Die Kontrakte des Kaufmanns - Pedro Martins Beja findet Freudsche Illustrationen zu Jelineks Kalauern
Wie wir alle ums Geld-Kalb hampeln
von Anne Peter
Berlin, 27. April 2010. Da sitzt sie, die Gier. Beim Gelage, in sechsköpfiger Ausführung. An einer langen Tafel, elegant gekleidet, zerschneidet ab und an eine der Kleinigkeiten auf ausladendem Teller, pickt auch mal einen Happen auf und schlürft Wein dazu. Lächelt leicht in Richtung Publikum. Und erklärt, die Fingerspitzen aneinander tippend, dass die Wirtschaft doch schließlich immer in Schwierigkeiten stecke. Oder dass das wenige, was wir einst hatten, nicht mehr uns gehört, sondern ihr, also den "Eigentümern seit jeher", "für uns arbeitet ja Ihr Geld, für das Sie gearbeitet haben". Freilich, wir könnten es jederzeit besuchen, unser Geld. Na, dann ist ja gut.
Elfriede Jelinek reiht in ihren "Kontrakten des Kaufmanns" unendlich viele solcher Abzocker-Mantras aneinander. Eine freundliche Stimme, ein gewinnendes Lächeln haben schon über so manchen hanebüchenen Inhalt hinweggeholfen. In der Diplominszenierung von Pedro Martins Beja tragen die Bankangestellen mitunter sehr kurze Röcke unter ihren Krawatten, wiegen ganz leicht und ein bisschen mechanisch die Hüften oder lassen Stöckelschuhe Strumpfhosenbeine entlanggleiten. Sie wissen zu verführen, einzulullen, zu verdummen. "Wir haben Ihnen 15 % per annum versprochen, und das haben Sie geglaubt!"
Stück der Stunde endlich auch in B.
Wenige Wochen bevor Nicolas Stemanns Uraufführungs-Inszenierung zum Theatertreffen-Auftritt in der Hauptstadt landet, werden Jelineks "Kontrakte" - allseits als Stück der Stunde beschworen - nun zum ersten Mal in Berlin inszeniert, im kleinen Schaubühnen-Studio von einem Regie-Absolventen der Ernst-Busch-Schule. Pedro Martins Beja, Jahrgang 1978, hat vor zwei Jahren den Jurypreis beim 100°-Festival erhalten und war jüngst mit einer Sarah-Kane-Inszenierung zur Talent-Entdeckungsplattform Körber Studio Junge Regie nach Hamburg eingeladen.
Sein Jelinek-Gesellenstück, das Martins Beja mit drei SchauspielstudentInnen, zwei Ex-Kommilitonen, die seit dieser Spielzeit an der Schaubühne engagiert sind, und der freischaffenden Susanne Sachse inszeniert, zeugt von erfreulich sprudelnder szenischen Phantasie. Findet er doch immer wieder stimmige und vor allem sinnliche Bilder für die Wortkaskaden von Jelineks Text, der laut Vorbemerkung der Autorin "an jeder beliebigen Stelle anfangen und aufhören" kann.
Während Stemann in Köln große Teile des Jelinek-Textes performen und die noch abzuarbeitenden Seiten per Digitalanzeige herunterzählen ließ, sortierte etwa Johan Simons, der die "Kontrakte" am NT Gent inszeniert hat, geschätzte 80% des Textes aus. Und wo Stemann auf die Maschinerie eines überschnappenden Systems schaute, zoomte Simons an die menschlichen Zahnräder derselben heran, barg das Einzelschicksal aus den Endlossatz-Flächen.
