Der Untergang des Hauses Usher - Im Münchner Marstall verjuxt Suse Wächter Edgar Allan Poes Gruselgeschichte
Die mit dem Raben tanzen
von Willibald Spatz
München, 1. März 2013. Es ist witzlos, manche Dinge zu parodieren, weil sie an sich schon eine gewisse Lächerlichkeit mit sich bringen. Deshalb sind sie auch zart und leicht zu treffen. Heavy Metal zum Beispiel oder das ganze Gruselgenre. Wie einfach ist es, sich darüber lustig zu machen. Dabei fängt der Spaß erst an, wenn man sich aufrichtig darauf einlässt.
Im Gruselgewusel
"Der Untergang des Hauses Usher" ist ein Klassiker. Die Geschichte ist aufgeladen mit düsterer Stimmung und vollgepackt mit morbiden, sexuellen und gesellschaftlichen Anspielungen – eine echte Steilvorlage. Suse Wächter und ihr Bühnenbildner Martin Miotk stellen zunächst einmal alle Versatzstücke des Unheimlichen, die man sich vorstellen kann, auf ihre Bühne im Marstall, der sich mit seinen unverputzten hohen Wänden als idealer Veranstaltungsort erweist: Da stehen Särge als Sitzgelegenheiten vor Flügeln, auf denen düster und stimmungsvoll musiziert werden kann. Vor den gewaltigen Fenstern zieht ein grauer Videohimmel vorbei, bevor sich samtene Videovorhänge vor ihnen schließen. Darunter eine Bibliothek mit wichtigen Werken wie Stephen Kings "Shining" und "Christine". An der Seite eine Wanduhr, aus der kuckucksgleich zur vollen Stunde ein Rabe hervorkommt und "Never evermore" krächzt; im Hintergrund, hinter einem Tisch mit Schlangenbeinen, ein mannshoher offener Brustkorb, aus dem Rauch hervordampft, wenn der Hausherr Usher an einer Zigarre zieht.
Uuuuh, unheimlich. © Thomas DashuberEr und seine Schwester Madeline werden von echten Schauspielern gespielt, wobei Thomas Gräßle und Friederike Ott als inzestuöses Horror-Geschwisterpaar ordentlich dick auftragen. Der Erzähler, der die beiden in ihrem Spukhaus besucht, um dort ein paar Wochen zu versandeln, ist eine Puppe mit rotem Totenkopf. Suse Wächter bewegt sie. Im Original ist der Erzähler namenlos, hier stellt er sich mit "Mein Name ist Edgar Allan Poe" vor, setzt sich auf einen Sarg mit Pferdesattel und schlägt ein Buch auf. Das hier habe er geschrieben.
Auf der Bühne spielt man von da ab die Erzählung. Das funktioniert deshalb so gut, weil alles, was hier Gag und albern sei könnte, die Sache an sich nicht bloßstellt, sondern im Gegenteil der Atmosphäre dient. Tote Puppen eben, denen durch einen Spieler eine Seele eingehaucht wird. Puppen-Poe bleibt nicht allein, leibhaftige Tänzer treten mit Totenkopfpuppen zum Tanz an. So weit, so unintellektuell. Schön, dass sich hier jemand traut, auf so einfache, nur auf Effekt schielende Weise zu erzählen. Und eben durchaus witzig, weil alle Einfälle, so komisch sie manchmal erscheinen, der Sache nicht nur dienen, sondern auch helfen, sie eine Ebene höher zu tragen.
Arsch ... äh, Usher
Usher stellt seine Vorfahren vor, indem er Oberschenkelknochen der einzelnen in den Raum wirft. Dabei rutscht ihm schon mal der ein oder andere "Arsch" statt Usher in die Rede. Seine Mutter steht plötzlich, als Puppe von Tine Hagemann zum Leben erweckt, vom Sarg auf. "Nicht jetzt, Mutter", sagt der Sohn. Und wir verlassen den linearen Erzählstrang und assoziieren frei über Poe und seine Motivation zu schreiben.
