Die Räuberinnen - Münchner Kammerspiele
Dem Mann kann geholfen werden
von Maximilian Sippenauer
München, 23. November 2019. Über der Bühne lastet bühnenfüllend groß eine dicke, alles erdrückende Cumulus-Wolke. Schietwetter im Räuberwald. Davor fünf Frauen germanisch abenteuerwillig beschuht, also Wollsocken in Treckingsandalen, gerüstet, um ein paar ungeklärten Fragen dieses gewittrigen Schiller-Dramas nachzugehen.
Zum Beispiel: Warum sind in dem Stück alle so scheiße drauf? Welche mühlsteinschweren Wolken müssen denn da auf die Seelen dieser Figuren drücken? Steckt hinter dieser Seelenschindung gar Prinzip und wenn ja, ließe sich das wenden? "Das gewohnte Denken vom Geist aus zu verändern", propagiert Gro Swantje Kohlhof zu Beginn in Schiller'schem Pathos, "das wäre doch Kunst".
Kein Profan-Feminismus
Regisseurin Leonie Böhm hat bei ihrer Adaption der "Räuber" so ziemlich die gesamte Handlung des Urtextes gestrichen und dazu auch ein Gros der darin auftretenden Personen. Die Konzentration gilt allein vier Schlüsselfiguren: dem ungleichen Brüderpaar Franz und Karl Moor, dem braven Liebchen Amalia und dem Vollblutanarcho Spiegelberg.
Böhm hat, wie der Titel nahelegt, dabei alle vier weiblich besetzt. Weshalb ein ebenso naheliegendes Missverständnis vorne weg schon mal geklärt werden sollte: Böhm betreibt hier weder Profan-Feminismus, der platt Geschlechterbilder gegeneinander ausspielt, noch gängelt sie einen 22-jährigen Irrwisch, der 1781 diesen freiheitsdurstigen Text verfasste, altklug für seine zeitalterbedingten Chauvinismen – oder höchstens nur am Rande. Sie macht das alles klüger und entspannter, weswegen sie die Rollennamen auch nicht künstlich effeminiert: Statt einer Karla spielt hier halt nun eine Karl Moor und fertig.
In drei monologischen Studien erzählen in der Folge Franz, Karl und Amalia von ihren Leben. Es beginnt die Franz Moor, gespielt von Eva Löbau. Die Zweitgeborene beklagt ein doppeltes Leid: von Natur aus ist sie ein hässlicher Krüppel. Ihr Körper gezeichnet von ausladenden Vulvalippen etwa, die den Vater anekeln, aber, und das ist noch schlimmer, eigentlich gar nicht interessieren. Wenn sich für diese Franz die Wolke ein Stück hebt, dann nur, damit es auf sie herunterregnet.
Böhmisches Leder
Dagegen stolziert Karl Moor, Julia Riedler, in Rockstar-Lederkluft durch die Gegend, hebt erst mal lässig das Wolkengebirge an und zwinkert in die Menge. Schlussendlich erweist sie sich aber als nicht weniger leidend und larmoyant als ihr jüngeres Geschwisterteil. Aus der übermäßigen Verklärung durch Papa hat sich bei ihr eine ausgewachsene Gefallsucht entwickelt und daraus wiederum eine handfeste Depression.
Die Moors hadern also beide und Löbau und Riedler halten dabei ziemlich gut die Balance zwischen dem oberflächlichen Witz dieser küchenpsychologischen Figurendeutung und deren gleichzeitiger Tiefe, die dadurch entsteht, dass diese Pathologien nochmals auf ihre weibliche Dimension zugespitzt werden. Aus dem Vaterkomplex wird ein Weiblichkeitskomplex abgeleitet, wodurch natürlich auch der emanzipatorische, aufklärerische Impetus von Schillers "Räubern" einen feministischen Drive bekommt.
Amalia als Poltergeist
Als dritte im Bunde tritt dann in Schießer Feinripp-Unterhose die ursprünglich einzige Frau des Stücks auf: Amalia, gespielt von Sophie Krauss. Die von Schiller als auf Schloss Moor mietfrei residierend, genauer gesagt, als in der Jasminlaube Portraits pinselnd angedachte Dame mit der Funktion, rein und entzückend zu sein, brüllt und stampft hier durch das Theater und alle Gänge dahinter, um die beiden selbstmitleidigen Schwesterbrüder aus ihrem Selbstmitleid zu wecken.
Sie entdeckt darüber die Tragik ihrer eigenen Funktion, die nicht nur passiv und allein reaktiv auf die Malaisen der Moors bezogen ist, sondern dazu noch ziemlich wirkungslos. Wer kommt schon an gegen die absolute Unumstößlichkeit dieses fast schon naturgesetzlichen Vaterkomplexes, der alles durchwirkt.