Buchstäblich plumpsen Pleitegeier
Auch Martins Beja dampft die sich auf den Skandal um den österreichischen Meinl-Konzern beziehende Wirtschaftskomödie ordentlich ein, auf 90 Minuten. Und auch er nimmt, wie Simons, die von Jelinek hin- und hergewendeten Sprachbilder oft ganz wörtlich. Da plumpst etwa jenes den dinierenden Herrschaften eben noch servierte Bratgeflügel von weit oben in den Teller, als vom "Pleitegeier" die Rede ist. Ein Kleinanleger mit Schweinemaske ist das Kleinvieh, das auch Mist macht. Und die scheinheiligen Geldverschleuderer schnallen sich Engelsflügel um, wo bei Jelinek immer mehr Engel der Gerechtigkeit auftauchen. Dazu lädt ein DJ immer wieder verschiedene Wallungsgrade rein.
Jelineks Kalauerschlachten wirken hier kaum wie Kunstanstrengung, sondern eher wie eine Anhäufung Freud'scher Versprecher. Für sein furioses Um-Kopf-und-Kragen-Solo, ellenlang und irreschnell, wird Tilmann Strauß zu Recht mit Zwischenapplaus bedacht. Später kann er auch noch als schwäbelnder DGB-Mensch belustigen, der sich den für die vorige Rammel-Szene im Glaskasten umgeschnallten Dildo - "Geld, oah, ah" - als Mikro vor den Mund reißt.
Anders als Simons hat Martins Beja kein Erbarmen mit den geprellten Kleinanlegern, deren Klagegesang Jelinek den dreisten Rechtfertigungstiraden der Banker gegenüberstellt. Gleich zu Anfang setzt er einen von ihnen mit buchstäblich heruntergelassenen Hosen aufs Klo und filmt seine live-übertragene Tirade von oben herab ab. Zwar zeigt er die Banker als Kaste der großen Verführer. Aber er weist auch auf unser aller Verführbarkeit. Im Zerrspiegel dieser Bühne sieht man uns alle ums goldene Geld-Kalb herumhampeln. Und nach dem Tische schielen.
Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie
von Elfriede Jelinek
Regie: Pedro Martins Beja, Bühne: Peter Schubert, Kostüme: Sophie du Vinage, Musik: Thomas Mahmoud, Dramaturgie: Hayat Erdogan.
Mit: Franz Hartwig, Marco Portmann, Susanne Sachsse, Tilman Strauß, Lilly Marie Tschörtner, Maria Wardzinska.
www.schaubuehne.de
Mehr zu Elfriede Jelinek im nachtkritik-Glossar.
Kritikenrundschau
Die Texte von Elfriede Jelinek, schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (28.4.2010) seien "so untheatralisch wie kaum andere" und seien doch aufgrund ihrer Aktualität und "der großen Freiheit", die sie jedem böten, der sich in sie hinein schlägt, ungeheuer "attraktiv" für das Theater. Über das "Hirngespinst des Marktes" könne nur "gespenstisch gesprochen werden" und "gespenstisch" gehe es auch in der Diplominszenierung von Pedro Martins Beja zu. "Viel Risikofreude" beweise seine Textauswahl, doch bediene er sich leider "allzunächst liegender Bilder, die den Text mehr illustrieren, als ihn zu greifen".
{denvideo http://www.youtube.com/watch?v=6HdL3_e2N_Q}
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Die Penetrations-Szene im Glaskasten fasse ich eher auch als ein Bild dieser perversen Geldvermehrung mit anschließender Anbetung des Mammons oder auch Goldenen Kalbs, wie in der Kritik beschrieben, auf. Ein falscher Gott von Menschen selbst erschaffen oder auch ein Homunkulus der Finanzindustrie. Vielleicht mag das Bild für eine kranke Gesellschaft in einer Irrenanstalt (Glaskasten) stehen, mit kontrollierten Sex-Praktiken kann ich das nur schwer in Verbindung bringen.
