Wo bist du? Ich bin hier!

von Petra Kohse

Berlin, 22. Juni 2007. Die schönste Nummer der Show ist der Song über die Blattlaus: "Blatt-, Blatt-, Blattlaus/ zeig mir dein Gesicht/ bitte zeig mir dein Gesicht./ Du bist hässlich und machst/ die Blätter kaputt." Dazu hat sich das Relevanz-Team von She She Pop über die ganze Bühnenbreite postiert, schrummelt auf der E-Gitarre oder beklopft die Trommel (hier wird die New Wave-Band Bow Wow Wow gecovert), die Go-Go-Federbüsche wippen auf den verschwitzten Köpfen und eine, die sich zwei BH-Polster über die Augen und einen Gummipopo auf den Rücken geschnallt hat, kauert schmatzend als Insekt am Boden.

Zuvor hatte der Moderator dem Publikum vorgerechnet, dass statistisch jeder Dritte an depressiven Verstimmungen leide, einen verstohlenen Blick nach rechts und links empfohlen und angekündigt, "etwas Glanz in den stumpfen Blick" zu zaubern, indem nun die nichtigste der Kreaturen gewürdigt werde. Besser als die Blattlaus, so der Kontext, sei jeder Einzelne doch allemal.

Diskursfest verrührt und handlich verpackt

She She Pop, das feministische Performerinnenkollektiv, das Ende der 90er Jahre das Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen verließ, hat sich als furchtlose Agitprop-Truppe des öffentlichen Selberlebens einen Namen gemacht. Stets in Boudoirkleidung und mit viel Chichi unterwegs, im flatternden Morgenmantel, gemuldeten BHs oder hüftstützenden Miedern stellen sie in trashigen Showformaten eine künstliche Privatheit her, mit der sie Fragen an den Alltag, den Sex und die Kunsttheorie diskursfest verrühren und in handlichen Päckchen ans Publikum weiterreichen – wenn dieses nicht ohnehin schon längst mit auf der Bühne hockt.

She She Pop, die in Berlin und Hamburg leben und in allen Häusern der etablierten freien Szene residieren, sind charmant und gewitzt, aber auch etwas anstrengend in ihrer Verweigerung jeglicher einszueins konsumierbaren Kunstfertigkeit. Anders als bei Désirée Nick kann man sich bei ihnen dafür sicher sein, dass die Pantöffelchen, die sie in ihren Shows tragen, definitiv Konzeptpantöffelchen, Zellulite und biografische Hinweise hingegen echt sind.

Auch die "Relevanzshow", die schon im Theaterhaus Jena und im FFT Düsseldorf zu sehen war und nun im Berliner HAU Station macht, hat ein Moment des Authentischen, von dem aus Sebastian Bark, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke und Berit Stumpf sich in die lustigen Höhen einer Kulturbetriebskritik in selbstironischen Anführungszeichen aufschwingen.

Potentielle Fans werden platziert

Schon vor Beginn trippeln sie im GoGo-Outfit durchs Foyer und filtern in Blitzbefragungen potentielle Fans heraus, die gesondert platziert und mehrfach um Unterstützung gebeten werden. Die Show selbst wird mit Hilfe von Video multiperspektivisch erzählt und ist ihr eigenes Making-Of, wobei es ständig darum geht, dass das eigentliche Thema vom Publikum selber kommen muss und die Crew nur Pausenfüller ist und Hilfestellungen gibt oder abgefragte Ergebnisse auswertet.

Lisa Lucassen als gebieterische Inspizientin mit Fluppe und E-Gitarre zum Fummel. Berit Stumpfs voller Körpereinsatz beim Versuch, das Publikum zum Herausfühlen des Äußersten (Gier, Ekel) zu animieren. Mike Matzkes Endlosreferat über die Bedeutung des Essens, das in sachlicher Selbstentblößung mündet. Fanni Halmburger mit ihrem Zwischenspiel der "Erotischen Depression", bei dem traurige Troddel auf einem XXL-BH kreisen. Oder Sebastian Barks anschließende "Historische Interpretation der erotischen Depression", eine Art meditatives Geschenkbandlecken. Echte Entertainerinnen alle, die comedyhaft über ihre eigenen Füße stolpern, aber auch in den Choruslines kein Kunsthandwerk hinkriegen.

