Irgendwas mit Medien

2. Dezember 2023. Molières berühmter "Menschenfeind" in der Clublounge: In André Bückers Inszenierung kommunizieren die feierwütigen Folks (auch) im eigens eingerichteten sozialen Netzwerk; sogar über die Aufführung hinaus. Sozialer Stress, der schöne Schein, die Währung Aufmerksamkeit: brutalste Gegenwart.

Von Willibald Spatz

"Der Menschenfeind" in der Regie von André Bücker am Staatstheater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr

2. Dezember 2023. Kein Zögern, mitten rein: Hier ist die Party, der Club und die Musik. Hier wird getanzt oder abgehangen. Der DJ thront oben auf seiner Kanzel und heizt ein. Hier wird nicht vorsichtig nach Bezügen im alten Text zur Gegenwart gesucht, hier wird dreist behauptet: Die Feiermenschen von heute sind die Figuren von Molière und umgekehrt.

Reimend im Salon von Célimène

Die Club-Lounge, in die wir schlagartig versetzt wurden, ist der Salon von Célimène. In diesem hippen Setting wird konsequent der Originaltext in der reimenden Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens gesprochen; das irritiert, wenn überhaupt, nur ganz kurz. Natürlich wird nicht nur gesprochen, sondern auch viel übers Smartphone kommuniziert. Das Staatstheater hat dafür extra ein soziales Netzwerk namens Molusk eingerichtet. Der Name setzt sich zusammen aus Molière und Musk. Hier finden sich – auch außerhalb der Theateraufführung – wie auch in anderen Netzwerken Kommentare zum Tagesgeschehen und Befindlichkeiten, nur in Reimform. Auch das fügt sich nahtlos ins hier gebotene Gesamtgeschehen.

Klatsch ist der Kitt dieser Gesellschaft

Der Menschenfeind Alceste, den Kai Windhövel uns hier präsentiert, ist nicht unbedingt sympathisch: ein alter weißer Rechthaber ist er, Prozessieren ist seine zweite Leidenschaft – seine erste ist Célimène. Anwälte braucht er nicht, er ist eh im Recht, mit Freunden bricht er, weil sie ihm zu freundlich sind zu anderen. Dann ist er aber auch der Einzige, der sich dem Fake verweigert, der einzige, der wenigstens versucht, authentisch zu sein. Das ist eine absolute Skurrilität in dieser Welt, in der nur die Aufmerksamkeit der Anderen zählt. Selbst die Liebe ist kein Gefühl, sondern ein Prestigeobjekt. Solange ich jemanden in mich verliebt machen kann, solange wird über mich geredet, solange existiere ich. Der Klatsch ist der Kitt, der diese Gesellschaft zusammenhält. Sobald jemand den Raum verlässt, fallen die anderen verbal über ihn her. Das sind die Regeln. Und jeder muss mal rausgehen. Dieses Spiel, bei dem Alceste nicht mitmachen will, bis er an seinem Widerstand zu Bruch geht, wir nun zwei Stunden in etlichen Varianten durchprobiert.

Chatti, chatti bei "Célimène" © Jan Pieter Fuhr

Ein äußerst einsatzfreudiges Ensemble sorgt dafür, dass dabei relativ wenig Leerlauf entsteht. Die Célimène von Mirjana Milosavljević ist das kühle Zentrum, um das alle kreisen. Sie ist jung, sie besitzt alles, was sie braucht, sie nimmt sich, was sie will und lässt sich von niemandem zu irgendetwas zwingen. Kälter ist nur Katja Sieders Arsinoé. Wenn sie die Bühne betritt, um Gift zu versprühen, verstummt sogar der DJ.

Hier ist richtig Komödie

Die Herren? Sind Witzfiguren: der dilettantisch dichtende Oronte, den Klaus Müller zu einem wunderbaren schmierigen Lackaffen macht. Die Cowboy-Jungs Acaste und Clitandre sind bei Patrick Rupar und Thomas Prazak Inkarnationen männlicher Lächerlichkeit. Hier wird richtig Komödie gespielt und damit Molière auch ernst genommen. Die einzigen, die so etwas wie innere Würde besitzen, sind Mirjam Birkl und Paul Langemann als Éliante und Philinte. Ihre Geschichte läuft parallel zu dem Krawall im Vordergrund. Sie sind die einzigen, die wirklich etwas empfinden, sie tun sich aber auch schwersten damit, Gefühle auszudrücken.

Menschenfeind foto jan pieter fuhr 7264Kühles Zentrum, beflissene Herren © Jan Pieter Fuhr

André Bücker inszeniert diese radikale Versetzung des Originals in die Gegenwart mit absoluter Konsequenz. Auf Feinheiten kann er nicht dabei allzu viel Rücksicht nehmen. Der Spannung, unter der die Figuren stehen, und der permanenten Lautstärke, die auf sie einwirkt, ist auch das Publikum ausgesetzt. Auch wir spüren sozialen Stress oder erinnern uns zumindest an den, den wir im echten Leben haben. Dabei entpuppt sich das Stück als eine brutale Versuchsanordnung: Wie viel Wahrheit und wie viel Schein erträgt ein einzelner überhaupt? Molière zeigt uns mit Célimène und Alceste zwei Menschen, die bereit sind, für ihre Prinzipien über ihre Grenzen zu gehen und persönlich zu scheitern. Die böse Pointe ist, dass sie selbst im Moment ihrer Niederlage diese nicht eingestehen können und damit die Chance verspielen, sich gegenseitig zu erlösen. Molière ist da gnadenlos mit seinen Figuren und die Augsburger Inszenierung arbeitet das sehr intensiv heraus.

 

Der Menschenfeind
von Molière
Deutsch von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens
Inszenierung: André Bücker, Bühne & Kostüme: Imme Kachel, Texte social network: Andreas Hillger, Musik: Lilijan Waworka, Licht: Moritz Fettinger, Live-Musiker: Lilijan Waworka, Dramaturgie: Sabeth Braun.
Mit: Kai Windhövel, Paul Langemann, Mirjana Milosavljević, Klaus Müller, Mirjam Birkl, Patrick Rupar, Thomas Prazak, Katja Sieder, Sebastian Müller-Stahl.
Premiere am 1. Dezember 2023
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.staatstheater-augsburg.de

Kritikenrundschau

"Ein schönes, wildes Gewusel von Typen, nach Shakespeares Art.," schreibt Veronika Lintner in der Augburger Allgemeinen (3.12.2023). André Bücker finde neue Bilder für diesen Klassiker, und zwar "digitalisiert, mit kleinen Updates." Er gehe als Regisseur das Risiko ein, "Molière in die Gegenwart zu stupsen, in das Zwielicht eines Nachtclubs. In den Orkus von WhatsApp, Instagram und Konsorten." "An der Bühnenwand leuchten Chat-Nachrichten auf, die Hauptfiguren des Stücks tippen ihr privates Party-Geplauder in ihre WhatsApp-Kanäle." Nein, der Schriftsteller Andreas Hillger versuche hier erst gar nicht, sich dabei an Molières poetische Höhe heranzudichten: 'Ich bin gleich fertig, keine Panik, noch schwanke ich – Manolo Blahnik oder doch die Roten Sohlen, der Teufel soll den Zweifel holen.' Konsum und Dekadenz, 1666 wie 2023. Das Publikum lacht und liest."

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