Medienschau: Neues Deutschland – Die kollektive Intendanz der Berliner Volksbühne
Mühsam konstruierte Umdrehung
Mühsam konstruierte Umdrehung
5. Febuar 2022. Versuche, mehr über die konkrete Ausgestaltung der kollektiven Intendanz herauszufinden, könnten spätestens seit dem letzten Interview zweier Trägerinnen der Intendanz und dem Getragenen als müßig eingeschätzt werden, schreibt Luise Meier im Neuen Deutschland.
In besagtem Interview mit den "Texten zur Kunst" hätten sich Vanessa Unzalu Troya, Marlene Engel und René Pollesch – nach praktischen Formen der kollektiven Intendanz gefragt – darauf geeinigt, den Begriff Kollektiv überwunden zu haben und sich fortan Plattform zu nennen.
"Selbst Schuld, wer die mühsam konstruierte Umdrehung des Plattformbegriffs, die dann folgt, nicht mitmacht und dabei einfach an Plattformkapitalismus denkt: Netflix, Bezahlschranke, Premium-Abo, Cookie- und Pushnachrichtenterror, Datenabschöpfung, Lohndumping, Amazons ausbeuterischer Umgang mit Arbeiter*innen und Händler*innen, die mittlerweile in der Presse breit diskutierten gesellschaftlichen Folgen von Facebook und Instagram (von Essstörungen bei Kindern bis zum Genozid in Myanmar), Scheinselbstständigkeit, die Ausbeutung von Musiker*innen durch Spotify und die Monetarisierung aller noch so sperrigen Inhalte." (sle)
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Der Versuch die Volksbühne pauschal gegen linke Kritik abzuschirmen, Pollesch auf diese sehr weit hergeholte Weise mit Heiner Müller gleichzusetzen, als Regisseur zu kanonisieren oder die Autorin in ein zwielichtiges Licht zu rücken, berührt die nachvollziehbaren Argumente und Fragen, die der Artikel ausspricht, leider überhaupt nicht.
Zu Einheitslohn und Kritik am Gothaer Programm, [eine ausführliche Diskussion hat hier wahrscheinlich keinen Platz, aber vielleicht ja irgendwann an der Volksbühne :) ]:
Was Marx klar macht, ist, dass so etwas wie ein Einheitslohn nicht das Ziel einer kommunistischen Bewegung oder Partei sein kann, das Ziel ist Kommunismus und das bedeutet auch die Abschaffung der Lohnarbeit, womit der Einheitslohn obsolet würde. (Was ich als das Gegenteil von „Etwas mehr Mitbestimmung, also etwas mehr ‚Sozialismus‘“ lesen würde.) Am Ende steht das Prinzip: Jede nach ihren Fähigkeiten (Arbeit) und jeder nach ihren Bedürfnissen (Konsum bzw. Verteilung). Das bedeutet das Hinausgehen über den Leistungsmaßstab, denn Fähigkeiten (oder Arbeitsleistung) und Konsum sind hier eindeutig entkoppelt. Sie haben also Recht, dass sich der Kommunismus/Marxismus insofern nicht um Begabung schert, als dass es ihm nicht darum geht, inwiefern jemand leistungsfähig ist, in der Frage ob seine/ihre Bedürfnisse oder erst einmal das Überleben gesichert werden. Das ist wichtig, wenn es um die Stellung von Kindern, Alten, chronisch Kranken, Menschen mit Behinderung, aber auch schwerer körperlicher Arbeit, Schichtarbeit und vielen anderen geht. Aufgrund der Unterschiede der Menschen und ihrer sozialen Umstände bewirkt ein pauschal gleicher Lohn Ungleichheit, weil höhere Begabung privilegiert wird - nicht aber das spezifische Bedürfnis (einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern zum Beispiel.)
„Dies gleiche Recht ist ungleiches Recht für ungleiche Arbeit. Es […] erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit der Arbeiter als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht.“ (Kritik des Gothaer Programms).
Das führt zu der Frage, die in einem Findungsprozess (wie er von verschiedenen Seiten gefordert wurde) zu diskutieren wäre: Was ist die Einheitlichkeit oder Einheit im Einheitslohn, wenn wir von den (immer ungleichen) Bedürfnissen ausgehen? Mit dem demokratischen Findungsprozess ist aber noch ein anderer Aspekt der „Kritik des Gothaer Programms“ angesprochen:
Da das Ziel nicht die gleiche oder gerechte Verteilung des „Arbeitsertrags“ ist, sondern die demokratische Mitbestimmung über Produktionsmittel und -bedingungen, wäre nicht das Ergebnis eines wie auch immer gearteten Einheitslohns der entscheidende Schritt in Richtung Emanzipation, sondern der kollektive demokratische Prozess der Entscheidung darüber. Ist ein solcher Prozess erstmal angestoßen, kann ich mir vorstellen, dass auch viele andere Produktionsbedingungen zum Gegenstand demokratischer Aushandlung und Neuorganisation werden müssten (Arbeitszeit, Verteilung der Ressourcen, Gelder für Produktionen, Räume u.a.). Das ist eine ganz spannendes Verhältnis von Weg und Ziel, finde ich. Jedenfalls gibt es noch viel zu diskutieren.
Ich glaube allerdings nicht, dass die „Kritik des Gothaer Programms“ für eine Verteidigung des Staus quo herhalten kann.
Vielleicht noch zur Klärung: Ich bezeichne mich nicht als „Neo-Marxistin“, sondern meistens einfach als Marxistin (so schwammig das oft erstmal ist, ist es immer eher der Anfang einer Diskussion) und bin nicht Mitglied beim Kollektiv Staub zu Glitzer (wobei ich deren Forderungen durchaus richtig finde).
