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Wiesbaden: Konflikte am Staatstheater spitzen sich zu

15. September 2023 / Update 21. September 2023. In einer "Öffentlichen Erklärung zur aktuellen Krise am Hessischen Staatstheater Wiesbaden" wenden sich der Schauspieldirektor des Hauses Wolfgang Behrens und die Dramaturgin Anika Bárdos gegen den Geschäftsführender Direktor und "erklären hiermit öffentlich, dass wir eine Zusammenarbeit (...) nicht mehr für möglich erachten." (Hier der Brief im kompletten Wortlaut)

Durch die Ausübung der Geschäftsführung werde die "Arbeit des gesamten Betriebs" am Staatstheater "torpediert", das Haus steuere "auf eine finanzielle und organisatorische Katastrophe zu", heißt es in dem Brief. Hilferufe ans Ministerium seien folgenlos geblieben, da das Ministerium "den Kurs" des Geschäftsführers "allem Anschein nach deckt und durch kaschierende Maßnahmen zu bemänteln versucht".

Die beiden Unterzeichner:innen sprächen "stellvertretend für viele Mitarbeiter:innen des Hessischen Staatstheaters quer durch die Abteilungen, die aus Angst oder Sorge vor persönlichen oder arbeitswirksamen Repressalien hier nicht namentlich unterschreiben, deren Einverständnis wir jedoch vorher ausdrücklich abgefragt und erhalten haben".

Auf Nachfrage von nachtkritik.de weist das vom Geschäftsführenden Direktor beauftragte Anwaltsbüro sämtliche Vorwürfe der Erklärung der "Gefolgsleute" des aktuellen Intendanten als "unzutreffend" zurück: "Die künstlerisch Verantwortlichen wollen ihre Projekte durchführen. Dabei sollen sich die Finanzmittel nach den Projekten richten und nicht die Projekte nach den zur Verfügung stehenden Budgets", heißt es in dem Schreiben. Von 2022 sei ein Defizit ins Jahr 2023 übertragen worden, weshalb jetzt "produktionsbezogen bestimmte Verträge nicht ausgestellt werden können".

"Mit den vorhandenen Gesamtmitteln des Staatstheaters kann der geplante Spielplan 2023.24 nicht umgesetzt werden", argumentiert die Geschäftsführung. "Eine Anpassung des Spielplans wurde und wird vom Intendanten mit dem Hinweis auf die Kunstfreiheit verweigert. Kunstfreiheit wird in Wiesbaden derzeit als die Freiheit des Künstlers aufgefasst, Steuergeld auszugeben!" Es sei versäumt worden, den "Umfang der Produktionen und Aufführungen zu reduzieren und den finanziellen Realitäten anzupassen".

Als Ergebnis hält die Stellungnahme fest: Die Intendanz "ist am Ende des Geldes angekommen, die vom Landtag bewilligten Mittel reichen nicht für eine defizitfreie Übergabe an die neue Intendanz im Sommer 2024." (Hier die vollständige Stellungnahme)

Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst kritisiert die Erklärung der Theatermitarbeiter:innen in einer eigenen Stellungnahme mit dem Titel "Einseitige öffentliche Schuldzuweisungen tragen nicht zur Lösung von Konflikten bei." (Hier im kompletten Wortlaut) Darin heißt es: "Intendant und Geschäftsführender Direktor tragen gemeinsam die Verantwortung für das Theater und sind verpflichtet, mit den zuletzt deutlich gesteigerten Mitteln auskömmlich zu wirtschaften. Die in der 'Öffentlichen Erklärung' benannten Probleme liegen insofern zuvorderst in der Verantwortung der Bühnenleitung, nicht der Träger des Staatstheaters." Und weiter: "Leider gelingt es der Bühnenleitung des Staatstheaters Wiesbaden nicht, ihre Aufgaben gemeinsam zu erfüllen. Daher begleiten die Träger des Theaters seit geraumer Zeit mit zahlreichen Hilfestellungen ihre Arbeit, darunter eine externe Mediation sowie regelmäßige Besprechungen zur Haushaltsführung. Zuletzt haben die Träger die Beauftragung einer renommierten Unternehmensberatung beschlossen, die Verbesserungsvorschläge für Prozesse und Abläufe im Theater unterbreiten soll."

