Hedda Gabler - Münchner Volkstheater
Das Böse trägt gerne Barockperücke
von Maximilian Sippenauer
München, 27. September 2019. Wer ist Hedda Gabler? Diese skandinavisch spießbürgerliche Variante einer miesgelaunten Lady Macbeth. Eine kühl berechnende Agitatorin, die lebensfrustriert einen tödlichen Sadismus gegen die sie umschwänzelnden, männlichen Scheinkapazitäten kultiviert? Oder eine verzweifelte Reaktion auf ein patriarchalisches System, wo Frau nur trivial repräsentieren darf, als Hausdame und Sexspielzeug? Kaum eine Hedda Gabler, die heute ihre Ränke schmiedet, kommt ohne die Frage aus, ob Ibsen da jetzt eigentlich eine emanzipatorische Flutwelle in den sich erstmals lichtenden Fjord eines Geschlechterbewusstseins geschickt hat oder ob das doch nicht nur eine pathopsychologisierende, olle Chauvi-Nummer ist. Lucia Bihler aber stellt diese Frage erstmal hinten an und sagt: Hey, was ist das eigentlich für eine Groteske, diese Hedda Gabler?
Rokoko-Reifrock-Phantasiewelt
Premiere im Münchner Volkstheater. Bihler hat die Dienerin des Hauses, die bei ihr stumme Berte, verdoppelt und beide legen mechanisch wie zwei Haushaltsautomaten die Nadel auf einen Plattenspieler. Eine banale Melodie singsangt durchs Theater und wie die Platte auf dem Plattenteller dreht sich die Bühne. Über ihr: Wolken wie steifgeschlagene Sahnekleckse. Darauf: Eine Chaiselongue, unlackiert, weiß bezogen, ein Beistelltisch samt Etagere mit rosa Schaumgebäck, Hedda mittig in mintgrünem Rokoko-Reifrock, am Rand ihr Gatte Tesman im weißen Gehrock. Beide tragen blond, barock ondulierte Perücken, die Visagen gepudert. So dreht sich das Haus Tesman-Gabler wie eine riesige Spieluhr. Bihler inszeniert Ibsens moralisierenden Tragödie als Urform der Dramedy – als Operette. Ohne Gesang freilich, aber inklusive kleiner Intermezzi mit Cembalo-Untermalung.
In dieser Szenerie rattert das Stück los in maschineller Schicksalshaftigkeit. Tesman träumt dummselig vom Professorendasein und davon, sein Heddalein zu verwöhnen. Hedda dagegen bereut schon einen Tag nach den Flitterwochen, sich in diese stumpfsinnige Käfigwelt gesetzt zu haben. Da flattert Frau Elvsted ins Haus. "Aber Tesman, mit der hast du doch… Ja, aber Heddalein, das war doch lange vor dir."
Schaumgebäck beim Hausbesuch
Doch die Jugendsünde Tesmans kommt nicht wegen alter Geschichten. Ihrer Freundin beichtet sie, ihren Mann verlassen zu haben, mit dem genialischen Lövborg durchgebrannt zu sein, um den sie jetzt in Sorge ist. Denn der große Denker Lövborg – mit dem Hedda früher intim war – habe im Exil ein erfolgreiches Buch verfasst. Trotzdem, fürchtet Elvsted, drohe, dass Lövborg hier in der Stadt, seiner ungesunden Neigung zu Alkohol und exzessivem Leben nachgeben könnte.
Im Reigen der Hausbesuche folgt als nächstes Assessor Brack. Der knabbert etwas Schaumgebäck, sabbert mit dem anderen Mundwinkel Richtung Hedda: "Also, wenn eine Ehe augenscheinlich unbefriedigend, sollte da nicht ein Dritter?", schnappt sich alsdann den karrierespechtelnden Gatten und erklärt: "Jetzt wo Lövsted mit seinem Buch so reüssiert, ist das Ganze mit der Professorenstelle nicht mehr so sicher." Und schon droht die Souffleekekssahnewelt Tesmans zu kollabieren.
Im Tim Burton Style
Dieser auf Pointe gestrichenen Fassung zu folgen, ist wirklich amüsant. Die Dialoge entfalten plötzlich einen intriganten Doppelsinn, einen Sexus und eine machtpolitische Dynamik, als habe sich Ibsen von Österreichs letztem Regierungskabinett inspirieren lassen. Dazu diese Künstlichkeit und Empathieresistenz der Rokoko-Outfits, die aus emotionsabweisendem Regenmantellatex geschneidert zu sein scheinen, was passt zum ostentativen Hantieren der Schauspieler. Die gestikulieren und deklamieren überzogen wie in einer Renaissance-Aufführung und das offensichtlich mit enormer Lust daran.
Anne Stein etwa starrt als Hedda hinterrücks derart diabolisch, dass sie locker Helena Bonham Carter in einem Tim Burton Film ersetzen könnte. Oder Timocin Ziegler, der als Brack sehr witzig, den notgeilen Fettsack gibt, der schnabuliert und solang Plätzchen mopst, bis er an seinem Hedonismus fast erstickt. Vor allem aber Jakob Immervoll sticht aus dem durch die Bank tollen Ensemble heraus. Und zwar weil sein Tesman, dessen naive Talentlosigkeit in neidzerfressene, gefährliche Feigheit umschlägt, etwas Ambivalenz ins Stück bringt. Dass ist wichtig: denn spätestens ab Akt drei, wenn das Stück sein tragisches Potential entfaltet, droht Bihlers Hedda ins bloß Clowneske abzudriften.
