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Israelischer Künstlerprotest gegen Absetzung von Düsseldorfer Tannhäuser-Inszenierung

Gefährlicher Präzedenzfall

30. Mai 2013. In einem offenen Brief an den Intendanten der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf haben zwei israelische Regisseure gegen die Absetzung von Burkhard C. Kosminskis Düsseldorfer Tannhäuser-Inszenierung protestiert, die nach heftigen Protesten kurz nach ihrer Premiere am 4. Mai 2013 vom Spielplan verschwunden war. Das ist Spiegel-Online zu entnehmen, wo das von Udi Aloni und Itay Tiran gemeinsam verfasste Protestschreiben dokumentiert ist.

tannhaeuser 280 hansjoergmichel uVenus (Elena Zhidkova) und Tannhäuser (Daniel Frank) in Nazi-Uniformen © Hans Jörg MichelKosminski hatte in seinem Operndebüt die Wagner-Oper als Geschichte der missglückten Läuterung eines ehemaligen SS-Mannes u.a. mit drastischen Erschießungs- und Gaskammerszenen inszeniert. (Siehe Meldung vom 10. Mai 2013.) Aus Sicht von Aloni und Tiran kommt der Angriff gegen Kosminskis Inszenierung zu einer Zeit, "in der das Stück den Nerv in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft trifft, die es ablehnt, sich mit dem Trauma ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen."

Die beiden Regisseure wundern sich auch über die seltsame Allianz von Wagnerianern, jüdischer Gemeinde und israelischer Politik in dieser Sache. Protestnoten gegen die Inszenierung hatte es auch seitens der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf und des israelischen Botschafters Yakov Hadas-Handelsman, der von der Rheinischen Post in Düsseldorf mit dem Satz zitiert wurde: "Jegliche Verwendung von Nazi-Symbolen in einem solchen Rahmen ist fehl am Platz". Aus Sicht von Aloni und Tiran ist es jedoch "pure Ironie", wenn Israel einerseits "jegliche Aufführung von Wagners Werken wegen dessen Nazi-Assoziationen verbietet – und gleichzeitig der israelische Botschafter protestiert, dass ein deutscher Regisseur Wagners mögliche NS-Verstrickungen aufzeigt."

Kosminskis Inszenierung sei unter anderem mit der Begründung abgesetzt worden, dass von der Produktion eine gesundheitliche Gefährdung für das Publikum ausgehen könne, "ganz so, als ob Kunst eines Terrorangriffs bezichtigt werden könnte. Wenn heute militante Kunst, so wie sie der Philosoph Alain Badiou definiert, innerhalb eines etablierten Theaters aufkommen kann, sollten wir diese als Wunder wertschätzen und sie nicht in die Komfortzone der etablierten Kunst zurückdrängen."

Deutschland werde weltweit für seine Meinungsfreiheit respektiert. Die Zensur dieses Stücks schaffe nun einen gefährlichen Präzedenzfall.

Udi Aloni, 1959 in Tel Aviv geboren, studierte in den 1980er Jahren u.a an der Düsseldorfer Kunstakademie Bildende Kunst und lebt inzwischen als Film- und Theaterregisseur vorwiegend in New York. Der vielfach preisgekrönte israelische Schauspieler und Theaterregisseur Itay Tiran wurde 1980 in Tel Aviv geboren.

Als "Mitglieder der kulturellen Gemeinschaft Israels" lehnen beide grundsätzlich die offizielle Position der israelischen Regierung ab: "das heißt, wir denken auf der einen Seite, dass Wagner in Israel so gespielt werden sollte, als stünde er in keiner Beziehung zur Nazi-Bewegung, während wir ebenfalls daran glauben, dass ein deutscher Regisseur das Recht hat, Wagners Werk in Verbindung mit nationalsozialistischen Haltungen zu interpretieren."

(Spiegel-online / sle)

 

Kommentare  
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: ein Witz?
Absolut richtig argumentiert! Nur, dass das Stück den Nerv einer Gesellschaft treffen soll, die es ablehnt, sich mit dem Trauma ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen - das ist doch wohl ein Witz, oder?
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: falsch
es bleibt dabei: es war falsch, die Inszenierung abzusetzen.
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: neurotische Ader
nein, das ist kein Witz... denn die deutsche Gesellschaft, die überigens seit 1989 keine einheitliche, sondern eine sehr unterschiedlich wahrnehmende und deshalb in dieser Hinsicht desolate Gesellschaft ist - erkennt zwar die Verbrechen, die Schuld, die Tatsachen, bzw die Historie an... aber wenn es ans Eingemachte geht, an die Gefühle, die familiären Verstrickungen, die unterdrückten Erbsündenängste, dann ist hier schon eine neurotische Ader zu erkennen, mit diesem Trauma - ja TRAUMA!! - diesen gespenstischen Geschichtskittungen umzugehen.... und genau das dokumentiert die Art und Weise wie hier auf ein Stück eingedroschen ist, das KUNST ist... das etwas verknüpft, was jeder weiß und sonst auch auszusprechen wagt... nur live auf der Bühne darf das nicht passieren... denn es könnte die Zuschauer ja BERÜHREN... ohjeee... denn Gefühle, ja, mit Gefühlen... da tut sich Deutschland in Ost und West!! oft immer noch... sehr sehr schwer....
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: Zitat Handke (via Müller)
"in deutschland", sagt handke, "ist keine größe mehr möglich, weil keine sühne stattgefunden hat nach den verbrechen des nationalsozialismus.
es fehlt die metaphysische entsühnung. wenn ich dort auf der straße gehe, stelle ich mir vor, die passanten, die haben das und das gemacht, das ist eine geschichte, die ich nicht denken kann."

