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Sich einem blind machenden Text verweigern

von Gerhard Zahner

Konstanz, 11. März 2011. Wann beginnt der Verrat an der Wirklichkeit? 2500 Jahre lang haben Dramatiker, Schriftsteller, die Geschichte nach Stoffen abgesucht, um sie, vor dem Abgrund stehend, als Beispiel zu inszenieren, für eine Welt im Beginnen oder Enden. Und irgendwann hat die Welt wohl selbst damit begonnen, nur noch diese Geschichten zu erzeugen, die inszenierungsfähig sind.

Nur das wird wahrgenommen, was spritzig nachspielbar ist. Was langsam dahin schleicht, entzündet keinen Funken und steht im Dunkeln. Das Theater ist in diesem Sinne auch immer der Befehl zum Selbstbetrug, Stoffe nämlich nur noch dann wahrzunehmen, wenn sie auf der Bühne darstellbar sind und dafür taugen, sich mit der Zeit zu ändern. Wie macht man Marmelade, heißt es in einem Witz, man schält einen Berliner.

Die Klischees in der hohen Jelinek-Kunst

Samuel Schwarz, in Konstanz, inszeniert formal "Ulrike Maria Stuart", und wandert dafür in Elfriede Jelineks Kopf herum, benutzt Autorin und ihr Stück aber hauptsächlich dazu, aufzuzeigen, wie Erinnerung als Missverständnis funktioniert. Der Königinnenkampf zwischen Meinhof und Ensslin, mit diesem Talkshoweifer, Wahrheit zu verschütten, so sagt es uns Schwarz, ist eigentlich nichts anders, als gähnende Bürgerlangeweile mit Beziehungsneugier am Exotischen zur Ruhe zu betten. Bade sie in Eifersucht, sie sehen begossen aus.

Andreas Baader ist bei Schwarz eine Frau, damit ist der hochgeschriebene Beziehungskonflikt zwischen Ensslin und Meinhof schon zur Lächerlichkeit geführt. Monika Vivell mag wohl den besten Baader darstellen, indem sie alle dargestellten Baader aus den gähnenden Verfilmungen vorführt, und die Multiplikation eines Charakters ins Unendliche, als Medikament gegen das Nachdenken und Urteilen beweist.

Susi Wirth schlüpft in die Meinhof, um die Medien-Meinhof aus der Meinhof zu vertreiben, weil der lächerliche Kampf zwischen beiden Frauen nur die verkürzte Aussicht auf ein Leben im falschen Leben ist. Beide Frauen bewegte der Wunsch nach einer anderen Geschichte, das hat sie verbrannt und die Ursachen dieser Geschichte kommen in Jelinkes Text nicht vor. Schwarz schaut sehr genau auf die Klischees in den Händen der hohen Kunst der Jelinek.

Inszenierung gegen den Text als Arbeit an der Wahrheit

Die Wirklichkeit, weil sich Schwarz dem Stoff verweigert, zwingt sich in die Zuschauer hinein. Wir wandern vom Theater ins Konstanzer Münster und in der Krypta spielen die Stimmaufnahmen, Live-Mitschnitte, der Meinhof in Stammheim vom Vorsitzenden das Wort abgeschnitten – diese Erinnerungen steigen auf, wie der Rechtsstaat sich selbst verleugnete, aus Furcht vor was eigentlich?

Oben im Theater leuchten Lampen. Rot für eigene Texte. Grüne für das Original. Anja Panse spielt diese Ensslin so physisch unabhängig von Gefühlen, dass wir verstehen, wie Gewalt zum Ersatz von allem wird. Schwarz hat für seine Inszenierung ein Spiel im Spiel erfunden. Schauspieler auf der Bühne werden vollgedröhnt mit Medikamenten und müssen sich erinnern an den Jelinek-Text. Und die Gewalt, die sie dabei erfahren, wirkt tausendmal stärker, weil diese Schauspieler eine Gewalt erzählen, die sonst niemand zeigt, die auch uns ahnungslos befällt: nur das nämlich von der Welt zu erfahren, was medial taugt und veränderbar ist. Der Fleiß der Lüge, die alle berauscht und abhängig macht.

