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Offener Brief gegen Machtmissbrauch am Burgtheater
Das Schweigen brechen
3. Februar 2018. Sechzig aktuelle und ehemalige Mitarbeiter*innen des Wiener Burgtheaters werfen ihrem ehemaligen Direktor Matthias Hartmann in einem Offenen Brief Machtmissbrauch vor. Der Wiener Standard (2.2.2018, online 18 Uhr) veröffentlichte diesen Brief auf seiner Website. Wir dokumentieren ihn hier.
Die Unterzeichner*innen aus allen Abteilungen – darunter auch die Schauspieler*innen Sabine Haupt, Corinna Kirchhoff, Sylvie Rohrer, Philipp Hauß, Nicholas Ofczarek und Markus Hering – beklagen, Hartmann habe eine "Atmosphäre der Angst und Verunsicherung erzeugt", mit sexistischen und rassistischen Bemerkungen das Klima am Haus belastet sowie homosexuelle Mitarbeiter diffamiert. Ferner habe er Techniker*innen beschimpft und seine Doppelrolle als erster Regisseur und Vorgesetzter willkürlich ausgenutzt. Hartmann leitete das Burgtheater ab Sommer 2009. Im März 2014 wurde er im Zuge des Finanzskandals entlassenen.
Fieses Klima duch Wegducken ermöglicht
Die Verfasser*innen schreiben, sie wollten Matthias Hartmann ausdrücklich nicht als einzigen "Missetäter" darstellen. Immer wieder werde von vielen Regisseur*innen "Machtmissbrauch, Demütigung und Herabwürdigung" als "probates Mittel" in der Arbeit angesehen und durch das "eigene künstlerische Genie" entschuldigt.
Für sie selbst sei es "erschreckend und beschämend", dass sie "Jahre und eine gesamtgesellschaftliche Debatte benötigt" hätten, um überhaupt "miteinander über diese Vorkommnisse zu reden". Sie selbst hätten durch "Passivität", "Wegducken", durch "Stillhalten" und "Schweigen" zu den von ihnen kritisierten Verhältnissen beigetragen.
Jetzt sei es ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, "dass solche Bedingungen unseren Arbeitsplatz nicht wieder dominieren können". Theater als "gesellschaftliches, unterhaltendes und bildendes Reflexionsmedium" müsse diesem Auftrag auch in der Produktionspraxis und den rechtlichen wie politischen Rahmenbedingungen gerecht werden.
Der Offene Brief sei ein Aufruf, "personelle Machtballungen " in Theatern und der "Kulturbranche generell", genauer zu betrachten und "möglicherweise Strukturen zu überdenken". Es gelte durch eigenes Verhalten für eine "respektvolle und faire Arbeitsatmosphäre zu sorgen und "den Mut zum Einschreiten zu kultivieren".
Hartmanns Reaktion
Vom Wiener Standard und der Süddeutschen Zeitung mit den Vorwürfen konfrontiert, habe Hartmann die Kritik als missverstandene Witze, üblich am Theater oder verzerrte Darstellung abgetan (mehr dazu in unserer Presseschau). Heute sprach Hartmann, laut der Wiener Tageszeitung Die Presse (3.2.2018, online 15:17 Uhr), von einem "gezielten Angriff" auf die Premiere des "überregional beachteten David-Bowie-Musicals 'Lazarus' ", das am Abend die deutsche Erstaufführung in Düsseldorf haben wird.
(Der Standard / Süddeutsche Zeitung / Die Presse / jnm)
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https://derstandard.at/2000073542781/Aufschrei-auf-offener-Buehne-Burgtheater-Mitarbeiter-stehen-gegen-Machtmissbrauch-auf
(Vielen Dank, Frau Peschina, Sie haben uns mit diesem Post auf die Veröffentlichung aufmerksam gemacht.
jnm)
Der Brief beschreibt sehr deutlich wie sehr die Struckturen im Betrieb Machtmissbrauch begünstigen.