Über die Streitigkeiten am Hessischen Staatstheater Wiesbaden hatte das VAN Magazin bereits im August 2022 berichtet. Im Fokus stand dort ein Konflikt zwischen dem geschäftsführenden Direktor und dem 2024 ausscheidenden Intendanten des Staatstheaters, der sich unter anderem um die Besetzung des Orchesterdirektors Ilia Jossifov entspann. Der geschäftsführende Direktor sei vom Hessischen Kulturministerium "als starkes Gegengewicht zu Laufenberg" installiert worden, um Fragen der Disposition, Krankenstände und Budgets konsequenter in den Blick zu nehmen", hieß es in dem Bericht des VAN Magazin.

Update 20. September 2023. In einer öffentlichen Erklärung reagieren Dramaturgin Anika Bárdos und Schauspieldirektor Wolfgang Behrens auf die Ereignisse und auf die Kritik des Ministeriums, dass sie sich an die Öffentlichkeit gewandt haben. "Tatsache ist, dass das von Angela Dorn geführte Ministerium auch nach der Veröffentlichung unserer Erklärung nicht mit einem Gesprächsangebot auf uns zugekommen ist", heißt es in Entgegnung, die an das Ministerium und Stadt gerichtet sind. "Das erscheint uns in der derzeitigen Situation symptomatisch." Die Reaktionen des Ministeriums und der Stadt Wiesbaden stellen für sie eine große Enttäuschung dar. (Hier das komplette Schreiben im Wortlaut)

Update vom 21. September 2023. Mit einer Entgegnung auf das Anwaltsschreibung des Geschäftsführenden Direktors wendet sich der Intendant des Wiesbadener Staatstheaters Uwe Eric Laufenberg an nachtkritik.de: "Die Darstellung der Zahlen für das Jahr 2022 ist grob verzerrend", schreibt er, ein "angebliches Defizit für das Jahr 2023 ist eine reine Prognose" und werde vom Geschäftsführer "mit sich immer wieder verändernden Zahlen angedroht, ohne diese jedoch genau nachvollziehbar darlegen zu können". Und weiter: "Es bleibt festzustellen, dass der Geschäftsführende Direktor die Finanzen und das Gesamtvolumen des Staatstheaters so ordnen, strukturieren, verwalten und controllen muss, dass die Künstler:innen arbeiten können." Dieser Aufgabe komme der Geschäftsführende Direktor nicht nach. (Hier das Schreiben im kompletten Wortlaut)

(Schauspieldirektion Staatstheater Wiesbaden / Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst / chr / sik)

Offenlegung: Einer der Beteiligten in diesem Konflikt, der Schauspieldirektor Wolfgang Behrens, war lange Jahre Redakteur und ist immer noch Kolumnist von nachtkritik.de. Die Meldung wurde nach Eintreffen der Stellungnahme des Geschäftsführenden Direktors neu veröffentlicht.

