Der Hund des alten Mannes – Oliver Kluck neues Stück als quirliger Shitstorm von Marie Bues am Stuttgarter Theater Rampe uraufgeführt
Und überall nur Scheinheiligkeit
von Kathrin Kipp
Stuttgart, 8. Mai 2014. Zwangsarbeit, Theaterlandschaft, Ausbeutung, Total-Ökonomisierung, Autorsein, Automobilindustrie, Bertolt Brecht, Ferdinand Porsche, lahme Phrasen, miese Ausreden, allgemeine Scheinheiligkeit: Der Shitstorm von Schlechte-Laune-Missionar und Nestbeschmutzer Oliver Kluck ist ein Rundumschlag gegen alles. Und zwar von allen gegen alle, denn auch der Sprecher der Weltanklage lässt sich nicht genau identifizieren.
Für eine Handvoll Dollar
"Der Hund des alten Mannes" spricht seinen Monolog aus vielen verschiedenen Ichs heraus und wechselt munter zwischen Themen, Zeiten, Perspektiven, Motiven und Haltungen. Der Text handelt außerdem gerne mal von sich selbst, dreht und wendet sich, lässt sich nie ganz fassen, kommt aber manchmal auch ziemlich konkret daher. In diesen konkreten Momenten ist viel von Ausbeutung die Rede: In der Industrie, im Kunstbetrieb, in sich selbst. Damals und Heute. "Wie kann man die Leute dazu bringen, dass sie sich für eine Handvoll Dollar für uns zu Tode schuften?", fragen sich nicht nur Manager, sondern auch die Theatermacher. Gezwungenermaßen. Während sich für die Verhältnisse mal wieder keiner zuständig sieht. Da kann die Industrie vom Kunstbetrieb noch so einiges lernen. Schon Brecht hat seine Frauen ausgebeutet und von seinen Dichterkollegen abgekupfert. Heißt es zumindest immer. Und überall nur Scheinheiligkeit.
Was genau uns Oliver Kluck mit seiner leicht selbstmitleidigen Universalpredigt sagen will, bleibt ein wenig nebulös. Vielleicht will er auch nur das allgemeine Gefühl von Unbehagen zum Ausdruck bringen, dass man sowieso nie weiß, was man tun kann und soll. Und so ist weder in der Realität, noch im Stück Handlung möglich. Das dramatische Ich liefert zwar gleich zu Anfang eine mögliche Lösung: "Nichts machen, das ist der Vorschlag, den ich Ihnen machen werde" und präsentiert sein Buch, in dem überhaupt nichts steht, "meine bisher beste Arbeit". Das Stück erweist sich dann aber doch noch als ziemlich redselig. Und siehe da: "Dass hier nichts bedeutungslos ist, darum geht es hier". Widerspruch rules.
Ein recht vertrackter Text also, den sich Marie Bues (Regie) und Martina Grohmann (Dramaturgie) da vorgenommen haben. Sie untermalen das Hin und Her zwischen assoziativer Unbestimmtheit und konkreter Anklage mit vielsagendem Nebel und eindeutiger Bombasthymne, wechseln später zu Madonnas Hung Up. Der Songtext "Time goes by so slowly" wiederum trifft weniger auf die Inszenierung zu, die nach etwas schleppendem Anfang noch so richtig Fahrt aufnimmt.
Viel jammern, wenig bewegen
Indra Nauck (Ausstattung) setzt dem vollmundigen Text einen hohlen Holzwerkstattquader entgegen, der durchaus auf den Experimentalcharakter des Stücks verweisen könnte. An der Wand hängt eine Zettelwirtschaft mit Fotos von allen Tätern: Brecht, Piech, Porsche, Maschmeyer. Die Schauspieler werfen sie per Live-Projektion gegen die Wand. Niko Eleftheriadis repräsentiert mit rotem Blaumann und Mercedes-Kappe die Arbeiterklasse, die viel jammert, aber sich nicht rührt. Stefan Wancura tritt in glitschig blauer Hose auf und Monika Wiedemer als Dame in Weiß. Das Trio gestaltet abwechselnd anklagend, betroffen, ironisch oder sarkastisch den "kabarettistischen Abend mit grotesken Elementen", nimmt aber den Text insgesamt eher ernst.
Und so schwadronieren sie sich in den Assoziationsrausch, rutschen auf der Textfläche aus und fallen angesichts der ganzen Wortgewalt in Ohnmacht. Monika Wiedemer theoretisiert über die Wut und redet sich in Rage, während Eleftheriadis endlich mal die "Dinge beim Namen nennen" will. Monika Wiedemer steckt mittlerweile in rosa Plüsch und singt den Text als Musical. Zuvor hat sie noch mit Eleftheriadis in der Badewanne gelegen. Es wird also nicht nur textuell, sondern auch optisch einiges geboten.
Wir machen unsere Stars selbst: aus unseren Exkrementen
In Sachen totaler Ökonomisierung von Kultur und Leben will das Theater Rampe Klucks Vorwürfen natürlich in Nichts nachstehen und fährt ganze Paletten an Wulle-Bier und Hengstenberg-Produkten rein, bittet das Publikum auf die Bühne, lässt es den Senf, die Gurken und das Sauerkraut kosten, spielt dabei "Mülheimer Dramatiker-Tage" und sammelt Spenden für die arme Assistentin. Eine dynamische Verkaufsshow, bei der die Darsteller in glitzernden Ganzkörperkondomen nicht nur die Gurken, sondern auch den ganzen Designertrash auf der Bühne anpreisen, bildet den Höhepunkt des Abends.
