Der Sturm - Christian Stückl erzählt Shakespeares Spätwerk am Münchner Volkstheater mit Witz und Bühnendonner
Shitstorm
von Willibald Spatz
München, 28. Oktober 2016. Das Schönste ist immer noch ein Abenteuerspielplatz, wo man klettern und abstürzen, einbrechen und rauskrabbeln kann und der garantiert keine Abnahme durch den TÜV bekommt. Stefan Hageneier hat ein Schiffswrack auf der Bühne des Münchner Volkstheaters eingerichtet mit gefährlich in den Weg rankenden Planken und Löchern in den Brettern, die den Boden bilden, in die man prächtig stolpern und schmerzhaft hinfallen kann. Und Christian Stückl jagt seine Schauspieler-Mannschaft knapp zwei Stunden über dieses Klettergerüst, zu deren und des Publikums wachsendem Vergnügen.
So wild es hier auch zugehen mag, der Prospero, der Herr der Insel, ist ein ungewöhnlich besonnener Herr. Freilich brüllt er zunächst, Mikroport-verstärkt und mit Halleffekt dröhnend, als er mit einem vom Luftgeist Ariel erzeugten Sturm das Schiff untergehen lässt, auf dem sich sein Bruder Antonio befindet. Dieser hat ihn um sein Herzogtum gebracht und mit seiner Tochter in ein Boot gesteckt und aufs offene Meer treiben lassen. Jetzt wäre die Gelegenheit zur Rache gekommen. Die wehrlose Mannschaft stolpert über die fremde Insel und wäre dem Vollstrecker Prospero ausgeliefert.
Auf die Kacke hauen
Dieser zaudert allerdings. Bei Pascal Fligg ist er ein vorsichtiger Insel-Guru, ein bisschen zu soft, um einem Staatswesen vorzustehen. Man könnte fast annehmen, dass sein Bruder seinerzeit gar nicht so unklug gehandelt hat, als er ihn von der Macht fern hielt. Ganz leicht lässt er sich von seiner Tochter Miranda überreden, ihr die ganze Wahrheit über ihre Herkunft zu berichten. Sie weiß von ihrer Vergangenheit vor der Insel nur noch, dass sie eine Katze hatten, was den gar nicht so alten Vater sichtlich rührt. Carolin Hartmann lässt dieses bei der ersten Begegnung mit Männern, die nicht auf der Insel wohnen, triebhaft reagierende Kaspar-Hauser-Kind im Verlauf ihrer Reifung zunehmend raffinierter agieren. Am Ende spielt sie mit den Männern und wickelt sie um ihre Finger.
Christian Stückl erzählt die Geschichte in einer Folge von meist gut gebauten und flotten Nummern, die jedem einige Male die Gelegenheit geben, aufzudrehen und zu glänzen. Am häufigsten stolpert Nicolas Reinke als Alonso, König von Neapel. Er heult auch am meisten, weil er meint, im Sturm seinen Sohn verloren zu haben. Er steht zwischen seinem fiesen Bruder Sebastian (Mehmet Sözer), dem es sichtlich Spaß macht, dem Bruder Schuld an der Katastrophe einzureden, und dem freundlichen alten Mann Gonzalo. Thomas Kylau sticht deutlich aus dem ansonsten relativ jungen Ensemble heraus, wenn er von einem neuen, perfekten Staat träumt.
Der verlorene Sohn Ferdinand wird von Prospero versklavt. Jonathan Müller ringt in herrlichem Ungeschick mit einer Axt um seine Unschuld, die ihm Miranda brutal rauben will. Das ist alles witzig anzusehen, richtig auf die Kacke, und das nicht nur im übertragenen Sinn, hauen Jean-Luc Bubert, Jakob Geßner und Timocin Ziegler als der Rest der Schiffsbesatzung respektive versklavter indigener Inselbevölkerung. Sie dürfen sich besaufen, bespringen und schließlich in Fäkalien wälzen, auch verbal. Enno Haas, der jüngste Schauspieler, hetzt als Ariel die Tollpatsche mit diebischem Vergnügen immer wieder aufeinander los.
