Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Auf dem Theatermarkt
Die dritte Säule
28. Juni 2022. Gerade fand der Theatermarkt der INTHEGA statt, also der Städte und Kommunen, die kein selbst produzierendes Theater haben und hier Gastspiele einkaufen. Sie sind wichtige Außenposten und Fundament der hiesigen Theaterlandschaft in einem. Und werden gern übersehen.
Von Esther Slevogt
28. Juni 2022. Wenn in den Feuilletons und auch auf nachtkritik.de über Theater geschrieben wird, dann handelt es sich in der Regel um Themen beziehungsweise Produktionen aus dem Stadt- und Staatstheaterbetrieb oder aus der Freien Szene. Beide gelten als die tragenden Säulen des Theatersystems in Deutschland. Tatsächlich aber gibt es noch eine Szene, die meist unterhalb des Radars der Hochkultur operiert. Dabei sichert sie die kulturelle Grundversorgung in der sogenannten Fläche ab – also in Städten und Regionen abseits der Metropolen, die zum Beispiel kein eigenes Theater mit stehendem Ensemble oder überhaupt Produktionsmöglichkeiten haben.
Arbeit der Außenposten
Die Spanne der Einrichtungen, aus denen sich diese dritte Säule des Theatersystems in Deutschland zusammensetzt, reicht vom Kulturamt in Minikommunen bis hin zur Stadthalle in mittelgroßen Städten. Zu nennen sind hier unbedingt auch jene, die diesen Einrichtungen vorstehen, und die so vielfältig wie die von ihnen geleiteten Institutionen sind. Da ist der engagierte ehrenamtliche Mensch, der im Alleingang unermüdlich ein Kulturprogramm in einer Gegend weit jenseits der Metropolen organisiert; da ist die energische Kulturamtsleiterin einer Kleinstadt, die immer wieder mit der Verwaltung, der sie angegliedert ist, um Budgets und Mitarbeiter:innen kämpfen muss.
Oder die Leitung von Stadthallen, die diese Mehrzweckhallen durch ein anspruchsvolles Kulturprogramm mit Leben und Atmosphäre aufzuladen versucht. Und da sind nicht zuletzt diejenigen, die Häuser in Städten leiten, deren Theater als produzierende Betriebe abgewickelt wurden, und wo der Spielbetrieb nun mit Gastspielen aufrechterhalten wird.
All diese Institutionen sind in einem Dachverband organisiert, der den etwas sperrigen Namen INTHEGA hat – ausgeschrieben "Interessensgemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen". Denn die hier organisierten Einrichtungen kaufen für ihre Bespielung Gastspiele ein – in der Regel von Theaterproduzent:innen, die ohne jede öffentliche Subvention auskommen müssen. Ihre Produktionen sind daher darauf angewiesen, auf Publikumsbedürfnisse einzugehen, weil ihre Akzeptanz an der Theaterkasse eine Überlebensfrage ist. Es ist in gewisser Weise also ebenfalls eine vitale freie Szene und während der Pandemie kurzfristig in Gefahr, eine Szene im freien Fall zu werden. Aber dann bekam auch sie Geld von Neustart Kultur.
Was für eine Spannbreite
Die Spannbreite der Produktionen, die in diesem Bereich entstehen, ist enorm, wie auf dem diesjährigen Theatermarkt am 21. und 22. Juni in der Stadthalle Bielefeld zu besichtigen war, den ich zum ersten Mal besuchte, weil ich bei der ihn begleitenden Fachtagung auf ein Podium eingeladen war. Das Angebot reicht von der aufwändigen Opern- und Musicalproduktion bis zum experimentellen Zirkus. Da gibt es anspruchsvolles zeitgenössisches Theater, das mit Film- und Fernstehstars als Zugpferden tourt, wie die Produktionen der Konzertdirektion Landgraf, die seit 1946 ohne öffentliche Gelder von einem Schwarzwaldhaus in der Nähe des Titisees aus die Republik bespielt. Magier bieten ihre theatralischen Dienste ebenso auf dem Theatermarkt an, wie frei produzierende Theatercompagnien ihre eigenwilligen Produktionen.
Gelegentlich ist auch Schrulliges oder populärer Klamauk dabei – auch dies ist ja legitimer Bestandteil eines ganzheitlichen Unterhaltungsangebots. Übrigens bieten auch einige Landesbühnen hier ihre Produktionen an, die, was ich bisher immer dachte, nämlich keineswegs nur eine kulturpolitisch definierte Region bespielen, sondern aktiv ihre Produktionen an Gastspielhäuser auch selbst verkaufen müssen. Und die eine Art Verbindungsglied zwischen zwei ansonsten vollkommen verschieden arbeitenden Theatersystemen sind. Auch das Staatstheater Augsburg präsentierte seine VR-Produktionen, die Theater via VR-Brille als postalisch versendbares Gastspiel ermöglichen.
Risse verhindern
Über 400 Städte und Kommunen sind in der INTHEGA organisiert – Gemeinsam organisieren sie Theater für circa fünfzehn Millionen Menschen in diesem Land: mit Herzblut, Engagement und oft gegen Spar- und andere Zwänge ihrer Verwaltungen, die nun, nach der Pandemie noch drückender zu werden drohen: Weil durch den Krieg auch die Energiepreise und damit die Unterhaltskosten ihrer Einrichtungen steigen. Weil auch bei ihnen das Publikum vielleicht nicht so leicht zurückkehren wird. Weil ihre Verwaltungen während der Pandemie abgezogene Mitarbeiter:innen nun nicht mehr zurückgeben.
Sie brauchen Sichtbarkeit und Öffentlichkeit, aber sie brauchen auch Solidarität. Damit diese bedeutenden Außenposten der Theaterlandschaft nicht verloren gehen. Denn sie machen zum Teil Theaterarbeit an der Basis, und Kulturarbeit, die das Fundament ausmacht, auf dem auch die Leuchttürme dieser Theaterlandschaft stehen. Bekommt das Fundament Risse, wankt das ganze System.
Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben
Esther Slevogt
Esther Slevogt ist Chefredakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
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