Wenn zum Beispiel das Thema einheitliche Entlohnung (oder etwas nahekommendes) wirklich von Interesse wäre, also nicht nur für einen Artikel oder für eine weitere Runde der Selbstbeschäftigung --> gäbe es ja historische und aktuelle Rollenbilder.
Das Theater der Soleil in Paris zahlte jahrzehnte einen Einheitslohn, Ariane Mnouchkine hat das ausführlich begründet und analysiert. In Berlin hat das die Neuköllner Oper lange gemacht, auch die taz. Wer Interesse hätte, könnte sich ja dort erkundigen.
Bei der Debatte geht es aber gar nicht um Erkenntnisinteresse oder um die tatsächliche Verbesserung von Arbeitsverhältnissen -- sondern um die Befriedigung narzisstischer Bedürfnisse und darum einfach ein paar ideologisch verbrämte Stinkbomben in die Volksbühne zu schmeissen.
Das ND würde der VB eher helfen, wen es sich mit der Kunstproduktion auseinandersetzte, statt halbgare Talkrunden zum Gothaer Programm einzuschleusen.
Und nein, es steckt vielleicht mehr dahinter als Blabla und narzisstische Bedürfnisse.
Marx schrieb bekanntlich: "Kunst ist nicht ein Spiegel, den man der Wirklichkeit vorhält, sondern ein Hammer, mit dem man sie gestaltet. " Ob ein „Individuum wie Raffael sein Talent entwickelt“, schreibt Marx in Die Deutsche Ideologie gegen den Geniekult der Kunstgeschichte, „hängt ganz von der Nachfrage ab, die wieder von der Teilung der Arbeit und den daraus hervorgegangenen Bildungsverhältnissen der Menschen abhängt.“ Entscheidend für die Künstlerkarriere sind gesellschaftliche Arbeitsteilung und Bildung, nicht Genie und Talent. Und Produzenten als auch insbesondere Rezipienten von Kunst sind für Marx "Subjekte für den Gegenstand". Was bedeutet dies für reflektierte Marxistinnen wie Frau Meier? Es führt zur Frage, wie denn dann – auch mittels Kunst – neue, andere Subjekte geschaffen werden könnten. Kunst ist somit also Teil der Klassenkämpfe. Das liest sich anstrengend gestrig und wie am Thema vorbei- dem Thema der (Theater-) Kunst. Wenn man aber diese Funktionalisierung von Kunst seitens Marx und auch aller Marxisten jedoch ernst nimmt, kommt man zum wirklich spannenden und auch brisanten Punkt all der Auseinandersetzungen um die Volksbühne. Was sagt Christoph Menke dazu: "Versteht man die Kunst oder das Ästhetische ALS Erkenntnis, ALS Politik oder ALS Kritik, so trägt dies nur weiter dazu bei, sie zu einem bloßen Teil der gesellschaftlichen Kommunikation zu machen. Die Kraft der Kunst besteht nicht darin, Erkenntnis, Politik oder Kritik zu sein". Darum geht es. "Staub zu Glitzer" sind, nach allem, was man ansehen musste, keine kraftvollen KÜNSTLER. Auch Frau Meier ist keine KÜNSTLERIN. Sie wollen Kunstsoziologie betreiben und Politik machen mittels Kunst. So wie auch das Theatertreffen seit vielen vielen Jahren, so wie mittlerweile soviele Angehörige deutscher Bühnen. Und nehmen so dem Theater Stück für Stück immer mehr Kraft, immer mehr Autonomie, immer mehr Begeisterungsfähigkeit und uns, den Zuschauern, immer mehr Begeisterungsfähigkeit/-vermögen und -kraft. "Das Wirken von Kräften ist nicht von Subjekten geführt, ist ohne Ziel und Maß, ist Spiel. Im Spiel der KRÄFTE sind wir vor- und übersubjektiv, erfinderisch, ohne Zweck. Aber die Kraft der Kunst besteht in einem paradoxen Können: zu können, nicht zu können. Fähig zu sein, unfähig zu sein, sie ist weder bloße Vernunft noch bloßes Spiel". Darum geht es tatsächlich in der Auseinandersetzung: rettet die Kunst vor Vereinnahmungen dieser Agenten der Politik. Denn Kunst ist etwas Anderes, ganz Anderes als all' dies. They don't know about it, and they don't want to know (and feel), trust me.
#10 Aber Pollesch ist ja nicht nur Künstler. Er ist jetzt auch Intendant und Arbeitgeber und das Theater ist auch ein Betrieb. Warum sollte die Autonomie der Kunst im traditionellen autoritären Theaterbetrieb eher gegeben sein, als in einem demokratischen? Warum braucht es dafür die enormen Gehaltsunterschiede und Machtgefälle? Ist die Kunst derzeit nicht extrem abhängig von Politik und Ökonomie? Kunstmarkt, Jurys, Kultursenat, Mäzene, Drittmittel von Privatunternehmen, Vitamin B...
Momentan fällt die Volksbühne nicht auf. Sie will den Erfolg ist aber ein Dienstleister auf dem Restemarkt des Theaters. Kennedy, Mundruczo, Macras, ..... und Holzinger ist neu im Angebot.
"Die Volksbühne hat immer Leute angezogen, die sich ganz bewusst dem Kunstmarkt entziehen, um eine eigene Struktur aufzubauen, wo ganz andere Sachen möglich werden." Das war einmal.