Hartmann ist kein Einzelfall das steht fest. Mit Angst vor Demütigung zur Probe; es gibt kaum Schauspieler/innen die das nicht kennen!! Und die Behauptung, das habe nicht geschadet sondern geholfen, wird auch nicht aussterben.
Und die Behauptung, die jeweiligen Machtmääer und Frauen, seien eben so und könnten eben nicht aus ihrer Haut. Die Armen. Das müssen die Schauspieler/innen eben akzeptieren, wenn aus ihnen grosses werden soll.
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie erlebt, dass ANGST irgendwen besser macht, weder Kindr noch Erwachsene.
Es ist die höchste Zeit,eine Berufsethik des Theaters zu verfassen.
Vertrauen aufzubauen ist tatsächlich soviel komplexer und mühevoller, als sich in einem totalitären System im Gift von Angst und Misstrauen und Intrige zu suhlen.Das gehört sicher auf die Bühne, aber nicht in den Theaterkörper! Schluß damit. Sofort. Aufhören.
Antonin Artaud: Schluß mit dem Gottesgericht Das Theater der Grausamkeit 10.10.1947:
"Die Frage stellt sich...
...
und dann habe ich das Obszöne gespürt
und habe
vor Unvernunft
und Exzeß
und Aufruhr
angesichts meiner Erstickung gefurzt.
Weil man mich
bis zu meinem Körper
und bis zu meinem Körper bedrängte
und dann habe
ich alles explodieren lassen
denn an meinen Körper
rührt man niemals."
Ich bin wegen machtmissbräuchlicher Zustände an einem anderen Theater bei den politisch Verantwortlichen, also den Vorgesetzten der Theaterleitung, vorstellig geworden. Man hat mich angehört und mit dem Hinweis auf die "Freiheit der Kunst" wieder nach Hause geschickt. Die einzige Änderung, die darauf folgte, war die, dass MEIN Vertrag nicht verlängert wurde.
Es ist doch eher eine große Verengung der Debatte und bleibt zu sehr im Inneren des Theaters und der Filmbranche. #metoo.
Es finde diesen Brief in keiner Weise ein 'geschmackloses Nachtreten', sondern dringend gebotene Aufklärung!Aber auch Sebstreflexion! Da die Verfasser sich und ihr Verhalten, welches durch Duldung und Mitläufertum dem Missbrauch von Macht in die Hände spielen, sehr deutlich benennen!
Und wenn diese mutigen Stellungnahme von Teilen der Belegschaft des Burgtheaters, nicht gleich alle missbräuchliche Machtausübung in allen Bereichen des Erwerbslebens zum Thema macht,(wie Thomas Rotschild zu recht bemerkt), so zeigt sie doch deutlich den grossen Disskusionsbedarf!
Ein Anfang ist eben ein Anfang!! Aber wenn er das ist, dann ist schon viel gewonnen.
tolle idee!
psychologisch jedoch bedenklich, weil jede "pro"-aktion da einfacher funktioniert ... sonst hätte ja schon "nein heißt nein" reichen können
aber trotzdem (oder gerade deshalb) sehr wichtig: NEIN-sagen lernen und auch in die tat umsetzen ... ja, DAS wär´s
ja, dies hier ist ein theaterportal.
jedoch nicht im gesellschaftlichen system mit seinen (macht)strukturen frei schwebend, was ja schon allein durch das theaterpublikum - aus mehr oder weniger allen gesellschaftlichen bereichen - ganz unterschiedliche interpretationsstandpunkte mitbringt ...
z.b. gibt es ein theaterstück, welches wohl "offiziel politisch unkorrekt die hölle europa" heißt und auf dem Frankfurter Theaterfestival „Displacements“ zu sehen war - Es ist die Weiterentwicklung einer Installation, die bereits in Athen, auf Lesbos und im vergangenen Jahr in Hamburg beim Festival Theater der Welt gezeigt hat.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/hoelle-europa
genau HIER würde es für mich anfangen, denn DA KÖNNTE nachtkritik thementreu berichten und allein mit diesen berichten etwas über die eigene haltung aussagen - selbst wenn sie dieses stück zerreißen würde - was sie ja bei kennedy z.b. nicht gemacht hat ...