(andre müller 1978)
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: Zitat Handke (via Müller) I
"nach so viel ungesühnter gewalttätigkeit, da ist es ganz klar, daß eine bader-meinhof-gruppe entsteht. das hängt zusammen. hätte ich nicht meinen fanatismus der sprache, ich wäre auch ein amokläufer geworden. für mich ist die sprache die heimat, was ich an den baader-meinhof-leuten verachte, ist, daß sie diese anstrengung der sprache nicht machen. ich verstehe jeden totschläger, jeden mörder, aber nicht die henker, die richter, die armeen mit ihren staatsgebärden. manchmal fühle ich eine tiefe perverse sympathie für die faschistische gewalt, die aus der verzweiflung kommt, aber nicht für die linke gewalt, die sich rechtfertigt mit marxismus oder sonst einer ideologie."
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: Zitat Handke (via Müller) II
"ich habe sympathie für das leiden an der sprachlosigkeit. aber diese baader-meinhof-leute, und die roten brigarden in italien, die bezeichnen sich als armee, halten gerichtshof ab, richten hin, und so weiter. Das verachte ich. den hitler als mensch, dem fühle ich mich manchmal sehr nahe, aber ich möchte keine geschichten über ihn hören, keinen joachim fest oder sowas, das finde ich verwerflich. ich würde immer nur über meine eigene gewalttätigkeit schreiben, nicht über die anderer leute. dieses aufarbeiten der eigenen gewalttätigkeit, das ist es, was felt in deutschland. das ist der grund, warum ich dort nicht mehr leben könnte.
(...)"
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: Sühne 1946
@4 Zitieren sie doch am besten gleich aus dem Jahr 1946 - da hat Sühne wirklich noch nicht stattgefunden.
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: falscher Diskurs?
Kommen wir mit diesem moralisch konnotierten "Erbsünden- bzw. Schulddiskurs" denn wirklich weiter? Führt das wirklich zum Nachdenken über die hier genannten historischen Prozesse, welche bis in die Gegenwart hineinreichen? (Geschichtsbewusstes) Denken ist etwas, das man wollen muss. Das kann nicht "von oben" verordnet werden.
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: Ramschpalette
was ist los in düsseldorf? erst wird eine inszenierung verboten, weil die düsseldorfer sich nicht mit der deutschen vergangenheit konfrontieren wollen - dazu muss man sagen, dass in düsseldorf die (...) ästhetik (...von) gustaf gründgens immer noch als die höchste theaterkunst aller zeiten gilt - (...) stattdessen spielen die da in düsseldorf jetzt den tannhäuser nur noch konzertant (das ist unverfänglich) und am schauspielhaus inszeniert der neue interimsintendant einen entsetzlich harmlos blöden liederabend mit dem titel "alles renkt sich wieder ein" und stellt einen spielplan vor, bei dem es vor allem um düsseldorf und düsseldorf und düsseldorf gehen soll - wer eilt den düsseldofer künstlern und kunstliebhabern zu hilfe und befreit sie von den beiden intendanten dieser stadt - das niveau der beiden großen häuser der stadt ist auf ein erschreckend tiefes niveau gesunken - düsseldorf wird zum rechtsfreien raum und zur kulturellen ramschpalette. lieber staffan holm, ach wärste doch in düsseldorf geblieben ...
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: große Kunst
4.
Man fragt sich doch, ob Peter Handke selbst, jemals ein großes literarisches Kunstwerk, in der sich die Wahrheit ins Werk gesetzt hat, hervor gebracht hat, denn das Wesen der großen Kunst, besteht in der Stiftung der Wahrheit, die Geschichte gründet.
Protest gegen Tannhäuser-Absetzung: warum immer Intendanten-Schelte
Es ist mal wieder typisch, dass der Intendant des Hauses die volle Kritik abbekommt. Den israelischen Botschafter zu kritisieren, wagen allerdings nur Künstler die Aus Israel kommen. Und der hat wirklich den größten Unsinn erzählt. Siehe oben!
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