Presseschau vom 16. September 2011 – Die Berliner Zeitung über das Berliner Kulturprekariat

Rasender Stillstand

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Rasender Stillstand

16. September 2011. In der Berliner Zeitung wie der Frankfurter Rundschau blickt Hartmut Jähner in einem treffenden Essay auf Berlin vor der Wahl. Ein Wohlgefühl beherrsche die Stadt, wer auf Veränderung dränge wie CDU und Piraten, habe keine Chancen auf die Regierung.

"Ausgerechnet das breite linke Spektrum will dagegen, dass bleibt, was ist, und die Mehrheit der Bürger fühlt genau so. Von der Zukunft möchte man vor allem eins: von ihr verschont bleiben. Milieuschutz, Bestandschutz, Mieterschutz, Quartierschutz sind Berliner Lieblingsvokabeln. So beschleicht einen der Eindruck, dass Berlin, hätte es wirklich die Wahl, den Stillstand wählen würde. Genau hier, auf dem gefühlten Scheitelpunkt einer Übergangszeit, würde die Stadt Halt machen wollen und in Ruhe ihren Umbruch genießen."

Spreche man vom Glück Berlins, komme man sofort auf die Kultur: "Sie hat sich von einer finanziellen Bürde für die Stadt zu einem ökonomisch hoch geschätzten Faktor auf der Habenseite entwickelt, der immer mehr Menschen anzieht. Die Industrie starb, dafür kam noch mehr Kunst."  1.500 Popgruppen und ebenso viele Chöre gebe es, 100 Orchester, 300 Theatergruppen und 1.000 Tänzer: "Wer das alles lesen, hören und ansehen soll, wissen die Götter nicht und nicht die Musen. Das Durchschnittseinkommen der freischaffenden Künstler beträgt etwa 1.000 Euro monatlich, optimistisch gerechnet. Das ist steuerlich irrelevant, mehrt aber den Ruf der Stadt, die dadurch unaufhörlich weitere kreative junge Menschen anzieht, welche vom Leben mehr verlangen als ein Butterbrot."

Gerade weil das so ist, droht die fragile Balance Berlins zu kippen: "Unübersehbar sind jedoch die Zeichen, dass die Stadt, je mehr sie prosperiert, eben jenen Charme verliert, der sie erfolgreich macht. Gentrifizierung ist dafür noch ein viel zu harmloser Ausdruck. Denn wenn die soziale Entmischung der Stadtteile voranschreitet, die Mieten übermäßig steigen und die gepflegte Langeweile homogenisierter Quartiere die Oberhand gewinnt, sind die kreativen Schichten, mobil wie sie nun mal sind, schneller weg, als sie gekommen sind." Und dagegen habe gerade keine Partei ein überzeugendes Konzept.

(geka)

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