ja, ich bin etwas vom personifiziert-konkreten machtmißbrauch abgekommen, der natürlich - wie sie sagen das gesamt-gesellschaftliche "system" betrifft ... jedoch auch systemkritische theaterstücke, die nicht beschrieben werden, gibt es darin ... und diese einfach zu ignorieren ist dann wieder der logische zirkelschluß zum (ver)schweigen, der dann (wie immer) von ANDEREN erwartet wird, statt dies selbst im EIGENEN bereich mutig besser zu machen.
die theaterWELT ist größer und wichtiger als die charakterschwächen eine leitenden theaterarbeiters.
Matthias Hartmann wurde ja von Franz Morak, dem einstigen Burgschauspieler und zum Kunststaatsekretär Aufgestiegenen, als Burgtheaterdirektor vorgeschlagen und daraufhin vom Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bestellt.
Nun wäre gerade bei diesem Burgschauspielerkollege, Ensemblesprecher, Staatssekretär – auch wenn er dann diese Ämter nicht mehr bekleidet hat-, ein besonders intensives Interesse an dem von ihm „geschaffenen Betriebsklima“ zu vermuten gewesen und er ein idealer Mediator (ehrenamtlich) gewesen. Auch umso mehr als Morak sich ja in den Direktionsjahren von Claus Peymann, dem zwar nicht Sexismus sondern norddeutsche Prüderie vorgeworfen wurde, aber sonst so ziemlich alles von absolutistischer Willkür, Irrsinn, Tierquälerei, Terrorismus etc. als Sprachrohr eines gequälten Ensembles verstanden hat. Die Doyenne Elisabeth Orth gehörte übrigens über Jahre zu den Kritikern von Peymann und hat damit immer die Öffentlichkeit gesucht.
Kurzer Sinn der langen Rede. Man hätte das Betriebsklima effizienter, zeitnäher verbessern können als sich jetzt am ME TOO anzuhängen.
Trotzdem ein guter Brief, der mir sehr gefallen hat. Nüchtern, klar, nicht übertrieben, gendergerecht.
Aber was ist jetzt mit Martin Kusej?
Es ist gerade mal eineinhalb Jahre her, dass hier über die Kündigung von Shenja Lacher am Residenztheater heftig debattiert wurde, die genauso begründet war. Die Motive waren eindeutig Machtmissbrauch. Wie geht es jetzt da weiter? Oder funktioniert der Zusammenhalt nur dann, wenn „Frauen Männer anfeinden“. Wenn sich ein Mann als Opfer von Strukturen beschreibt, ist das dann weniger wert?
Natürlich nicht. Und ich gehe auch davon aus, dass mehrheitlich nicht so gedacht und empfunden wird. Aber muss man dann Kusej nicht auch sofort ablehnen? Und Castorf, er wurde schon erwähnt, so und so, denn es gibt in der Tat öffentliche Belege zu seiner „Judith“ Inszenierung, die jedoch seinerzeit heruntergespielt wurden.
Bricht da wirklich gerade ein ganzes System in sich zusammen oder sollen nur Einzelne stellvertretend vorgeführt werden? - Moritz Rinke hat Erfahrungen mit Dieter Wedel. Ebenso hat Thomas Oberender Erfahrungen mit Hartmann. Müssen sich jetzt nicht mehr Beteiligte äußern? Was ist mit Wilfried Schulz? Oder besteht dann die Gefahr, das man sich, nachdem man sich über Jahrzehnte beruflich die Bälle zuspielte und andere ausgrenzte, nicht mitspielen ließ, gegenseitig beschädigt?
Kehren wir stellvertretend zurück zu Shenja Lacher. Hat er neue Angebote bekommen? Mit besseren Arbeitsbedingungen?
