Frohe Feste - Antoine Uitdehaag lässt Alan Ayckbourn runterwitzeln
Komisches Unkraut vergeht nicht
von Wolfgang Behrens
Berlin, 13. Dezember 2008. 15:50 Uhr. Heute Abend also Boulevard. Auch wenn Peter von Becker schon 1987 in "Theater heute" schrieb, dass Alan Ayckbourn ein "längst über den Boulevard hinausgewachsener Dramatiker" sei. Na gut, aber das Stück "Frohe Feste" ist von 1972! Und von mir aus: Dann ist es eben gehobener Boulevard …
Jedenfalls freue ich mich drauf oder bin zumindest sehr neugierig, denn ich erhoffe mir ein paar Antworten auf die alte Frage: "Was macht eigentlich …"? Zum Beispiel Julia Stemberger, die ich zuletzt vor bald 20 Jahren in Wien als Desdemona in Taboris "Othello" sah und damals fast vergötterte (ihre Fernsehserien habe ich mir trotzdem nie angeschaut). Oder Guntbert Warns, dessen heimlicher Fan ich am Schiller-Theater war (o Gott, wie lang ist das her?), als er einen der aberwitzigsten Komiker innerhalb der Kathi-Thalbach-Theaterfamilie abgab. Oder David Bennent, den ich bei Schleef in Frankfurt so liebte und bei Heiner Goebbels immer so bedauerlich eitel fand.
Habe ich keinen Humor?
Im Renaissance-Theater war ich übrigens in gut 20 Jahren erst drei- oder viermal: weil man dort natürlich immer den Boulevard zu wittern glaubt – und den meidet man ja als selbsternannter Kunstfreund wie der Teufel das Weihwasser. Dabei wissen wir doch, dass gutes Boulevard-Theater verdammt schwer zu machen ist: Weil es verdammt genau sein muss. Na, mal sehen, was meine alten Helden da nachher zustande bringen!
20:00 Uhr. Let's go!
22:40 Uhr. Ende. Vorbei.
Das Publikum jubelt, die meisten haben sich amüsiert wie Bolle. Ich nicht so, jedenfalls nicht durchgängig. Ich habe vielleicht keinen Humor. Oder woran liegt's? Jetzt erstmal schnell nach Hause, eine Mütze Schlaf nehmen und dann schreiben.
5:30 Uhr. Ich habe nicht gelacht, vielmehr: Ich habe wenig gelacht, weil ich es nicht leiden kann, wenn Schauspieler ihre Sätze Sitcom-artig zielsicher auf die Pointe hin brüllen. Was in der Inszenierung von Antoine Uitdehaag nicht gerade selten geschieht.
Da sind drei Ehepaare auf der Bühne, die sich an drei aufeinanderfolgenden Weihnachtsfesten in drei verschiedenen Küchen zu Weihnachtspartys treffen, und doch ist jede einzelne dieser sechs Personen mit ihren seelischen Nöten und äußerlichen, etwa finanziellen Bedrängnissen ganz fürchterlich allein: "Absurd Person Singular" ist der englische Titel des Stücks.
Doch weil zwei, manchmal drei, manchmal gar vier der sechs Darsteller die Risse ihrer Figuren nicht ernstnehmen, sondern sie als lächerliche Popanze vor sich hertragen, fehlt der Komik über weite Strecken das Traurige und Abgründige und damit das, was mich überhaupt erst zum Lachen reizt. Das "Erkenne Dich selbst" wird unlustig weggewitzelt.
Was machen meine Helden?
Die Frau des Emporkömmlings hat einen Putzfimmel: Anna Böttcher findet keinen leisen Ton für sie, noch wenn sie weint, verkauft sie ihre Figur an den erstbesten Lacher. Die Frau des Bankers ist eine alkoholabhängige Luxuszicke: Katherina Lange gibt sie dauerüberdreht und nimmt ihr so jede Chance. Und der Architekt ist arg mit seiner Virilität beschäftigt, während Thomas Limpinsel arg damit beschäftigt ist, diese Virilität auszufüllen.
Was aber machen denn nun meine alten Helden, deretwegen ich doch hier bin?
Nun: Auch David Bennent, der den Emporkömmling spielt, befreit sich nicht gerade von allen Comedy-Klischees, seine Marotten (am Ohr kratzen, "Du lieber Himmel" sagen) wirken etwas aufgesetzt. Im dritten Akt dann allerdings – der Emporkömmling ist jetzt so emporgekommen, dass er das Sagen hat – schlägt seine große Stunde: Als gnadenlos arroganter Dompteur treibt er die katzenjammernde Weihnachtsgesellschaft zu einem hochnotpeinlichen Tanzspiel an – und da ist er wieder, der eitle David Bennent, den ich von Goebbels her kenne, doch hier ist er bösartig, hier ist er gut.
