From The Dark – Mit einer Marathonperformance von Forced Entertainment über die Dunkelheit endet das Berliner Festival Foreign Affairs
Das Event als Gesamterfahrung
von Sascha Ehlert
Berlin, 16. Juli 2016. Ich habe einen Traum. David Lynch im Schneidersitz: "Du musst über deine Ängste sprechen, sie begrüßen, ihnen etwas abgewinnen!" Um ihn herum schleichen Bäume herum, ganz langsam, aber merklich trippelnd. Hinten in der Ecke steht der Tod. Auf eine Tafel hat jemand: "Magic" geschrieben. Jeff Bridges sitzt auf einem Stuhl, vor ihm ein brauner Holzkasten, aus dem Musik ertönt. Langsame Leierkastenmusik, schwermütig und schräg. "The world is filled with too many restless people in need of rest—that's why I filled my sleeping tapes with intriguing sounds, noises and other things to help you get a good night's rest."
Lynch sitzt immer noch auf seiner übergroßen Yoga-Matte. Er grinst, seine Fön-Frisur sitzt perfekt. "Das ist nicht Lost Highway, Sascha." Plötzlich spricht er auf Englisch weiter: "I am scared. I am scared of smashing my cars door, while my sons's hand is still in there. And I'm scared of me not seeing that he is in agony, so I walk slowly towards the driver's door and after I finally found out that my son is hurt – I freeze." Plötzlich ist Lynch verschwunden, Bridges auch. Ich öffne die Augen, sehe eine Bühne voller Gestalten in Skelett-Ganzkörpermassage-Anzügen, die auf der Bühne aufgereiht sitzen und Geschichten von Königen, Königinnen und von Sex im Operationssaal erzählen.
Zwischen deep und doof
Es ist 01:44 Uhr. Seit 21:21Uhr bespielt die britische Gruppe Forced Entertainment nun die große Bühne im Haus der Berliner Festspiele. Eine Handlung gibt es nicht, dafür viele Wiederholungen. Der Abend funktioniert wie eine Endlosschleife: Erst tummeln sich Tiere, also Menschen in plüschigen Kostümen auf der Bühne. Nach und nach werden sie zu etwas geführt, was eine Art Schafott sein könnte. Jedenfalls entledigen die Schauspieler sich wenig später hinter einer, von zwei weiteren Schauspielern gehaltenen Decke ihres Kostüms, verschwinden zum Bühnenrand und lassen eine leere Hülle zurück. Drumherum tanzen, wie in Trance, zwei Darsteller mit hawaiianischen Röcken und Blumenkränzen, darüber gelegt schräg leiernde Einschlaf-Musik, die mich an die "Sleeping Tapes" von Jeff Bridges erinnert, wahrscheinlich tauchte "The Dude" deshalb in meinem Traum auf.
Nachdem alle Tiere/ Menschen sich ihrer plüschigen Hüllen entledigt haben, folgen Kollektivszenen. "Once Upon a Time", sagen die Schauspieler und erzählen dann improvisierte Geschichten zwischen deep und doof. Das Ganze ist ein Spiel, sagt einer der anderen "Stop", muss sein Vorredner schweigen und der nächste ist dran. Das sorgt ab und an für Gelächter. Ein paar Reihen vor mir beginnt derweil ein Zuschauer laut zu schnarchen.
Delirierende Tagträumereien
Herzstück von "From The Dark" sind quasi-meditative Solo-Performances, in denen elf Schauspieler von ihren Ängsten erzählen. Ihre Monologe driften streckenweise ins Absurde ab, mäandern aber manchmal auch hin zu kurzen, wahrhaftigen Momenten, in denen man glaubt tatsächlich einer ernsthaft schmerzhaften Lebensbeichte zuzuhören. Zwei, drei mal ertappe ich mich dabei, berührt zu sein. Den Großteil der Zeit treiben die in den Berliner Festspielen aufgeführten Texte dennoch in inhaltlich seichten Gefilden, die in meiner Erinnerung zu einem zähen Brei verschwimmen.
Auch die Bühnen-Bildwelt nutzt sich schnell ab, spätestens ab 1 Uhr nachts hat man das Gefühl, alles gesehen zu haben. Da hilft vor allem Abschweifen und Abdriften. Stundenlang ertappe ich mich dabei, gegen das drohende Wegnicken selbst Geschichten zu erfinden. Meine eigenen delirierenden Tagträumereien sind für mich dann das tatsächlich Denkwürdige, dass ich von diesem Abend mitnehme. Ist das am Ende eine Qualität von "From The Dark": dass ich durch das Subjektive der Erzählungen auf mich selbst zurückgeworfen werde? Auf der Bühne wiederholt sich derweil alles unermüdlich, bis die Uhr endlich fünf nach Fünf anzeigt. Für diese Zeit ist heute in Berlin der Sonnenaufgang angekündigt.
Wolkenverhangenes Zwilicht
Zu einem echten Höhepunkt kommt es bis dahin leider nicht, ohnehin scheint das Bühnengeschehen längst in den Hintergrund gerückt. Interessanter ist derweil das Draußen, das Event als Gesamterfahrung geworden. Da es keine Pausen gibt, kann jeder jederzeit raus, draußen quatschen, trinken und Aufgaben erfüllen, um von einem Typen mit sympathischem Knall einen frisch gepressten Orangensaft geschenkt zu bekommen. Oder: man hilft in der Küche dabei, das Frühstück für die bis zum Ende durchhaltenden vorzubereiten. Gerade kneten dort schöne Menschen Kuchenteig. Auch wenn bei "From The Dark" leider inhaltlich mehr behauptet als tatsächlich geboten wird: Dabei sein lohnt, alleine zur Selbstvergewisserung. Wer hier ist, der kann ganz so falsch nicht sein.