Sicherlich, Oberender bietet seinen Mitarbeitern Kurse an, in denen solche Strukturen thematisiert werden. Aber hinterfragt er auch wirklich das System, wie es Steckel fordert? Oder begreifen sich beide weiterhin als Systemveränderer, obwohl sie es über Jahrzehnte mittrugen und darin Spieler waren und nicht Opfer. Sicherlich, ein freundlicher, gutgemeinter Ansatz, wenn Steckel einen neuen Hashtag ausrufen will. Aber werden dann die Opfer nicht zum zweiten mal ausgegrenzt, wenn man einen Wechsel von ihnen zu den Veränderern wünscht? Alle kehren sofort zu ihren Steckenpferden zurück, man möchte gleich das ganze Gesellschaftssystem stürzen. Das riecht nach der Dominanz der Achtundsechziger. Und dabei steht man mit dem Strukturwandel an den eignen Häusern gerade mal ganz am Anfang.
Da Sie hier ja mitlesen und -schreiben:
Stimmt es eigentlich, dass Sie als Intendant in Bochum als Choleriker bekannt waren, der auch schon einmal vor Wut Bürotüren eingetreten hat?
ich habe SELBST gekündigt.
diese konsequente variante gibt es auch.
Shenja Lacher wird auf Seite 156 des neuen Spielzeitbuches der Volksbühne als Mitwirkender in der Web-Serie "Rheingold" benannt.
Ist das ein gutes Angebot?
https://www.volksbuehne.berlin/files/VB_SPIELZEIT_BUCH_2_WEB_neu.pdf
Noch besser hätte mir gefallen, wenn sie an ihnren künftigen Intendanten einen geschickt hätten und ihm mitgeteilt, was sie umtreibt, wenn sie auf ihre letzten Jahrzehnte mit regieführenden Intendanten zurückblicken, und was sie von ihnen künftig nicht mehr möchten, um in einem wirklich produktiven kreativen Klima arbeiten zu können.
Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht im mindesten, wie man so etwas nicht sogar einfordert von der Belegschaft, wenn man ein Haus zu übernehmen gedenkt! -
Was die schlechten Witze anlangt, bin ich wirklich nachsichtiger als Sie und auch nicht so leicht in schlechte Laune zu bringen und ich glaube, das liegt an meiner Erfahrung mit Medizinern... man kennt das übrigens auch von sich selbst als Kind: Wenn man besonders viel Angst hat, vor neuen, ganz und gar undurchsichtigen Situationen, fässt man einander an die Hand - auch wenn man sich gar nicht kennt - undoder beginnt zu singen - Erwachsene schämen sich meist, so etwas Kindliches zu tun, wenn sie Angst haben vor neuen und ganz und gar undurchsichtigen Situationen - Ein Probenbeginn ist so eine Situation, besonders wenn Gäste oder ein/e neue/r RegisseurIn mit einem Nimbus dabei sein wird - und Erwachsene machen deshalb statt zu singen gerne sehr schlechte Witze - Das gemeinsame Lachen auf niedrigsten gmeinsamen Niveau ist meist ein erster Schritt gegen die Angst und in eine neue Gemeinsamkeit - Worauf es ankommt, ist, dass es dabei nicht bleibt -
Ich habe furchtbare Witze von Ärzten gehört, die durch einen Eingriff mit ihren Händen einen Menschen retten wollten oder eine peinliche Situation mit einem Körper einer Person, vor deren Persönlichkeit sie sehr viel Respekt hatten, überspielen wollten - man muss aber immer wieder rausfinden aus so einer Situation, denk ich - und das gelingt vielleicht vielen nicht so gut...
gesagt, habe ich bei Hartmann den Eindruck nach seinen Antworten auf die Vorwüfe, dass er das könnte, da wieder rausfinden. Von anderen Regisseuren hatte ich diesen Eindruck nicht. Deshalb habe ich ein bisschen den Eindruck, dass er diesmal wirklich öffentlich zum Sündenbock gemacht werden soll von Regisseuren (oder Intendanten?), die das vielleicht viel weniger können als er: Sich entschuldigen, Motive für Entscheidungen offenlegen, vergangene, für andere unangenehme Situationen konkret reflektieren???