Guntbert Warns? Ihm zuzusehen ist noch immer eine Wohltat: Komisches Unkraut vergeht nicht. Er kann einen Gag auch beiläufig und ohne das "Jetzt lachen"-Schild setzen, er verfügt über eine Vielzahl an Farben, ist – wenn ihn im zweiten Akt ein 220-Volt-Stromstoß erwischt – absolut slapsticksicher, und er hat für seinen Banker eine zustimmungsheischende, hechelnd-heisere Lache erfunden, bei der auch Hartgesottene wie ich mitprusten. (Erinnert sich noch jemand an Warns' zahn- und lautlose Lache als Duncan in Thalbachs "Macbeth"? Umwerfend, unvergesslich.)
Und dann ist da Julia Stemberger, die tablettensüchtige Frau des Architekten. Wenn sie im zweiten Akt – von ihren geschäftigen Gästen unbemerkt – völlig wortlos und vergeblich einen Selbstmordversuch nach dem anderen anzettelt, dann ist plötzlich sogar meine angehimmelte Desdemona von einst wieder gegenwärtig: Dank ihrer Leidensfähigkeit zeichnet die Stemberger auch hier einen wirklichen Charakter. Mit verlangsamten Bewegungen tastet sie sich durch einen Nebel der Verzweiflung, während um sie herum der nackte Comedy-Irrsinn tobt, und doch beherrscht sie als stummes Zentrum die Bühne. Eine absurde Person im Singular – traurig, komisch.
7:45 Uhr. Stemberger, Bennent, Warns? Wenn ich ehrlich bin – ich würde sie gerne wiedersehen. In einem anderen Stück, mit einem anderen Regisseur. Jenseits des Boulevards.
Frohe Feste
von Alan Ayckbourn
Deutsch von Inge und Gottfried Greiffenhagen
Regie: Antoine Uitdehaag, Bühnenbild: Tom Schenk, Kostüme: Petra Kray.
Mit: David Bennent, Anna Böttcher, Katherina Lange, Guntbert Warns, Julia Stemberger, Thomas Limpinsel.
www.renaissance-theater.de
Kritikenrundschau
Ein Geschenk des Theaters an seine Zuschauer solle diese Inszenierung sein, schreibt Patrick Wildermann im Tagesspiegel (15.12.). Auch halte die Inszenierung von Alan Ayckbourns "Heilig-Abend Farce" "Frohe Feste", was sie verspreche: "rasante Dialoge, absurde Verwicklungen, Slapstick". Regisseur Antoine Uitdehaag mache sich dabei auch selbst ein Geschenk, indem er das Stück in seiner 70er-Jahre-Entstehungszeit belasse "und sich jegliche heutige Aufhübschung des hausbackenen Geschlechterbildes erspart – die Emanzipation ginge auf Kosten des Witzes". Für Wildermann erreicht die Groteske ihren komischen Höhepunkt, wenn im zweiten Bild "ständig versehentlich der Selbstmord der depressiven Eva verhindert wird". Der letzte Akt hingegen erwische einen kalt, wenn David Bennent "als großer Weihnachtsdiktator" die Puppen tanzen lasse. Dem Kritiker hat's gefallen: "Ein hintergründiger Spaß, ein famoses Ensemble – schöne Bescherung!"
"Frohe Feste" sei im Vergleich zu Komödien-König Ayckbourns "Schöne Bescherung" die "schwächere und oberflächlichere Farce", meint Peter Hans Göpfert in der Berliner Morgenpost (15.12.). Auch er sieht die Klamotte in der zweiten Szene "konsequent auf Hochtouren" laufen, so dass das Publikum "bester Laune" in die Pause gehe: "Rundum durchgeknallte Typen. Herzlose Ehemänner, sturztrunkene oder wischsüchtige Frauen. Nervensägen, wohin man auch blickt." David Bennent gefällt ihm zwar mit seinem "Zwerchfell erschütternden Auftritt" im "eskalierenden Mittelakt" ("mit einem erdbebenhaften Ausbruch und rollenden Augen"), den "beinharten Erfolgsmenschen (...), nach dessen Pfeife jetzt alle anderen in einem blödsinnigen Ringelpiez-Spiel tanzen sollen", nimmt er ihm jedoch nicht ab. Fazit: "Wer hier nicht mehr als einen funktionierenden Schwank erwartet, ist zu zwei Dritteln gut bedient."
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