Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Was wissen Kritiker:innen?
Ich bin nicht euer Erklärbär
9. November 2021. Die Intendantin Karin Beier beklagt, Kritiker:innen läsen heute nicht mal mehr die Romane, die auf dem Theater adaptiert werden. Sie folgert daraus, Kritk sei nur noch "Scheiße am Ärmel" der Kunst. Eine Entgegnung.
Von Esther Slevogt
9. November 2021. Was muss die Kritikerin über das Stück wissen, das sie besprechen wird? Muss sie etwa den Roman gelesen haben, der einer Adaption für die Bühne zu Grunde liegt? Ja, das muss sie, werden viele an dieser Stelle sagen. Schließlich ist es ihr Job, zu beschreiben, wie der Roman auf der Bühne umgesetzt worden ist.
Diese Erwartung hat Anfang Oktober in einem Radiointerview auch Karin Beier, Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, formuliert. Und weil aus ihrer Sicht die meisten Kritiker zum Beispiel meist nicht mal die Romane mehr lesen, aus denen Theaterabende werden, hat Karin Beier die Kritik pauschal für nicht satisfaktionsfähig erklärt, zur "Scheiße am Ärmel" der Kunst.
Unschuld des Nichtwissens
Ohne weiter auf Qualität und Stil einer solchen Äußerung einzugehen, oder gar den Sound, der da aus einem Institut der Hochkultur dringt, dessen Hauptgegenstand die Sprache ist, möchte ich doch einmal fragen, ob diese Erwartung überhaupt gerechtfertigt ist. Ich für meinen Teil beanspruche als Kritikerin, einen Theaterabend auch mit der Unschuld des Nichtwissens erfahren zu können – im Zuschauerraum als das leere Blatt zu sitzen, das erst von der Aufführung beschrieben wird. Ich möchte nicht erst nach ausgiebigem Studium des Programmhefts, nach Publikumsgesprächen oder umfänglicher Vorarbeit erschließen können, was ein Theaterabend von mir will (falls er überhaupt etwas will). Das möchte ich vom Abend selbst erfahren.
Zu gelingen scheint dies aber immer seltener. Auch Karin Beier spricht davon, dass die Leute in dieser Spielzeit nur zögerlich ins Theater zurückkehren. Doch mit Relevanzproblemen hat das Theater auch schon vor Corona gekämpft. Der öffentliche Resonanzraum schwindet. Immer weniger wird über Theater berichtet, Feuilletons schrumpfen, lokale Kulturberichterstattung stirbt. Ist das Theater nicht mehr interessant genug? Warum schaffen es die Bühnen nicht mehr, eine breitere Gesellschaft anzusprechen mit ihrem Angebot?
Fleißbienchen verdienen
Doch anstatt dass sich das Theater Gedanken macht, ob es eventuell ein Vermittlungsproblem hat, wird das Problem auf die Kritik abgewälzt. Da werden eigens Fortbildungsakademien gegründet, um die Kolleg:innen in die Lage zu versetzen, überhaupt noch zu verstehen, was sich da auf der Bühne tut. Oder Kritiker:innen sollen sich Fleißbienchen verdienen und brav die Motive erkennen oder Intentionen repetieren, die den Abenden zu Grunde liegen. Um dann wie bei Heidi Klum ein Foto entgegennehmen zu dürfen: Brav, alles verstanden, setzen. Nö. Der Theaterabend muss mir schon selbst mitteilen können, was er von mir will. In erster Linie betrachte ich mich als professionelle Zuschauerin. Und nicht als Sprachrohr und Erklärbär des Theaters. Ich bin auch nicht die, die sich zu prüfen anmaßt, ob ein Roman adäquat umgesetzt wurde. Ich beanspruche einfach, als reiner Tor im Publikum sitzen zu können, um dort von den Blitzstrahlen der Schönheit und der Erkenntnis getroffen zu werden, die später dann auch meine Kritik illuminieren.
Esther Slevogt ist Chefredakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. Außerdem ist sie Miterfinderin der Konferenz Theater & Netz. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
In ihrer letzten Kolumne schrieb Esther Slevogt über das merkwürdige Tagebuch des Kritikers und Theatermenschen Günther Rühle.