Manfred Böll
Ich konnte nicht ein einziges mal ein Korrelat von "Arschlochverhalten" und großer Kunst feststellen. Da hängt immer noch ein falsches und überkommenes Bild vom Genius in der Luft...das ist leider richtig zum kotzen und hat vielen sehr talentierten Menschen den Weg verbaut. Den Menschen, die es nicht nötig haben, sich wie Arschlöcher zu benehmen. Das System hat es zugelassen und befördert..immer wieder.
.. sowie eine genaue Analyse der Arbeitsbedingungen an deutschen Theatern GENERELL
Die Zeiten des allmächtigen Intendanten-Genies, der alles darf (konkret z.b. an vielen Häusern mit seiner Unterschrift über wesentliche Budgets und Gehälter entscheidet!!), weil er ein toller Regisseur ist und ohnehin als Genie alles richtig weiß, sollten ein für alle mal vorbei sein!!!
Ein Argument (aus vielen) gegen "es ist ja überall so": Im Unterschied zu Wirtschaft/Konzernmanagern geht es hier um öffentliche Kultureinrichtungen, die Macht über diese darf auf keinen Fall bei einer Person bzw. einem Intendanten-König alleine liegen!
sie sind wirklich so klasse. Ich habe erst Jahre später verstanden, warum sie das Erbe ihres Vaters ausgeschlagen haben. Großartig!
Aber können Sie sich bitte etwas besser mit ihrem ehemaligen Chef absprechen?!
Denn, wenn Türen-Eintreten seine leichteste Übung war, wie hat er dann erst Andersdenkenden ihr Gedankengebäude zertrümmert?!
Vielen Dank für das Kompliment, aber Sie haben rundherum gar nichts verstanden.
Ob die Unterzeichnenden sich in jeder Situation, ihrer Auffassung nach toll verhalten hat oder nicht, ändert erstmal nichts an der Tatsache, dass es dringend geboten ist über Machtverhältnisse in öffentlichen Betrieben, zu denen Theater nun mal zählen, zu diskutieren!!
Was eine überflüssige Zerfasserung der Debatte!
Immer dasselbe, da könnte sich eine Kraft entwickeln und dann wird die auch schon wieder von persönlichen Ressentiments und Nebenschauplätzen ins Nirvana geführt.
Soweit die Geschichte von Emotionen, macht und potentiellem Missbrauch, von Widerstand bzw Gewaltausübung. Und von Unprofessionalität. Wir saßen stumm herum, und keiner hat irgendwen angezeigt oder die Zeitung angerufen. Der Regisseur hat den Mordanschlag überlebt, der Täter, im übrigen eigentlich ein harmloser, besonnener Mensch, im übrigen auch. Theater geht nur Unprofessionalität. Deswegen arbeiten wir da. Wir wollen keine compliance-Regeln wie bei der Stadtverwaltung. Und sind doch sehr empfindlich, wenn aus künstlerisch emotionalen Grenzüberschreitungen systematische Verachtung wird. Die Grenzen sind fließend. Schutz vor ihnen gibt es nur, wenn es Gewaltenteilung gibt anstatt monopolistische Konzentration beim sogenannten Genie. Dann würde nämlich die theaterinterne judikative sagen: lieber Matthias, der angeblich übliche toi toi toi Klaps auf den Po gehört nicht zu unserem Repertoire.
Diesem Wert sind seit langer Zeit einige Verhaltensweisen zugeordnet, die darauf verweisen könnten, dass es sich um eine anbahnende Situation für eine Vergewaltigung handeln könnte und sie werden unter dem Begriff sexuelle Belästigung zusammengefasst. Was genau dazu gehört, ist heute wieder strittig. Es könnte ein mehrdeutiges Gedicht im öffentlichen Raum sein, eine Hand auf einem Knie oder vieles mehr. Diesen Katalog von Verhaltensweisen neu festzuschreiben scheint an der Zeit zu sein. Betroffen von solchen Verhaltensweisen sind sowohl Männer wie Frauen, und sie gehen von beiden Geschlechtern aus. Kein Geschlecht hat hierbei eine wirkliche, qualitative Alleinstellung. Ausgenommen sind hiervon mögliche Schwangerschaften durch eine Vergewaltigung.
