Das Krippenspiel - ehemalige Mitglieder des P14-Jugendclubs in himmlischen Sphären
2010 Jahre Menschsein
von Esther Slevogt
Berlin, 24. Dezember 2009. Das Krippenspiel ist wirklich ein Krippenspiel. Vorne der Stall: ein Sperrholzwinkel mit Fenster, durch das von Zeit zu Zeit der Vermieter in seiner Kittelschürze lugt. Im Stroh wälzen sich wohlig Ochs und Esel, die im vorliegenden Fall natürlich von zwei Menschen dargestellt werden, mit angeklebten Ohren aus Pappe. Links bibbern drei Hirten am Lagerfeuer, die Schafe muss man sich denken, während rechts die drei heiligen Könige mit Krönchen und schillernden Umhängen, die ihre besten Zeiten schon hinter sich haben, durch ein Sichtgerät nach dem Stern von Bethlehem Ausschau halten.
Auch zwei Engel in hellen Kleidern und goldenen Highheels gehören zum Personal der berühmten Geschichte, die seit genau 2010 Jahren die Grundlage einer der drei monotheistischen Religionen ist. Und dann begibt es sich im Berliner Ballhaus Ost, sehr nah an der Version, die der Evangelist Lukas von den Ereignissen überliefert hat, dass ein Gebot ausgeht vom Kaiser Augustus, dass alle Welt geschätzt werden soll.
Und so machen sich von der Zuschauertribüne der Spielstätte im Bezirk Prenzlauer Berg um die Ecke vom Helmholtzplatz auch Joseph und Maria auf – Joseph schimpft unter seinem Pennerhut ein wenig indigniert, dass das Kind, das Maria in sich trägt, nicht von ihm ist. Er werde sie verlassen, droht er Maria an, wenn die Zählung vorüber ist. Aber da verkünden ihm schon die beiden blonden Engel, dass es sich hier nicht um die Folge eines Fehltritts, sondern um die menschheitserlösende Frucht des Geistes Gottes handelt. Dem Happy End steht nichts mehr im Wege, und die Spieler nehmen allesamt Aufstellung, um "Vom Himmel hoch" anzustimmen.
Schmiede für den Schauspielernachwuchs
In einer guten halben Stunde wird mit wenigen Mitteln die Weihnachtsgeschichte erzählt. So, wie sie im Neuen Testament bei Lukas geschrieben steht. Immer, wenn die Geschichte an einer Station angekommen ist, die eines der berühmten Weihnachtslieder inspirierte, wird das Lied auch gesungen: "Stern über Bethlehem", "Kommet, ihr Hirten" oder "Es ist ein Ros' entsprungen".
Keine Dekonstruktion, kein Diskurs oder sonst ein Aktualisierungsversuch trüben den hellen, lakonischen Ernst dieser Unternehmung, zu der sich noch einmal ehemalige Mitglieder des Jugendclubs "P14" der Berliner Volksbühne versammelt haben, eigentlich Stätte der Dekonstruktion und Stoffzertrümmerung an sich, und die eine der großen Schauspielernachwuchsschmieden des letzten Jahrzehnts gewesen ist.
Hier hatte sich eine sehr intensive Mischung aus Kindern der ehemaligen DDR-Oberschicht und schauspielerischen Hochbegabungen zusammengefunden. Jugendliche, deren Kindheit in einer Welt der zerfallenden Gewissheiten und den Koordinaten zwischen dem 9.11.1989 und dem 11.9.2001 verlaufen war, und die hier schon sehr früh intellektuell und handwerklich gefördert wurden.
Biografie als Koordinatensystem
Die Stoffe, die Sebastian Mauksch, der das Ensemble von 2001-2007 geleitetet hat, mit ihnen erarbeitete oder von ihnen selbst erarbeiten ließ, verhandelten die radikalen Erfahrungen, die an diese Daten geknüpft waren, und zwar stets im Mikrokosmos des Persönlichen, so dass die Theaterprojekte von P14 einen ganz eigenen Ton zwischen Weltdeutung und radikaler Selbstbezogenheit hatten. Weil Mauksch die Jugendlichen damals lehrte, dass in diesem Jahrzehnt des Zusammenbruchs aller Ideologien, Systeme und auch Utopien die eigene Erfahrung und Biografie das einzige ist, das die Unübersichtlichkeit begrenzen und die Koordinaten noch abstecken kann.
