke als Dora. Hauptproblem: Die beiden jungen Journalist*innen (Daniel Fieber und Kim Zarah Langner) dienen eigentlich nur als Stichwortgeber, um die Doku-Schnitte zu verkleben. "Wann war denn das?" – "Woher weißt du das denn so genau?" Kurz: Der Abend ist so aufwühlend wie das Tote Meer. Geschichte wird nacherzählt, aber nicht packend vermittelt. Die alte Zeit bleibt grau, auch weil jede Stimmung außerhalb der Politiker-Welt, wie etwa die im Volk, so gut wie ganz ausgeklammert bleibt.
Und dann noch diese Moralkeulen! Nicht nur das Theater-Schlusswort Adenauers erinnert an gottesdienstliche Fürbitten: Er hoffe, dass die jungen Israelis "aus unserer tragischen Geschichte lernen werden, was eine Nation erreichen kann, wenn sie die Krankheit des Rassismus besiegt und sich von dem nationalistischen Wahn befreit." Amen.
Blutgeld – Adenauers Weg (Bloody Money)
von Joshua Sobol
Uraufführung
Deutsche Fassung von Kim und Manfred Langner
Regie: Ulf Dietrich, Bühne: Jan Karlsson und Ulf Dietrich, Kostüme: Petra Kupfernagel, Dramaturgie: Martina Kullmann.
Mit: Johanna Hanke, Kim Zarah Langner, Pavel Fieber, Daniel Fieber, Peter Kempkes, Ernst Wilhelm Lenik, Aki Tougiannidis, Jan Uplegger, Chris Urwyler, Volker Weidlich.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause
www.schauspielhaus-komoedie.de
Dorothee Schöpfer von der Stuttgarter Zeitung (25.9.2016) schreibt: "Aus dem Stoff hätte Regisseur Ulf Dietrich gut und gerne eine vierstündige Inszenierung machen können. So arbeiten sich die Schauspieler im Schweinsgalopp durch die komplexe Materie und wirken oft als bloße Textaufsager, die Unmengen von Sätzen bewältigen." Schöpfer bedauert, dass dass Dietrich nicht stärker auf seine Schauspieler gesetzt, ihnen mehr Zeit und Raum zum Spielen gegeben habe. Dennoch: "(S)ehenswert ist dieses Drama einer schwierigen Annäherung von Staaten und Staatsmännern allemal."
Eine "sehr gelungene Aufführung mit flotten Dialogen" hat Patricia Fleischmann von der Bietigheimer Zeitung (27.9.2016) erlebt. Das alternde Paar, dem die jungen Filmleute in der Rahmenhandlung des Stückes begegnen, sei "glänzend gespielt von Johanna Hanke und Pavel Fieber" und habe "nicht nur ganz unterschiedliche Ansichten zur Entwicklung Israels; vor allem gewähren die beiden rückblickend ganz unterschiedliche Einblicke darauf."
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