Zynische Leichtigkeit
Denn so unterhaltsam diese Operetten-Hedda ist, sie hat einen Preis. Um diese Nummer so kurzweilig durchziehen zu können, mussten Bihler und Dramaturg Mats Süthoff den Text von allem psychologischen Ballast befreien. Tesmans Tante etwa, zu der dieser im Urtext eine aufrichtig rührende Beziehung führt, ist komplett gestrichen, damit aber auch die gutmenschlichen Züge Tesmans. Die unglückliche Beziehung Frau Elvstädts zu ihrem Ehemann ist eher Randnotiz genau wie die finanzielle Not des gesellschaftlichen Aufsteigers Tesman. Ohne diese soziopsychologischen Ortsmarken tut man sich schwer, die doch recht hohe Selbstmordrate am Ende des Stückes nachzuvollziehen.
So interessant es ist, dass Bihler nicht versucht, Ibsen eine feministische oder antifeministische Agenda unterzujubeln: Das ist jetzt sicher kein Stück, wo man mit erhobener Faust rausgeht und ruft: Jawohl, so war's, so ist's immer noch und so wird's hoffentlich nicht mehr lange sein. Aber andererseits: Who cares? Denn ist es nicht ein bisschen albern, immer dieselben alten, weißbärtigen Männer heraus zu kramen, um ihnen emanzipatorische Gegenpositionen abzuringen? Gibt es da nicht fruchtbarere zeitgenössische Texte und Spielformen? So oder so. Diese Hedda Gabler beeindruckt mit erstaunlich stilsicherer Konsequenz und zynischer Leichtigkeit abseits der erwartbaren Klassiker-Dekonstruktion.
Hedda Gabler
von Henrik Ibsen
Regie: Lucia Bihler, Bühne: Jana Wassong, Kostüme: Laura Kirst, Musik: Jörg Gollasch, Dramaturgie: Mats Süthoff.
Mit: Anne Stein, Jakob Immervoll, Jakob Geßner, Paulina Alpen, Timocin Ziegler, Jorid Lukaczik, Nathalie Schörken.
Premiere am 27. September 2019
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.muenchner-volkstheater.de
Kritikenrundschau
Einen "bonbonfarbenen, würdigen und sehenswerten Start in die neue Saison" habe Lucia Bihler dem Münchner Volkstheater beschert, findet Christiane Lutz in der Süddeutschen Zeitung (29.9.2019). Anne Stein als Hedda sei "während der kompletten Vorstellungsdauer hyperwach und sediert zugleich und schafft es, durch all ihre Schichten an Zuckerguss und Langeweile hin und wieder Kontakt aufzunehmen mit dem Publikum." Traurigkeit und und begrabene Sehnsucht kämen in Bihlers Inszenierung "so konsequent in Marzipanfarben" daher, dass man gerne dabei zuschaue.
Regisseurin Lucia Bihler habe "ein wenig an der Uhr gedreht. Aber nicht, wie gewohnt, in Richtung Gegenwart, sondern um mindestens 100 Jahre zurück in die Vergangenheit", schreibt Robert Braunmüller in der Abendzeitug (29.9.2019). Der Zeitsprung falle allerdings kaum auf, so sehr passe "die behütete Generalstochter ins Rokoko und in seine die Lebensluft abschnürenden Korsagen." Anne Steins Hedda sei ein "Luxuspüppchen", das sich "perfekt" auf der "ständig bewegten Drehscheibe" halte. Für den Kritiker ist Bihler mit dieser Inszenierung "eine Aufführung gelungen, die auf eine im Sprechtheater ungewöhnliche Weise durch Bilder erzählt, deren virtuose Mechanik unmittelbar mitreißt."
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"Ein Schauspiel, aber -ach- ein Schau-Spiel nur..." - Un-verbindlich.
Timocin Zieglers Amtsgerichtsrat Brack wird zum übergewichtigen Bonvivant, der seine Finger nicht von den aufgetürmten Macarons lassen kann, von denen er „schnabuliert“.
Ibsens Drama ist so klug gebaut und so überzeitlich modern, dass ihm auch Bihlers Regie-Einfall, es um zwei Jahrhunderte in die hochartifizielle Welt des Rokoko zu verlegen, nichts anhaben kann. Hedda Gablers Tragödie berührt auch in dieser Inszenierung, die sich an ihrem bonbon- und pastellfarbenen Ausstattungs-Spaß erfreut und im vierten Akt ins stille Drama umschlägt.
Lucia Bihler gelang zum Spielzeitauftakt am Münchner Volkstheater eine solide, unterhaltsame Klassiker-Bearbeitung, die wesentlich überzeugender war als ihr Berliner Volksbühnen-Debüt „Final Fantasy“.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/12/23/hedda-gabler-munchner-volkstheater-kritik/