I’m just Bernd

25. März 2024. Kann Sibylle Berg hellsehen? In ihrer Aristophanes-Adaption aus dem Jahr 2019 steckt eine Vorahnung des "Barbie"-Films, und auch Markus Söders Gendersprachen-Verbot ist schon Thema. Christian Stückl vertraut auf ihre Vision einer Welt, in der die letzten Vertreter:innen unserer zweigeschlechtlichen Spezies hausen.

Von Martin Thomas Pesl

Sibylle Bergs "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2", von Christian Stückl am Münchner Volkstheater inszeniert © Arno Declair

25. März 2024. Es wird wenige überraschen, dass Sibylle Berg eine visionäre Begabung besitzt. Bereits in ihrem 2019 am Theater Basel uraufgeführten Stück "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" sah die brillante Zynikerin, Autorin und Partei-Politikerin ein charakteristisches Element von Greta Gerwigs Barbieland vorher: Alle Frauen und alle Männer teilen sich jeweils einen Namen. Bei Berg lauten diese Namen Lysistrata und, nun ja, Bernd. Ein Ken kommt am Ende freilich auch vor – es ist ein Sexroboter, den sich die Frauen gebaut haben. Wer weiß, vielleicht übernimmt er in "Lysistrata Teil 3" die Weltherrschaft.

Geschlechterklischees, durch den Berg-Wolf gedreht

Der Intendant des Münchner Volkstheaters hat sich Zeit gelassen, bevor er sich für diesen Text entschied. Lange war nur "eine Inszenierung von Christian Stückl" angekündigt. Auf "Barbie"-Anspielungen verzichtet Stückl. Stattdessen ließ sich sein Ausstatter Stefan Hageneier vom vorgegebenen Schauplatz des Stücks inspirieren. "Die Gärten" sind ein Museum, in dem Besucher:innen einer utopischen Gegenwart alles über die einstigen Qualen der Zweigeschlechtlichkeit erfahren. Hier ist es natur- und kunsthistorisches Museum in einem: Der Riesenkaktus, Michaelangelos berühmte "David"-Statue, die Urmenschen, die Gartenzwerge, die Spielplatzschaukel und der Triceratops-Saurier – sie alle sind gleichermaßen versteinert und auf einer Drehscheibe zusammengeschoben wie für den Abtransport.

In den Gaerten 2 Arno DeclairDie letzten ihrer Art: Lena Brückner, Luise Deborah Daberkow, Liv Stapelfeldt, Jawad Rajpoot, Noah Tinwa, Anton Nürnberg © Arno Declair

Eine beruhigende Frauenstimme, die aus einem von Susanne Kennedys suggestiven Abenden stammen könnte (ebenso übrigens wie das pinke Neonlicht und die vermutlich KI-generierten Videobilder, die auf gestapelten Bildschirmen ablaufen), führt durch die diversen historischen Phasen. Sie heißen Liebesgarten und Friedensgarten, Missionarsgarten (nach der "ödesten Begattungsposition") und Kindergarten. Von den drei Lysistratas und drei Bernds, die hier durch-"stromern", wie es heißt, wird nie klar, ob sie Besucher:innen oder Ausstellungsstücke sind, irgendwie immer beides. Die "Rahmenhandlung" dient sowieso nur als Vorwand, um aus ein bisschen feministischer, bisschen allgemein pessimistischer Sicht Geschlechterklischees durch den Berg-Wolf zu drehen.

Drei sympathisch lächerliche Bernds

Bevor jetzt die Alarmglocken läuten: Dort sind sie immer noch besser aufgehoben als anderswo. Zudem unterläuft die Münchner Besetzung jegliche Fantasien von schenkelklopfenden bayerischen Kabarettistinnen à la Monika Gruber, die Ehewitze über alte weiße Männer machen. In Funktionskleidung mit schmerzhaften Farbkombinationen repräsentieren drei charmante Burschen diverser Hautfarben, durchwegs unter 30, das (hier buchstäblich) vom Aussterben bedrohte Geschlecht.

Alle drei machen sich auf individuelle Weise lächerlich und somit sympathisch: Anton Nürnberg schmeißt sich voll in die Emotion bei schockierenden Geständnissen wie "Ich esse Fleisch" und mit einem haarigen Bierbauch, den er sich umschnallt. Noah Tinwa verfällt in kindlich-naives Grinsen und nutzt den Text oft fragend, um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte. Jawad Rajpoots Bernd kriegt irgendwie immer die Textstellen ab, in denen es auf creepy Weise um seine Mutter geht. Befremdliche Blicke der anderen sind die Folge. Dafür kann er – und nur er – breakdancen.

