Das Ding / Das Dong - Philipp Löhle Stück und die in Ouagadougou entstandene Antwort im Doppelpack am Staatstheater Nürnberg
Der blinde Fleck der Globalisierung
von Andreas Thamm
Nürnberg, 17. November 2018. "Das Ding" ist bereits seit 2011 in der Welt. Jan Philipp Gloger brachte das Stück von Philipp Löhle am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg auf die Bühne. "Das Dong" hingegen, die afrikanische Antwort auf die Globalisierungskomödie, hatte vor zwei Wochen Premiere in Ouagadougou. Die Idee, eine solche Antwort schreiben zu lassen, entstand 2015. Philipp Löhle war mehrmals in Burkina Faso zu Gast, hat sich mit den Theatermachern vor Ort vier Wochen lang mit dem Thema beschäftigt und auch "Das Ding" auseinandergenommen, um zu etwas Eigenem zu kommen.
Mittlerweile ist Gloger Schauspieldirektor in Nürnberg, Löhle sein Hausautor. Die Doppelaufführung von "Das Ding" und "Das Dong" ist der Kern des Wochenendes zum Thema Afrika. Die Frage stellt sich: Ist das ein Remix, eine Übersetzung? Wie hängen die Stücke zusammen? Und: Was macht das, wenn die Perspektive auf das Thema Globalisierung wechselt, bringt uns das eine Erkenntnis?
Auf die Ware konzentriert
Zunächst also "Das Ding". Vier Schauspieler, eine Schauspielerin und eben das Titelgebende Ding, das um die Welt geht: Eine Baumwollsaat. Die Bühne ist seitlich mit segelähnlichem Tuch abgehangen. Das passt, denn zuerst tritt Magellan auf, kostümiert mit Puffärmeln und allem, was dazugehört. Er will den portugiesischen König Manuel I. um den Auftrag bitten, eine Passage durch Südamerika zu finden. Der lehnt ab und Magellan wird unter der Flagge Spaniens um die Welt segeln – der Auftakt, wenn man so will, aller Globalisierung.
Das Historische schmeißt Löhle über Bord. Statt des Schiffes geht die Baumwolle um die Welt. Es handelt sich um eine Biosaat, den Beat ist vor Ort, der Schweizer Entwicklungshelfer. Beat ist wiederum der Exfreund von Katrin, was Thomas, ihren Mann, bis heute wurmt. Thomas ist Leiter einer Reststoffverwertung. Löhles Stück basiert auf der Annahme, dass alles mit allem verbunden sei, also hat er mit seinem Text verschiedene Ringe gebaut, die ineinandergreifen.
Zwangsläufig eurozentristisch
Aus der Baumwolle wird ein Trikot, das Katrins Bruder trägt und dann Katrin, bis die vom liebestollen Li angeschossen wird, einem Chinesen, der die Baumwolle Jahre zuvor zum Trikot verarbeitet hatte. Katrin nämlich zieht sich heimlich vor der Webcam aus. Die Globalisierung des Sex funktioniert auch ohne Warentransport. Darüber steigert sich ihre Krise mit Thomas zu einer explosiven Szene, in deren Höhepunkt, der hochrote schreiende Tjark Bernau das Publikum auffordert "Thomas hat'n kleinen, kanns ihr nicht besorgen" mit ihm zu singen.
Löhle und Gloger haben einen formidablen Abend konzipiert, der mit Leichtigkeit komplex ist. Nie entsteht der Eindruck der Bemühtheit, nie verheddert sich die Erzählung und das obwohl sie zwischen Figuren, Kontinenten, Zeiten und Erzählebenen fluffig hin und her hüpft. Das Bühnenbild bleibt reduziert, die unterschiedlichen Nationalitäten werden durch unterschiedliche Kopfbedeckungen angezeigt und zum Glück nicht durch gebrochene Sprache. Selbst der Schweizer spricht Hochdeutsch in Afrika. Das lustvolle spielende Ensemble erhält Szenenapplaus, als Maximilian Pulst als Patrick Dräger ein Tor schießt und alle in endlos übertriebener Zeitlupe jubeln.
