Pe3r Gynt _im Park - Park Schloß Strünkede Herne
Der Lügenprinz
von Sascha Westphal
Herne, 14. August 2020. Die Atmosphäre im Park Schloss Strünkede in Herne ist erst einmal heiter und gelöst, trotz der drückenden Schwüle an diesem leicht trüben Sommerabend. Eben haben alle noch über die Geschichten und Eskapaden Peer Gynts geschmunzelt. Natürlich ist dieser schlaksige junge Mann, dem Gareth Charles mit seinem viel zu lauten Lachen und seinen weit ausladenden Gesten einen schalkhaften Charme verleiht, ein notorischer Lügner. Und natürlich weiß auch jeder, dass dieser Peer nichts als Unsinn macht und stets Chaos stiftet. Aber man kann ihm einfach nicht über längere Zeit böse sein. Dafür ist er in seiner linkischen Art einfach viel zu unbeholfen. Es ist offensichtlich, dass er nur dazugehören möchte. Doch dann kippt die Stimmung plötzlich.
Die zehn Spielerinnen und Spieler, die zu Beginn chorisch Peers Mutter verkörpert haben und ganz den geltenden Abstandsregeln entsprechend auseinandergestoben sind, sobald Gareth Charles auf sie zu rannte, formieren sich zu einem massiven Block. Wie aus einer Kehle skandieren sie nun wieder und wieder das Wort "Lügenprinz", ein erschreckend aggressiver Sprechakt, der sofort Erinnerungen an Bilder von Corona-Demos oder Pegida-Aufmärschen weckt.
Offenbarung im Park
Das harmlos spielerische Treiben, das Manuel Mosers Annäherung an den ersten Akt von Henrik Ibsens Schauspiel bis zu diesem Moment bestimmt hat, bekommt eine zutiefst bedrohliche Dimension, die noch durch die eigentlich so offene Open-Air-Situation in dem Park verstärkt wird. Im öffentlichen Raum, der viel durchlässiger für die gesellschaftliche Wirklichkeit ist als ein Bühnenraum, reagiert man anders, noch sensibler auf solche Ausbrüche. Schließlich ist hier die Grenze zwischen Spiel und Realität viel poröser als in einem Theaterraum.
Im Park offenbart sich, was eigentlich schon immer sichtbar war, aber leicht übersehen wird. Die Ausgrenzung, die Peer in seinem Heimatdorf erfährt und die ihn zu immer wilderen Geschichten verleitet, hat durchaus eine politische Dimension. Als Sohn eines Trinkers und Kind einer deklassierten Familie ist Peer ein Ausgeschlossener, einer, der durch das Verhalten der Menge radikalisiert wird. Diese Wahrnehmung, die auch eine kleine Entdeckung ist, erinnert einen daran, dass eben nicht nur der sich ständig verwandelnde, den Umständen anpassende Peer Gynt einer Zwiebel gleicht. Auch Ibsens Stück besteht aus zahllosen Häuten und Schichten, die keinen klar definierten Kern haben. Genau das macht dieses Schauspiel zu einem idealen Gegenstand für ein Projekt wie "Pe3r Gynt _im Park".
Drei freie Theater, die Gruppe Artsenico aus Dortmund, das Herner Theater Kohlenpott und das in Bochum beheimatete Rottstr5 Theater, haben sich zusammengetan und Ibsens Text entsprechend seiner Chronologie in drei Blöcke aufgeteilt. So ist eine vielgestaltige Inszenierung entstanden, die eigentlich aus drei aufeinanderfolgenden Inszenierungen besteht. Das theaterkohlenpott präsentiert unter Manuel Mosers Regie die Geschichten aus Peers Heimat, die zu seiner Flucht und seiner Begegnung mit den Trollen führen, als fortwährendes Gegeneinander von Individuum und Masse, Protagonist und Chor. Eine Anordnung, die neben der schon beschriebenen politischen Dimension auch ein großes emotionales Potential entwickelt. Der ständig fabulierende, sich aufspielende Peer erweist sich in Charles Gareths Spiel als Maske, als Figur, in die Peer schlüpft, um seine Verletzlichkeit und seine Verletzungen zu verbergen. Nur in den Szenen mit der von Emily Leimbach zurückhaltend gespielten Solveig ist Peer tatsächlich Peer, ein kleiner, sich nach Liebe verzehrender Junge.
Schlüssige Querverbindung
Die drei kurzen Teil-Inszenierungen verfolgen jeweils sehr unterschiedliche ästhetische und formale Ansätze. So lesen Rolf Dennemann und artscenico im mittleren Teil des Projekts den Afrika-Akt konsequent von seinem Ende in einer Kairoer Irrenanstalt her und beschwören so eine gespenstische Atmosphäre herauf. Vier meist stumme Figuren begleiten Peer auf allen Wegen. Sie könnten die Kranken aus der Klinik des Doktors Begriffenfeld sein. Zugleich haben sie aber auch etwas Geisterhaftes. Wie Albträume verfolgen sie Leander Gerdes' sich immer wieder dem Größenwahn ergebenden, im Innersten aber zutiefst verunsicherten Peer.
In der Kulisse des Schlossparks, in dem es sogar ein kleines grünes Labyrinth aus sorgfältig gepflegten Hecken gibt, rückt Dennemanns Inszenierung Ibsens Beschreibungen des Kapitalismus wie des Kolonialismus in die Nähe von Stanley Kubrick "Shining". Eine ebenso überraschende wie schlüssige Querverbindung. Denn wie Jack Torrance von bösen, zerstörerischen Geistern getrieben wird, ringen wir gemeinsam mit Peer mit den Gespenstern des 19. Jahrhunderts.