Kommentare  
Wiesbaden: Beispiellos verfahren
Die Situation in Wiesbaden ist beispiellos verfahren. Wie kann es sein, dass Intendant und Geschäftsführer derart gegeneinander arbeiten? Diese Schlammschlacht ist ungeheuerlich und wird das Theater tief beschädigen. Ob die in der Leitung eines Theaters unerfahrene neue Doppelspitze dies mittelfristig richten kann, darf bezweifelt werden. Unrühmlich auch die Rolle des Ministeriums. Warum wird hier hilflos dem Debakel zugesehen? Warum handelt man nicht und wirft den Intendanten raus, wenn man ihn doch als Wurzel des Übels ausgemacht hat? Schlimmer kanns doch nicht werden. Und die Abfindung fiele auch kaum noch in Gewicht. Aber im Ministerium fehlt es wohl an Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit. Und so tanzen zwei Monster-Egos das ganze Staatstheater in den Abgrund. Was für eine Schande!
Wiesbaden: Künstlerische Leitungen schützen
Es ist zu einfach, immer wieder Geschichte auf zwei Super Egos zu reduzieren.
Es ist das gute Recht von Laufenberg, seine Intendanz unbeschädigt beenden zu wollen und die Seriosität seines Personals, so des Direktors Behrens steht ausser Frage. Das Problem liegt im Ministerium, weder die Grünen nicht die jeweilige Mehrheitspartei waren bereit die dsyfunktionale Dienstordnung zu ändern. Es klingt banal, aber den Ministerialbeamten ist es recht, wenn teile und herrsche das Prinzip der Doppelspitze ist, es gewinnt immer der GF Direktor, immer, nicht weil er besser klüger, gar Ökonom oder Jurist ist, sondern weil er hierarchisch stets dem Ministerium zugeordnet ist: Betrachtet man die Biographien von Laufenberg und Berg so ist kleines klar Laufenberg hat stets besonnen für Kunst gestanden, Berg musste immer wieder gehen, weil ... er über dem anderen stehen will. Und jetzt macht man die Intendanz mit Personal kaputt und im Ministerium und das weiss ich seit 25 Jahren, gibt es keine Kompetenz, die es anders haben will, die "Neuen" werden und sollen sich unterordnen. Mit dem republikanischen Verständnis der Hessischen Verfassung hat das nichts zu tun. ich habe 2004 in Kassel das gleiche Drama erlebt, als mich die FDP weghaben wollte. Ein traurig Spiel, lieber Künstler meine Solidarität wird euch leider wenig nutzen, eure Kollegen in Hessen und anderswo schweigen, oder?
Wiesbaden: Schauspieldirektor
Wann wurde Wolfgang Behrens eigentlich Wiesbadens Schauspieldirektor? Hab das gar nicht mitbekommen und im Netz wurde ich auch nicht fündig - gab es eine Meldung auf nachtkritik?
Wiesbaden: Konflikte ersticken
Dass Politik mit Kunst und Künstlern nicht mehr umgehen kann, wird immer deutlicher.
Wer ist schuld? Die Kunst, die ohne Respekt auf ihrer Freiheit besteht oder die Politik, die nicht mehr handelt oder sich bekennt, sondern nur noch aussitzt und auch produktive Konflikte ersticken will.
Demokratie lebt doch von der Auseinandersetzung, aber keiner hält mehr einen Konflikt aus.
Dass selbst auf dem Theater keine Konflikte mehr gewünscht sind, sondern nur noch wabernde Wohlfühlwolken von guter Gesinnung, ist doch wirklich ein Zeichen dafür, das sich Demokratie als Auseinandersetzung um den „richtigen“ Weg abschafft.
Und die „Spielregeln“ scheinen auch in keiner Weise mehr zu stimmen.
Ja, schmeißt den Künstler Laufenberg endlich raus, dann ist doch hoffentlich endlich Ruhe.
Herr von Berg verwaltet die Macht für das Ministerium und sorgt dafür, dass auch die Doppelspitze der neuen Frauen nicht über die Strenge schlägt.
Wenn endlich Mittelmaß erreicht ist, hofft man anscheinend auf Frieden und „geordnete“ Verhältnisse.
Damit wird aber wahrscheinlich das Gegenteil erreicht.
So bleibt es wenigstens spannend.
Wiesbaden: Umstrukturierungen
@3 Lieber Ralph,

als zum Dezember 2022 der Künstlerische Betriebsdirektor unseres Hauses, der zugleich auch die künstlerische Produktionsleitung im Schauspiel innehatte, nach Heidelberg ging, kam es am HSW zu einigen Umstrukturierungen. Bjarne Gedrath, vormals Dramaturg, aber mit Betriebsbüro-Erfahrung, wurde Künstlerischer Betriebsdirektor, Constantin Mende Chefdramaturg für die Oper und ich wurde Schauspieldirektor.
Wiesbaden: Kommentar nicht veröffentlicht
Ich hatte einen Kommentar geschrieben, der nichts Falsches und Fragen enthielt. Warum wurde er nicht gebracht?