Und Julia Philippi, in all dem Chaos, tanzt als Dr. phil. Katharina Stefanie Wagner zu Guttenberg und moderiert den Untergang des Theaters. Oder den Aufstieg des Theaters zur anderen Sicht, indem es sich einem blind machenden Text verweigert.

 

Ulrike Maria Stuart
von Elfriede Jelinek
Inszenierung: Samuel Schwarz, Ausstattung: Cristina Nyffeler, Musik: Ted Gaier, Musikalische Einstudierung: Stefan Leibold, Dramaturgie: Sophia Lungwitz.
Mit: Anja Panse, Julia Philippi, Monika Vivell, Susi Wirth, Thomas Ecke, Odo Jergitsch und Mitgliedern des Konstanzer Theaterchores, Statisterie.

www.theaterkonstanz.de


Alles über den Regisseur Samuel Schwarz im Lexikon. Über Elfriede Jelinek auch.

 

Kritikenrundschau

Samuel Schwarz' Inszenierung des Jelinek-Stücks sei eine "große in sich verdrehte und überdrehte Suche nach Wahrheit in Zeiten vollständiger Verwirrung". "Wer an diesem Abend einsortieren will, hat schon verloren", schreibt Maria Schorpp vom Südkurier (14.3.2011). Jedoch geschehe alles hier "mit der Präzision eines Uhrwerks". "Arrogant, unflätig, aufgeblasen, scheinbar wenig darum bekümmert, was da alles noch ankommt im Publikum", gehe es auf der Bühne zu. Da gebe es "viel zu schauen, und es ist mächtig was los" – "der Theaterabend als Event". Susi Wirths Ulrike mache den Eindruck, als schaue sie "mehr in sich als in die Welt hinein, all ihre Sinne scheinen auf sich selbst gerichtet, inklusive ihr Gewaltinstinkt". Anja Panse stoße die Worte ihrer Gudrun "so überlegen und schneidend" aus, dass "unter der Eiseskälte die Lust an der Grausamkeit auszumachen" ist. Und Monika Vivells "weibliche Baader-Ausgabe produziert diese Verstörung, die eintritt, wenn Frauen sich auf solche Brutalo-Rollen einlassen". Sie alle seien "in die Ecke Gedrängte, Verzweiflungstäterinnen". Die Schauspielerinnen machten das "beeindruckend, bewegen sich souverän auf dem doppelten Boden ihrer Rollen". Was die Inszenierung auszeichne, sei ihre Offenheit, auch wenn diese "fast zwangsläufig zu ihrem Schwachpunkt" führt: "Je länger der Abend desto mehr läuft er ins Leere."