Na bitte, da sieht man ja die Assoziationsvielfalt der Jelinekschen Texte. Da werden wir hoffentlich noch schöne Beispiele gelungener bildlicher Interpretationen im Theater zu sehen bekommen. Aber Sie überinterpretieren schon wieder in Ihrer Darstellung des Weiblichen als Gebärmaschine. Das Bild ist für mich eher ein biblisches, die Frau und ihr Muttermund sind nun mal in allen Religionen Symbole der Fruchtbarkeit. Den Mund der Frau zu stopfen halte ich da für etwas weit hergeholt. Man kann auch nicht in jedem Bild, das man darstellen will, politisch korrekt auf das Frauenbild, um das es hier ja eigentlich nicht geht, achten.
Noch ein schönes Bild für den Glaskasten in Martins Beja Inszenierung wäre die Darstellung einer perversen Parallelgesellschaft, zu der wir keinen Zutritt finden und nur von außen ohne Möglichkeit des gezielten Eingreifens, zur Passivität verurteilt sind. „Wir kümmern uns um ihr Geld.“ Sie können ja nun selbst überlegen, ob sie da auch rein wollen oder lieber nicht. Die Verführbarkeit des Geldes durch die Darstellung zum Beispiel auch einer Hure Babylon besteht ja durch die Verlockungen der Banken über ein Leben ohne Geldsorgen mit gefälschten Sicherheiten und wird durch die Medien, Werbung, TV-Shows etc. noch verstärkt. Das Bild Hure Babylon kann auch für die Vergänglichkeit des Reichtums von einem Tag auf den anderen (Offenbarung des Johannes), durch den Verfall der Wertpapiere stehen.
Weiterhin geht es in Jelineks "Kontrakten" in meiner Lesart von Text und Inszenierung doch gerade darum, dieses passive Hinnehmen der vermeintlich nunmal so funktionierenden perversen Wirtschaft gerade zu hinterfragen und stattdessen auf die eigene Verstrickung in die immer nur den anderen zugeschriebene Gier sowie auf die Notwendigkeit der Regulierung der Finanzmärkte zu fokussieren.
Der Engel der Gerechtigkeit betrauert eine vermeintlich aus dem Nichts aufgetauchte Krise, welche aber immer noch menschengemacht ist. Folglich sollten hier auch nicht die sogenannten "vertrauensbildenden staatlichen Rettungsmaßnahmen" im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die kollektive Einforderung der Verantwortungsübernahme auch und gerade von Seiten der mit Sicherheit nicht immer nur hilf- und machtlos zuschauenden Politiker.
Der (zurückgetretene) Augsburger Bischof Mixa plädierte für eine Erhöhung des Elterngelds, damit Frauen wieder zu Hause bei ihren Kindern bleiben. Krippenbetreuung würde laut Mixa die Frauen auf "Gebärmaschinen" reduzieren. Das ist für mich dieser konservative Backlash, welcher auf die geplatzte Blase der Finanzmärkte folgen könnte. Einerseits führt der Exzess der (sexuellen wie Geld-) Gier in das obszöne Nichts, welches unsere Realitätsvorstellungen von unten her stützt. Andererseits ist die Rückkehr zum Realitätsprinzip der Vernunft- bzw. Versorgerehe im heutigen politisch-gesellschaftlichen Kontext weder haltbar noch attraktiv.
Zudem wird der gern gesehene Zusammenhang zwischen der Verführbarkeit des Geldes und der "Hure Babylon" hier ebenso dekonstruiert, und zwar durch den männlichen Darsteller. Damit wird in meiner Perspektive auch ein Frauenbild hinterfragt, wonach man Frauen und Geld einerseits heiligen und andererseits vergew.. äh gebrauchen soll. Kapitalismus und das Weibliche als Religion. Ja. Genau. Das ist ein Mythos. Der sexuelle (Todes-)Trieb ohne Liebe ist Prostitution. Käufliche Liebe. Wenn aber die Fruchtblase platzt, dann entsteht neues Leben. Und das will bestimmt nicht nur (Tausch-)Mittel zum Zweck sein, den durch die Elterngeneration verursachten Schuldenberg abzutragen.