Alles rennt, keiner kommt zum Stich
Das Ganze ist mit großer Lust am Theatermachen und Überwältigen inszeniert. An lautstarkem Bühnendonner wird nicht gespart. Tom Wörndls Soundtrack unterstreicht die Stimmungswechsel effektvoll. Und doch geht in dem Gewitter nie unter, dass "Der Sturm" eigentlich ein Stück über das Scheitern männlicher Machtfantasien ist. Sebastian und Antonio rennen die ganze Zeit Alonso mit gezücktem Messer hinterher, sie kommen nie zum Stich. Ferdinand hat die Axt in der Hand, als er Miranda allein gegenübersteht. Er lässt sie kraftlos wieder sinken, entschuldigt sich für sein Verhalten, und auch er rennt ihr hinterher. Am Schluss bekommt er ihre Hand, aber nicht ihre Liebe. Auch der Racheakt, der der Auslöser für die Turbulenzen war, wird nicht vollendet: Prospero schafft es nicht, seine Übeltäter im Schlaf zu zerhacken. Er bekommt ja dennoch, was er will: sein Herzogtum.
Beim Schlusswort wirkt er sehr gelassen. Wahrscheinlich hat er auf der Insel zu einer tieferen Erkenntnis gefunden, die ihn fortan über den Dingen schweben lässt. Und ein bisschen lässt einen das dieser kraftvolle, unmittelbare Abend auf dem Nachhauseweg auch.
Der Sturm
von William Shakespeare
Aus dem Englischen von Franz Dingelstedt
Regie: Christian Stückl, Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier, Musik: Tom Wörndl, Dramaturgie: Nikolai Ulbricht.
Mit: Pascal Fligg, Roman Roth, Carolin Hartmann, Nicholas Reinke, Mehmet Sözer, Jonathan Müller, Thomas Kylau, Timocin Ziegler, Jakob Geßner, Jean-Luc Bubert, Enno Haas.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.muenchner-volkstheater.de
Sturmgetöse und handgemachte, simpelste Kinderfantasien - "wenn sich das heute noch einer traut, dann Christian Stückl, der mal wieder aus allen Rohren feuernde Kindskopfregisseur", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (31.10.2016). Nach Abenteuerspielplatz schaut die Bühne aus, "ein wüster Bretterverhau aus Latten, Holzstegen und einem gebrochenen Mast zusammengeklammert, das gekenterte Schiff symbolisierend". Wie immer, wenn Christian Stückl Shakespeare inszeniere, gehe der Volkstheaterwüterich mit ihm durch. Und Stückls Faible fürs Laientheater "schlägt sich an diesem disparaten Abend vor allem in der Besetzung des Luftgeistes Ariel mit einem 14-jährigen Schüler nieder". Fazit: "So grob gezimmert Stückls Inszenierung ist, das Ende kriegt er gut hin. Er treibt dem Harmonie-Schluss das allzu Versöhnliche aus, lässt die Menschen menscheln und zweifeln."
Stückl suchte für seine Inszenierung vor allem die Anlässe für derbe Komik und fand sie reichlich, so Mathias Hejny in der Abendzeitung (31.10.2016). Im Ergebnis kein großer Abend, aber solides Entertainment. Stückls Komplize sei dabei der Ausstatter Stefan Hageneier, der einen malerischen Schiffsfriedhof aufwarf, "Gelegenheit zum listigen Stolpern und clownesken Hinfallen". Überraschend werde jedoch unter dem Klamauk immer wieder die Tragweite einer gesellschaftlichen Vision vom Respekt vor dem Menschsein spürbar.
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Das Schiffswrack, ein Ungetüm aus Planken, das Stefan Hageneier auf die Bühne des Volkstheaters gestellt hat, wäre ideal zum Verstecken und Turnen. Die Gestrandeten auf der Insel gehen sich zwar bei jeder Gelegenheit an die Wäsche oder die Kehle. Die Möglichkeiten, die dieser "Abenteuerspielplatz" für Körperakrobatik und Slapstick bietet, werden aber nur halbherzig genutzt.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2017/12/27/der-sturm-shakespeare-mit-derber-komik-am-muenchner-volkstheater/