Kommentare  
Ulrike Maria Stuart, Konstanz: pseudoauthentische Auseinandersetzung
ich muß samuel schwarz' pubertäre besserwisserei (...) nicht mögen, auch wenn ihr kotau vor so wenig eigener schwarz'scher leistung und so viel "ihr-könnt-mich-mal" getue bemerkenswert unkritisch ist. die ganze suppe, die dort angerührt wurde ist vor allem eins: stinklangweilig und auf dem niveau vom 68erstammtisch respektive probenbühnenscherzen. ich kann verstehen dass eine jelinek in ihrer obsessivität herausfordert und vielleicht auch nervt - aber sich die nobelpreisträgerin "vorzuknöpfen" vermittels banalster eigener texte, die eine pseudoauthentische auseinandersetzung beschwören - also da ist mir meine zeit angesichts des wenig bannenden ergebnis zu schade. ich bin enttäuscht angesichts ihrer kritik, die anscheinend diesem sturm im wasserglas hinterhechelt - jetzt haben wir es der doofen, erfolgreichen tante mal gezeigt. oho! bei elfi elektra geht es um boten und nicht um identitäten, um sprache und nicht um illusionistische filmprodukte. da ist lamoryantes anzitieren dieser art von künstlerischer auseinandersetzung einfach nur vorbeigeschossen angesichts der medialen bedingtheiten. alleine diese gedankliche matsche ist schon ausdruck dessen, was hier schiefläuft. ein theatertext ist niemals ein uli-edel-film. und wer sind / wen spielen die von ihnen hoch-gejazzten schauspieler eigentlich bevor sie die rollen der verhaßten autorin langweilig chargiert überstreifen...? ich hab nur klischees entdecken dürfen ohne jede sicht auf sich selber als produzenten. pubertär eben! aber so was gibt ja auch im zuschauerraum ein gutes machtgefühl. let's bash the old austrian hystera. macho-müll mit weiblichem maso-feel. so gesehen gehört meine sympathie stefanie zu wagner-guttenberg oder vielmehr ihrer darstellerin. sie hat sich angreifbar gemacht in dem sie eine blöde charge von anfang bis ende zeigte ohne den oberlehrer des tages erwerben zu wollen - diese praeceptor-haltung scheint ihnen ja unheimlich imponiert zu haben. schade.
Ulrike Maria Stuart, Konstanz: völlig losgelöst
Was wurde nur hier über diese Produktion gestritten. Also musste ich selber mal reingehen, um mir eine Meinung zu bilden. Aber das war nichts. Viel zu viel Lärm um nichts! Ich hätte mir gewünscht, dass die erregte Auseinandersetzung anstatt im Nachtkritik-Blog auf der Bühne stattgefunden hätte. Aber nix da, tote Hose. Dem Regisseur scheint ganz offensichtlich nichts zu Jelineks Text eingefallen zu sein, die Schauspieler sondern sitzend in EINEM Duktus Textflächen ab, wenn’s inhaltlich zur Sache gehen soll, dürfen sie sich auf Matrazen setzten. Keine szenische Fantasie, keine Haltungen zum Text, nur langweiliges, unverständliches Geprabel. Monika Vivell spielt von Anfang an eine (von ihr schon oft gesehene) Schiene durch, Susi Wirt und Anja Panse scheinen die tollen Texte auch mehr zu überfordern als sie zu beflügeln. Einzig Julia Philippi würde man gerne länger zu sehen und zu hören, sie geht als einzige lustvoll, ernergisch und am vielseitigsten an die wenigen Texte ran, die sie in einer schlecht ausgeleuchteten Ecke von sich geben darf. Sie lässt wenigstens erahnen, was mit diesen Texten möglich gewesen wär. Die Regie offenbart erschreckende Schwächen oder hat sich dem ganzen Projekt komplett verweigert. Keine Szenische Fantasie, kein erkennbares Handwerk im Umgang mit dem Text, schlechtes Licht, und der museale Rundgang ins Münster - er hätte in jeder anderen Inszenierung stattfinden können, völlig losgelöst vom eigentlichen Stück. Fazit: Durchgefallen
Ulrike Maria Stuart, Konstanz: uminszeniert
Mit ein bisschen zeitlicher Distanz sei hier noch erwähnt, dass die Aufführung nach der Premiere - zumindest laut einem Artikel des Südkuriers vom 25. März - uminszeniert und vom Haus als "Ensemble"-Produktion kommuniziert wurde. Es ist also durchaus möglich, dass die Zuschauer etwas ganz anderes gesehen haben als in der "Nachtkritik" beschrieben. Ich hatte nach der Premiere nicht mehr die Energie, nach Konstanz zu fahren - was ich natürlich bedauere - auch, weil ich die SchauspielerInnen alle sehr schätzte. Aus juristischer Perspektive hätte ich durchaus die Möglichkeit gehabt, einzuschreiten, doch war mir das zu dem Zeitpunkt egal. Hoffentlich hat sich das Klima verbessert, da nun ein Spielleiter da ist. Es wäre den MitarbeiterInnen zu gönnen.
Ulrike Maria Stuart, Konstanz: Klappe halten
Nichts hat sich verbessert. Ein Kommen und Gehen. Ein Klima der Angst nach wie vor. Klappe halten, Job behalten. So einfach kann Theater funktionieren.
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