Doppelruf der Brutpfleger und Nesthocker

Dies alles im Dienste der Selbstbegeisterung als Selbstzweck einer sich selbst erfüllenden Selbstbestimmung oder so – analytisch wasserdicht und gleichzeitig ganz unverstellt in seiner Bedürftigkeit. "Die Relevanzshow läuft, das kann jetzt nicht mehr geleugnet werden", wird zu Anfang gerufen, und das steigert sich bis zum Aufruf, alle Mobiltelefone anzuschalten und die Nummer von Freunden anzurufen. "Über alle offenen Kanäle wird jetzt eine Relevanzbeziehung hergestellt. Wir verwenden den Doppelruf der Brutpfleger und Nesthocker: Wo bist du? Ich bin hier!"

Mehr geht nicht an Überbau und mehr soll auch nicht sein, danach strömt rein und klar die Liebe. Zu sich selbst, zur Blattlaus, von der Bühne ins Publikum. Dass sie die Relevanzshow gemacht habe, um festzustellen, ob das Private immer noch politisch sei, sagt Fanni Halmburger am Ende. Dass sie sich während der Show gefragt habe, ob einem in Berlin wohl die Elbe fehlen werde, warum ihr Bruder sie eigentlich nie zurückrufe und dass ihre Eltern sicher schon beim dritten Gin Tonic säßen Lisa Lucassen. Und Berit Stumpf umarmt in warmen Worten das Publikum, ohne das das Theater nichts und das umgekehrt auch nichts ohne Theater wäre.

Das ist natürlich abgedroschen, sentimental und ziemlich ängstlich: wer könnte dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht begriffen haben, aber bitte: im Fanblock gingen die Feuerzeuge an, abgesprochenermaßen wahrscheinlich, wobei die zu Fans Gemachten sich ja hätten entziehen können. Doch das wollten sie gar nicht. Warum auch.

 

Die Relevanz-Show
von She She Pop
Regie: She She Pop, Musik / Sound Design: Max Knoth und Vicki Schmatolla, Kostüm: She She Pop / Ulrike Willberg, Video Design: She She Pop / Bianca Schemel, Choreographie: Nir de Volff/TOTAL BRUTAL, Licht: Micha Lentner-Niyorugira, Ton: Lars-Egge "Mügge" Müggenburg.
Mit: Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou, Berit Stumpf.

www.hebbel-am-ufer.de

 

Kritikenrundschau

Jan Oberländer schreibt im Berliner Tagesspiegel (24.6.2007), dass er angesichts des roten Kuschelmonsters, das bei She She Pop mit "flauschigen Drei-Meter-Umarme-Armen" über die Bühne tappt, die PerformerInnen am liebsten "ein bisschen zurückumarmt" hätte. Da ist ihm die leise Kritik, die er vorher angemeldet hatte, schon wieder vergangen: "Wer sich nicht konzentrieren will, könnte man böse sagen, macht eine Nummernrevue. Der Alibi-Überbau vom politischen Privaten geht jedenfalls im Showgetümmel unter. Vielleicht muss man die Latte etwas niedriger hängen. "Das Gegenteil von Relevanz", heißt es an einer Stelle, "ist nicht Bedeutungslosigkeit, sondern Depression." Und gute Laune hat man durchaus nach diesem sympathisch hysterischen Abend."

Katrin Pauly hat auch eine Nummernrevue gesehen und findet sie "eine Zeit lang" durchaus "hochkomisch, weil die Darsteller so herrlich schamlos sind in ihren Straps- und Miederklamotten." Und dass die Performer gestehen, schreibt Pauly in der Berliner Morgenpost (25.6.2007), die ganze Revue für uns nur zu machen, "damit sie sicher sein können, gebraucht zu werden", lässt sie noch als "Mut zur Selbstentblößung" durchgehen: "Das macht Spaß." Aber irgendwann falle dann doch auf, dass es keinen "roten Faden" gebe: "Und damit werden die vermeintlichen kleinen und großen Bedeutsamkeiten leider schnell zu Belanglosigkeiten."

 

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