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Nachdem ich erst kürzlich selbst einen literarischen Stoff dramatisiert habe, muss ich auch sagen, dass es mir ehrlich gesagt ziemlich egal ist, ob Kritiker:innen den Stoff vorher gelesen haben oder nicht, nicht zuletzt, weil das bei einer Bezahlung von selten mehr als 100 Euro, oft genug aber auch weniger als 50 Euro pro Kritik selbstverständlich ihre Entscheidung ist, ob sie dem 3-Stunden-Theaterabend und den 4 Stunden Arbeit an der Kritik selbst noch 50 Stunden Romanlektüre vorausschicken wollen. Könnte ich es mir aussuchen, wäre es mir außerdem sogar lieber, man ließe sich überraschen (anstatt z.B. mit bereits vorgefertigten Meinungen ins Theater zu gehen, um diese dort bestätigen zu lassen — passiert nämlich dann auch gern mal), zumal ich ja auch neugierig bin, ob der von mir inszenierte Abend auch mit einem Publikum kommunizieren kann, das sich nicht schon umfassend in den Stoff eingelesen hat. Außerdem, wo mach ich da die Grenze? Sollen Kritiker:innen auch vorher die Theaterstücke lesen? Gar bei Uraufführungen? Die Strichfassung in letzter Form? Mit oder ohne Regieanweisungen drin? Gott bewahre — bitte nicht. Als Filmkritiker:in lasse ich ja auch nicht vorher das Drehbuch vom Studio zuschicken.
Wichtig ist mir daher aus Sicht des Theaterschaffenden, dass jemand die Bereitschaft mitbringt, sich auf die Inszenierung einzulassen und sie anhand möglichst transparenter Kriterien zu diskutieren. Das heißt aber natürlich auch, dass man sich als Kritiker:in bis zu einem gewissen Punkt nackt und angreifbar machen muss. Eine Kritik (egal ob positiv oder negativ), der ich nicht widersprechen kann, ohne den Abend gesehen zu haben, ist in meinen Augen keine Kritik, sondern lediglich ein Richterspruch, ein reines Statement, das keinen Dialog will.
Unabhängig davon, wie ärgerlich und denkfaul manche Kritiken sein können, halte ich es übrigens für befremdlich, die Theaterkritik pauschal mit Fäkalsprache abzukanzeln. So wird schließlich auch kein Diskurs, kein Weiterdenken angestoßen, der aber ja das Ziel jeder Kritik (und Gegenkritik) und aber ja ebenfalls der Kunst sein sollte.
was aber stimmt, ist die mangelnde Kommunikationsbereitschaft der Künstler, es sollten keine Aufklärungsworkshops für die Presse ( die das sowieso nicht schätzt) erfolgen, sondern regelmässig für das "Lauf"-Publikum, welches das bestimmt zu schätzen weiss..obwohl viele Dramaturgen das ( aus Faulheit?!) nicht glauben können..
Ich glaube, für die Theater ist es sehr sinnvoll, die häufig vorherrschende Binnenperspektive mal endlich zu verlassen und einen gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel einzunehmen. Den fordert hier auch Esther Slevogt zu Recht. Ein Beispiel: Die Aufregung über die Beschlüsse des Bundes und der Länder, Kultureinrichtungen bei der Corona-Bekämpfung im Herbst 2020 als „Freizeit- und Veranstaltungsorte“ zu subsumieren, war groß. Verlässt man aber die institutionelle Blase, so ist es wohl im Alltag so, dass Theater, Volkshochschulen oder Museen von Teilen der Politik und Bevölkerung zunächst einmal wirklich nur als Freizeitangebote gesehen werden. Eine Differenzierung erfolgt häufig nicht. Die substanzielle Sicht hingegen entspricht der der Akteur*innen, die über die öffentliche Zuschreibung schnell in Larmoyanz verfallen könnten und sich abgewertet fühlen. Was heißt es aber, wenn diese öffentliche Zuschreibung besteht? Wenn es schwer ist, eine differenziertere Sicht zu vermitteln? Und wie müssen sich Kultureinrichtungen aufstellen, um hier nachsteuern zu können? Wir Theaterleute werden uns daher warm anziehen müssen, um kräftigst das Ruder rumzureißen. Aber das kann auch gut sein.