Löhle dreht die Globalisierung ins Absurde, in eine spaßige und tragische Komödie, gut gebaut und gelungen, aber auch zwangsläufig eurozentristisch. Den Text hat er im nächsten Schritt ins Labor gegeben, damit die Autorinnen und Autoren Jeanne Diama, Ali K. Ouedraogo, Tony Ouedraogo, Yolande Pehe darin ihre eigenen Themen und Fragen finden. So kam "Das Dong" in die Welt. Und auch das Dong geht um die Welt, bleibt dabei aber viel abstrakter, weniger klar zu entschlüsseln. Unterm Eindruck der drei Handlungsstränge, die das Stück ausmachen, lässt sich es am ehesten als Drang zur Freiheit übersetzen.
Charme des Provisorischen
Der Zugang zum Stück bleibt leider halb versperrt von der Sprachbarriere. Man muss sich entscheiden, die Aufmerksamkeit dem Spiel zu widmen oder den Übertiteln links und rechts der Bühne. Außer freilich man ist des Französischen mächtig. Die erste deutliche Parallele findet sich aber auch so, in der gespiegelten Besetzung: Drei Frauen, ein Mann. Das Bühnenbild dazu ist ähnlich reduziert, es besteht aus Bierkisten und einem Tisch. Und auch der Charme des lässig Provisorischen ist dem "Ding" verwandt: Als die Zuschauer den Raum betreten, sind die Schauspieler auf der Bühne ins Aufwärmen versunken, sie müssen sich erst noch umziehen.
Aus den Bierkisten entsteht unter andrem die Bar "Ballon d'Or", wo Prisca sich immer wieder gegen einen Gast zur Wehr setzen muss. Er sagt, er will doch nur ein Bier, sie sagt: "Ich ficke nicht für Geld. Sie können weitergehen." Das ist in der Tat irritierend, denn der Zuschauer begleitet nicht die Entwicklung ihrer Haltung, sondern nur das Resultat. Zuerst bedroht sie ihn mit einem Messer im Schritt, später gibt sie sich ihm hin. Und er ist frustriert darüber, dass sie sich nicht wehrt: "Ich will dich heulen sehen."
Emanzipation einer Kellnerin
Zwar baut die Erzählerin aus dem Off eine Brücke: "Eine Frau ist wie Afrika. Wenn sie sich vereinigt, wird sie mächtig sein." Danach allerdings fehlen die Bezüge zu den anderen beiden Strängen, die vom Freiheitskampf in Burkina Faso erzählen. Die Handlungsebenen verzahnen sich kaum.
Die Erwartung, die andere Seite von Globalisierung, im Sinne von: Warenfluss um die Welt, zu sehen, wird enttäuscht. Der Abend ist von Löhles Stück inspiriert, löst sich aber und findet zu eigenen Themen, die mit Globalisierung wenig zu tun haben. Aus dem konkreten Ding ist geographisch ein diffuses Dong geworden. So könnte sich die sich emanzipierende Kellnerin auf jedem Kontinent finden. Klarer geographisch verortet ist die Geschichte um den Journalisten Sebgo und den Freiheitskämpfer Lamine.
Hier geht es um den korrupten Präsidenten Jacques, der Regimekritiker zu Tode foltern lässt. Als ein Volksaufstand gegen ihn ausbricht, wiederholt er die zuvor vom Schweizer Entwicklungshelfer gehörte Beleidigung: "Das Problem ist die Faulheit der Bürger!" Ein netter Querverweis, der insofern auch aufzeigt, dass der Präsident das eigentliche Problem nicht sehen mag. So findet die Globalisierung als blinder Fleck Einzug in "Das Dong". Darüber hinaus von tatsächlicher Weiterdichtung oder Reaktion zu sprechen, fällt schwer. Es ist aus der Zündung durch das eine, ein ganz anderes Stück geworden, dem etwas Unfertiges anhaftet.
Das Ding
von Philipp Löhle
Regie: Jan Philipp Gloger, Bühne: Judith Oswald, Licht: Frank Laubenheimer, Dramaturgie: Fabian Schmidtlein.