Ob, wie in "39 Kriegsspiele" (2002) der Fallout des 11. September im Alltag der Jugendlichen verhandelt wurde, sei es als diffuse Angst in der U-Bahn, oder ob in "Independence Day" (2005) die Grenzen des westlichen Freiheitsbegriffs anhand eines Ferienlagers erkundet wurden, ob man in "Bambiland" mit Michael Jackson auf dem Sofa nach Neverland abhob oder sich in "Reifeprüfung – Ich will Dir peinlich sein" mit dem unterschiedlichen Paarungsverhalten von Ost- und Westteenies befasste. Immer hielt Mauksch seine Truppe zu einer Auseinandersetzung auf der Höhe der Dialektik an, ohne jemals dogmatisch zu werden. Der unprätentiöse Mauksch hat hier nahezu unbemerkt, und auch nie angemessen gewürdigt, eine neue SchauspielerInnengeneration großgezogen, die auf den Schauspielschulen, die sie danach besuchten, nur noch den letzten Schliff erhielten, so das überhaupt noch nötig war.
Richtung Publikum geschleudert
Manche, Lilith Stangenberg zum Beispiel – die zuletzt in der Uraufführung von Anne Nathers Im Wald ist man nicht verabredet Zürich gefeiert wurde, erreichten die großen Bühnen sofort. Auch Maria Kwiatkowsky stammt aus Maukschs P14-Schule, die im November das schrundige Pathos von Frank Castorfs ausufernder Volksbühnen-Wiedereröffnungsinszenierung Ozean mit einem sehr eigenen Glanz erfüllte.
Sie spielte eine blinde Waise, die mit einer derartigen Leuchtkraft die Bühne enterte, dass sie damit augenblicklich auch die autistischen Unschärfen der Figuren in ihrem Umfeld konturierte. Tak, tak, tak, phrasierte das Schlagen ihres Blindenstocks auf den Bühnenboden die Auswüchse dieses Abends ins Unübersichtliche. Und wenn sie das Wort ergriff, dann tat sie das im Sinne des Wortes und warf es in den Zuschauerraum: also dorthin, wo man viele anderen der Schauspieler jenseits von Reihe 13 gar nicht mehr hören konnte. Wobei der Volksbühnenauftritt bei Castorf fast schon eine Art Comeback für die Fünfundzwanzigjährige war, die bereits mit zwanzig den Schauspielpreis des Filmfestivals in Locarno gewann.
Gegen die Neoloberalisierung von Stoffen und Texten
Dann waren da bei P14 noch die beiden Josephines, Josephine Ehlert (die gerade in Wien die Schauspielschule beendet) und Josephine Fabian (die seit dieser Spielzeit zum Ensemble des Theaters Meiningen gehört) – um nur einige der Namen zu nennen, die man sich merken sollte, und die jetzt nicht auf der Bühne des Ballhauses Ost gestanden haben, um die Weihnachtsgeschichte zu spielen, nackt und bloß, wie das Kind in der Krippe sozusagen. Denn die diskursive Zerfledderung von Stoffen und Theatertexten könnte man schließlich auch als Folge der Neoliberalisierung auf dem Theater betrachten, der es vielleicht gerade Weihnachten etwas entgegenzuhalten gilt.
Und so spielten hier Wieland Schönfelder, Christian und Conrad Rodenberg, Toni Jessen (der auch in Lars Eidingers "Räubern" an der Schaubühne dabei war), Philipp Guhr, der als König Melchior aus dem Morgenland sein Gesicht (Monika Gintersdorfer zum Trotz) schwarz geschminkt hat, Lisa-Theres Wenzel als vom Himmel hoch herkommender Engel, oder Maria Kamutzki, die als Hirtin am Ende wunderbar phrasierend Elvis Presleys Variation der Weihnachtsgeschichte "In the Ghetto" a capella intoniert, und die anderen schließlich leise mitsingen, bevor der Abend zu Ende geht: "As the snow flies / on a cold an gray winter morning/ a poor little baby child is born / in the ghetto." Womit ganz unprätentiös doch noch der Bogen über zwei Jahrtausende ins Jetzt geschlagen wird.
Das Krippenspiel (Wie man Wärme teilen kann)
Von und mit: Eva Bay, Kristof Gerega, Philip Guhr, Toni Jessen, Maria Kamutzki, Laura Mitzkus, Tina Pfurr, Christian Rodenberg, Conrad Rodenberg, Sylvana Schneider, Wieland Schönfelder, Daniel Schrader, Christian Valerius, Lisa-Theres Wenzel, u.a.
www.ballhausost.de
Mehr lesen und sehen? Wieland Schönfelder und Maria Kwiatkowsky sind neben anderen Ex-P14ern auch in der Internet-Sitcom Torstrasse-Intim zu sehen, wo u.a. auch Ex-Volksbühnenchefdramaturg Carl Hegemann als Vater eine Rolle spielt. Lisa-Theres Wenzel war auch in René Polleschs Ein Chor irrt sich gewaltig mit von der Partie.
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meine mama sagt, dass maria kamutzki auch mit bei torstrasse-intim spielt, und ihr hat das krippenspiel auch gefallen, obwohl es eher für mich gedacht war.
schüss
Hallo Miu,
hm, was mögen Sie meinen? Ihr Kommentar steht doch unter der Kritik zum "Krippenspiel" -
ratlos grüßt: die Redaktion/dip