Spöttischer Totentanz
Etwas Geisterhaftes umweht auch Matthias Hechts Interpretation von Peers Schiffbruch und Heimkehr. Allerdings schlägt er einen deutlich ironischeren Ton als Rolf Dennemann an und inszeniert das Ende des Stücks als spöttischen Totentanz mit einem Chor lemurenhafter Gestalten, die den nun von zwei Spielerinnen und einem Spieler verkörperten Peer regelrecht vor sich hertreiben. Hier soll nicht nur ein Mann, der sich während seiner Suche nach Liebe und Anerkennung gänzlich selbst verloren hat, in der Kelle des Knopfgießers landen. In Hechts präzise und zugleich wunderbar neckisch choreographierter Inszenierung sind die drei Peers ohne Zweifel Doppelgänger des Publikums, das ihn begleitet. Sein Weg in die Kelle ist letztlich unser aller Weg.
Der dreiteilige "Peer Gynt"-Abend, der an aufeinanderfolgenden Tagen in drei Städten, Herne, Bochum und Dortmund, in Parks gespielt wird, betont aber nicht nur den Zwiebel-Charakter des Stücks. Er lässt das Publikum das Welten und Jahrzehnte umspannende dramatische Gedicht tatsächlich als eine große Reise erfahren. Jede Szene der drei kleinen Inszenierungen findet an einem anderen Ort statt. Man ist immer in Bewegung und erlebt neben dem Stück auch das alltägliche Treiben im Park. Meist bleiben die Parkbesucher im Hintergrund der eigenen Wahrnehmung, aber manchmal drängen sich einzelne von ihnen auch in den Vordergrund und verlängern das Spiel in die Wirklichkeit.
Peer Gynt ist einer von uns.
Pe3r Gynt _im Park 3 Orte // 3Blicke // 3Theater
nach Henrik Ibsen
Besetzung artscenico Dortmund
Regie: Rolf Dennemann, Assistenz on Location: Maya Porat/Mete Derendeli, Assistenz Script/Musik: Jochen Brüse, Ausstattung: Team
Mit: Leander Gerdes, Anna Hauke, Maya Porat, Jochen Brüse, Rayan Oulal, Katharina Weschke, Maximilian Mersson, Eva Ciocodeica.
Besetzung Theater Kohlenpott Herne
Regie: Manuel Moser; Dramaturgie: Frank Hörner, Ausstattung: Mauric Dominic Angres, Musik: Manuel Loos, Produktion: Gabriele Kloke
Mit: Gareth Charles, Emily Leimbach, Lina Klausch, Lia Pinto, Milena Michalak, Lasse Borutta, Nediem Ariem, Luca Amy Randau, Lydia Marel, David Drolshagen, Baker Tatchichi.
Besetzung Rottstr5 Theater Bochum
Regie: Matthias Hecht, Regieassistenz: Megan Dieberg, Dramaturgie, Produktionsassistenz: Anika Anders, Mete Derendeli, Musik: Manuel Loos, Produktionsleitung: Oliver Paolo Thomas, Alexander Ritter
Mit: Camilla Mücksch, Dyana Krupezki, Henk Buchholz, Hannah Kuzniarek, Jule Henzler, David Wöstmann, Lotte Maria Wieners, Larissa Keuntje, Julia-Mareen Korte, Nina Karsten, Karolin Kerstin.
Premiere am 14. August 2020 im Park Schloß Strünkede Herne
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.artscenico.de
theater-kohlenpott.de
www.rottstr5-theater.de
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Man fühlt sich dem Peer Gynt verwandt: gesellig trinkend, ständig auch fabulierend und sich aufspielend, erweisen wir uns in der Maske (wie auf der Bühne) als eine Figur dem Peer ähnlich, und verbergen hinter ihr dessen (unsere) Verletzlichkeit und die uns angetanen Verletzungen.
Und geradeso wie Peer vor Solveig, sind wir wie er kleine, sich nach
Liebe sehnende Jungen.
Oho, diese Sehnsucht nach LIEBE!
Liebe ist also eine Erartung (Tippfehler) eine Erwartung, die letztlich Unerfüll-Bar ist, lese ich gerade (Tages-Spiegel, dort steht unerfüllbar). Giebst du sie mir, so geb ich sie dir my Dear, oder so. Im Theater auf der Bühne wird Liebe und Tod gespielt. Und wir spielen derzeit mit dem Tod wenn wir uns nicht vor-sehen. Wie leichtsinnig doch viele sind! man glaubt es nicht.
zerstörerisch in einem fort und naturgemäß wird jeder mit dem er in Kontakt kommt auch durch ihn zerstört. - Eine negative Mutter zerstört das Kind
der negative Ehemann zerstört die Frau die negative Ehefrau zerstört den Mann. Die negativen Eltern zerstören ihre Kinder, der negative Lehrer
zerstört seine Schüler und es wäre besser nie geboren zu werden.
Gerade heute habe ich jedoch (es hat mir gut getan und mich wieder aufgerichtet) bei Thomas Bernhart gelesen: Ich wollte "leben", alles andere bedeutete nichts. Leben und zwar "mein" Leben, "wie und solange ich es will". Das war kein Schwur, das hatte sich der, der "schon aufgegeben gewesen war", in dem Augenblick in welchem der andere vor ihm zu atmen aufgehört hatte, vorgenommen. Von zwei möglichen Wegen hatte ich mich in dieser Nacht in dem entscheidenden Augenblick für den des Lebens entschieden."