Wenn Theater Relevanz für die ganze diverse Gesellschaft erreichen will, muss es sich verständlich machen - und zwar dort, wo der Kern der ganzen Unternehmung stattfindet: auf der Bühne. Und endlich Zugangshürden abbauen - statt Kritiker/innen zu beschimpfen. Alles andere sind wenig hilfreiche Behauptungen aus dem Elfenbeinturm.
Aber der Weg dahin ist einfach weit. Wieviel Arbeit ich schon in zahlreiche wirklich fantastisch inszenierte Abende ich schon gesteckt habe. Wie oft habe ich hierfür einfach lieblose Kritiken bekommen, nur weil die Vorlage nicht 1:1 umgesetzt wurde... Es liest sich einfach viel zu oft sonnenklar raus, dass Kritiker ihre Erwartungen nicht erfüllt bekommen haben, und das Publikum und viele Kollegen finden das gesehene hinreissend. Oder aber: nachtkritik zb kommt gar nicht erst, weils halt nicht Stadttheater oder fett subventionierte "freie" Szene ist.
Ja, viele inszenierungen (oder abgefeierte Regisseure) sind nicht toll oder polarisieren, das seh ich ja auch. Ich gehe sehr sehr viel selber ins Theater. Aber dem Theater für schlechte Kritiken oder wenig Publikum nach der Pandemie die Relevanzfrage zu entgegnen, weil viele Kritiken wirklich lieblos und trist sind, ist vielleicht besserer Stil, aber auch nicht hilfreich.
Letztlich haben sowohl die darstellenden als auch die bildenden ein großes Problem: dass zu viel produziert wird ohne wirklichen ethos. wie man da aussteigt, weiss ich nicht. Ich verstehe aber sowohl Karin Beier als auch Esther Slevogt. Wenn man mit ethos arbeitet, beleidigen einen einfach bestimmte Aussagen und Arbeitshaltungen.
dann möchte ich aber auch nicht mehr "La traviata" auf der Bühne sehen, und auch den "Paten" nicht mehr im Kino, vom "Herrn der Ringe" ganz zu schweigen. Ich weiß nicht, warum immer wieder diese blöde Diskussion über die Romane aufkommt. Ich habe schon sehr schlechte Romanbearbeitungen auf der Bühne gesehen, aber ich habe auch schon sehr eindrückliche gesehen. Ich habe aber auch schon sehr schlechte Faust-Aufführungen gesehen und sehr eindrückliche. Schaut doch einfach auf die Bühne anstatt Dogmen zu verkünden.
Meine jüngste Erfahrung in Dortmund (Der Platz): ein Stück, das keines ist, eine Inszenierung, die nicht stattfindet, Schauspieler*innen, die abwechselnd nur den Originaltext der Erzählung sprechen, ohne jede Dramatik oder Emotionen... und eine nachtkritik, die das alles auch noch schönreden kann. Sehr schade, diese "Theaterform" wird es - nach meinem zugegeben bürgerlichen Theaterverständnis - nicht schaffen, die Zuschauer wieder in die Häuser zu holen. Schade.
LA TRAVIATA und DER PATE sind doch eigentlich sehr schöne Beispiele, um Ihre Sicht/Argumentation gegen das bei Herrn Rothschild vermutete Dogma zu stützen, anstatt sie sarkastisch im Umkehrschluss als das (behauptete) Übel zu verdammen.
Der Jüngste der Alexandres dramatisierte seinen (autobiographisch grundierten) Roman immerhin selbst. Verdi kannte beides Roman und Drama - das Echo das in ihm entstand, verstärkt durch eigene, unmittelbare Erfahrungen, wurde zu einem neuen originären Bühnenwerk. Voilà, la réalité du débat que nous engageons ici, n’est pas?
Und Mario Puzo schrieb das Drehbuch zu Coppalos Film ebenfalls höchstselbst - und wurde dafür mit einem Oscar geehrt. So what ...? Congrats!