Die auf dem Tisch ruhende kataleptische Madeline erinnert Poe an seine Mutter, bei deren Sterben er mit drei Jahren zuschauen musste. Eine Babypuppe singt "Mother" zur von Madeline bedienten Klampfe, weil eben auch monströs aussehende Babys zur Grundausstattung eines verwunschenen Hauses gehören. Poe verwandelt sich, nachdem er als Po auf Ushers Arsch glotzen durfte, erst in Debussy, dem es im Gegensatz etwa zu Philip Glass nicht gelungen ist, seine "Usher"-Oper zu vollenden, und dann in Regisseur Roger Corman. Dieser hat Poe immerhin acht mal verfilmt und kann hervorragend den psychologischen Hintergrund erklären. Das Haus – da schau her – stehe nämlich für einen weiblichen Körper und das Betreten der Kellertreppe durch einen jungen Mann stehe auch für etwas und so weiter, woraufhin die Usher-Mutter unterbricht: "Eine Vagina voller Ratten und Spinnen". Bei der Sarglegung Madelines erscheint dann auch noch Elfriede Jelinek, die ebenfalls am liebsten die Toten sprechen lässt, weil die weniger widersprechen können. Kann sein, dass Suse Wächter auch einfach Freude dran hat, österreichisch zu sprechen.
Thomas Gräßle als Roderick Usher, Friederike Ott als Madeline und Suse Wächter mit Puppen-Poe. © Thomas Dashuber
Die lebendig Begrabene tritt schließlich zu Heavy-Metal-Musik wieder auf. Sie tanzt um die Stange, die in der Mitte des Tischs aufragt und über deren Bedeutung man schon die ganze Aufführung spekuliert hat. Kurz vor Ende besitzt sie endlich eine – was man bei weitem nicht von allem sagen kann, das man da sehen oder erleben durfte. Aber egal. Nicht alles, was passt, muss auch Sinn ergeben. Es kann auch einfach nur gut aussehen und großen Spaß machen.
Der Untergang des Hauses Usher
nach Motiven von Edgar Allan Poe
Regie: Suse Wächter, Bühne: Martin Miotk, Musik: Jan Faszbender, Licht: Martin Feichtner, Kostüme: Andy Besuch, Video: Timothee Ingen-Housz, Dramaturgie: Stefan Bläske.
Mit: Thomas Gräßle, Friederike Ott, Tine Hagemann (Puppenanimation), Suse Wächter (Puppenanimation), Tanz: Martin Bayer, Raul Dinescu-Broos, Andreas Ebert, Giuseppe Fiore, Markus Gruber, Steffen Hofmann, Lukas Hugo.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.residenztheater.de
Wie Edgar Allan Poe sich sonst so auf dem Theater ausnimmt? Zum Beispiel so: A Dream within a Dream mit Robert Hunger-Bühler in Zürich (Dezember 2010).
In ein "wundersames Totenreich", das "Suse Wächter zu seltsamem Leben erweckt", sah Egbert Tholl von der Süddeutschen Zeitung (4.3.2013) sich versetzt. Das Besondere an Wächters Arbeit liege darin, dass "sie sich mit ihren Kreationen nicht in eine rein artifizielle Welt zurückzieht, sondern mit ihnen mehr oder weniger normale Theateraufführungen verzaubert". Auch an diesem Abend biete "Deutschlands bekannteste Puppenspielerin" ein "Vergnügen – durchaus zweckfrei, aber klug, witzig und faszinierend wie ein guter Horrorfilm".
Der "alptraumschönen Bebilderung" des Poe-Werkes gab sich auch Mathias Hejny von der Münchner Abendzeitung (4.3.2013) hin. Spielerisch sticht Friederike Ott für ihn heraus, die von "so herzzerreißend jugendstilhafter Schwindsucht entmaterialisiert" sei, "dass sie selbst beim Tabledance kaum noch von dieser Welt zu sein scheint". Über das Gesamtereignis heißt es: "Es sind die lust- und liebevolle Perfektion in jedem Detail und eine das Genre listig unterlaufende Verspieltheit, die diese morbide Performance zu einem Theatervergnügen jenseits schlichter Parodie machen."
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