Text und Performance driften immer weiter auseinander, während vom Autor mehr Authentizität gefordert wird. Star-Dramaturg John von Düffel will ihn als "Hausautor" engagieren: "Wir machen unsere Stars selbst, aus unseren Exkrementen". Und so bekommen auch noch Claus Peymann, Christoph Schlingensief oder Alexander Kluge ihr Fett weg. Stefan Wancura macht noch kurz den Hitler, bevor er sich gegen Ende als "Fritzi Fratzi Katzi", der titelgebende Polizeihund, entlarvt. Aber auch das ist keine Lösung.
Der Hund des alten Mannes (UA)
von Oliver Kluck
Regie: Marie Bues, Ausstattung: Indra Nauck, Dramaturgie: Martina Grohmann.
Mit: Niko Eleftheriadis, Stefan Wancura, Monika Wiedemer.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.theaterrampe.de
Kluck rechne in "Assoziationsketten" mit "allem ab, was er zu fassen bekommt – Kapitalisten, Schriftsteller, Theatermacher", schreibt Lea Melcher in den Stuttgarter Nachrichten (10.5.2014) und gibt „Faszination" zu Protokoll. Mit der Geldsammlung für die Assistentin erreiche "die Darstellung genialischen Charakter". Marie Bues gelinge es, "eine komplexe Textgrundlage in eine starke und häufig ironische Inszenierung zu verwandeln, die vor Details nur so strotzt".
"Wie sich die Gesellschaft in Sprache abbildet, das ist das Thema des Stücks", schreibt Cord Beintmann unter dem Kürzel C.B. in der Stuttgarter Zeitung (12.5.2014). Das Publikum werde mit "Sprachhülsen" bombardiert. "Klucks Text ist ein Sammelsurium von zu vielem, es mangelt an Verdichtung. Und doch beleuchtet er grell und spöttisch gesellschaftliche Wirklichkeit." Und zwar "nie bierernst, sondern mit viel Witz".
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@Most: Ja, ich kann mich auch des Eindrucks nicht erwehren und finde das so unangenehm, dass ich einfach keine Lust mehr auf diesen nk-"Sendeplatz" habe, mir fehlen auch Stimmen, die früher hier präsenter waren. Wo ist Baucks z.B.? Auch FP Steckel macht sich rar? Wenigstens ist Zarthäuser wieder aufgetaucht, der war ja auch immer ganz streitbar, und SCHADE - ewig nichts mehr gehört- naja man kann sich eben seine Gesellschaft nicht immer aussuchen-
und auch ich würde nicht widersprechen wollen. Sicher auch nicht das Staatstheater in dieser unseren schönen Stadt. Aber wenn ich sehe, wie jüngst eben an diesem Staatsthetaer die Mittel Zuschauer und Inszenierung enger zusammenzubringen billig kopiert werden, da dreht sich bei mir der Magen um. Hier hat die Rampe eine Tür aufgestoßen. Ja, einen Zug ins Rollen gebracht, möchte ich sagen. Und diese Ehre gebürt der Rampe. Allein.
Das lag mir am Herzen. Sicher ich bin vielleicht etwas über das Ziel hinausgeschossen. Verzeichen Sie dieses lieber (?) Stuttgarter.
http://www.smow.de/blog/2014/05/der-hund-des-alten-mannes-von-oliver-kluck-theater-rampe-stuttgart/
Der AUSVERKAUF des Theaters. Dieser Verrat. Auch den verhandelt der Text. In der Inszenierung inklusive Musicaleinlage und Madonna. Applaus für die Gurke. Es turnt der Schauspieler, es leuchtet ganz hübsch. Von Porsche und von Piech weiß man schon, selbst in Stuttgart. Davon erzählt man und wird sich einig. Und dann sind Entrüstung und Skandal wieder gute Inszenierungen bzw. Werbeeinblendungen für die Krisenresistenz der Marktführer, egal auf welchem Gebiet. Zwischen Maultaschen und Wulle lässt die Inszenierung Zwangsarbeiter berichten und Porsche eine Träne weinen und einen Autor in der Krise tragisch werden. So koexistieren friedlich diese vier: Skandal, Erfolg, Kunst, Markt. Genau diese unverschämte Gleichzeitigkeit, dieser ritualisierte Verrat wird zelebriert. Showdown. Das ist knapp am Blatt vorbei und nicht daneben. Für Stuttgart oder sonstwo.
http://www.stuttgart.de/item/show/22670
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13521959.html
(Liebe Madonna, danke, ist korrigiert. mw für die Redaktion)
Ein Allgemeinplatz gebrauchen, abbügeln, für die eigene Seite werben: Auch eine Möglichkeit auf die Kritik seiner Leser einzugehen.
(Werte Renate Heinrich, jetzt sind Sie es doch, die abbügelt. Verena Großkreutz stellt freundlicherweise extra wegen dieser Kommentardiskussion ihre Kritik auf ihrer Seite zur Verfügung, damit alle die Möglichkeit haben, mit Argumenten am Text zu diskutieren. Dann sollte diese Möglichkeit auch genutzt werden. mw für die Redaktion)