Rhythmisiert werden diese drei Teile durch Songs von Friederike Ernst, die live mit auf der Bühne steht. Ernst bricht als Teil der Band Schnipo Schranke schon seit ein paar Jahren ziemlich angstfrei mit alten Mann-Frau-Zuschreibungen. Dementsprechend gut passen ihre Songs, wenn sie textlich zwischen kitschiger Schnulzenreferenz und Mädchenpups oszillieren.
Trotzdem: Weil alle Handlung gestrichen wurde und nicht jede Pointe unbedingt zündet, beginnt das Ganze sich spätestens ab der Hälfte etwas zu ziehen. Die psychologische Dekonstruktion des ersten Aktes allein ist dann doch etwas wenig und mit der Zeit auch vorhersehbar, so dass sich irgendwann unweigerlich die Frage stellt: Kommt da jetzt noch was? Und ja, es kommt noch was.
Freiheit vom Vaterkomplex
Nämlich ein bizarres wie furioses Finale. Eine Traumreise, initiiert von Spiegelberg, die als Waldorf-Guru erst die Reihen zum Gurren bringt und dann mit der huldigenden Melodik einer grölenden Stadionkurve die drei Protagonisten aus ihrer Lethargie weckt: "Wer schreibt die besten gefälschten Briefe der Welt? Franz Moor! Franz Moooooooor!" Gro Swantje Kohlhof verkündet als Spiegelberg das radikale Sich-Frei-Machen von den nicht erst seit Schiller festgeschriebenen Pseudonotwendigkeiten der väterlich induzierten Neurose.
Vergesst Konkurrenzdenken, Gefallsucht und Einsamkeit. Weg mit den deutschtümeligen Treckingsandalen und Wollsocken. Davon die restlichen Klamotten und hinein in die Freiheit der Böhmischen Wälder. Die vier knien nieder zum Räuberschwur, planschen in den Pfützen der Gewitterwolke, die sich verzogen hat, deobjektivieren kurzerhand ihre Körper, führen selbstermächtigt mit ihren Brüsten ein Laserpistolen-Battle und läuten auf ihnen hernach die Siegermelodie Freiheit kündender Glocken.
Bis sie zum Schluss splitternackt über die regennasse Bühne und von dort volle Pulle in die erste Reihe schlittern. Drei Mal. Die Räuberinnen enden als eine absurde Freiheitserklärung von den nicht minder absurden Scheingesetzmäßigkeiten männlicher Logik. Was ja irgendwo meint, dass Böhm Schiller in seinem Schlusswort nur zustimmt: Ja, dem Mann kann auf alle Fälle geholfen werden.
Die Räuberinnen
nach Friedrich Schiller
Regie: Leonie Böhm, Live-Musik: Friederike Ernst, Mitarbeit Inszenierung: Susanne Wagner, Bühne. Zahava Rodrigo, Licht: Jürgen Tulzer, Musik: Friederike Ernst, Kostüme: Mascha Mihoa Bischoff, Dramaturgie: Helena Eckert.
Mit: Gro Swantje Kohlhof, Sophie Krauss, Eva Löbau, Julia Riedler und Musikerin Friedrike Ernst.
Premiere am 23. November 2019
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.muenchner-kammerspiele.de
"Statt sich am testosterongeladenen Original aufzureiben, feiern die Frauen lautstark ihre Form der Schwesternschaft", schreibt Christiane Lutz in der Süddeutschen Zeitung (25.11.2019). "Bei ihrer letzten Arbeit an den Kammerspielen, 'Yung Faust', versteckte sich Leonie Böhm noch hinter einer mehrfach gebrochenen Ironie. Diesmal traut sie sich, Nähe zuzulassen zu ihren Figuren, weniger Assoziationsebenen zu konstruieren und somit weniger Fluchtwege anzubieten. Das wirkt verbindlicher, selbstbewusster und ist ein kluger Umgang auch mit der Frage nach weiblicher Selbstermächtigung."
"Das bringt Spaß für den, der bereit ist, Geld dafür zu bezahlen, ein paar jungen Menschen beim Selbstfindungstrip zuzuschauen, von dem er selber nichts hat und sich auch gedanklich nicht viel anstrengen muss", schreibt Bernd Noack von Spiegel Online (24.11.2019). „Und wenn schließlich noch ein ausgelassenes Busen-Gebimmel-und-Gebammel einsetzt, beginnt für manchen Zuschauer erst – mangels sonstiger Denkanstöße – die eigentliche Arbeit dieses Abends: das Fremdschämen.“
"Es herrscht nur noch reine Spielfreude, die zugleich von einer Befreiung des weiblichen Körpers von aller Objektivierung kündet: Mit ihren Brüsten führen sie erst ein Laser-Battle auf, um danach auf ihren Sieg über den Zwang und das Finale einzuläuten, in dem sie splitternackt über die Bühne bis in die erste Reihe rutschen. Eine absurde Freiheitserklärung gegen ebenso absurde Vorstellungen von Moral und Gesetz", so Anna Landefeld auf Deutschlandfunk Kultur (25.11.2019).