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Werter Bayreuther,
Ihr Kommentar enthielt unüberprübare Tatsachenbehauptungen und Unterstellungen und verstieß damit gegen unseren Kommentarkodex. Er ist hier nachzulesen:
https://nachtkritik.de/impressum-kontakt
Herzliche Grüsse aus der Redaktion
Wiesbaden: Spitzt sich zu
Da mein Kommentar zuletzt nicht durchkam, beschränke ich mich diesmal auf das reine Zitat aus dem Nordbayerischen Kurier (16./17. September 2023, von Otto Lamp): "Auch in Bayreuth war von Berg umstritten. Sein Vertrag wurde nicht verlängert – und das ohne viel Aufhebens, was auch auf interne Querelen schließen ließ. Die Festspiel GmbH habe 'sich entschlossen', den bis April 2021 laufenden Vertrag mit von Berg nicht zu verlängern, hieß es im Mai 2020 in einer äußerst knappen Mitteilung. Von Berg war neben Festspiel-Chefin Katharina Wagner der Mann für den Kartenverkauf und die Sanierung des Festspielhauses. Sie habe, sagte er 2021, eine 'patriacharlische Arbeitsform entwickelt, die er nicht teile'. Aber er räumte ein, dass es ihm nicht gelungen sei, für ein anderes Arbeitsklima zu sorgen. Und ihm wird jetzt in etwa das vorgeworfen, was er damals Wagner vorwarf. Und umgekehrt auch ihm schon in seiner Bayreuther Hügelzeit vorgeworfen wurde. 'Kein Wunder, dass er aus großen Häusern rausfliegt', sagt ein Betroffener. Die Vorwürfe, die jetzt in Wiesbaden gegen von Berg erhoben werden, gab es nach Kurier-Informationen auch schon in Bayreuth. Holger von Berg war bei mehreren Anrufen für eine Stellungnahme nicht zu erreichen."

Quelle: https://www.kurier.de/inhalt.ex-festspiel-geschaeftsfuehrer-riesen-aerger-in-wiesbaden.bcf97cfb-c774-41b4-972d-b2eec5624d2a.html
Wiesbaden: Schlüsselroman erhofft
Lieber Wolfgang Behrens,
dann gehe ich davon aus, dass Ihre Kolumne in Zukunft, "Als ich noch ein Dramaturg war", betitelt wird. Und in einem Jahr dann, "Als ich noch ein Schauspieldirektor war". Die erhoffe ich mir dann investigativ, LichtinsDunkelmässig, vielleicht gar ein Schlüsselroman, aber bitte ehrlich, ich vermute richtig dreckig. (Was der Stucki kann, können Sie allemal)
Mit voyeuristischer Vorfreude
Wiesbaden: Schlanker Fuß
Hört sich alles so an, als würden sich da Ministerin Dorn und ein ganzes Ministerium einen sehr schlanken Fuss machen. Schade für die Mitarbeiter. Mutig aber, dass das mal an die Öffentlichkeit kommt.
Wiesbaden: Wie alles anfing?
Ich finde es interessant, wie in der Debatte immer alles wirklich Wichtige relativiert wird. Der oben genannte "Konflikt" wurde ausgelöst durch ein Plakat mit einem Hakenkreuz in Holger von Bergs Büro, unter dem dann der jüdische Orchesterdirektor sitzen musste, und von Berg sich weigerte, es abzuhängen, bis der öffentliche Druck zu groß wurde. Fazit des Ministeriums: Kein Antisemitismus. Typisch Hessen.
https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/kultur/skandal-um-hakenkreuz-plakat-am-staatstheater-wiesbaden-18253504.html
Wiesbaden: Machen die auch noch Kunst?
Hat das Staatstheater Wiesbaden eigentlich außer öffentlichkeitswirksamem Mitkackewerfen auch noch ein Repertoire? Die armen Künstler:innen, die in dieser Schlammschlacht unsichtbar werden, tun mir leid. Ihnen kann man nur wünschen, dass sie endlich ab 2024/25 in Wiesbaden oder an anderen Häusern wieder sichtbar werden und dass über ihre Kunst berichtet wird. Denn dieser Mist wird sicher nicht beigelegt werden vor dem Intendanzwechsel. Aktuell ist es einfach nur eklig, dass der Name des Staatstheaters Wiesbaden nur im Kontext dieser Streitigkeiten genannt wird. Dass das Ministerium sich dabei derart bedeckt hält, ist dabei eine Art bürgerliches Trauerspiel, das dann auch nicht dringend auf den Spielplan gehört.
Wiesbaden: Nicht zu knapp
Liebe Sich Fragende,

wir machen auch noch Kunst, und nicht zu knapp. Auf der Seite www.staatstheater-wiesbaden.de finden Sie das Programm. Demnächst etwa ein "Sturm" in der Inszenierung des Intendanten, eine deutschsprachige Erstaufführung von David Mamet, Evgeny Titov wird "Kirschgarten" inszenieren, Henriette Hörnigk macht Jelinek, und in der Oper steht als nächstes die Wiederaufnahme der spektakulären Inszenierung der "Lady Macbeth von Mzensk" an. Wir bemühen uns mit allen Mitteln, dass die Kunst nicht unter dem Streit leidet. Gerade für sie streiten wir ja!
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