Ich gebe Ihnen Recht, die Diskussionen um Adaptionen anderer (nichtdramatischer) Literatur für die Bühne sind albern, faul und führen nirgendwohin ... denn wie Frau Slevogt und einige andere hier schreiben: Es zählt, ob die auf der Bühne und die im Publikum zusammenfinden, ob die bereit sind etwas mitzuteilen, etwas zu spielen und die bereit sind, es zu empfangen …
Randnotiz 1: Jüngst war ich bei der Präsentation von zehn während einer Schreibwerkstatt entstanden neuen dramatischen Texten. Sechs davon werden bis Ende 2022 inszeniert – komplett institutionell finanziert …
Randnotiz 2: Dafür, dass Frau Beier Kritiken lästig findet, wirbt das Schauspielhaus Hamburg auffällig viel mit Rezensionen für die eigenen Arbeiten ...
Ein ehrbarer Anspruch, doch wer, wenn nicht Sie, besitzt einen Fundus an Vorwissen? Nun setze sich doch mal jener Teil der Gesellschaft ins Theater, jene 95 Prozent, die nicht theaterwissenschaftlich vorbelastet, nicht vertraut mit aktuellen Diskursen und Moden sind, und man frage sie anschließend: Was haben Sie erfahren? Man befrage Sie auch zu zeitgenössischen Stücken, zu assoziativem Schluckauf, chorisch vorgetragen an der Rampe über die immergleichen Themen der linken Gesinnungsgemeinschaft. Und die Fragen werden sich alle auflösen, ein kurzer Schreck, und der Schluckauf ist verschwunden. (Glauben Sie mir, ich muss in der Kulturvermittlung beruflich danach fragen und mich mit dem Verdruss und der Verwunderung der Befragten herumschlagen…)
Tja - und dann kommt dann noch der Aspekt der Bezahlung. Nein, niemand zahlt mir das Lesen des Romans. Und klar: Je weniger mir die Lektüre gefällt, umso weniger kann ich mich dazu animieren, ihn richtig zu lesen. Aber nur weil ich schlecht bezahlt werde, verliere ich ja nicht die Ansprüche, die ich selbst an mich stelle. Und auch klar: Da ist der Quell ewigen Unbehagens. Und die Diskussion um Romane oder nicht, verstehe ich eigentlich gar nicht. Entweder die Inszenierung ist gut oder schlecht. Was dem Ganzen zugrundliegt, ist mir Wurscht. Hauptsache, es macht was mit mir im Zuschauerraum.
Sorry, Esther, no way.
Die Deformation professionelle schlägt da voll durch.
Sage ich nicht zuletzt als jemand, der seit 3 Jahren die Kolumne "Fotolot" für Gegenwartsfotografie im Perlentaucher leitet.
Ansonsten sollten Leute wie Karin Beier mit dem Fundament ihres Top-Festgehalts seit zwanzig Jahren ganz ruhig sein.
Die offenkundigen Probleme am Theater - steile Hierarchien, Vettern-/Cousinenwirtschaft, der existenzielle Graben zwischen Festangestellten und Freien, die generelle Überalterung des Formats als solches - haben mit der professionellen Theaterkritik so gut wie gar nichts zu tun. Im Gegenteil: KritikerInnen halten sich meiner Erfahrung nach in den Medien sogar bewusst zurück, um nicht gleich das ganze Format in Frage zu stellen, von dem sie nicht zuletzt selbst leben.
Wie gemein muss man sein, dass man über die Arbeit anderer als "Scheiße am Ärmel" spricht?
Diese seltsam beleidigte Anspruchshaltung, die Karin Beier formuliert, und die aus meiner Erfahrung viele künstlerische Leitungsmenschen teilen, ist ja nicht auf Kritiker*innen beschränkt. Karin Beier entlarvt sich dahingehend selbst, wenn sie (laut Interview) sich nur mit Menschen unterhalten möchte, die sich „ernsthaft und ausgiebig mit den Themen auseinandersetzen“. Bitte, was für eine sozialchauvinistische Haltung zum eigenen Publikum ist das denn? Da tritt doch die Erwartung deutlich zu Tage, dass es ihr darum geht, Theater für ein Publikum zu machen, dass den „intellektuellen“ Background und vor allem die Zeit(!) mitbringt, aus einem Theaterbesuch ein persönliches Proseminar mit Vor- und Nachbereitung des erlebten Abends zu machen.