Mit: Maximilian Pulst, Anna Klimovitskaya, Tjark Bernau, Janning Kahnert, Nicolas Frederick Djuren.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
Das Dong
von Jeanne Diama, Ali K. Ouedraogo, Tony Ouedraogo, Yolande Pehe
Regie: Moussa Doumbouya, Astérie Nizigiyimana
Mit: Yolande Pehe, Aminata Touré, Hermine Yollo, Moussa Doumbouya, Astérie Nizigiyimana.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-nuernberg.de
Kritikenrundschau
Steffen Radlmaier schreibt über "Das Ding" in den Nürnberger Nachrichten (17.11.2018): Jan Philipp Gloger, entwickele aus "dem abstrakten Thema" einen "kurzweiligen Theaterabend", der aber "letztlich an der Oberfläche hängen" bleibe. "Wäre ja auch zu schön, wenn man die Folgen der Globalisierung einfach so weglachen könnte!" Löhle sorge zwar für Heiterkeit, aber das Stück, thematisch überfrachtet, ermangele der Klarheit. Das Beste seien die Schauspieler*innen: sie "jagen in 100 Minuten von Kontinent zu Kontinent, von Pointe zu Pointe. Es gibt Slapstick-Einlagen, Parodien und Dialoge mit dem Publikum …". Es bleibe dem dem "sichtlich amüsierten Publikum" überlassen, aus "dieser überdrehten Groteske" die "richtigen Schlüsse für das eigene (Konsum-)Verhalten zu ziehen".
Bei "Das Dong" (19.11.2018) vermerkt Radlmaier, dass ein Schauspieler wegen Visumschwierigkeiten nicht aus Burkina Faso habe ausreisen dürfen. Die vier verbliebenen - Yolande Pehe, Hermine Yollo, Moussa Doumbouya und Aminata Touré – zugleich Schauspieler, Bühnenbildner und Regisseure – "glichen das Manko mit ihrer starken Bühnenpräsenz mehr als aus". "Ding" und "Dong" hätten nur "lose" miteinander zu tun. "Dong" hüte sich vor einfachen Schuldzuweisungen. Schuld an der "afrikanischen Misere" seien "nicht nur die ehemaligen Kolonialmächte, sondern auch die eigenen korrupten Eliten und eine gleichgültige Bevölkerung". "Das Dong" funktioniere als "plakatives, satirisch zugespitztes Agit-Prop-Theater, das die Zuschauer aufklären und aufrütteln" wolle.
Herbert Heinzelmann schreibt in der Nürnberger Zeitung (17.11.2018) über "Das Ding": "Ein Lacherfolg. Und wo bleiben die Abgründe?" Gloger schicke das Geschehen ins "digitale Tempo", forciere die "komischen Attitüden seiner Akteure", arrangiere "die Szenen, als wäre die Bühne ein Computer-Bildschirm, auf dem viele Fenster zugleich aufploppen". Die "beklemmenden Momente im Stück und im Spiel" müssten Regisseur, Akteur und Zuschauer länger aushalten, um "die abgründige und damit die nachhaltige Ebene auszuloten". Allzuschnell aber dürfe "wieder gelacht werden".
"Das Dong" (19.11.2018) habe "das lustige Lüftchen des 'Ding' " wie ein "theatraler Sturm" von "der Szene gefegt". Afrikas Theater kenne noch "Wut", lasse "Pathos" zu, schreie "Botschaften" heraus, könne "zynisch" sein, wenn es um korrupte Politik gehe. "Vor allem jedoch" wolle es Hoffnung. "Nichts anderes als die Utopie der Hoffnung" sei ja das Dong, von dem die "afrikanischen Akteure" in "atemberaubendem Rollen-, Kostüm-, Stimmungs- und Themenwechsel" handelten. "Grandiose Schauspieler", ohne "verfremdende Mätzchen" hinter ihren Figuren "verschwindend". "Großes Theater" trotz der Textmassen in französischer Sprache.
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