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Ein wunderschöner Theaterabend, für mich eine völlig neue Perspektive, eine großartige Leistung aller, und alles war so schlüssig.
Nach den einzelnen biographischen Erkundungen von Franz, Karl und Amalia befreit die mitreißende Erinnerungsreise, indem sie miteinander gespielt wird. Phantasie, die Dynamik der (Räuber-) Gruppe, wie auch der Versuch, das Publikum miteinzubeziehen kreieren neue Möglichkeiten, fokussieren auf das, was noch alles geht!
Was zu sehen ist, könnte auch in einer Psychodrama-Gruppe entwickelt worden sein: „Die ‚Wahrheit‘ der Seele handelnd erforschen“, so hat die Arbeitsweise ihr Erfinder Jacob Levi Moreno beschrieben. Viele ihrer Methoden hat er dem Spiel von Kindern abgeschaut.
Dass diese Inszenierung von „Die Räuberinnen“ weniger auf die äußeren politischen Bedingungen von Recht, Gerechtigkeit und Schuld schaut als auf die inneren Auswirkungen dieser Verhältnisse und ihre Veränderbarkeit, macht sie zu einem politischen Statement. Also: reingehen, anschauen und dann spielen!
Mit freundlichen Grüßen. Anneliese Leichtl
#4 Zum Glück findet sich auch da noch ein Mann, der mir sagt, was ich über den Abend zu denken habe. Ist aber nicht so schlimm. Der Abend hält das locker aus.
Danke. Ich hab lange nix so tolles mehr gesehen. Großartig. Schlau. Berührend. Anschauen!
Unverständlich es Geschwafel -wo ist der rote Faden? Fehlanzeige nackig und schleimig machen wars das?
Was die armen Mädels da ab und ausgezogen haben war zum lachen leider nicht zum heulen und fremdschämen.
Auf gut Bayerisch: Was für ein Krampf, was für ein Schmarrn. Die Räuberinnen von Leonie Böhm sind in doppelter Hinsicht ein Tiefpunkt der Ära „Liliental“: Da fällt Regisseurin Leonie Böhm nichts ein, was nur einen Funken Intellekt besäße. Da bemächtigt sie sich angeblich des Schiller-Stücks, ohne daraus für die heutige Zeit etwas Nachdenkliches, ja Sinnvolles ableiten zu können. Da wird unkomischer Unsinn an Unsinn gereiht, bis zum sinnentleerten Herumschlittern der Schaupielerinnen auf Pfützen. Da ziehen sich am Ende, weil der intellekt- und ironiefreien Regisseurin nun wirklich nichts einfällt, alle Schauspielerinnen aus und veranstalten ein nicht mal albernes Glockenspiel mit ihren Brüsten. Dümmer ging es wohl in den vergangenen 30 Jahren nicht auf der Bühne der Kammerspiele zu. Es kommt eine Sehnsucht auf nach wirklich modernen und in die Tiefe gehenden Stücken von Achternbusch und Krötz. Doch Leonie Böhm hat nichts zu sagen und sagt doch so viel. Das ist einfach nur ärgerlich. Und das - wie gesagt- in doppelter Hinsicht: Denn das Stück zeigt auch auf erschreckende Weise, wie stark die schauspielerische Qualität in diesem Haus gelitten hat, ja wie egal das dem Hausherren wohl ist. Die Akteurinnen an diesem Abend wirken wie in einer außer Rand und Band geratenen Aufführung einer schlechten Theater AG. Und das an einem Haus, das von großartigen Schauspielerinnen wie Gisela Stein und Sybille Canonica geprägt wurde. Einfach nur beschämend. Und das Publikum beklatscht auch noch ausgiebig diesen rein auf Effekt getrimmten Schmarrn. Die Kammerspiele haben RTL-2-Niveau erreicht. Und keiner greift ein. Wo bleibt die Qualitätskontrolle des Intendanten?
Nach „Yung Faust“, das gut in die intimere Atmosphäre der Kammer 2 passte, durfte Leonie Böhm erstmals auf der großen Bühne der Münchner Kammerspiele inszenieren, konnte mit dieser leichtgewichtigen Arbeit jedoch nicht überzeugen.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/12/26/die-rauberinnen-munchner-kammerspiele-theater-kritik/