Presseschau vom 30. März 2011 – Karin Beier spricht in der taz über die Arbeit mit Laien, migrantischstämmige Zuschauer und die Legitimation fürs Theatermachen

Übersetzungen für die Realität finden

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Übersetzungen für die Realität finden

30. März 2011. "Wie wir Theater machen, ist schon sehr deutsch", sagt Karin Beier im Interview mit Hans-Christoph Zimmermann in der taz. Denn man wolle dabei nicht populistisch sein, sondern habe den Anspruch, dass es auch anstrengend sein darf. "Zum Anwerben von theaterfernen Schichten ist das nicht unbedingt der richtige Weg." Allerdings erhalte man auch keine Legitimation allein durch die Einbindung neuer Zuschauergruppen. "Die Legitimation heißt, gutes Theater zu machen."

Sie habe es etwas zu naiv eingeschätzt, resümiert sie, als Identifikationsangebot mehr migrantischstämmige Schauspieler auf die Bühne zu holen. "Die Publikumsstruktur hat sich dadurch nicht so verändert, wie ich mir das vorgestellt habe." In "Fordlandia" etwa spielte Hilmi Sözer die Hauptrolle. "Meine Hoffnung war, dass sich die Zusammensetzung des Publikums durch die Bindung an die Schauspieler verändern lässt. Aber das Theater bleibt offensichtlich ein bildungsbürgerliches Medium. Andere Inszenierungen wie meine Jelinek-Inszenierung, Produktionen von Gob Squad oder die spartenübergreifenden Arbeiten von Katie Mitchell ziehen durchaus ein anderes bildungsbürgerliches Publikum an", so Beiers Erfahrung.

Sie scheue sich als Regisseurin auch davor, ein Stück mit HipHop zu machen. "Ich sage nicht, dass das im Stadttheater keinen Platz hat. Jugendkulturen erreicht man sicher leichter, wenn die Sachen direkter daherkommen. Aber das geht gegen meinen Begriff von Ästhetik. Wir sind nicht dazu da, Realität abzubilden, sondern Übersetzungen zu finden, deren Entschlüsselung immer auch Anstrengung für den Zuschauer bedeutet. Nichtsdestotrotz sind populäre Formen ein Weg, allerdings ein langwieriger." Denn es sei nicht so, dass man eine Technoparty macht, Planet Kultur einlädt, über Twitter kommuniziert - und dann schauen sich alle "Kabale und Liebe" oder "Empedokles" an. "Diese Rechnung geht nicht auf."

Die Autonomie der Kunst sieht sie auch nicht dadurch gefährdet, dass Theater zunehmend mit politischen Anliegen wie Integration oder Bildung konfrontiert werde. "Die Politik trägt doch nicht an mich die Forderung heran, dass ich mich um soziale Belange kümmern soll. Es gibt einen gesellschaftlichen Status quo und mit dem setze ich mich auseinander. Ich würde nie sagen, dass die Politik diese Auseinandersetzung an die Kunst delegiert hat."

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