Unangenehm wird es dann, wenn dieser Katalog von Verhaltensweisen genutzt oder willkürlich erweitert wird, um unliebsame, streitbare Personen öffentlich verdächtig zu machen, ohne das ihnen eine Straftat nachgewiesen wurde. Dieser Fall kann nie ausgeschlossen werden. Oder um Menschen aus einer Position zu verdrängen, um sie danach selber zu bekleiden. Es gibt einen Missbrauch des Missbrauch.
Wenn man aber, wie ich schon mal vorschlug, die Debatte um den Machtmissbrauch am Theater von der sexuellen Straftat entkoppelt, denn sie wird ja nicht allein von Mächtigen verübt, entsteht ein ganz anderes Bild. Sicherlich gibt es einzelne Menschen, die nach einem ungeschriebenen Gewohnheitsrecht meinen, da ihnen ja so oder so der ganze Betrieb als Entscheidungsträger*innen zu Diensten steht, müssten sie auch weitgehend freien Zugang zu Intimitäten haben. Wieso sollten sie in der Liebe und dem Sex plötzlich wieder, wie alle anderen auch, machtlos dastehen? Fragen sie sich unbewusst und greifen zu. Dieser Zugriff ist schändlich und strafbar. Darin besteht ein breiter Konsens.
Aber beschreiben sich allein darin die wesentlichen Funktionsweisen von Machtmissbrauch? Der offene Brief vom Burgtheater geht weit über diesen Tatbestand hinaus. Er beschreibt ein Arbeitsklima. Er giert nicht nach saftigen Beispielen. Das kann man nur begrüßen. Er hat die Entkoppelung von Eindeutigem zu Mehrdeutigem im Ansatz vollzogen. Ein solches Klima zu beschreiben, ist immer schwierig und komplex. Und der ein oder die andere, die sich bisher lediglich für ein Opfer hielten, werden wohl überrascht sein, wenn sich plötzlich herausstellte, dass sie aktiv zu diesem schlechten Klima beitrugen. Immerhin redet der Brief davon, dass man sich immer noch im Echoraum der Wirkungen der Intendanz Hartmann befindet.
Die ganze Debatte wird bisher so geführt, dass man den Systemwandel vollziehen könnte, wenn man nur den ein oder anderen „Vergewaltiger“ aus dem Betrieb entfernte. Das erscheint unwahrscheinlich, denn Mord und Vergewaltigung und auch Machtmissbrauch gingen noch nie aus der Welt, weil man ein paar Täter und Täterinnen in Haft nahm. Die Verdrängungen solcher Strukturen aus einem Betrieb gehen immer von einem Gesamtklima aus.
Angstfreiheit, Gewaltfreiheit, körperliche Unversehrtheit sind dabei unabdingliche Grundsäulen.
Nur ist es eben leider auch so, dass die Arbeit von Schauspieler*innen darauf beruht körperliche Extreme, Ausnahmezustände zu erreichen, die gerade das thematisieren, nämlich Gewalt und Missbrauch. Es ist nicht das erste Mal, dass Probesituationen für solche Themen hinterfragt werden und auch hier gilt die Freiwilligkeit als absoluter, nicht zu relativierender Maßstab. Diese Freiwilligkeit wird häufig durch permanente Machtdemonstration, sei es nun durch Zottigkeit und Anzüglichkeit beinahe täglich unterwandert, um nicht immer wieder den mühseligen Weg der beidseitigen Zustimmung gehen zu müssen. Es herrscht Druck im Betrieb, um die Wege unsittlich zu verkürzen. Das ist auf Dauer ein sehr unangenehmes und schädliches Klima, in dem keine wirklich gute Kunst entstehen kann, obschon vielfach immer wieder das Gegenteil behauptet wird, und dies vorzüglich von denjenigen, die den Druck aufbauen und ausüben. Das können Frauen, das können Männer oder auch Schauspieler*innen wie Regisseure*innen sein. Da gibt es eben keine Eindeutigkeit. Jemand, der mit einem Stuhl auf einen anderen losgeht, setzt ihn ganz erheblich unter Druck und sollte sich dafür verantworten müssen. Auch das ist eindeutig.