Gereimte Launigkeit

Indes wiederholt sich gefühlt das Szenario "Ken wird Oscar-nominiert, Barbie nicht". Denn Lena Brückner, Luise Deborah Daberkow und Liv Stapelfeldt brillieren vor allem als Trio – etwa wenn sie auf die Spitze treiben, was sie den Bernds alles durchgehen lassen: "Ja, hey, klar – offene Beziehung. Sure kannst du mir ein Bein amputieren." Sie stehen dabei dicht beieinander, vorne an der Rampe, und holen sich Szenenapplaus. Überhaupt wird viel herumgestanden; szenisch hat Stückl innerhalb des üppigen Museumssettings wenig unternommen. Dieser Text will aber auch gar nicht gespielt oder groß interpretiert, er will gesagt werden, in seiner Launigkeit und seiner (nicht immer, aber immer öfter:) Gereimtheit. Das gelingt dem Ensemble ausgezeichnet.

In den Gaerten 1 Arno DeclairRitt durch die Vorzeit: Luise Deborah Daberkow, Liv Stapelfeldt © Arno Declair

Bergs finale Pointe, der letzte Museumsgarten, kommt beim Premierenpublikum besonders gut an: Die Männer traten, wie einst in "Lysistrata 1" die Frauen, in den Sexstreik, was gar nicht auffiel und sich als Win-Win-Situation für alle erwies. "Wir sind dann ausgestorben", frohlockt Noah Tinwa. Die eigentlich bittere Pointe steht allerdings gleich zu Beginn. Sie besteht in der Behauptung einer "politisch korrekten, veganen, durchgegenderten Gegenwart". In der Woche von Söders Gender-Verbot erscheint sie wie eine kühne Fiktion. Wie gesagt: Frau Berg muss hellsehen können.

 

In den Gärten oder Lysistrata Teil 2
von Sibylle Berg
Regie: Christian Stückl, Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier, Musik: Tom Zimmer Licht: Anton Burgstaller, Dramaturgie: Hannah Mey
Mit: Lena Brückner, Luise Deborah Daberkow, Anton Nürnberg, Jawad Rajpoot, Liv Stapelfeldt, Noah Tinwa
Premiere am 24. März 2024
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

www.muenchner-volkstheater.de

In einer Version war statt von Michelangelos "David"-Skulptur von einer "antiken Götterstatue" die Rede. Nach einem Leserhinweis haben wir das korrigiert.

Kritikenrundschau

Sibylle Bergs Stück habe "zum Thema Geschlechterrollen und Geschlechterkampf aber nach wie vor sehr viel Gültiges und Giftiges zu sagen", konstatiert Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (25.3.2024). Es dauere allerdings etwas, bis die Figuren in Stückls Regie Profil gewinnen. Zu tun habe das auch mit der Bühne, die "große Bilder und leider auch Atmosphäre" verweigere, was dem Abend einen "theorielastigen Anstrich" gebe. Aber "so wie sich die jungen Bernds und Lysistratas ins Zeug legen, sammeln sie viele Sympathiepunkte". In der Debatte um Gendergerechtigkeit bringe der Abend zwar "nicht viel", dafür aber "Spaß", was in "Zeiten von verbitterten Diskursen" durchaus "nicht wenig" sei, so die Kritikerin.

"Sibylle Berg beschränkt sich zum Glück nicht auf die einfache Umkehrung der Lysistrata-Dramaturgie, sondern bespielt mit eloquentem Witz und ätzendem Spott die vielen Nebenkriegsschauplätze, wenn Paare sich paaren", schreibt Mathias Hejny in der Abendzeitung (25.3.2024). Angesichts unserer rasant voranstürmenden Gegenwart scheint manches im 2019 geschriebenen Stück allerdings "heute bereits ein wenig aus der Zeit zu fallen". Aber Stückl und sein und sein sehr junges Ensemble "durchstöbern unerschrocken wirklich jede Beziehungskiste" und die Inszenierung bekomme "mit jeder Wendung mehr Kontur", freut sich Hejny.

Kommentare  
Gärten der Lysistrata, München: Antike Götterstatue?
Hallo Herr Pesl
Welche "antike Götterstatue" haben Sie erkannt? Das war Michelangelo's David, oh mei o mei... Die Anspielung auf Kunst und Bildungsbürgertum im musealen Garten war bei Ihnen von begrenzter Kenntnis begleitet
Nichts für ungut
Gruß

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Sehr geehrter Herr Richter, vielen Dank für den Hinweis. Sie haben Recht. Der Autor bittet um Entschuldigung für seine Unaufmerksamkeit. Wir haben das entsprechend korrigiert.
Herzliche Grüsse aus der Redaktion.
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