Und da liegt meiner Meinung nach der Relevanzhase im Pfeffer. Dieser hochkulturelle Distinktionsfetisch, der innerhalb des Betriebs grassiert, ist es doch, der die mittlerweile viel diversere Gesellschaft aus den Häusern fern hält. Das zeigt sich auch daran, wie viele der hier Kommentierenden auf Theater blicken. „Zu der Gattung zurückkehren, die für das Theater bestimmt ist“. Das empfinde ich als künstlerisches Gatekeeping. Meines Wissens nach ist Theater aus rituellen Götterdiensten entstanden. Das Drama (bzw. das Theater der griechischen Antike) hier als Wiege vom allem zu tradieren, ist doch mindestens ein Eurozentrismus, von dem wir uns emanzipieren sollten. Dass wir 2021 immer noch ernsthaft darüber reden, welche Texte und Formen für das Theater™ richtig oder falsch sein sollen, ist doch absurd.
Aber daran krankt es aus meiner Sicht. „Hach, die Klassiker!“ „Pfui, das Mitmachtheater!“ „Hach, die empfinden!“ „Pfui, die performen!“ Alles was nicht dem Ideal einer patriarchal geprägten, weißen, bürgerlichen Sicht auf Theater entspricht – seien es die Stoffe, die Formen, die Menschen, die sie darstellen oder produzieren – ist für die Mehrheit der (eben patriarchal geprägten, weißen, bürgerlichen) Szene zunächst mal verdächtig.
Das sogar das Deutsche Stadttheater einem grundsätzlichen Wandel unterworfen sein könnte, sollten wir dringlichst nicht nur akzeptieren sondern umarmen.
PS: Wer Scheiße am Ärmel kleben hat, hat wohl ins Klo gegriffen.
So viele der Kritiken sind nicht ansatzweise auf der Höhe der Inszenierungen, weil sie sich einem Gegenstand gegenüber sehen, welcher sich so sehr verwandelt, die Kritisierenden aber noch auf einem Niveau von 1970 sind , wo Video, Musik Fremdtexte usw nicht ansatzweise so eingearbeitet wurden , wie es heute der Fall ist. Der Gegenstand ist in seiner Komplexität der Kritik davongeeilt.
Und das Frau Slevogt das nicht zu erkennen vermag, macht sie nicht zu "wie ein Tor", sondern zu demselben ohne "wie".
ich hatte es schon befürchtet, dass dieses geistig sich wendende Zeitalter allmählich auch den Sinn für Ironie verlieren würde. Also: sehen Sie das blitzende Auge von Esther Slevogt in dem kleinen Filmchen, hören Sie auf ihren Ton. Es gibt auf nachtkritik.de keinerlei Hinweis darauf, dass wir entwerten, was wir nicht besprechen KÖNNEN. Wir treffen eine Auswahl unter 250 Premieren im Monat, weil wir personell und ressourcenmäßig nicht mehr Premieren besprechen KÖNNEN. Nicht wir selbst, sondern die Theaterleute schreiben uns zu, dass ohne eine Nachtkritik eine Produktion gar nicht existiere=wahrgenommen werde. Natürlich ist das maßlos übertrieben, weil die Theaterbesucher:innen vor Ort nicht auf nachtkritik.de angewiesen sind, um das Theater zu besuchen oder eben nicht zu besuchen. Eigentlich geht es bei dem Satz von der Nicht-Existenz einer Inszenierung so sie nicht auf nachtkritik.de rezensiert werde, um die überregionale Öffentlichkeit. In der existiert eine Produktion tatsächlich nicht, wenn sie nicht in den Radiosendern oder großen Zeitungen oder gar im Fernsehen besprochen oder wenigstens erwähnt wird. Das Netz mit seiner zerstreuten Öffentlichkeit hilft da wenig. Trotz nachtkritik.de. Es ist dieses Problem der mangelnden Aufmerksamkeit für Theater in der Öffentlichkeit, gedacht als ein die Gesellschaft verbindender Raum, worauf Esther Slevogt ironisch anspielt. nachtkritik.de ist einmal angetreten, um das Konzert der Stimmen, die sich anlässlich einer Theater-Inszenierung erheben, hörbar zu machen und zu verstärken. Es gibt aus meiner Sicht keinen Anlass, an diesem Gründungs-Movens als fortgehendem Auftrag der Plattform zu zweifeln.
mit schönem Gruß
nikolaus merck