Ein besonderes Arbeitsfeld in all dem ist der strukturelle Sexismus. Ihm gilt spezielle Aufmerksamkeit. Aber auch hier gilt: Druck kann von allen Geschlechtern aufgebaut werden, auch von Frauen, wie wir es gerade erleben.
Das halte ich für einen Grundirrtum.
Deshalb gibt es ja das Delikt Sex zu erzwingen. Weil er im Allgemeinen als Liebes-Beweis verstanden wird. Was er u.a. sein kann - aber wesentlich nicht sein muss.
"Das Theater hat sich immer als fortschrittliches Korrektiv der Gesellschaft verstanden. Aber oft waren es gerade die selbstherrlichsten unter den Intendantenfürsten, die sich als Gegenspieler der „Mächtigen“ in Szene setzten. Jetzt geht’s ans Eingemachte. Das Theater selbst ist politisch geworden. Das ist eine Chance."
Der beste Artikel zur Debatte, das sage ich als jemand, der am Theater arbeitet und viele Proben miterlebt hat. Punktgenau. Bitte lesen! Danke, taz
Auch Nicht-Liebe lässt sich nicht erzwingen.
Weshalb es die sehr schlechte Angewohnheit gibt, Lieben und Liebende wesentlich zu leugnen. Weil beides unsere Fähigkeit Gefühle zu haben, zu erkennen und uns zu ihnen vor allem nicht-öffentlich zu bekennen, herausfordert.
Das ist unbequem und kann in einer durchkapitaliserten Welt existenziell gefährdend sein, so etwas zu tun. Das Kapital lebt von der spektakulären Veröffentlichung. Die öffentliche Behauptung, es gebe keine Liebe mehr - also auch keine wahrhaft Liebenden - ist spektakulär, weil sie das Wesenhafte des Menschen abstreitet.
Nun will ich nicht behaupten, dass man als Schauspieler wieder zum Kind wird, aber ein gewisses Maß an Naivität fordert das Schauspiel, und dem Sinne sind die Verhältnisse leicht zu missbrauchen.
Die durch #MeToo ausgelöste Debatte war überfällig. Noch geht sie aber nicht weit genug. Noch bleibt sie anekdotisch.
Der offene Brief der Kolleg*innen von der Burg ist angesichts seines sehr skrupulösen und auch selbstkritischen Gestus wirklich sympathisch.
Aber auch er geht nicht weit genug, auch er bleibt anekdotisch, weshalb es dem Ex - Intendanten Hartmann sehr einfach gemacht wird, anekdotisch zu antworten.
Beide Seiten stecken in der gleichen Sackgasse fest: sie glauben beide an angeblich feststehende hierarchische Gefälle, die irgendwie „abgeflacht“ werden sollen.
Und beide Seiten vergessen dabei den so uralten klugen Satz, der dabei auf allen Theaterproben überall Standard ist: „Den König spielen immer die anderen“.
„Den König spielen immer die anderen“ heißt übertragen: der König ist nicht alleine verantwortlich für die Schweinereien, die er begeht. Sie wären vielmehr gar nicht möglich, wenn „das Volk“ sie nicht decken würde. Mit Widerstand zur rechten Zeit könnten die König*innen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Hochform auflaufen.
Es gibt ein Märchen namens „Des Kaisers neue Kleider“. Ist darin der Kaiser der einzig Schuldige?
Wir sind, fürchte ich, noch lange nicht so weit, wie wir gerne wären.
Warum eigentlich? Warum ist nachdenken und dann entsprechend handeln so schwer?