In der Gegenwart verwurzelt

Berlin, 1. Juni 2017. Der Dramatiker Tankred Dorst ist tot. Wie der Suhrkamp Verlag via Twitter mitteilt und der WDR meldet, starb der vielfach preisgekrönte Dramatiker im Alter von 91 Jahren in Berlin.

1925 im thüringischen Oberlin bei Sonneberg geboren, begann Dorst seine Schriftstellerlaufbahn in München, wo er in den 1950er Jahren für das Studenten-Marionettentheater "Kleines Spiel" Stoffe der Weltliteratur von Lope de Vega bis Grabbe bearbeitete. Seinen Durchbruch als Dramatiker erlebte er 1960 mit dem an Brechts epischem Theater geschulten Einakter "Große Schmährede an der Stadtmauer". Dorsts inhaltlich stets komplex gedachte Stücke wurzeln – trotz oft mythischer oder fantastischer Stoffe – in der Gegenwart. Besonders sein 1981 in Düsseldorf uraufgeführtes Achtstundendrama "Merlin oder Das wüste Land" inspiriert Regisseure immer wieder zu grundsätzlichen Befragungen der Zeit. Seine Verfechter heben Dorsts konsequentes Eintreten für eine Perspektive des Einzelnen hervor, sein Misstrauen gegenüber Ideologien und verordneten Perspektiven der Geschichtsschreibung.

Produktiver Autor

In seinen mehr als 50 Stücken setzte sich Tankred Dorst auf unterschiedlichste Weise mit den Fragen der menschlichen Existenz auseinander. Regisseure wie Peter Zadek, Dieter Dorn und Hans Neuenfels arbeiteten eng mit ihm zusammen. Neben Theaterstücken schrieb Tankred Dorst auch Libretti und Drehbücher. Viele Stoffe wurden gemeinsam mit Ursula Ehler entwickelt, mit der er seit Anfang der 1970er Jahre verheiratet war. 2006 inszenierte er Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" bei den Bayreuther Festspielen.

2009 wurde Dorst mit dem Verdienstorden des Landes Thüringen ausgezeichnet. 2010 wurde ihm der Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg verliehen, im selben Jahr wurde er Ehrenbürger von Sonneberg. 2012 erhielt er für sein Lebenswerk den Deutschen Theaterpreis "Der Faust". Sein letztes Stück "Das Blau in der Wand" wurde im Juni 2016 bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen uraufgeführt (hier unsere Nachtkritik).

Den Nachruf des ehemaligen Intendanten in Kassel, Bonn und Wiesbaden, Manfred Beilharz, mit dem Dorst die erst Bonner, dannn Wiesbadener Biennale "Neue Stücke aus Europa" gründete, können Sie hier lesen

(WDR  / geka)

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Kommentare  
Tankred Dorst: Passion
Volker Spenglers Darstellung von Dorsts "Korbes" am Schauspiel Fankfurt ist ein bleibender Eindruck - Dorst hat in dem Stück einen bösen Menschen dargestellt und überhöht, nicht wirklich psychologisch, einfach so. Er durchlebt eine Passion, ohne geläutert zu werden. Beeindruckend! Man sollte das Stück wieder spielen, es gibt viele Schauspieler, die darin glänzen könnten.

Übrigens hat Dorst für ein Projekt des Serapion Theaters in Wien auch einen der schönsten Titel jemals geliefert: "Einen Schatten habe ich umarmt, einen Wahn habe ich gefreit und einen Traum besessen".
Tankred Dorst: Sterblichkeit
Er schien unsterblich zu sein, und vielleicht ist er es jetzt tatsächlich.
Tankred Dorst: in Trauer
In Trauer und Verbundenheit ziehe ich meinen Hut.
Letzter Vorhang.
Chapeau, Tankred Dorst.
Tankred Dorst: Rose
Eine Rose für einen ganz Großen
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