Abgründe, doppelte Böden, subtiler Grusel, inhaltlich motivierte Weirdness kommen dahingegen bei "From The Dark“ zu kurz. Als schlussendlich die Applausordnung aufgeführt wird, steht immerhin direkt auch das Frühstück bereit: Obst, Tortilla, Kuchen, Apfelsaft. Die Katharsis bleibt mir trotzdem verwehrt. Als ich auf den Kurfürstendamm trete, erwartet mich nicht die Sonne, sondern graues, wolkenverhangenes Zwielicht. "Even Bad Coffee is better than no coffee at all", spukt derweil wieder David Lynch in meinem Kopf herum.
From The Dark
von Forced Entertainment
Künstlerische Leitung: Tim Etchells, Licht: Nigel Edwards, Design: Richard Lowdon, Kostüm: Claire Marshall, Produktionsmanagement: Jim Harrison.
Mit: Robin Arthur, Mark Etchells, Nada Gambier, Tobias Lange, Reena Kalsi, Jerry Killick, Richard Lowdon, Claire Marshall, Cathy Naden, Terry O’Connor, John Rowley.
Dauer: 7 Stunden, 45 Min.
www.forcedentertainment.com
www.berlinerfestspiele.de
"Die Aufführungen von Forced Entertainment haben immer etwas von Therapiesitzung", schriebt Sandra Luzina im Tagesspiegel (17.6.2016). "Nur: Sind die Briten diesmal etwa als Rauswerfer angeheuert worden?" Forced Entertainment zitierten nur ihre Stilmittel. "Nach drei Stunden ist die Befürchtung endgültig Gewissheit: So abgründig, wie sie sich geriert, ist diese Aufführung nicht – trotz Angsthasen und Sensenmännern. Auch führt die Dehnung der Zeit, man ahnte es, keineswegs zwingend zu intensiverer Wahrnehmung. Die Macht der Nacht? Ein Rausch sieht anders aus."
Forced Entertainment zitieren hier frühere Stücke, beschreibt Katrin Bettina Müller in der tageszeitung (17.6.2016) den Abend. Oft aber blieben das nur kurze Blitze. "Das alles sind gespenstische Clownsnummern, komisch in immer neuer Varianten des Misslingens." Diese letzte Performance des Festivals erscheine "vor allem durch ihre unfassbare Entschleunigung auch dem Müde- und dem Älterwerden abgetrotzt".
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Und ermüdet. Wie schon in Real Magic gezeigt, läuft sich jede Mechanik irgendwann tot, wenn sie nicht von der Stelle kommt, ihr Ziel, uns, sich irgendwie weiterzubringen, verfehlt. Das ist in die Performace eingearbeitet. Die imergleichen Rituale der varietétruppe und der Geschichtenerzähler werden schal, Situationen lösen sich auf, die Nächste Nummer muss her. Natürlich ist das auch für das Publikum ermüdend. So hat der abend etwa zur Hälfte einen heftigen Durchhänger und fängt sich erst in letzten eineinhalb, zwei Stunden wieder. Die Wiederholung des Immergleichen, die seltsame menschliche Hoffnung, dass, was man hundertmal vergeblich probierte, beim hundertersten Male funktioniert, war bereits in Real Magic mit einiger Realität zu verfolgen. In From the Dark dehnen Forced Entertainment es aus, wird es streckenweise kaum erträglich, wie das schreckliche verzerrte orgelgetränkte verzerrte Easy-Listening-Gedudel aus dem Plattenspieler. Was dort kondensiert und verdichtet ist, wird hier auseinandergezogen, bis die dünnen Dramaturgiestricke vollends zu zerreißen drohen. Man kann dem Abend – oder besser: der Nacht – vorwerfen, ihm fehle die Fallhöhe, er helle die Dunkelheit zu sehr auf, lächerlich, albern, banal. Man könnte das aber auch als seine Stärke betrachten: uns nahe heranzuführen an unsere Ängste, den Mythos der Finsternis. Und uns zu zeigen: “Seht her, ist das alles wirklich so schlimm, ist nicht Vieles von dem, wovor wir so große Angst haben, nicht eher zum Lachen?” Nein, “full of terrors” ist diese Nacht, deren Sterne aufgemalt sind, wohl nicht, eher voller Wärme, Witz und intimer Selbstvergewisserung. Am Ende zeigt ein Gorilla Stepptanz. Ein schöner Abschied.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2016/07/17/steppende-gorillas-und-fluchende-baume/
Am schlimmsten ist aber die „Endlosschleife“, die sich zwischen diesen Soli dreht. Tierkostüme werden ausprobiert und wieder abgelegt, hawaiianische Tänze aufgeführt und die Geduld des Publikums strapaziert.
Nur eine Angst ist an diesem Abend wirklich spürbar: Geht denn dieser zähe Brei die ganze Nacht so weiter?
Viele flüchten sich nach draußen in die Gänge des Festspielhauses, unterhalten sich, essen Sandwiches oder schauen den Menschen zu, die schon ab 23 Uhr an der Vorbereitung des Frühstücks werkeln. Gleich hinter dem Buffet findet sich dann auch die Treppe zum rettenden Ausgang aus diesem Sommernachts-Albtraum.
Kompletter Text: https://daskulturblog.com/2016/07/17/from-the-dark-sommernachts-albtraum-von-forced-entertainment-zum-abschluss-von-foreign-affairs/
Die Rezension ist genau so egal wie das Stück. Und was hat Jonathan Meese gesagt? Egalität ist das Schlimmste was man hervorrufen kann. Es war ja nicht mal schrecklich. Es war nicht mal schön. Es war einfach egal.